Die neue Saison ist eröffnet: Auf der inzwischen beinahe einzigartigen Hochgeschwindigkeitskurs im italienischen Monza in der Region Lombardei, fand das erste Saisonrennen der Auto-GP-Meisterschaft statt. Die Meisterschaft war einst die europäische beziehungsweise italienische Formel-3000, wurde aber 2010 umgetauft. Man kann sie als italienische GP2-Meisterschaft bezeichnen, oder als Italiens F1-Serie. Nicht viele Nationen haben derzeit eine nationale Serie auf dem Niveau der Auto-GP-Meisterschaft. In Japan gibt es die Formel-Nippon, in Amerika die IndyCar, in Spanien die Formel-World-Series-by-Renault und in Großbritannien die Formel-2, wobei die letzten beiden genannten Serien eher internationale Serien sind.
Vorteile und Nachteile der Auto-GP:
International ausrichten will sich auch die Auto-GP-Serie. Deswegen startet man 2011 auch im Rahmen der Tourenwagenweltmeisterschaft. Damit ist mehr internationale Präsenz garantiert, schon alleine deshalb, weil die Rennen nun auch auf dem Sportsender Eurosport zu sehen sind. Für Rennställe ist das durchaus interessant, weil sich durch die Fernsehauftritte leichter Sponsoren finden. Spinnt man die Theorie weiter hätte das ein niveauvolleres Starterfeld zur Folge, weil die Teams nicht auf nationale Bezahlfahrer angewiesen sind. In der Formel-2 beispielsweise fährt mit Plamen Kralev ein 38-jähriger Bulgare mit, im letzten Jahr startete auch ein indischer Schauspieler und Amateurrennfahrer. Das hebt die internationale Bedeutung der Serie, nicht aber die Qualität des Fahrerfeldes – und damit auch der Serie. Denn es geht um den Ruf der besten Nachwuchsserie, den man eigentlich der GP2 streitig machen wollte. Das misslang.
Die Theorie setzt sich auch in der Auto-GP-Serie noch nicht durch. Zugegeben es finden sich einige namhafte Fahrer und Teams im Feld, aber de facto bleibt die Auto-GP-Serie die höchste nationale Rennserie Italiens, nicht aber eine internationale Top-Nachwuchssparte. Das zeigt schon alleine das Resultat: Beim ersten Rennen in Monza bestiegen nur italienische Fahrer das Podest. Das könnte bedeuten, dass die Top-Nachwuchsfahrer derzeit aus Italien kommen. Oder aber, es zeigt, dass die Serie eher national als international eine Bedeutung spielt. Denn ohne den ersten drei Fahrern aus Monza nahe treten zu wollen, aber F1-Weltmeister von morgen sind sie nicht: Der Gewinner Giovanni Venturini ist zwar erst ein 19-jähriges Nachwuchstalent aus Italien, aber für das Fahreraufgebot in der höher angesehenen Serie Formel-World-Series-by-Renault fiel er durch den Rost. Auch Sponsorengelder mögen da eine Rolle gespielt haben. Immerhin war er in der europäischen Formel-Renault bis zwei Liter recht stark unterwegs und wurde fünfter in der Gesamtwertung. Der zweitplatzierte Luca Filippi fährt zwar seit Jahren schon in der GP2, kommt aber eben darüber nicht hinaus. Auf 88 Rennen in der zweiten Liga der Formel-1 kommt Filippi, nur sein Landsmann Giorgio Pantano hat mit 112 Rennen mehr als Filippi. Trotzdem steht Filippi nicht auf dem Radar der F1-Teamchefs. Samuele Buttarelli ist dagegen ein No-Name, den nur die eingefleischten Rennfans kennen dürften. Zuletzt war Buttarelli für das Team des ehemaligen F1-Piloten Piercarlo Ghinzani in der italienischen Formel-3 aktiv.
Luca Filippi hat aus dem Trio die meiste Erfahrung. Er wird 2011 die Auto-GP auch nur nebenher bestreiten. Denn er fährt für das Super-Nova-Team eigentlich hauptsächlich in der GP2. Damit ist der Stand der Auto-GP-Serie ein weiteres Mal beschrieben. Francesco Dracone, der in Monza sein 50. Rennen dieser Serie fuhr und damit die ewige Bestenliste anführt, erklärte er im März exklusiv dem Schreiber dieser Zeilen: „Nun, die Auto-GP ist meine Schule, der richtige Platz um im Motorsport nicht einzurosten.“ Nicht einzurosten, aber auch, um die doch recht hohen Preisgelder abzustauben (pro Wochenende werden 200.000 Euro ausgeschüttet) – darum fahren Fahrer primär in der Auto-GP-Serie. Oder, weil sie es nicht schaffen, in der GP2, WSbR oder gar der Formel-1 Fuß zu fassen, wie das Engagement von Nachwuchsfahrer wie Adrien Tambay (Sohn des ehemaligen F1-Fahrers Patrick Tambay), Adrian Campos Junior oder Marco Barba zeigen. Immerhin winkt dem Meister auch ein GP2-Test, ebenfalls ein Anreiz, die Rennen dieses Championat zu bestreiten.
