ich hoffe ihr teilt mit mir eure Gedanken zu diesem Thema:
Gewiss: Die Rolle des FIA-Präsidenten ist eine sehr vielseitige. Auf der einen Seite gibt es den Sport, Rennserien wie die Formel-1 oder die Rallye-WM, auf der anderen Seite den Straßenverkehr. Das Aufgabengebiet daher üppig und abwechslungsreich, möglicherweise gar nicht perfekt bewältigbar. Doch ein Kritikpunkt muss an dieser Stelle erlaubt werden: Wenn der ehemalige FIA-Präsident Max Mosley öfter mit seinen Meinungen und Ansichten über aktuelle Themen auftaucht, als der aktuelle Präsident Jean Todt, dann läuft wohl etwas falsch. Jean Todt, seit 2010 FIA-Präsident, hatte bisher einige gute Ansatze: Das Comeback der Sportwagen-WM zum Beispiel, oder die internationale F3-Meisterschaft (die allerdings floppte). Doch würde man seine Karriere als FIA-Chef bisher charakterisieren, man würde Gefahr laufen zu sagen: Todt hat sich bisher ein ruhiges Leben gemacht, führt die Mosley-Richtung fort, ändert nur Kleinigkeiten.
Man hat den Eindruck: Todt hat seine Rolle etwas überschätzt. Seine aktuellen Schachzüge sind allerdings klug: Er übergibt immer mehr Aufgabenbereiche ab – und das an bekannte und vor allem fachkundige Personen. Ein Beispiel: Gerhard Berger ist nun Vorsitzender der FIA-Kommission Einsitzer-Rennserien, also vor allem die Formel-Rennserien. Der Österreicher gewann in der Formel-1 zehn GP-Rennen als Fahrer, einen elften als Teamchef von Toro Rosso 2008, als Sebastian Vettel den verregneten Italien GP völlig überraschend für sich entschied. Berger schaut sich den Formel-Sport genau an, schließlich ist sein Neffe Lucas Auer eine österreichische Nachwuchshoffnung. Auer gewann in diesem Jahr jene Meisterschaft, die mal die pazifische Formel-BMW war.
Wildwuchs bereinigen
Gegenüber dem österreichischen Fernsehsender ORF sagt Berger über seine neue Rolle: „Dabei geht es in erster Linie darum, den Nachwuchssport zwischen Kart und Formel-1, auf den ich wirklich selbst gerne schaue und an den ich sehr schöne Erinnerungen habe, wieder neu zu strukturieren und mitzuhelfen, um ihn wieder stärker und zentraler zu machen. Es gibt momentan sehr viel Wildwuchs. Man hat hunderte von Formeln und daher hat man immer ein Talent in dieser Formel, ein Talent in dieser Formel, einen Sponsor hier, einen Sponsor da. Man will das alles ein bisschen zusammenfahren und dabei soll ich mithelfen.“
In der Tat ist die Struktur des Formel-Sports undurchsichtig geworden. Jahrelang war die klar vorhanden: Erst ging es vom Kartsport in eine der Einsteigernachwuchsserien, meistens mit einem Hersteller im Hintergrund. Das konnte Formel-Ford, Formel-Renault oder Formel-BMW sein. Dann erfolgte der Aufstieg in die Formel-3, am besten in die britische Formel-3. Von da an ging es in die Formel-2 beziehungsweise deren Nachfolgerserie Formel-3000 International – also quasi die heutige GP2. Das war der letzte Schritt unter der Formel-1.
Seit Ende der 90er Jahre gibt es quasi Jahr für Jahr eine neue Rennserie. Zur GP2 gibt es inzwischen bereits drei Alternativ-Rennserien, die stärkste ist zweifellos die Formel-World-Series-by-Renault, die in dieser Form seit 1998 existiert. Die Meisterschaft ist für die Nachwuchsfahrer deutlich billiger als die GP2. Neben einigen anderen Vorzügen, wie mehr Trainingszeit auf der Strecke, profitiert die WSbR vor allem von Red Bull, die deren Nachwuchsfahrer eben wegen den Kosten lieber in die WSbR als in die GP2 stecken. Fahrer wie Sebastian Vettel, Jaime Alguersuari, Daniel Ricciardo und Jean-Eric Vergne kamen daher aus der WSbR in die Formel-1. Die meisten Fahrer, die nicht von Red Bull unterstützt werden, schaffen den direkten Aufstieg nicht. Oft ist die WSbR deshalb ein Zwischenschritt zwischen der Formel-3 und der GP2.
