Ein spannenderes Saisonfinale als das heutige in Sao Paulo ist kaum vorstellbar. Nicht nur die Führung in der Weltmeisterschaft wechselte mehrfach, auch an der Spitze des Rennens gab es viel Abwechslung. Zudem gab es wieder reichlich hochwertigen Schrott nach Kollisionen, die zu zwei Safety-Car-Phasen führten. Und als ob das noch nicht genug wäre, sorgte der immer mal wieder aufkommende Regen für rutschende Boliden auf der Strecke und geschäftiges Treiben in der Boxengasse. Nach 71 aufreibenden Runden überquerte Jenson Button als Erster die Ziellinie, gefolgt vom Ferrari-Duo Fernando Alonso und Felipe Massa. Sebastian Vettel reichte Platz sechs zum Gewinn seines dritten Weltmeistertitels in Folge. Motorsport-Magazin.com nimmt die Leistungen der einzelnen Fahrer unter die Lupe.
Jenson Button: Der Brite fuhr ein recht unauffälliges Rennen, dass er zum einen durch eine kluge Taktik, nämlich trotz einsetzenden Regens auf Slicks zu bleiben, sowie durch etwas Glück gewann. Button setzte sich in Runde acht an die Spitze des Feldes, gab sie im 19. Umlauf jedoch an einen wie entfesselt fahrenden Nico Hülkenberg im Force India ab. In Runde 13 musste er dann auch noch McLaren-Kollege Lewis Hamilton passieren lassen, doch es war noch nicht aller Tage Abend. Denn Button profitierte von der Kollision zwischen Hamilton und Hülkenberg in Runde 55 und setzte sich wieder an die Spitze, die er nicht mehr abgab. Insgesamt sicherlich nicht das beste Rennen des 32-Jährigen, doch er bewies mit Slicks auf feuchter Fahrbahn Fingerspitzengefühl und nutzte die Gunst der Stunde zu seinem 15. Grand-Prix-Sieg.
Fernando Alonso: Man kann dem Ferrari-Piloten nicht vorhalten, er hätte nicht alles versucht, um das Blatt doch noch zu seinen Gunsten zu wenden und zum ersten Mal seit dem Japan GP wieder an der Spitze der Weltmeisterschaft zu stehen. Mit einem erneut suboptimalen Qualifying hatte er sich zwar in eine ungünstige Ausgangslage gebracht, doch der zweifache Champion konnte seine Qualitäten am Start ausspielen. In Runde zwei war Alonso bereits Dritter und mit Sebastian Vettel aufgrund eines Drehers abgeschlagen am Ende des Feldes witterte er Morgenluft. Doch er machte wie viele andere unter den teils trockenen, teils feuchten Streckenbedingungen Fehler und verlor so in Runde fünf eine Position an Nico Hülkenberg. Im weiteren Rennverlauf lieferte er sich ein enges Duell mit Kamui Kobayashi, wobei es ihm gelang, dies ohne Schaden am Auto zu überstehen. Dennoch sollte auch der letztendlich zweite Platz nicht zum Gewinn seines dritten Titels, dem ersten mit Ferrari, reichen.
Felipe Massa: Der Brasilianer zeigte vor heimischem Publikum eindrucksvoll, dass er nicht nur Fernando Alonsos Wasserträger ist, sondern beflügelt von den Fans zur Höchstform auflaufen kann. Bereits beim Start ging er ebenso wagemutig wie umsichtig zu Werke und nutze die sich ihm bietenden Lücken. Im Renntempo musste er dann zwar zunächst abreißen lassen, doch trotz der schwierigen Bedingungen aufgrund des immer wiederkehrenden Regens erlaubte er sich - sonst ein Kandidat für formvollendete Pirouetten - keinen Ausrutscher. Auch erwies er sich im direkten Duell mit Sebastian Vettel, dem WM-Kontrahenten seines Teamkollegen, als äußerst fairer Sportsmann. Das Rennen ist ein Befreiungsschlag des Brasilianers, der zeigte, dass er ein großes Kämpferherz hat und sich auch von Rückschlägen wie der provozierten Strafe in Austin nicht unterkriegen lässt.
