Flavio Briatore und Michael Schumacher haben nicht nur zwei Fahrer- und einen Konstrukteurstitel in der Formel 1 gemeinsam. Briatore war es auch, der dem heutigen Rekordweltmeister nach seinem Debüt für Jordan zu Benetton lotste und damit den Weg zu den Erfolgen legte.
Alles begann in Monza. Eine Woche vor dem Italien GP brachte Mercedes-Mann Jochen Neerpasch einen Vertrag in die Jordan-Fabrik, der laut Jordan-Mann Ian Phillips "inakzeptabel" war. "Sie wollten die gesamte Werbefläche auf dem Auto", erinnert er sich in Timothy Collings Buch "The Piranha Club" zurück. Während Eddie Jordan in Japan weilte, um sich dort die Yamaha-Motoren für das kommende Jahr zu sichern, arbeitete sein Team die ganze Nacht "an einem Vertrag, den wir unterzeichnen konnten". Zu diesem Zeitpunkt war es aber schon zu spät: Am Dienstag trudelte ein Fax ein, in welchem Jordan mitgeteilt wurde, dass Schumacher ein Seatfitting bei Benetton hatte und in Monza für die Italiener fahren werde.
Bei Benetton war man nach der Durchsicht der Verträge sicher: Schumacher hatte keinen gültigen Kontrakt, der ihn an Jordan band; nur Mercedes-Benz hatte ein Vorzugsrecht auf die Dienste des Deutschen, sollten sie in den kommenden drei Jahren in die F1 zurückkehren. Dieses Risiko war Flavio Briatore bereit einzugehen. Jordan strengte in der Folge ein Gerichtsverfahren an, welches Schumacher verbieten sollte für Benetton zu fahren - er verlor. Gleichzeitig unterstützte Jordan das Verfahren von Roberto Moreno, dem damaligen zweiten Benetton-Piloten, der sein Cockpit behalten wollte - er gewann. "Alle waren geschockt, dass wir in Mailand einen Fall gegen Benetton gewonnen hatten", grinst Eddie Jordan noch heute - allerdings voller Wehmut. Denn Michael Schumacher verlor man trotzdem. Das Unheil (für Jordan) nahm am 5. September in der Villa d'Este am Comer See seinen Lauf.
Dort kamen Ian Phillips und Eddie Jordan am Abend jener langen Nacht an. Bernie Ecclestone, Flavio Briatore, Tom Walkinshaw, Michael Schumacher und eine ganze Heerschar an Anwälten waren schon da. "Wir konnten nicht glauben, wie viele Anwälte in dieser Nacht dort waren", staunte Eddie Jordan. "Es waren ganze Armeen. Die Benetton-Anwälte, Flavios Anwälte und natürlich Bernies Leute." Der Bigboss spielte in diesem Wechseltheater selbstverständlich eine entscheidende Rolle.
"Wir werden nicht nachgeben, wir sind nicht käuflich", sagte sich Eddie Jordan immer wieder. Er lehnte ein Entschädigungsangebot ab und war sich sicher, dass es Moreno ihm gleichtun würde. Er sah seine Position darin bekräftigt, dass Benetton ihn auf gerichtliche Anordnung einsetzen musste und die Italiener kein Risiko eingehen konnten, im Qualifying keinen Fahrer im Cockpit zu haben, dann wären sie von der WM ausgeschlossen worden. Doch zu Jordans Überraschung nahm Moreno um 2:30 Uhr an. "Danach konnten wir um 3:00 Uhr morgens kein Risiko mehr eingehen", so Jordan, der als Schumacher-Ersatz Moreno in sein freies Cockpit setzte. Eigentlich hatte sich Alex Zanardi Hoffnungen auf diesen Posten gemacht.
Der Italiener wurde sogar von Jordan und Benetton umworben. "Da war ich also: Eben noch ein arbeitsloser Rennfahrer und plötzlich jagten mich zwei große Formel 1-Teams", schreibt Alex in seiner Autobiographie "My sweetest victory". Benettons Teammanager Joan Villadelprat hatte ihn am Donnerstag vor dem Rennen angerufen und gesagt: "Wir haben Schumacher, aber es ist eine schwierige Situation, wahrscheinlich wird er nicht fahren dürfen. Aber egal wie: Wir wollen Moreno ersetzen." Der Notplan hieß Alex Zanardi. "Wenn Schumacher nicht fährt, möchten wir dich im Auto", soll Villadelprat angeboten haben. Nach einem geheimen Seatfitting bei Benetton wurde die Situation noch komplizierter. Marlboro-Mann Maurizio Arrivabene rief bei Alex an: "Jordan möchte, dass du für sie fährst." Zanardi glaubte an eine Verwechslung: "Sie meinen Benetton." - "Nein, Eddie Jordan hat selbst angerufen."
Obwohl sich Jordan daran nicht erinnern kann oder möchte, er meint Zanardi erst am Freitagmorgen nach dem Deal mit Moreno erstmals gesprochen zu haben, berichtet Alex weiter von einem Treffen mit dem Iren; am Donnerstag: "Sie haben Schumacher von uns gestohlen und möchten uns stattdessen Moreno geben. Aber wir wollen dich", soll Jordan laut Zanardi gesagt haben. Alex stand damit vor einer schwierigen Wahl: Wenn Schumacher für keinen von beiden fahren sollte, was würde er dann machen? Für beide konnte er kaum fahren.
Kaum hatte er den Paddock verlassen, läutete sein "mindestens einen halben Meter langes" Uralt-Mobiltelefon; Benetton sagte ab - der Schumacher-Deal sei in trockenen Tüchern. Jordan wiederum sagte ihm: "Wenn es keine Probleme gibt, komm morgen um 6:00 Uhr und wir bereiten das Auto für dich vor." Danach war wieder Flavio-Time: Er bot Zanardi in mehreren lautstarken Telefonaten eine Rolle als offizieller Testfahrer 1991 und 1992 und Stammfahrer ab 1993 an - schließlich wollte er Schumacher in seinem Auto sehen und brauchte dafür den Jordan als Puffer für Moreno. Zanardi lehnte aber ab, er wollte schon an diesem Wochenende und nicht erst in zwei Jahren sein F1-Debüt geben. "Gut, mach verdammt noch mal was du willst", legte Briatore wütend auf. Danach begann die Zeit des Wartens auf den nächsten Anruf von Eddie Jordan - der aber niemals kommen sollte.
Briatore und Walkinshaw hatten den Iren davon überzeugt, dass Zanardi andernorts unter Vertrag stand und notfalls mit einer Klage gedroht. Damit war der Formel 1-Traum von Alex Zanardi vorerst ausgeträumt. Die Vorfälle von Schumi-Gate hatten ihn ausgebremst. Die Karriere des heute erfolgreichsten F1-Piloten aller Zeiten kam jedoch an jenem Tag in Monza richtig in Schwung - und nicht nur die: Schumacher saß in einem besseren Team mit mehr Geld, Benetton hatte einen angehenden Weltstar und seinen Zugang zum deutschen Markt und Bernie Ecclestone bekam seinen deutschen Fahrer, der die TV-Rechte in die Höhe treiben sollte. Die Schumacher-Ära hatte begonnen. Gemeinsam gewannen Briatore und Schumacher 19 GP-Siege. Danach wechselte Schumacher zu Ferrari und setzte seine Erfolgsserie nach einigen Anlaufschwierigkeiten dort fort.
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