Die Auto-GP-Serie existiert seit 1999, damals noch als italienische beziehungsweise europäische Formel-3000. Das Konzept der Serie ist seit zwei Jahren verändert worden und hat wegen den hohen Geldpreisen durchaus seinen Reiz. Die Auto-GP-Serie hat ihr Wurzeln unverkennbar in Italien, die meisten Rennteams kommen aus Italien. Viele Fahrer, die es nicht, oder nur kurz in die Formel-1 geschafft haben, benutzen die Auto-GP als Auffangbecken. Dazu zählen Fahrer wie Romain Grosjean, Luca Filippi oder Giorgio Pantano. Andererseits versucht die Auto-GP auch den Nachwuchs zu fördern. Der aktuelle Meister Kevin Ceccon ist erst 18 Jahre alt, fährt 2012 für das Coloni-Team in der GP2 (der Ex-F1-Teambesitzer Enzo Coloni ist auch Organisator der Auto-GP-Serie) und testete schon für Toro Rosso einen F1-Renner. Auch im Fall Ceccons ist die Auto-GP aber eher noch ein Zwischenschritt zwischen Formel-3 und GP2.
Neben Italien hat auch Japan noch eine derart hohe Formel-Rennserie, die Formel-Nippon. Zwar tummeln sich auch hier einige japanische Nachwuchsfahrer, aber die meisten Fahrer sind schon älter, kommen aus Europa, weil sie den Sprung in die Formel-1 nicht geschafft haben (der aktuelle Meister André Lotterer zum Beispiel, ein Deutscher) und fahren parallel dazu oft noch in der japanischen GT-Rennserie. Die Meisterschaft existiert schon seit Jahrzehnten, war zunächst vor allem eine Meisterschaft für japanische Fahrer, hatte ihren Boom aber in den 90er Jahren, als Fahrer wie Ralf Schumacher, Pedro de La Rosa oder Ricardo Zonta aus der Formel-Nippon in die Formel-1 kamen.
Seit 2009 gibt es auch noch die Formel-2. Die Meisterschaft sollte als Konkurrenz zur GP2 aufgebaut werden, ist aber ebenfalls bestenfalls eine Zwischenstation nach der Formel-3. Zwar baut das F1-Team Williams die Chassis und erlaubt dem F2-Meister auch einen F1-Test, doch gerade Williams bediente sich in den vergangenen Jahren eher an GP2-Fahrer, wenn es um die Besetzung der F1-Cockpits ging. Die Formel-2 setzte auf ein gänzlich anderes Konzept: Statt Einsatzteams gibt es in der Formel-2 nur für jeden Fahrer zugewiesene Ingenieure, die auch noch von Rennen zu Rennen wechseln. Das erhöht die Chancengleichheit und senkt die Kosten. Das Konzept hat aber auch seine gravierenden Nachteile, eine stetige Entwicklung eines Fahrers ist wegen den wechselnden Ingenieuren für Fahrer kaum möglich, prangerte zum Beispiel kürzlich Natalia Kowalska im Gespräch mit !NS!DE-RAC!NG an. Die Formel-2 ist vor allem eine billige Alternative für Fahrer, denen schlicht das Geld für die GP2 oder der WSbR fehlt.
Zu wenig F1-Cockpits?
