Wie kürzlich bekannt wurde, findet Nicholas Latifis Engagement als Formel-1-Pilot bei Williams mit Abschluss der F1-Saison 2022 sein Ende. Nach drei gemeinsamen Jahren trennen sich die Wege des Kanadiers und des Traditionsrennstalls also wieder. Und da der 27-Jährige mit Blick auf die noch offenen 2023er-Cockpits alles andere als hoch gehandelt wird, ist wohl anzunehmen, dass seine Zeit in der Königsklasse insgesamt abgelaufen ist. Viele Highlights konnte er in den vergangenen Saisons nämlich nicht liefern - eher im Gegenteil. Der Noch-Williams-Pilot fiel immer wieder durch Fahrfehler und selbstverschuldete Crashs auf. Ein Rückblick auf die für Latifi wohl schlimmsten Momente in seiner Zeit in der Formel 1.
Bereits Latifis Weg in die Formel 1 fiel eher steinig als glatt aus. Als er 2013 und 2014 an der europäischen Formel 3 teilnahm, landete er am Saisonende auf Rang 15 bzw. Rang 10. Kein besonders herausragendes Bewerbungsschreiben für höhere Motorsportambitionen. Nach einem kurzen Abstecher in die Formel Renault 3.5 im Jahr 2015, wo er die Saison auf dem 11. Rang abschloss, stieg er 2016 trotzdem in die Formel 2 ein - dem Familienvermögen sei Dank. In seiner ersten Saison erreichte er den 16. Platz in der Gesamtwertung. In der zweiten war es dann immerhin Rang 5 und in der dritten Rang 9. In seiner vierten und letzten Formel-2-Saison, die 2019 stattfand, hatte er den Bogen dann aber zumindest einigermaßen raus und konnte sich den Vizemeistertitel hinter Nyck de Vries sichern.
2020 startete er dann erstmals für das (damals) schwer gebeutelte Williams-Team, das die Finanzspritze, die der Kanadier erneut im Gepäck hatte, mit Sicherheit zu schätzen wusste. Doch bereits an seinem ersten Rennwochenende in der "Corona-Saison", das in Österreich stattfand, sorgte er für negative Publicity. In FP3 kommt er in Kurve 1 zu weit auf den Kerb, verliert das Heck und schrottet seinen nagelneuen FW43 zu großen Teilen an der Streckenbegrenzung. Im sonntäglichen Rennen erreichte er mit P11 zwar eine durchaus gute Platzierung, dabei gilt es aber zu beachten, dass insgesamt 7 Piloten wegen Defekten ausgeschieden waren. Einen weiteren vermeidbaren Trainingscrash gab es 2020 auch noch in Russland, wo der Kanadier einfach mit zu viel Speed in Kurve 10 fuhr und daraufhin sein Auto verlor. Erneut endete seine Ausfahrt ohne Not in der Streckenbegrenzung.
Zum nächsten Negativ-Highlight des Williams-Piloten in der Saison 2020 kam es in der Türkei. Im zweiten Qualifying-Segment drehte er sich bei nassen Bedingungen erneut aus der Kurve, weil er etwas zu früh aufs Gas stieg. Der Kanadier landete im Kiesbett und fuhr sich fest. Nichts ging mehr. Und auch im Rennen, das ebenfalls auf nasser Strecke stattfand, konnte er alles andere als überzeugen. Als er weit zurückliegend kurz vor Kurve 9 blaue Flaggen gezeigt bekam, wechselte er auf die Innenbahn, um für die hinten kommenden Piloten Platz zu machen. Dabei übersah er aber, dass nicht nur Daniel Ricciardo im Renault vorbeiwollte, sondern auch Romain Grosjean im Haas. "Als der Renault an mir vorbei war, befand ich mich im Wendepunkt der Kurve. Ich hatte aber keinen Grip und bin wegen Untersteuern in Romain gefahren", erklärte Latifi die Situation nach dem Rennen, aus dem beide Beteiligten aufgrund der dabei entstandenen Schäden ausgeschieden waren.
