Analyse der Saison bisher:
Mit der wachsenden Unzufriedenheit über die Leistungen von Nick Heidfeld bei Renault wächst auch die Chance für Romain Grosjean, den Deutschen vielleicht noch dieses Jahr zu ersetzen und damit sein F1-Comeback zu feiern. Es wäre ein Déjà-vu: Auch 2009 wurde Grosjean aus der GP2 in die Formel-1 geholt, auch damals zu Renault, auch damals, um einen nicht überzeugenden Rennfahrer zu ersetzen: Nelson Piquet Junior. Damals wurde Grosjean ins kalte Wasser geworfen – und ging unter. Zwar war Grosjean damals wie heute Testfahrer bei Renault – und kam auch mehr zum Testen als dieses Jahr – , doch die Autos 2009 wiesen eine schwierige Charakteristik auf. Für Neueinsteiger, Rückkehrer, aber auch für Fahrer, die das Team wechselten war das enorm schwierig. Beispiele gibt es genug: Als sich Felipe Massa beim Ungarn GP verletzte, kam erst Luca Badoer zehn Jahre nach seinem letzten Grand Prix zurück und fuhr im Ferrari dem Feld hinterher. Als Ferrari dann Badoer gegen Giancarlo Fisichella austauschte, tat sich auch er schwer, obwohl er ein Rennen zuvor in Belgien im Force India Ferrari (!) beinahe noch das Rennen hätte gewinnen können.
Vorgeschichte Grosjean
Badoer, Fisichella, und auch Grosjean enttäuschten. Keine Tests, keine F1-Erfahrung, dazu mit Fernando Alonso einen enorm starken Teamkollegen – das alles war zu viel für Grosjean. Zumal der Renault wahrlich kein gutes Auto war. Grosjean war deshalb nur gut für Mittelfeldplatzierungen. Damit schien er seine Karriere gegen die Wand gefahren zu haben. 2010 startete er in der GT-Meisterschaft für Matech. Da war er zugegebenermaßen auch richtig stark unterwegs, aber welcher Fan kennt die Serie überhaupt? Noch 2010 erkannte er, dass er den Schritt zurückgehen muss in den Formel-Sport. Er fuhr für DAMS Auto-GP-Rennen, überzeugte auf Anhieb und wurde Meister, obschon er einige Rennen zu Beginn der Saison verpasste! Die Verbindungen zu DAMS erwiesen sich auch als nützlich, denn nachdem Ho-Pin Tung sich bei einem GP2-Unfall in Ungarn den Nacken verletzte, holte DAMS Grosjean in die GP2. Grosjean fuhr gut und so holte ihn Gravity in das Management-Pool. Gravity wird von den gleichen Machern geleitet, wie seit 2010 das Renault-Team. Der neue Teamchef Eric Boullier kommt von DAMS, die Verbindungen zwischen DAMS, Renault und Gravity liegen deshalb auf der Hand. Grosjean wurde wieder F1-Tester bei Renault und wurde 2011 bei DAMS auf den Titel in der GP2 angesetzt. In der Asien-Serie gelang das schon mal, allerdings war der Kalender stark geschrumpft wegen der Unruhen in der arabischen Welt.
