Die zweithöchste Klasse der Motorrad-WM sorgte in den vergangenen Wochen für einige Schlagzeilen. Zunächst eliminierte das Selektionskomitee die Ein-Mann-Teams der Moto2 für kommende Saison, dann verkündete KTM in Spielberg das Aus seines Moto2-Projekts mit Ende des Jahres. Das wirft einige Fragen für die kommende Saison auf. Motorsport-Magazin.com mit den Antworten:
Warum steigt KTM aus der Moto2 aus?
So überraschend wie sie ihren Einstieg im Herbst 2016 verkündeten, so überraschend kam auch ihr Ausstieg: Live bei ServusTV verkündete KTM-Boss Stefan Pierer während des MotoGP-Warmups in Spielberg, dass sein Unternehmen 2020 nicht mehr als Hersteller in der Moto2 antreten werde. Wenige Minuten später wurde die weltweite Öffentlichkeit per Presseaussendung über diesen Schritt informiert.
Nur vage wurde diese radikale Entscheidung in dem Schreiben erklärt, doch Motorsport-Magazin.com konnte mit KTM-Sportchef Pit Beirer am Sonntagnachmittag Klartext sprechen: "Mit dem vorangegangenen Motor (Honda, 600cc-Vierzylinder) haben wir das gut hinbekommen, aber mit dem neuen Motor (Triumph, 765cc-Dreizylinder) war es schwieriger. In den letzten Wochen ist viel Aufwand, Arbeit und Geld hineingeflossen, um dieses Motorrad vollkommen umzukrempeln, damit es wieder konkurrenzfähig wird", erklärte Beirer.
Nach dem schwachen Saisonstart ohne Podestplatz in den ersten sieben Rennen und mit vier Rennen ohne eine einzige KTM in den Top-10 entwarfen die Ingenieure in Österreich in den letzten Monaten im Grunde ein völlig neues Motorrad. Dieser Materialschlacht wurde nun ein Ende gesetzt, auch weil beide WM-Titel bereits verloren sind. "Wir haben daher entschieden, uns zu fokussieren, weil wir in der MotoGP noch mehr Kraft und Manpower brauchen und einfach keine Leute mehr bekommen, um das zu stemmen", so Beirer.
Tatsächlich herrscht aufgrund der hohen Hersteller- und Teamanzahl in der Motorrad-WM ein Fachkräftemangel, wie man von allen Beteiligten hört. Motorrad-Ingenieure, die auf MotoGP-Niveau entwickeln können, sind rar gesät, daher zieht KTM nun wohl seine Moto2-Techniker zum MotoGP-Projekt ab, das ohnehin bereits über 40 Millionen Euro pro Jahr verschlingt, wie Pierer im Winter bei der Teampräsentation ausführte.
2017 und 2018 gewann KTM in der Moto2 insgesamt neun Rennen und kämpfte im Vorjahr mit Miguel Oliveira um den Titel. In der laufenden Saison ist man in der Hersteller-Wertung hinter Serien-Weltmeister Kalex und der italienischen Speed-Up-Schmiede gar nur Dritter. Eine Blamage für einen milliardenschweren Konzern wie KTM. Diese Erfolglosigkeit dürfte den Ausstieg beschleunigt haben. Beschlossen wurde dieser allerdings erst in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in Spielberg, wie Beirer uns bestätigte.
Was bedeutet der Ausstieg für die KTM-Teams?
Mit KTM verlässt der zweitgrößte Moto2-Lieferant die Serie. Ganze neun Motorräder stellen die Österreicher in dieser Saison, nur Kalex (17) hat eine größere Fraktion im Grid. Mit dem Team von Aki Ajo und der Tech3-Truppe von Herve Poncharal pflegt man eine enge Zusammenarbeit, tritt in gemeinsamem Red-Bull-KTM-Design auf und setzt die eigenen Werksfahrer in den beiden Rennställen ein. Aufgrund langfristiger vertraglicher Verpflichtungen steht man beiden Teamchefs im Wort, auch weil die KTM-Werksverträge mit Jorge Martin und Iker Lecuona für 2020 bereits unterzeichnet sind.
"Wir werden Aki Ajo und unsere Fahrer natürlich weiterhin unterstützen", versprach Beirer in Spielberg. Da Ajo bereits in der Moto3 den KTM-Werkseinsatz betreut und für die Österreicher auch in Spanien Talente ausbildet, wird das finnische Team in der Moto2 bleiben und dort die Brücke zwischen Moto3 und MotoGP für die interne Karriereleiter der Fahrer des Konzerns bilden - ab 2020 dann wohl aber wieder auf Kalex. Dass Red Bull dieses Projekt mitfinanziert, darf bezweifelt werden, doch Ajo ist einer der versiertesten Manager im Paddock und hat es mit Eigenfinanzierung bereits zu WM-Titeln geschafft.