Auch in seiner zweiten Saison beim Formel-1-Rennstall mit Sitz in Grove bekleckerte sich der kanadische Paydriver nicht gerade mit Ruhm. Am zweiten Grand-Prix-Wochenende der Weltmeisterschaft in Imola verlor er seinen Wagen in FP3 in der Villeneuve-Kurve und beschädigte dabei seinen Frontflügel. Und im sonntäglichen Rennen, bei dem er auf P17 an den Start ging und das auf nasser Fahrbahn stattfand, baute er in Runde eins direkt zwei große Schnitzer ein. Zunächst drehte er sich in der Acque Minerali von der Strecke. Latifi kann jedoch einen Einschlag verhindern und kommt unbeschädigt zurück auf die Fahrbahn, wo er sich knapp vor Nikita Mazepin auf P19 einreiht. Doch dann: Auf der folgenden Geraden lässt Latifi Mazepin nicht genügend Platz und sein rechter Hinterreifen berührt den linken Vorderreifen des Haas-Boliden. Sekundenbruchteile später schießt der Williams-Pilot im 90-Grad-Winkel in die Streckenbegrenzung und erneut ist das Rennen für beide Fahrer vorzeitig beendet.
Nach einer auch weiterhin durchwachsenen Saison für Latifi traf der Formel-1-Zirkus gegen Ende im Nahen Osten ein. Und die Rennen in Katar, Saudi-Arabien und Abu Dhabi sollten noch einmal für einige Tiefpunkte beim Williams-Piloten sorgen. In Katar wurde er neben Valtteri Bottas und George Russell Opfer eines Reifenschadens, den Pirelli nach dem Rennen damit erklärte, dass insbesondere die linken Reifen bei einer Ein-Stopp-Strategie gegen Ende eine Abnutzung von 100 % erreichten. Es ist dem Streckenlayout geschuldet, das die linken Reifen besonders stark beansprucht werden. Andere Piloten hatten da hingegen etwas mehr Glück. Dank eines späten VSCs litten die Reifen von Alonso, Stroll, Sainz und Leclerc am Ende ihres Stints weniger stark und schafften es wohl gerade so über die volle Renndistanz. Andernfalls wäre bei all diesen Kandidaten nämlich ein zweiter Boxenstopp fällig gewesen. Das war zwar kein selbst verschuldeter Tiefpunkt von Latifi, sondern gewissermaßen (Strategie-)Pech, aber das war auch erst der Anfang seiner damaligen Negativserie im Nahen Osten.
Am vorletzten Rennwochenende der Saison in Saudi-Arabien kam es im ersten Qualifying-Segment in Kurve 13 zu einem "Snap Oversteer" seines Williams. Als er daraufhin hart in der Tecpro-Barrier einschlug, konnte sich Latifi die Situation am Funk einfach nicht erklären. Im Vergleich zum folgenden Skandal-Saisonfinale in Abu Dhabi war das aber nur eine Kleinigkeit. Als der Kanadier seinen Williams kurz vor Rennende in die Streckenbegrenzung schraubte, weil er davor im Zweikampf gegen Mick Schumacher von der Strecke abkam und entsprechend viel Schmutz aufsammelte, sorgte das nämlich für den Aufreger der jüngeren Formel-1-Geschichte. Das Safety Car wurde rausgeschickt, Verstappen konnte sich hinter Hamilton positionieren und als das Rennen für eine letzte Runde wieder freigegeben wurde, konnte der Holländer den Rekordweltmeister dank frischerer Reifen beinahe spielend kassieren. Hamilton glitt der achte Weltmeistertitel, mit dem er den Rekord von Michael Schumacher übertrumpft hätte, in letzter Sekunde aus den Fingern. Auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff raste daraufhin vor Wut. Bilder, die um die Welt gehen sollten, und letzten Endes durch Nicholas Latifis Unfall ausgelöst wurden.
Wer glaubt, damit sei der absolute Tiefpunkt von Latifis Karriere endgültig erreicht, hat nur teilweise recht. Das Finale sollte in den kommenden Monaten nämlich nachwirken. Der Kanadier wurde mit Hasskommentaren und auch Morddrohungen geradezu bombardiert. Williams-Teamchef Jost Capito räumte nach Monza sogar ein, dass dies seinen Piloten alles andere als kalt gelassen hätte. "Ich bin sicher, dass sich das auf sein Fahrverhalten ausgewirkt hat", erklärte er im Podcast "High Performance". Und weiter: "Ich denke, das war auch ein Grund, warum er in der Saison eine Weile brauchte, um seine Leistung wieder zu finden." Doch auch wenn sich Capito hier noch recht zuversichtlich anhörte, was Latifis Zukunft bei Williams betrifft, hat es am Ende wohl doch nicht gereicht. WM-Punkte kann man eben nicht kaufen - noch nicht einmal mit den vielen Millionen seiner Familie. Besonders bitter und an dieser Stelle auch sicherlich durchaus ausschlaggebend? Der Mercedes-Rookie Nyck de Vries holte bei seinem ersten F1-Einsatz in Monza, der für ihn selbst überraschend kam, da bei Alexander Albon erst kurz zuvor eine Blinddarmentzündung diagnostiziert wurde, direkt P9 und damit zwei WM-Punkte.