In der GP2-Serie tut sich Grosjean 2011 bisher eher schwer, überzeugt dennoch von allen am meisten. Er führt mit 23 Punkten die Gesamtwertung an, insgesamt liegen aber die ersten fünf Fahrer innerhalb von nur zwei Punkten! So eng ging es in der zweiten Liga der Formel-1 wohl selten zu! Doch Grosjean hätte bei weitem schon mehr Punkte haben können. Zwar zeigt er immer wieder kleinere Fehler, doch lässt er keine Gelegenheit aus um zu zeigen, dass der 25-Jährige der beste im aktuellen GP2-Feld ist. Ein Blick auf die fünf Titelkandidaten der GP2, ihren bisherigen Saisonverlauf und die Chancen in der Formel-1:
Analysiert werden immer die Hauptrennen. Die Sprintrennen sind oft verfälscht, weil die ersten acht Fahrer des Hauptrennens in umgekehrter Reihenfolge starten. In Istanbul zeigte Grosjean, dass mit ihm zu rechnen ist: Er gewann das Rennen souverän. Den Erfolg konnte er nicht mehr wiederholen. In Barcelona wurde er disqualifiziert, weil sein Unterboden offenbar zu tief war. Im Sprintrennen zeigte er aber Biss: Innerhalb von nur zwei Kurven überholte er drei Fahrer – und das auf einer Strecke, wie Barcelona, auf der das Überholen sehr schwierig ist. Anders als die Formel-1 fährt die GP2 bekanntlich nicht mit kaum haltbaren Pirelli-Reifen oder verstellbarem Heckflügel. Auch in Monaco lief es für Grosjean nicht rund: Im Qualifying stieß er mit seinem Teamkollegen Pål Varhaug zusammen. Der erste Norweger in dieser Serie seit Thomas Schie 1997 für Bob Salisbury Engineering kann Grosjean bei weitem nicht das Wasser reichen. Varhaug steht sogar noch ganz ohne Punkt da! Die Kollision in Monaco geht aber auf die Kappe von Grosjean, er startete nur als Letzter. Im Rennen holte er sensationell noch Rang vier. Das hatte er aber auch einer perfekten Strategie zu verdanken.
Vorschussloorbeeren Bianchi
Sieht man also vom Fehler im Monaco-Quali ab, so ist Grosjean makellos, aber nicht glücklich unterwegs. Er hätte bereits deutlich mehr Punkte holen können. Das gilt aber auch für seinen gedachten Hauptkonkurrenten Jules Bianchi, dem Vizemeister der GP2-Asia. Auch er ist Franzose und er fährt für das Topteam ART. Der F1-Ferrari-Testfahrer galt als einer der Mitfavoriten, unter anderem wegen seiner glanzvollen Vorstellung in der asiatischen Serie im Winter. Sein ART-Team scheint mit den neuen Boliden aber noch nicht ganz so gut zurecht zu kommen. Bianchi liegt derzeit abgeschlagen im Mittelfeld, sein Teamkollege Esteban Gutiérrez hat noch gar keine Punkte sammeln können. Dabei war der Mexikaner 2010 immerhin GP3-Meister und ist als F1-Testfahrer für Sauber auch in der Formel-1 aktiv. Es ist nicht auszuschließen, dass ART wieder zur gewohnten Form zurückfinden wird. Bianchi, er wird zumindest noch ein Rennen gewinnen dieses Jahr, davon sind viele überzeugt. Unter den Top-5 spielt er derzeit aber nicht mit.
Dafür ist derzeit ein Franzose ganz vorne mit dabei, den man vorher nicht unbedingt auf der Rechnung hatte: Charles Pic. Der 21-Jährige ist der bisher einzige Fahrer, der dieses Jahr bereits zwei GP2-Rennen für sich entscheiden konnte. Richtig stark war er dabei in Barcelona, als er das Hauptrennen gewann. Pic besiegte dabei seinen Teamkollegen Guido Van der Garde dank einer etwas besseren Strategie. Beide fahren für das Addax-Team, das derzeit am besten aufgestellt zu sein scheint. Denn weder Pic, noch Van der Garde zählen zu den besten Fahrern im GP2-Feld. Van der Garde hat vor allem einen Trumpf: Sponsorengelder. Deshalb wäre er dieses Jahr bei Williams oder Virgin fast in der Formel-1 untergekommen. Obschon er sich 2010 in der GP2 bei Addax von Sergio Perez recht deutlich bügeln lassen musste. Dieses Jahr sammelt der Holländer zwar fleißig Punkte, die Highlights setzt aber Pic. Trotzdem scheint Van der Garde teamintern die Nase vorne zu haben: In Barcelona kam er von einem eher mäßigen elften Startplatz noch auf Rang vier nach vorne, in Monaco wäre mehr drin gewesen. Van der Garde holte sich die Pole Position, wegen einer Kollision mit Rückkehrer Oliver Turvey musste er aber fünf Strafplätze in Kauf nehmen, der Sieg war deswegen nicht mehr möglich für ihn.