Der nationale Charakter der Serie zeigt sich auch in der Statistik: Italienische Fahrer konnten bisher 54 Rennen in der Serie für sich entscheiden, es folgen Brasilien mit 29 und Frankreich mit deren neun – das ist deutlich. Unter den Top-6 der ewigen Bestenliste an Siegen befinden sich fünf Italiener: Marco Bonanomi (9), Giacomo Ricci (7), Luca Filippi (6), Davide Rigon (5), Fabrizio del Monte (4). Bei den meisten Rennen sind in den Top-10 sogar acht Fahrer aus Italien zu finden: Francesco Dracone (50), Fabio Onidi (41), Giacomo Ricci (38), Marco Bonanomi (31), Fabrizio del Monte (30), Oliver Martini (30), Thomas Biagi (28) und Fabrizio Crestani (27).
Einer der Gründe, wieso sich die Meisterschaft nicht international etablieren kann, sind die Autos. Gefahren wird mit dem Lola Zytek B05/52. Das sind jene alten Rennwagen, die von 2005 bis 2008 in der A1GP-Serie eingesetzt wurden. Selbst die A1GP-Serie ersetzte die Rennwagen durch Ferrari-Renner, die auf dem F1-Boliden von 2004 basierten. Der alte Lola wurde dann an die Organisatoren der Auto-GP-Meisterschaft verkauft. Optisch unterscheiden sich die Rennwagen durch die spitze Nase optisch etwas von den üblichen Formel-Rennwagen einer solchen Klasse. Damit einher geht aber auch ein anderes Fahrverhalten des Fahrzeugs – nicht unbedingt die beste Schule für die Formel-1. Das Auto zu ersetzen ist derzeit zu teuer. Obschon es eine preiswerte Möglichkeit gäbe, wie Enzo Coloni vor einem Jahr im exklusiven Interview zum Ausdruck brachte: „Wie du vielleicht weißt, haben wir noch immer die Lizenz des F1-Konstrukteurs. Natürlich wird ein Tag kommen, an dem wir entscheiden werden, das Chassis zu ändern. Zu dieser Zeit werden wir alle Möglichkeiten evaluieren und den Bau unseres eigenen Autos ist definitiv eine von diesen.“ Das Problem nur: Die Lola Zytek haben durchaus ihren eigenen Charakter. Einer der Gründe für das Scheitern der A1GP-Serie soll damals auch der Wechsel zu den Ferrari-Chassis gewesen sein. Das war teuer und die Chassis glichen sich zu stark den GP2-Rennwagen. Nun ist die Auto-GP-Serie aber auch nicht mit der A1GP-Serie zu vergleichen. Trotzdem: Ein Wechsel sollte wohl überlegt sein.
Vorteile und Nachteile der italienischen Formel-3:
Dasselbe Problem hat auch die italienische Formel-3, die an diesem Wochenende ebenfalls die Saison startet. Immerhin 16 Fahrzeuge sind gemeldet, das sind mehr als in der F3-Euroseries und der britischen Formel-3, die international beliebt sind. Aufgrund des nationalen Charakters leidet die italienische Formel-3 am wenigsten unter der Gründung der GP3-Serie. Schlecht ist die Serie nicht: Der letztjährige Meister der italienischen Formel-3, Cesar Ramos, fuhr an diesem Rennwochenende in der WSbR auf Pole Position für das erste Rennen. Doch die Autos sind nicht die neuesten: 15 Fahrer fahren mit alten Dallara Fiat 308, nur das amerikanische GTR-Team setzt einen Mygale Fiat M10 für Luca-Marco Spiga ein. Beide Fahrzeuge sind nicht stark genug, um an der neu gegründeten F3-Weltmeisterschaft anzutreten. Hinzu kommen die weniger kraftvollen Fiat-Motoren. Fahrer aus der italienischen Formel-3 fehlen deshalb bei internationalen F3-Rennen wie dem F3-Masters in Zandvoort oder dem F3-GP in Macau. Im Starterfeld 2011 finden sich durchaus drei namhafte Fahrer: Maxime Jousse wurde 2010 Vizemeister in der Formel-Palmer-Audi und hat einen Bruder, der zuletzt in der Formel-Superleague unterwegs war. Jousse fährt für das BVM-Target-Team, das auch in der WSbR aktiv ist. Ein Aufstieg in die Serie ist also durchaus im Bereich des möglichen, hängt aber an Resultaten und noch mehr an Geld. Der Finne Jesse Krohn war 2010 in der italienischen Formel-3 und kleineren Formel-Renault-Serien ebenfalls sehr stark unterwegs. Und Eddie Cheever III ist der Sohn des ehemaligen F1-Fahrers Eddie Cheever. Die ersten drei der Meisterschaft bekommen immerhin einen F1-Test für Ferrari.
