@ Alfalfa (aber natürlich auch an alle anderen):
Nein, der Begriff „Silberpfeile“ und alles andere was mit Motorsport zu tun hat war Mercedes-Benz bis in die jüngste Vergangenheit schnurzpiepegal. Die wenigsten kennen die „No-Sport-Periode“ von Mercedes-Benz, aber ich bin ja anscheinend einiges älter als die meisten hier, und habe die 70er und 80er Jahre selber mitgemacht. Vielleicht einige Details zur „Entglorifizierung“ des Sterns (damit keine Missverständnisse aufkommen, habe seit 1972 - mit Ausnahme einer BMW-Firmenwagen-Periode - bis heute immer Mercedes gefahren, meine Kritik ist also nicht notorisch!).
Nachdem 1955 Schluss war, hatte jeder damit gerechnet, dass es nach einer Pause von 1 oder 2 Jahren weitergeht. Aber der Vorstand entschied sich dagegen, man war anscheinend der Meinung dass Motorsport mit dem seriösen Image der Marke nicht im Einverständnis steht.
In der ersten Hälfte der 60er Jahre war man im Rallyesport recht erfolgreich, die alten Heckflosser 220 SE und 300 SE sagen dem einen oder anderen vielleicht noch was. Das ganze hat sich aber mehr oder weniger unter der Hand abgespielt, vorbereitet wurden die Wagen von einer kleinen Gruppe „Unverbesserlicher“ abends und am Wochenende, immer beschirmt und behütet vor Angriffen von oben von Rudi Uhlenhaut, der damals Leiter der Entwicklung war. Eugen Böhringer hat erzählt, dass man vor den Rallyes die Autos gegen Quittung bekam, und man war persönlich haftbar für alle Schäden. Wenn es wirklich mal knallte, dann hat Uhlenhaut einen Bericht geschrieben, in dem er den Unfall irgendwelchen Testfahrten zuschrieb. Bezahlt wurden die „Werksfahrer“ nicht, sie bekamen den offiziellen Spesensatz für Geschäftsreisen, und das war’s dann auch! Wie Böhringer unter diesen Umständen Europameister werden konnte ist wirklich erstaunlich!
Ende der 60er Jahre hatte Erich Waxenberger, ein Ingenieur in der Versuchsabteilung, eine Idee. Er verpflanzte den 6.3-Liter-V8 aus dem Typ 600 in eine normale S-Klasse vom Typ 300 SE. Das Ding ging wie die berühmt-berüchtige „Sau“, und man wollte das Teil unbedingt bei einem Tourenwagen-Rennen ausprobieren. Man durfte aber nicht, also musste man irgendwo ganz weit weg fahren - beim Tourenwagenrennen in Macao! Das Geld organisierte sich Waxenberger hintenrum über einen Freund in der PR-Abteilung. Der Vorstand hätte von diesem Ausflug nie erfahren, wenn nicht - ja, wenn Waxenberger nicht gewonnen hätte! Prompt stand es Montags in der Zeitung, und nur dank der Hilfe von Uhlenhaut wurde Waxenberger nicht gefeuert.
Den 6.3er bohrte man dann auf 6.8 Liter auf, und versuchte sich - immer noch halboffiziell - in der Tourenwagen-EM, aber das ist eine Geschichte für sich.
In den 70ern schnupperte man wieder Rallye-Luft, mit einem relativ serienmässigen 450 SLC 5.0, aber nach einer durchwachsenen Periode - mal glänzender Sieger, mal Flop - wurde auch dieses Projekt wieder in die Schublade versenkt, wie so vieles vorher.
In den 80er Jahren kam der nächste Versuch, man wollte mit dem neuen 190 E in die Rallye-WM einsteigen. Walter Röhrl war bereits als Fahrer engagiert, und der neue Wagen hatte als erster - und einziger - Mercedes eine normale Handbremse bekommen, auf ausdrücklichen Wunsch von Röhrl. Aber als man im Vorstand realisierte, dass die Siege nicht von Anfang an vorprogrammiert waren, zog man das Projekt zurück.
Dass der 190er dann aber doch noch zu Motorsport-Ehren in der DTM kam, hat man einzig und allein Norbert Haug zu verdanken. Der war es nämlich, der den Vorstand auf den Boden der Tatsachen holte, und klipp und klar sagte, dass moderner Motorsport anders funktioniert. Eine professionelle Rennabteilung, viel Geld, und die Bereitschaft einige Jahre hinterherzufahren und zu lernen, bevor man an Siege denken kann.
Man erinnere sich auch an die Sportwagen-Zeit in den 80ern. Verschämt unter der Bezeichnung „Sauber“ in die Rennen geschickt, und erst nachdem Siege relativ sicher waren, wurde das Kind in „Mercedes“ umbenannt. Und in der F1 war es nicht viel anders, die ersten Sauber mit Mercedes-Motoren trugen nur einen kleinen Schriftzug „Concept by Mercedes-Benz“, und erst mit der McLaren-Partnerschaft bekannte man sich auch offiziell zu der Sache. Dass die Motoren aber nicht von Mercedes, sondern von Ilmor gebaut werden, ist ja eine bekannte Tatsache.