Während Van der Garde getreu dem Motto „mühsam ernährt sich das Eichhörnchen“ Punkte hamstert, setzt Pic also die Höhepunkte bei Addax, einem Rennstall, der in die Formel-1 will. Zumindest am GP3-Rennstall von Addax ist derzeit auch der ehemalige F1-Pilot Lucas di Grassi als Teilhaber beteiligt. Für das GP3-Team fährt derzeit unter anderem Dean Smith, ein Brite, der aus dem McLaren-Nachwuchspool kommt. Teambesitzer Alejandro Agag macht aus den F1-Plänen keinen Hehl, von einem konkreten Projekt fehlt derzeit aber jede Spur. Auch Pic hat keine Kontakte in die Formel-1. Er könnte aber Teil eines nächsten Bruderpaares in der Formel-1 werden – nach den Schumacher-Brüdern. Sein jüngerer Bruder Arthur Pic bestreitet derzeit die Formel-World-Series-by-Renault für Tech 1. Für die französische Mannschaft war auch Charles Pic zwei Jahre in der WSbR unterwegs, wurde 2009 auch Gesamt-3. Arthur Pic lässt sich derzeit vom Teamkollegen Kevin Korjus die Butter vom Brot nehmen, trotz des jüngsten Aufwärtstrends.
Vorteil Bird
In der GP2-Gesamtwertung liegt Charles Pic derzeit auf Rang drei, ein Punkt hinter Grosjean. Punktgleich mit Grosjean ist derzeit Sam Bird. Ähnlich wie Van der Garde sammelt Bird fleißig Punkte, ohne dabei Glanzlichter zu setzen, sprich also Rennen gewinnen. Im Gegensatz zu Van der Garde gilt Bird aber durchaus als Fahrer, der qualitativ durchaus in der Liga von Grosjean und Bianchi spielt. Auch Birds Punktekonto könnte stärker gefüllt sein: Nach Rang zwei in Istanbul und Rang drei in Barcelona lag in Monaco ein Sieg durchaus im Bereich des Möglichen. Weil Van der Garde in der Startaufstellung zurückversetzt wurde, startete Bird auf der Pole Position. Er versemmelte allerdings den Start und fiel ans Ende des Feldes zurück. Noch ist nicht offiziell geklärt, ob das der Fehler von Bird war, oder ein technisches Problem. Von streikender Technik, Motorschäden und unschuldig verwickelten Kollisionen war bereits das erste GP2-Jahr 2010 mit ART von Bird geprägt. Trotzdem wurde er noch Gesamt-5. Der 24-Jährige fährt stark, aber er fährt auch gegen die Zeit. Lange darf er nicht mehr für den Schritt in die Formel-1 brauchen, ansonsten wird er aufgrund seines Alters uninteressanter. Kontakte zu F1-Teams bestehen: 2007 testete er erstmals für Williams. Im Winter fuhr er die Rookie-Tests für Mercedes. Bird wird nämlich von Ron Meadows unterstützt, der bei Mercedes in der Managementebene tätig ist. Schnell war Bird jedenfalls im Mercedes: Nur Daniel Ricciardo war mit dem Red Bull Renault flotter. Der Australier fuhr damit aber auch im deutlich besseren Auto.
Bei Mercedes tun sich derzeit aber keine Türen auf. Nico Rosberg und Michael Schumacher sind vertraglich 2012 gesetzt und selbst wenn einer geht oder gehen muss, würde es mit Paul di Resta einen geeigneten Ersatz geben. Der Schotte wurde 2010 mit Mercedes DTM-Meister – und überzeugt jetzt bei Force India in seiner Premierensaison. Adrian Sutil sieht gegen Bird kein Land mehr und könnte bald gegen den Testfahrer Nicolas Hülkenberg ausgetauscht werden. Das Transferkarussell bei Force India sollte Bird im Auge behalten, denn dort könnte sich vielleicht eine Möglichkeit auftun für den Briten. Aber nur dann, wenn Hülkenberg zu Renault wechselt, was aber durchaus der Fall sein könnte, denn der Deutsche soll angeblich künftig auf das Management von Gravity setzen. Gravity ist bekanntlich im Besitz von Gerard Lopez, genau wie das Renault-Team, das mit den Leistungen von Nick Heidfeld unzufrieden ist. Aber dann gäbe es bei Renault ja auch noch Robert Kubica, der 2012 vielleicht wieder zurückkehrt in die Formel-1.