Es gibt sogar Rennserien, deren Formel-Rennwagen leistungsstärker sind als die der GP2. Die Formel-Superleague ist eine. Die Meisterschaft wurde für Fußballvereine gegründet, Meister wurde also kein Fahrer und kein Team, sondern ein Fußballverein. Trotz dieses abenteuerlichen Konzeptes, das derzeit auch überholt wird, hatte die Serie regen Zuspruch recht bekannter Fahrer, vor allem Fahrer, die zumindest kurz den Sprung in die Formel-1 geschafft haben: Antônio Pizzonia, Sébastien Bourdais, Enrique Bernoldi oder Robert Doornbos seien als Beispiele erwähnt. Die Formel-Superleague will in Zukunft das Konzept ändern, mehr eine Nachfolgemeisterschaft der A1GP-Serie werden, in der zwar auch keine Fahrer oder Teams, dafür aber Nationen den Titel gewinnen konnten. Das Konzept hatte seinen Reiz: Ex-F1-Weltmeister wie Alan Jones oder Emerson Fittipaldi kümmerten sich um das Team ihrer Nation, Fahrer waren zum Teil erfolgreiche Fahrer jener Nation, oder eben junge Nachwuchshoffnungen. Für Deutschland holte im Team von Willi Weber (Ex-Michael-Schumacher-Manager) zum Beispiel Nicolas Hülkenberg den Titel, der 2012 sein F1-Comeback bei Force India geben wird.
Doch warum gibt es diese ganzen Alternativen zur GP2? Wieso wird fast jedes Jahr wieder eine neue Rennserie aus dem Boden gestampft? Nur die wenigsten gehen wieder ein, siehe die A1GP-Serie. Und das hat oft Misswirtschaft zur Folge. Der Chef der A1GP-Serie, Tony Teixeira, soll nicht unbedingt ein seriöser Geschäftsmann gewesen sein, so wird spekuliert. Zurück zur Frage: Warum also die ganzen Alternativen? Was passierte in den 90er Jahren, als das Aufkommen solcher Serien begonnen hat? Tatsächlich gab es ab Mitte bis Ende der 90er Jahre immer weniger Fahrer, die in der F1-WM am Start waren. Gab es noch Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre bis zu 40 Meldungen pro Grand Prix, gab es 1998 schon nur noch elf F1-Teams à zwei Fahrzeuge. Noch dazu wurden die Fahrer immer seltener gewechselt. Lotus setzte 1994 zum Beispiel nicht weniger als sieben verschiedene Fahrer ein! Die Folge: Heute schaffen es immer weniger Fahrer in die Formel-1. Das wiederum hat zwei Folgen: Erstens fahren viele Fahrer immer öfter immer länger in Nachwuchsserien wie der GP2. Der Vizemeister von 2011, Luca Filippi, gewann zum Beispiel bei seinem 100. GP2-Rennen! Da das Feld immer routinierter ist, haben es Nachwuchsfahrer immer schwerer, besonders 2011 hatten es Rookies wie GP3-Meister Esteban Gutiérrez extrem schwer. Viele Fahrer gehen von vorneherein mit einem Dreijahresplan in die GP2! Zweitens gibt es immer mehr Fahrer, die es nicht in die Formel-1 schaffen, die aber den Traum von der Formel-1 noch nicht aufgeben wollen und die noch länger Formel-Rennen fahren wollen, statt zu den Sportwagen zu wechseln – ein Schritt, der nur selten rückgängig zu machen ist. Das Fahrer-Angebot für mehr hochklassige Formel-Rennserien ist also da, also werden immer mehr solche Formel-Rennserien gegründet.