Anders gelagert ist die Situation hingegen bei Tech3. Bis zum Vorjahr entwickelte die Truppe von Herve Poncharal ihr eigenes Chassis - mit geringem sportlichem Erfolg. Im Zuge des MotoGP-Deals mit KTM stieg sein Team im Winter auch in der Moto2 auf das österreichische Fabrikat um. Damit einher ging volle Finanzierung und damit das Ende der alljährlichen Sponsorensuche für den mittlerweile 62-jährigen Teamchef.
Das Aus von KTM in der Moto2 bedeutet nun auch das Aus für Tech3 in dieser Klasse. Aufgrund der langfristigen Verträge standen die Österreicher dem Franzosen aber in der Schuld, weshalb man Tech3 zukünftig erstmals Maschinen für die Moto3-Klasse liefert.
Die drei weiteren Kundenteams blicken in eine ungewisse Zukunft: Kiefer Racing wurde bereits eine Woche vor dem KTM-Aus darüber informiert, dass man sich für 2020 gar nicht erst bewerben brauche. American Racing gilt als eines der unzuverlässigsten Teams bei Zahlungen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass man sich auf einen Deal mit Kalex einigen kann, weshalb auch diese Truppe wohl endgültig vor dem Aus steht. Und dann wäre da noch das Angel Nieto Team, das aktuell vom Milliardärssohn Xavi Cardelus und dessen Mitgift von kolportierten 1,5 Millionen Euro über Wasser gehalten wird. Teambesitzer Jorge Martinez zählt aber zu den Urgesteinen der Motorrad-WM und sollte bei einem anderen Hersteller fündig werden.
Wie reagiert Kalex auf den Rückzug von KTM?
Kalex-Boss Alex Baumgärtel erfuhr die Nachricht von Motorsport-Magazin.com und konnte diese kaum fassen. "Um ehrlich zu sein, schockiert mich diese Nachricht. Damit war überhaupt nicht zu rechnen", erklärte er uns wenig später in Spielberg im persönlichen Gespräch. Kalex rechnet nun für 2020 mit mehr Bestellungen, bis zu 24 Motorräder könne man aufgrund der eigenen Kapazitäten ohne Weiteres liefern, so Baumgärtel. Die Moto2 würde somit wieder zu einer Art "Kalex-Cup" werden, denn neben den Schwaben sind nur noch Speed-Up, NTS und MV Agusta mit jeweils zwei Motorrädern am Start. Baumgärtel rechnet aber damit, dass manch einer der verbliebenen Rivalen sein Kontingent für 2020 aufstocken könnte. Vor allem Speed-Up holte in der laufenden Saison bereits sechs Podestplätze mit seinen beiden Fahrern.
Wie geht es mit Kiefer Racing weiter?
Wie sich bereits in Spielberg zeigte, ging der öffentliche Aufschrei nicht an den wachsamen Augen der MotoGP-Offiziellen vorbei. Hatte man in Brünn womöglich noch geglaubt, dass Jochen Kiefer den WM-Rauswurf stoisch hinnehmen würde, so ist dem Selektionskomitee spätestens jetzt klar, dass man aus dieser Aktion auf dem deutschen Markt nicht ohne Schrammen rauskommt. Protestbanner, Protestshirts, Proteststicker, Berichte und Kommentare in Mainstream- und Fach-Medien - dem Kiefer-Team schlug in der vergangenen Woche eine Welle der Solidarität entgegen, mit der nicht einmal der WM-erfahrene Teamchef gerechnet hatte.
Die Proteste zeigten erste Wirkung und das Komitee kam am Samstag mit einem ersten Friedensangebot an. Dieses sieht vor, dass Kiefer mit seiner Mechaniker-Truppe in der WM bleiben kann - allerdings als Einsatzmannschaft unter fremder Flagge, so wie die Kiefers das einst bereits bei Leopard Racing praktiziert haben. Bei Fahrerwahl und wichtigen Entscheidungen könnte Jochen dann aber nicht mitbestimmen, weshalb die deutsche Talenteförderung, ein zentrales Anliegen des Kiefer-Teams, eliminiert bliebe.
Neben dem Angebot des Selektionskomitees wurden auch Manager fremder Teams bei Kiefer vorstellig, die gerne Personal für nächste Saison rekrutieren würden - eigentlich ein Beweis für die professionelle Arbeit des Teams. Noch hofft Kiefer Racing darauf, das Selektionskomitee von seinen Qualitäten überzeugen zu können, weshalb Fan-Proteste auch weiterhin hilfreich sind.