Davon abgesehen machte Latifi aber auch schon zu Beginn der Saison 2022 seinem Ruf alle Ehre. "Ein frustrierendes Ende dreier Wochen fern der Heimat", hieß es etwa in der Presseaussendung des Williams F1 Teams zum Saudi-Arabien GP 2022. Verantwortlich für dieses verheerende Fazit war nicht zuletzt der Kanadier, der sich nach einem Crash im Qualifying im Rennen bereits in Runde 14 gleich den nächsten groben Fahrfehler leiste. "Ich weiß nicht genau, was da passiert ist. Ich schien einfach das Heck zu verlieren, wieder sehr unvorhersehbar", kommentierte ein mental angeschlagener Latifi seinen Abflug in der letzten Kurve. Zuvor hatte er schon im Qualifying völlig unvermittelt seinen Williams verloren und war hart in die Streckenbegrenzung eingeschlagen. Er trug dabei zwar keine gröberen Blessuren davon, sein FW44 jedoch sehr wohl. Und bereits 2 Wochen später folgte in Melbourne der nächste grobe Schnitzer. In einem wirklich bizarren Qualifying-Crash mit Aston-Martin-Pilot Lance Stroll zerstörte er sein Auto fast vollständig. Der Auslöser? Zuerst ließ Latifi Stroll vorbei, nur um eine Kurve später doch wieder innen hineinzustechen. Ein wahrlich teures und ärgerliches Missverständnis.
Damit ist der aktuelle und gleichzeitig wohl auch endgültige Tiefpunkt von Nicholas Latifis Formel-1-Karriere aber erreicht. Denn auch wenn ihm noch sechs Rennen bleiben, um etwas Schadensbegrenzung zu betreiben und die Saison nicht als einziger Stammfahrer im Feld punktelos abzuschließen, wäre diese letzten Endes doch nur kosmetischer Natur. Zu häufig musste er sich in seiner bisherigen Zeit bei Williams dem jeweiligen Teamkollegen geschlagen geben. Gegen George Russell verlor er das zweijährige Qualifying-Duell 36:2 und gegen den Nachfolger Alexander Albon sieht es mit 13:1 momentan auch alles andere als rosig aus.
"Manchmal war es ein technisches Problem, manchmal der Motor, manchmal Latifi", kommentierte Teamboss Frederic Vasseur die vielen Ausfälle von Alfa Romeo. Wie in Spa, als Nicholas Latifi nicht nur sein eigenes Rennen, sondern auch das von Valtteri Bottas zerstörte. Schon in der zweiten Runde des Großen Preises von Belgien drehte sich der Kanadier in Les Combes. Bottas blieb nur noch die Flucht ins Kiesbett, von dort gab es kein Entkommen mehr. "Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort", so der Finne. Nämlich in der Nähe von Nicholas Latifi. Der das Rennen übrigens auf dem letzten Platz beendete.
In Singapur war dann der Teamkollege von Valtteri Bottas dran. In Runde sieben fand sich Zhou Guanyu zwischen der Betonmauer und Nicholas Latifi wieder. Aufhängeschäden bei beiden Piloten, beide Rennen vorbei. Latifi erhielt eine Grid-Strafe von fünf Plätzen, das besänftigte Zhous Wut aber nur bedingt: "Manche Fahrer sollten einfach gesagt ein bisschen fairer sein, anstatt es auf die Spiegel zu schieben." Als Unfallgrund gab Latifi nämlich an, dass sich Zhou im toten Winkel befunden hätte und er ihn im Spiegel nicht sehen konnte. Im Nachhinein revidierte Latifi diesen Grund und nahm die Schuld auf sich. Zumindest teilweise: Er akzeptierte die Strafe. Nicht aber, dass er sie ohne Anhörung bei den Stewards bekam. "Das ist frustrierend. Ich hatte nicht einmal die Chance, mit den Stewards zu reden." Und ihnen die Latifi-Sichtweise auf seinen selbstverschuldeten Crash zu schildern. Latifi auf seiner Abschiedstournee, er versucht das Beste, sie unvergesslich zu machen.
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