2011 will ich hier immer wieder mal Fahrer etwas portraitieren bzw. deren F1-Chancen evaluieren. Wär natürlich toll, wenn es dazu Diskussionen gäben würde. Ich beginne mal mit Jules Bianchi:
Nach dem ersten Rennwochenende der GP2-Asia in Abu Dhabi führt Jules Bianchi die Meisterschaft an. Im Hauptrennen siegte er, im Sprintrennen zeigte er Überholqualitäten und kam als Vierter ins Ziel. Bianchi gilt nun als Topfavorit auf den Titel in der GP2-Asia, womit er auch Favorit auf den Titel in der Hauptserie wäre, denn erstmals werden beide Serien mit den gleichen Dallara-Chassis ausgetragen. Als größter Herausforderer gilt nach dem Rennen in Abu Dhabi Romain Grosjean. Bianchis französischer Landsmann konnte ihm mühelos folgen und wurde im Hauptrennen Zweiter. Im Sprint schied er aus – nach einer Kollision mit Bianchi. Marcus Ericsson zeigte, dass auch mit iSport zu rechnen ist.
Sowohl Bianchi, als auch Grosjean stehen mit einem Bein bereits in der Formel-1, wollen sich jetzt in der zweiten Liga aber den letzten Schliff verpassen lassen. Bianchi ist Testfahrer bei Ferrari und wird durch das Engagement der Lotus-Gruppe bei ART, für das Bianchi fährt, auch indirekt von dieser unterstützt. Und die Lotus-Gruppe soll innerhalb der kommenden Monate Teilhaber beim Renault-Team werden. Gewinnt Bianchi 2011 die GP2-Meisterschaft, dann wird er auch bei Renault ein Thema sein, auch wenn seine französische Nationalität kein Bonus mehr ist. Jahrelang pfiff Renault auf französische Fahrer: Sébastien Bourdais wurde getestet, aber dann in die IndyCar geschickt, trotz des Gewinns der GP2-Vorläuferserie Formel-3000 International; Franck Montagny war ebenfalls nur Testfahrer und Grosjean wurde nach wenigen Rennen 2009 für Renault unter schwierigen Voraussetzungen fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Mit dem neuen Teamchef Eric Boullier hat zumindest Grosjean wieder Chancen bei Renault: Er ist 2011 einer von fünf Testfahrern, gleichzeitig wird er von Gravity unterstützt, einer Management-Firma von Renault-Teambesitzer Gerald Lopez. Gravity unterstützt auch das französische DAMS-Team, für das Grosjean in der GP2 auf Titeljagd geht.
Die Chancen von Bianchi bei Renault sind aber trotz seiner französischen Nationalität eher gering. Durch den Einstieg der Lotus-Gruppe fährt das Team nun unter britischer Flagge, der Renault-Konzern fungiert aus sportrechtlichen Gründen noch als Namensgeber, ist hauptsächlich aber nur noch Motorenlieferant.
Bianchi aber hat noch zwei andere Eisen im Feuer: Ferrari und Sauber. Bei Ferrari ist Bianchi bereits Testfahrer und Teil der Nachwuchsförderung, die Ferrari im Vorjahr ins Leben gerufen hat. Als Teil dieser Akademie bekam und bekommt Bianchi immer wieder F1-Tests, wenngleich auch meistens mit zwei Jahre alten Boliden. Für Bianchi sind das aber wichtige Erfahrungen am Steuer eines GP-Rennwagens. Bei Ferrari steht Stammpilot Felipe Massa außerdem unter Druck: Der Brasilianer darf neben Fernando Alonso nicht mehr so schlecht aussehen wie 2010, sonst sind seine Tage bei Ferrari trotz des bis Ende 2012 laufenden Vertrags gezählt. Als Nachfolger werden Namen wie Robert Kubica und Sebastian Vettel genannt, doch bei der Präsentation des neuen Ferrari-Rennwagens Ende Januar erklärte Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo, dass der nächste Ferrari-Pilot möglichst aus der eigenen Förderung kommen soll – damit war Bianchi gemeint, denn alle anderen Fahrer sind noch nicht F1-reif. Gewinnt Bianchi die GP2-Meisterschaft, dann wäre er durchaus F1-reif.
Die Statistik spricht gegen Bianchi: 1972 hat letztmals ein Fahrer sein F1-Debüt bei Ferrari gegeben: Arturo Merzario fuhr beim Großbritannien GP auf Rang sechs. Seitdem holt Ferrari Fahrer, die sich in der Formel-1 bereits ihre ersten Sporen verdient hat. Als Topteam verzichtet Ferrari auf Experimente mit unerfahrenen F1-Piloten. Felipe Massa gab man zweimal für Lehrjahre zu Sauber, ehe man ihn 2006 ins Werksteam beförderte. Möglicherweise passiert das Gleiche auch mit Bianchi, wo es allerdings mehr Kandidaten als Cockpits gibt: Durch die üppigen Sponsorengelder aus Mexiko wird ein Cockpit beim Ferrari-Kunden Sauber aber an einen Mexikaner gehen, entweder bleibt Sergio Perez, wenn er sich 2010 profiliert, oder Testfahrer Esteban Gutiérrez wird befördert. Gutiérrez fährt 2011 an der Seite von Bianchi bei ART in der GP2. Aber daneben wäre Bianchi ein Kandidat, falls sich Sauber von Kamui Kobayashi trennt oder der eine bessere Alternative angeboten bekommt.
Jules Bianchi kommt aus einer motorsportbegeisterten Familie: Sein Uropa war Mechaniker bei Alfa Romeo und betreute in der Formel-1 unter anderem Johnny Claes, sein Opa Mauro Bianchi fuhr F1-Rennen außerhalb der F1-WM und dessen Bruder Lucien brachte es in der WM auf 17 GP-Rennen und wurde mit einem Cooper BRM beim Monaco GP 1968 Dritter.
Die Gesamtwertung in der GP2-Asia:
1. Jules Bianchi (FRA) 14 Punkte (ART)
2. Romain Grosjean (FRA) 10 Punkte (DAMS)
3. Marcus Ericsson (SWE) 9 Punkte (iSport)
4. Josef Kral (CHZ) 8 Punkte (Arden)
5. Davide Valsecchi (ITA) 8 Punkte (AirAsia)
6. Stefano Coletti (MON) 7 Punkte (Trident)
7. Guido Van der Garde (NED) 4 Punkte (Addax)
8. Sam Bird (GBR) 2 Punkte (iSport)
9. Michael Herck (RUM) 1 Punkt (Coloni)
10. Charles Pic (FRA) 1 Punkt (Addax)