Mich ärgert eben, dass in den letzten Jahren mit den sportlichen Erfolgen der Vergangenheit Werbung bis zum Abwinken gemacht wird. Sicherlich, es gab immer wieder Perioden bei denen reine Werkswagen unglaubliche Erfolge erzielt haben, aber vergessen werden die Zeiten, in denen man mit Motorsport nichts am Hut hatte, und es nur dank dem Engagement einiger Privatpersonen zu verdanken ist, dass Siege erzielt wurden, die Mercedes sich heute ganz unverblümt auf die eigene Flagge schreibt. Zu den obigen Eskapaden hier noch einige andere:
1901 Nizza, der erste Rennsieg eines „Mercédes“. Wenn Emil Jellinek nicht gleich 30 Autos auf einmal geordert hätte, wäre Gottlieb Daimler bei seinen 15 PS geblieben, und die „furchterregende und für menschliche Wesen tödliche“ Geschwindigkeit des 35-PS-Mercedes wäre uns erspart geblieben.
Mille Miglia 1931, Sieg durch Rudi Caracciola auf Mercedes SSKL. Wer redet heute noch davon, dass das ein Privateinsatz war, weil man in Untertürkheim kein Geld locker machen wollte?
Aber zurück zum eigentlichen Thema, den „Silberpfeilen“.
Mit dem Neunanfang in den 50er Jahren wurden die Rennwagen automatisch silbern lackiert, denn das war ja nun die offizielle deutsche Rennfarbe. Dass hier bereits wieder von den „Silberpfeilen“ geredet wurde war Mercedes sicherlich recht, aber ob hierzu eine Marketing-Kampagne notwendig war wage ich anzuweifeln. Dann war 35 Jahre Ruhe in Sachen „Silberpfeile“, und erst mit den silbern lackierten Gruppe-C-Rennwagen wurde dieses Thema wieder aktuell, und mit der West-Lackierung der F1 schliesslich sogar brandheiss.
Was Neubauer angeht, so hat der sich sicherlich nie im Traum denken können, welche Folgen seine „Silberpfeil“-Story heute hat. Sein Buch ist Ende der 50er Jahre erschienen, also zu einer Zeit, in der eine erneute Werks-Rennbeteiligung eigentlich nicht mehr zur Diskussion stand. Man muss sein Buch gelesen haben, um ihn und seine Erzählungen zu verstehen. Don Alfredo war ein Geschichtenerzähler erster Güte, und wenn man abends im Hotel zusammensass, dann war auch oft genug die Konkurrenz dabei, um zuzuhören. Er war eben einer der wenigen, der die Rennen der 20er und 30er Jahre mit allen Höhen und Tiefen miterlebt hatte, und alle grossen Persönlichkeiten dieser Periode persönlich gekannt hatte. Die alten Geschichten wurden Jahr für Jahr neu erzählt, und jedesmal ausgeschmückt um sie noch interessanter zu machen. Nur so können Fabeln wie Tripolis 1933 und Eifelrennen 1934 entstehen. Gedacht hat sich Neubauer dabei sicherlich nicht viel, es waren eben einfach nur Geschichten aus der guten alten Zeit. Und wie mit vielen anderen auch wurde die „Lackabkratzstory“ dann von unzähligen anderen Autoren übernommen, so lange und so oft, bis sie als Tatsache feststand. Und dass Mercedes dann in der Neuzeit alles tut um diese Fabel am Leben zu erhalten, ist verständlich - wenn auch nicht unbedingt akzeptabel.
Wie gesagt, warum die Auto-Union auf der AVUS silbern waren - ich weiss es nicht! Der GRÖFAZ hatte zwar angewiesen, MB und AU mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, aber rennbegeistert war er definitiv nicht. Die Subventionen waren einzig und allein als Mittel zur Propaganda zu begreifen. Es gibt da die Geschichte mit dem Miller von de Paolo beim AVUS-Rennen, dem direkt vor der Haupttribüne der Motor hochging, und ein Pleuel den GRÖFAZ nur knapp verfehlt haben soll, aber es gibt andere - seriösere - Berichte, die sagen dass Adolf überhaupt nicht anwesend war.
Beim AVUS-Rennen hatten auch die Zoller-Voituretten ihren ersten öffentlichen Auftritt, und die waren weiss, wie es sich gehört. Ich habe auch Zoller-Photos von 1935, aber ob weiss oder silbern kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Privatfahrer gab es zwar viele, aber die meisten traten nur bei nationalen Veranstaltungen an, die Farbe war also frei. Burggaller’s Bugatti 51 war zumindest 1934 weiss, über andere deutsche Privatfahrer bei internationalen Rennen kann ich Moment nichts sagen, müsste ich nachforschen. Und die BMW-Sportwagen bei der Mille Miglia 1940 waren teilweise weiss, und teilweise silbern (bzw. ein komisches Gemisch aus silber-gold-grün), also war anscheinend noch beides möglich.
Nach dem Krieg war silber dann die offizielle deutsche Rennfarbe, egal für wen.
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