Das Phänomen zieht sich inzwischen auch weiter runter. Britische Formel-3, F3-Euroseries, italienische Formel-3 (die 2012 auch eine integrierte Europameisterschaft haben wird), die spanische Formel-3 (offiziell European F3 Open), die japanische Formel-3, die australische Formel-3 oder die südamerikanische Formel-3. Verschiedene F3-Serien hat es schon immer gegeben. Mindestens für jeden Kontinent sollte es auch eine F3-Meisterschaft geben – also eine für Asien, eine für Europa, eine für Südamerika und eine für Australien. Doch besonders die europäischen F3-Meisterschaften nehmen Überhand. Todt reagierte, in dem er 2011 die F3-WM eingeführt hat. Das Interesse war äußerst begrenzt mit weniger als zehn Teilnehmern. Doch das ist keine Ablehnung an die Idee, sondern eher an die Durchführung. Felipe Nasr, aktueller britischer F3-Meister klagte gegenüber !NS!DE-RAC!NG zum Beispiel: „Das war eine Entscheidung, die wir zu Beginn des Jahres gefällt haben. Wir wollen uns auf die britische Meisterschaft konzentrieren und nicht Mühen darin verschwenden, gegen Fahrer zu fahren, die das ganze Jahr über mit den Reifen für die F3-WM fahren, während wir keine Zeit dafür haben, sie zu testen.“ Die Formel-3 hat aber noch weitere Konkurrenz bekommen: Die GP3. Sie ist der direkte Unterbau der GP2 geworden – und damit eine echte Alternative zur Formel-3.
Auch unterhalb der Formel-3 gibt es, wie es Berger sagte, zu viel Wildwuchs. An dieser Stelle sparen wir uns eine ähnliche Auflistung wie auf GP2- und F3-Ebene. Wichtig und richtig ist: Es muss Ordnung in die Meisterschaft gebracht werden. Denn schon für die Zukunft kündigen sich weitere Rennserien an, eine sogar aus der Obhut der FIA: Eine eigene Formel-Rennserie für vollelektrische Formel-Wagen – auch auf dem Niveau der Formel-3. Formulec plant eine ähnliche Meisterschaft, der Bolide wurde mit Unterstützung des F1-Teams von Mercedes, dem GP2-Rennstall ART und dem deutschen Elektronikriesen Siemens längst gebaut. Die Geburt jener Meisterschaft ist technisch begründet, doch das trifft schon das nächste Problem auf den Punkt: Fast alle Rennserien sind nur mehr Einheitsrennserien, darüber hinaus baut Dallara auch noch für die meisten Serien die Autos. Lediglich in der Formel-3 ist es rein regeltechnisch noch erlaubt, dass Teams eigene Chassis bauen. Bis auf wenige Ausnahmen wie ArtLine setzen aber die meisten Teams auf die Dallara-Einheitsfahrzeuge, verbessern die aber immerhin. Eine elektrische Konkurrenzserie macht kaum Sinn, man müsste solche Autos in die Formel-3 integrieren.
Weg mit welchen Serien?
Die zentrale Frage, die sich nun auch Berger stellt: Wie schafft man Ordnung im Formel-Sport. Fakt ist: Wir brauchen Einsteigerserien wie die unteren Formel-Renault-Klassen, die Formel-Ford in Großbritannien oder die Formel-Abarth in Italien. Solche Serien schießen derzeit auch in Ländern wie China und Indien wie Pilze aus dem Boden, doch auch das ist durchaus berechtigt. Berger muss nun schauen, Ordnung rein zubringen, in dem er in jedem Teil der Erde eine einzige Serie stärkt. Viel wichtiger wird sein, die Stufe darüber anzupacken, also die F3-Stufe. Die GP3 ist eigentlich unnütz, doch inzwischen so stark, dass sie kaum von der Bildschirmfläche verschwinden wird. Wichtig ist, die Formel-3 mit einer einzigen zentralen F3-Rennserie als echte Alternative zur GP3 aufzubauen – dann könnte Konkurrenz tatsächlich das Geschäft beleben. Aktuell verhindert die Konkurrenz das Geschäft eher, weil sich Sponsorengelder aufteilen und nahezu alle Rennserien unter finanziellen Nöten leiden. Eine Meisterschaft wie die Formel-2 ist eigentlich auch unnütz und könnte getrost eingestampft werden.
Doch es gibt auch Rennserien, die gebraucht werden – und die eine Bereicherung wären. Eine Schande zum Beispiel, dass die GP-Masterserie 2006 nach nur drei Rennen wieder eingestampft wurde. Eine Formel-Serie, an der nur ehemalige F1-Fahrer teilnehmen dürfen, hatte ihren Reiz. Schwer vorstellbar, dass das Konzept floppte…