Mark Webber: Der Red-Bull-Pilot schien in dieser Saison auf eine Position abonniert zu sein: Rang vier. Insgesamt sechs Mal verpasste der Australier das Podest, wie zum Saisonauftakt in Melbourne hatte er auch in Brasilien beim Saisonabschluss das Nachsehen. Highlights setzte er kaum, die TV-Kameras fingen einen Dreher ein, der jedoch von Kamui Kobayashi angeschoben wurde. Auch auf die gesamte Saison gesehen ließ Webber abgesehen von seinen Erfolgen in Monaco und Großbritannien nur wenig aufhorchen.
Nico Hülkenberg: Was für ein Rennen des scheidenden Force-India-Piloten! In Brasilien blüht der Deutsche nun schon zum zweiten Mal auf, nach seiner Sensationspole im Williams 2010, schien er heute gar vor seinem ersten Grand-Prix-Sieg zu stehen. Die Pace dafür hatte er allemal, gekonnt setzte er sich an in Runde 19 an Jenson Button vorbei in Führung. Auch die ungewohnte Situation, nach einer Safety-Car-Phase das Rennen als Führender wieder aufzunehmen, meisterte er mit Bravour. Doch es zeigte sich, dass er trotz allem noch nicht ganz reif ist für den ersten Triumph. Als er zum Überholmanöver in Kurve eins ansetzte, kam er ins Rutschen und katapultierte Lewis Hamilton so aus dem Rennen. Er selbst konnte die Fahrt zwar wieder aufnehmen, viel jedoch auch aufgrund einer Durchfahrtsstrafe zurück. Auch wenn das Ganze mehr den Anschein eines Rennunfalls erweckte, der in einem Rennen unter Mischbedingungen keine Seltenheit darstellt, sah Hülkenberg unglücklich aus. Mit etwas mehr Vorsicht hätte sich der Zusammenprall womöglich vermeiden lassen. Doch der künftige Sauber-Pilot hat aus diesem Vorfall mit Sicherheit gelernt und wird sich den Sieg das nächste Mal nicht nehmen (lassen).
Sebastian Vettel: Man kann nicht behaupten, dass Sebastian Vettel der dritte Weltmeistertitel geschenkt wurde. So "einfach" wie in den Vorjahren machte es ihm die Konkurrenz nicht. Doch Vettel wuchs an dieser Herausforderung und bewies, dass er ein Rennen nicht nur von der Pole Position dominieren und gewinnen kann, sondern auch in der Lage ist, sich vom Ende des Feldes zurück zu kämpfen. Denn genau das musste er in Brasilien erneut. Ob nun er oder Bruno Senna an dem Zusammenprall in Runde eins Schuld war, ist schwer zu beurteilen. Fakt ist, dass sich Vettel mit einem irreparablen Schaden ganz hinten wieder fand. Doch mit der bis dahin schnellsten Runde des Rennens machte er klar, dass er den Titel nicht verloren gibt. Auch nach weiteren Rückschlägen wie dem defekten Funk, der dazu führte, dass er seine Crew mit einem Boxenstopp überraschte, kämpfte er weiter und wurde mit Rang sechs und dem dritten Titel in Folge belohnt.
Michael Schumacher: Sein letztes Rennen hatte sich der 43-Jährige vielleicht etwas glanzvoller vorgestellt, doch immerhin erzielte er erstmals seit dem Italien GP im September wieder WM-Punkte. Und mit Platz sieben schloss sich für ihn zudem ein Kreis, denn die Karriere des Rekordchampions begann 1991 in Spa-Francorchamps mit einem siebten Platz im Qualifying. Obwohl es kein einfaches Rennen war, bei dem er gleich zu Beginn durch einen Reifenschaden zurückgeworfen wurde, genoss Schumacher seine letzten Rad-an-Rad-Duelle auf der Strecke.
Jean-Eric Vergne: Positiv war für den Franzosen in Toro-Rosso-Diensten, dass er sein Premierenjahr in der Formel 1 mit einem Punkteergebnis beendete. Dies gelang ihm in diesem Jahr insgesamt vier Mal. Doch Vergne musste in Brasilien auch seine Lektionen lernen. Zum einen gestand er nach dem Rennen, dass er aufs falsche Pferd setzte, als er bei einsetzendem Regen auf Trockenreifen blieb, weil er dadurch letztendlich viel Zeit verlor. Zudem krachte er Timo Glock nach der ersten Safety-Car-Phase ins Heck, wofür er sich nach dem Rennen beim Marussia-Piloten entschuldigte. Alles in allem zeigte Vergne jedoch eine solide Leistung, auf die er im kommenden Jahr aufbauen kann.