Ähnlich wie die anderen Topstars hat auch Bird seinen Teamkollegen Marcus Ericsson derzeit fest im Griff. Der Schwede hat bisher aber auch nicht viel vorzuweisen: Der iSport-Fahrer wurde 2009 japanischer F3-Meister mit TOM’s, zwei Jahre zuvor britischer Formel-BMW-Meister mit Fortec. Unterstützt wird Ericsson unter anderem vom ehemaligen IndyCar-Fahrer Kenny Bräck, der ihn sogar mit Alain Prost verglich. Ein derartiges Talent wie beim viermaligen F1-Weltmeister vermisst man bei Ericsson derzeit, selbst wenn ihn auch Ross Brawn nach einem F1-Test für Mercedes vor einem Jahr lobte. Die Karriereverläufe von Bird und Ericsson könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Ericsson bis zur GP2 ein starkes Zeugnis ablegte, kam Bird erst in der zweiten Liga der Formel-1 so richtig in Fahrt.
Vor-Erfahrung Valsecchi
Der fünfte Fahrer im Bunde der GP2-Spitze ist Davide Valsecchi. Als Lotus-Testfahrer steht Valsecchi bereits mit einem Bein in der Formel-1. Bei Freitagstests mit Lotus, aber auch bei den Rookie-Tests im Winter für HRT zog sich der Italiener mehr als achtbar aus der Affäre. Weil sein Landsmann und Lotus-Stammfahrer Jarno Trulli derzeit schwächelt und seine besten Jahre wohl im Rückspiegel sieht, wird immer wieder gemunkelt, Valsecchi könnte Trulli 2012 ersetzen. Gewinnt er den Titel, dann ist Lotus dazu beinahe gezwungen, denn Valsecchi fährt in der GP2 auch für das Lotus-Juniorenteam AirAsia.
Die malaysische Mannschaft ist neu, der Sieg in Monaco deshalb durchaus überraschend. Denn damit ist AirAsia auf Anhieb in der Riege der Topteams zu finden. Auch Valsecchi könnte Tabellenführer sein: In Istanbul wurde er in der Startaufstellung um zehn Plätze zurückversetzt, weil er im Qualifying nach einem Dreher kurz in die falsche Richtung gefahren ist. Eine harte Strafe, die sein Wochenende ruinierte. Dass bereits in der Türkei Punkte möglich gewesen wären, zeigte Teamkollege Luiz Razia – und der gilt wahrlich nicht als der beste Fahrer im Feld. Valsecchi verweist Razia in der Regel jedenfalls klar in die Schranken.
So unerfahren das AirAsia-Team ist, so erfahren ist Valsecchi: Der 24-Jährige fährt seit 2008 in der GP2. Erst hatte er mit dem Durango-Team keine gute Wahl getroffen, wegen eines schweren Unfalls bestritt er in seiner Auftaktsaison auch nicht alle Rennen. 2009 wechselte er in das Addax-Team, aber erst Mitten in der Saison, als Grosjean in die Formel-1 zu Renault ging. 2010 wechselte er zu iSport, fuhr aber den Erwartungen wieder hinterher. Erst jetzt mit AirAsia scheint der Knoten zu platzen. Auch vor der GP2 fuhr Valsecchi schon allerhand Rennen: Zwei Jahre fuhr er beispielsweise in der WSbR für Epsilon Euskadi.
Das Team AirAsia ist übrigens ein bunt gemischter Haufen: Viele Mitarbeiter arbeiten auch in der Formel-1 für Lotus, darunter Teamchef Riad Asmat. Der Malaysier führte bereits erfolgreich die Geschicke des A1GP-Teams Malaysia. Viele Mitarbeiter wurden darüber hinaus von anderen GP2-Teams angeheuert, ein Großteil von Trident. Nino Judge, der in den 90er Jahren bei Lotus F1-Techniker war und bei Litespeed in den vergangenen Jahren einen F3-Renner baute, arbeitet ebenfalls bei AirAsia und gibt technischen Input. Die Zutaten stimmen also, um sich auch auf Dauer gegen Addax, ART und DAMS zur Wehr zu setzen.