Kiefer pokert allerdings hoch, denn das Selektionskomitee hatte ihm bereits im Frühsommer zwei Moto3-Plätze im Gegenzug für einen Moto2-Rückzug angeboten und ihm in Spielberg eben jenes Angebot als Einsatztruppe unter fremder Flagge gemacht. Die Offiziellen könnten den Moto2-Rauswurf letztlich damit rechtfertigen, dass Kiefer diese beiden Angebote ungenutzt gelassen habe und daher selbst Schuld an seinem WM-Aus trage.
Was plant Lukas Tulovic?
Der deutsche Moto2-Rookie wurde in Brünn von der Schocknachricht des WM-Aus seines Arbeitgebers am falschen Fuß getroffen. Sportlich lief es auch in Spielberg nicht wirklich rund, doch hinter den Kulissen prüft sein Manager Peter Bales bereits andere Optionen für 2020 - als Plan B falls das Kiefer-Aus doch nicht mehr abgewendet werden kann. Einige dieser Möglichkeiten liegen freilich außerhalb des WM-Paddocks. Tulovic ist erst 19 Jahre alt, könnte es also nach einem oder mehreren Jahren außerhalb der Weltmeisterschaft auch wieder zurück schaffen - dazu müssen freilich sportliche Erfolge her. In welcher Serie auch immer.
Wie viele Motorräder wird die Moto2 2020 umfassen?
Das ist noch unklar. Seit mehreren Wochen kolportieren einige Medien, dass die Startaufstellung für 2020 verkleinert werden soll, doch eine offizielle Aussage von Dorna-, FIM- oder IRTA-Verantwortlichen gab es dazu nie. Bislang ist lediglich klar, dass in Brünn das italienische Tasca- und das deutsche Kiefer-Team darüber informiert wurden, dass man 2020 nicht mehr mit ihnen plane. Ob in Brünn weitere Rennställe eine ähnliche Hiobsbotschaft bekamen, ist nicht bekannt. An die Öffentlichkeit gingen jedenfalls nur diese beiden Teams.
American Racing und das Forward-Team von Giovanni Cuzari gelten schon lange als Wackelkandidaten. Doch zumindest Cuzari hat mit MV Agusta ein PR-starkes Argument im Rücken, auch wenn unklar ist, wie sehr der italienische Konzern tatsächlich hinter dem Moto2-Projekt steht. Für Tech3 könnte nach dem Aus von KTM auch das Aus in der Moto2 kommen, wie bereits weiter oben ausgeführt. Im Gegenzug ist schon lange davon zu lesen, dass Gresini und das Petronas-Team einen zweiten Startplatz wollen.
In Spielberg machte das Gerücht die Runde, dass beim Selektionskomitee Bewerbungen für bis zu 70 Startplätze eingehen könnten, darunter auch einige asiatische Projekte mit finanziell starken Partnern. Bis zum Donnerstag vor Silverstone können diese den Offiziellen übermittelt werden, ehe der Auswahlprozess beginnt, der bis Aragon abgeschlossen sein soll. Erst dann wissen wir, ob tatsächlich eine Verkleinerung der Startaufstellung stattfindet.
Was heißt das für die Moto2-Fahrer aus Deutschland und der Schweiz?
Sicher mit dabei sind 2020 Tom Lüthi und Marcel Schrötter, die bei Dynavolt Intact GP über Verträge verfügen und deren Team zu den besten der Moto2 aufgestiegen ist. Ebenfalls fix mit dabei ist der Schweizer Jesko Raffin, der beim japanisch-holländischen NTS-Projekt andocken wird. Für alle anderen heimischen Fahrer ist die Zukunft noch ungewiss.
Das Schicksal von Lukas Tulovic steht und fällt mit jenem von Kiefer Racing. Für Domi Aegerter und Forward dürfte ähnliches gelten, auch wenn der Schweizer über einen soliden Sponsoren-Pool verfügt, der ihm im Falle eines WM-Aus seines Teams weitere Möglichkeiten eröffnen könnte.
Für Philipp Öttl gilt das nicht. Der bayrische Rookie konnte zwar immer wieder auf die gute Beziehung zu KTM bauen, ist beim Tech3-Team aber nicht glücklich, wie man aus seinem Umfeld hört, und hatte neben Anpassungsschwierigkeiten an die Moto2-Maschine auch mit einer Verletzung zu kämpfen. Der Rennstall wechselt 2020 aber ohnehin in die Moto3. Wie es bei Öttl 2020 weitergeht, ist daher noch völlig offen.
Für Jonas Folger gilt Ähnliches. Der Yamaha-Testfahrer sagte zwar im Frühsommer, er wolle wieder Rennen fahren, doch nach durchwachsenen Leistungen (0 Punkte in 5 Einsätzen) ist es wieder ruhig um die Vollzeit-Comeback-Pläne von Folger geworden.
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