Kamui Kobayashi: Der Japaner zeigte in Brasilien erneut, was ihn ausmacht. Zum einen ist er sehr schnell und kann sich mit Top-Fahrern wie Fernando Alonso und Sebastian Vettel duellieren. Doch sah man ihn den Großteil des Rennens in seinem Sauber rutschen und als er Michael Schumacher gegen Ende des Rennens überholen wollte, verlor er das Heck. So wird das Bild des unberechenbaren "Kamikaze-Kamui" verstärkt, dem es offenbar noch an präziser Fahrzeugbeherrschung mangelt.
Kimi Räikkönen: Den Lotus-Piloten sah man in Brasilien oftmals neben der Strecke. Doch Kimi wäre nicht Kimi, wenn seine Ausritte nicht besonders wären. Als er in Runde 52 von der Strecke abkam, weil er durch sein Visier kaum noch sehen konnte, rettete er sich in einen Notausgang und wollte durch die Boxengasse, die für Rahmenrennen verwendet wird, fahren, um wieder auf die Strecke zu kommen. Das gleiche Manöver hatte er bereits 2001 unternommen, mit dem Unterschied, dass damals kein verschlossenes Tor die Durchfahrt versperrte. So musste der 'Iceman' wenden und den Notausgang wieder zurückfahren, anschließend durch das matschige Gras pflügen, um schließlich das Rennen wieder aufzunehmen. Dieses beendete er zwar unspektakulär auf Rang zehn, doch sorgte er für eine Anekdote, die sicher über seine Zeit in der Formel 1 hinaus immer wieder erzählt werden wird.
Vitaly Petrov: Der tragische Held des Tages. Mit Rang elf im Chaosrennen von Sao Paulo beförderte der Russe Caterham auf den finanziell äußerst wichtigen zehnten Rang in der Konstrukteurswertung. Tragisch ist das Ganze deshalb, weil Petrov nächstes Jahr durch Charles Pic ersetzt wird, den er im bei der Überrundung durch Fernando Alonso geschickt überholte. Dieser wird nun vom Geldregen profitieren, während Petrov in die Röhre guckt - oder vielleicht auch nicht? Denn eine Empfehlung für sein fahrerisches Potential hat er - trotz Ausrutschern - in jedem Fall abgegeben.
Charles Pic: Der Franzose, der 2013 für Caterham ins Lenkrad greifen wird, sprach nach dem Brasilien GP von einem der besten Rennen seiner noch jungen Karriere. Dennoch konnte er Vitaly Petrov nicht hinter sich halten und so verlor Marussia Rang zehn in der Konstrukteurswertung.
Daniel Ricciardo: Wie Teamkollege Jean-Eric Vergne lag auch Daniel Ricciardo auf Punktekurs. Doch er hatte Pech. Nach seinem ersten Stopp, bei dem er Slicks aufzog, begann es zu regnen und der Australier musste erneut die Box ansteuern. Doch das sollten nicht die einzigen Besuche bei seiner Crew bleiben. Insgesamt stoppte Ricciardo fünf Mal und das wirkte sich negativ auf sein Rennergebnis aus.
Heikki Kovalainen: Auch Caterham-Pilot Heikki Kovalainen kam ganze fünf Mal an die Box. Beim zweiten Stopp gab es ein Problem am Heck, das den Finnen Zeit kostete. In der Folge musste er auf die vor ihm liegenden Autos aufholen und pokerte in Runde 59, indem er auf Regenreifen wechselte, nachdem er erst drei Runden vorher Intermediates aufgezogen hatte. Mit den Regenreifen fand er jedoch erst spät ausreichend Grip, weshalb sich der Schachzug nicht auszahlte.
Nico Rosberg: Ein häufiger Gast in der Boxengasse war auch Nico Rosberg. Der Mercedes-Pilot besuchte seine Crew im Ganzen vier Mal, einmal aufgrund eines Reifenschadens hinten rechts. Dieser verursachte einen Schaden am Unterboden, was Rosberg Leistung kostete. Deshalb ging es für den Deutschen auch nicht in die Punkteränge, Rang 15 war das unbefriedigende Ende einer Saison mit Höhepunkten wie seinem ersten Sieg in China und Durststrecken, vor allem in der zweiten Saisonhälfte.
Timo Glock: Jean-Eric Vergne wurde Timo Glock nach der ersten Safety-Car-Phase zum Verhängnis, da dieser den Abstand zu seinen stark bremsenden Vordermännern falsch einschätzte und den Marussia-Piloten am Heck traf. Dieser musste dann zum ungünstigsten Zeitpunkt an die Box und konnte vom Ende des Feldes nicht mehr viel ausrichten. So war er nur 'Best of the rest' vor den beiden HRT-Piloten.
Pedro de la Rosa: Pedro le Rosa überquerte mehr als 30 Sekunden vor Teamkollege Narain Karthikeyan in Sao Paulo die Ziellinie. Er sprach anschließend von einem großartigen Rennen, das er sehr genoss. Das dürfte vor allem daran liegen, dass er ohne technische Gebrechen die Zielflagge sah.
Narain Karthikeyan: Auch Karthikeyan betonte, wie wichtig es für HRT war, beide Autos ins Ziel zu bringen und die Saison so auf einem Hoch zu beenden. Für ihn persönlich war es ein ruhigeres Rennen, da er weder durch einen spektakulären Unfall wie in Abu Dhabi, noch durch ein scharf kritisiertes Überrundungsmanöver wie in Austin auffiel.
Paul Di Resta: Der Schotte stand beim WM-Finale ganz klar im Schatten seines Teamkollegen. Während Nico Hülkenberg nach einem guten Start lange in Führung lag und den Sieg nur nach einem Fahrfehler verpasste, wurde der Schotte schon zu Beginn durch eine strategische Fehlentscheidung zurückgeworfen. Nur durch die erste Safety-Car-Phase fand er erneut Anschluss an das Feld und kämpfte sich in die Top-10 zurück. Dort hätte er das Rennen wohl auch beendet, wenn der Regen nicht stärker geworden wäre. Im Linksknick zurück auf Start-Ziel bekam Di Resta zwei Runden vor dem Ziel Aquaplaning und landete äußerst unsanft in der Mauer.
Lewis Hamilton: In seinem letzten Rennen für McLaren machte Lewis Hamilton alles richtig. Zwar fiel er zwischenzeitlich auf den fünften Platz zurück, kämpfte aber immer weiter und lieferte sich einige absolut faire Duelle mit seinem Teamkollegen Jenson Button, bis er die Führung von Nico Hülkenberg übernahm. Wirklich absetzen konnte er sich aber nicht - und das sollte ihm zum Verhängnis werden. 17 Runden vor dem Ziel setzte Hülkenberg zum Konter an, verlor das Heck und räumte Hamilton ab, der nach seiner bis dahin sehr guten Vorstellung mit einer gebrochenen Vorderradaufhängung aufgeben musste.
Romain Grosjean: Nach seinem ungestümen Fehler im Qualifying und Startplatz 18 zählte Romain Grosjean zu den großen Gewinnern der Startphase. Er war schon fast in den Punkterängen angekommen, als er in der fünften Runde auf der schmierigen Strecke plötzlich das Heck verlor. Sein Lotus bog ab und knallte in die Reifenstapel. Eine Chance, diesen Unfall zu vermeiden, hatte der Franzose wohl nicht.
Pastor Maldonado: Bereits in der zweiten Runde besiegelte Pastor Maldonado das endgültige Final-Aus von Brasilien. Von den Kameras quasi unbeobachtet wurde der Venezolaner von der feuchten Strecke überrascht und sorgte wie schon so oft in diesem Jahr für reichlich Schrott. Zum Glück muss sein Bolide nicht sofort wieder aufgebaut werden...
Bruno Senna: Er hätte der Staatsfeind Nummer eins werden können, am Ende hat sich aber doch noch alles zum Guten gewandt. Als Bruno Senna kurz nach dem Start in der vierten Kurve mit Sebastian Vettel kollidierte, stockte TV-Deutschland der Atem. Senna bremste reichlich optimistisch auf der Innenbahn an und kreuzte dann die Linie von Vettel, der weit außen anbremste. Ein vermeidbares Aus für Senna, trotzdem hatte er Glück im Unglück.
Sergio Perez: Das letzte Rennen für Sauber hatte sich Sergio Perez ganz sicher anders vorgestellt. Schon nach rund einem Kilometer war sein Rennen schuldlos beendet, als er der Kollision zwischen Bruno Senna und Sebastian Vettel nicht mehr ausweichen konnte. Schade, denn schon in Malaysia hatte Perez bewiesen, dass er mit wechselhaften Bedingungen durchaus etwas anfangen kann.
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