Der F1-Test für Ferrari scheint zwar verlockend, aber in der Praxis sind solche Tests nur einen glücklichen Tag wert. Williams vergibt Tests für die F2-Meister, Renault für die WSbR-Titelträger, aber ein ernsthaftes Engagement ergibt sich daraus in der Regel nicht. Die führenden Fahrer des Ferrari-Nachwuchsprogramms sind derzeit allesamt nicht Italiener: Jules Bianchi und Sergio Perez. Fahrer wie Daniel Zampieri oder Mirko Bortolotti wurden längst wieder aussortiert.
Derzeit gibt es schlicht und ergreifend kaum italienische Nachwuchsfahrer, die man als kommende GP-Stars bezeichnen würde – trotz der nationalen Karriereleiter, die in Italien beeindruckend gut ist: Die meisten Karthersteller kommen aus Italien, die Formel-Abarth ist eine sehr gute Einstiegs-Formel, die italienische Formel-3, dann die Auto-GP-Serie und dann die Formel-1. Die Leiter wäre so logisch, aber funktionieren tut sie nicht.
In der GP2 gibt es derzeit drei Italiener: Davide Rigon fällt nach dem Crash in der Türkei aber wohl ein halbes Jahr aus und ist bei Ferrari nur Testfahrer für den Simulator. Seine zwei Titel in der Formel-Superleague zeigen, dass Rigon kraftvolle Formel-Rennwagen auf hohem Niveau bändigen kann. Aber könnte er es mit Sebastian Vettel, Lewis Hamilton oder Fernando Alonso aufnehmen? Wohl kaum. Luca Filippi ist in der GP2 ein alter Haudegen, in der Formel-1 ist er aber nur dann im Gespräch, wenn Cockpits für Bares verkauft werden, wie einst bei Super Aguri. Davide Valsecchi hat Talent, keine Frage. Als Lotus-Testfahrer ließ er bereits einige Male auftrumpfen. Er hätte ein F1-Cockpit auf jeden Fall verdient, aber auch er wird wohl kaum in die Riege der Alonsos, Vettels und Konsorten aufsteigen können.
Vor- und Nachkriegs-Italiener:
Die Italiener haben 167 GP-Siege geholt, wenn man die GP-Rennen vor 1950 und die außerhalb der Weltmeisterschaft dazurechnet. Damit ist Italien hinter Großbritannien (327) und Deutschland (180) auf Rang drei, aber wenn man sich die Namen durchliest, welche die meisten GP-Siege einfuhren, dann sind das fast alle Fahrer, die vor einigen Jahrzehnten beeindruckten: Tazio Nuvolari (25) begeisterte in den 30er Jahren; Alberto Ascari (23) war 1952 und 1953 Fahrermeister, als die Meisterschaft für F2-Fahrzeuge ausgeschrieben war, und damit auch der bisher letzte Italiener, der Fahrermeister wurde; Achille Varzi (17) war Rivale von Nuvolari in den goldenen 30er Jahren; Giuseppe Farina (14) war der erste Fahrermeister der Formel-1 1950; Luigi Villoresi (13) war in den 40er und 50er Jahren ein Kamerad von Ascari; Luigi Fagioli (11) war bei seinem letzten GP-Start in Frankreich 1951 bereits über 53 Jahre alt; Riccardo Patrese (6) ging erst 1993 in F1-Rente, als damaliger Rekordhalter der meisten F1-Rennen; Carlo Felice Trossi (6) hätte in der WM wohl auch eine größere Rolle gespielt, wenn er nicht 1949 einem Gehirntumor erlegen wäre, denn immerhin gewann er Ende der 80er Jahre bedeutende GP-Rennen wie den Italien GP 1947; Michele Alboreto (5) wurde 1985 immerhin F1-Vizemeister; Giuseppe Campari (5) war Opernsänger, hatte aber nicht nur ein starkes Stimmband, sondern auch einen kraftvollen Gasfuß, der ihm 1924 beim Frankreich GP den ersten GP-Sieg verschaffte.
Man sieht also: Die herausragenden italienischen Rennwagen waren in der Steinzeit des Motorsports aktiv. Der letzte GP-Sieg liegt bereits fünf Jahre zurück: Giancarlo Fisichella gewann 2006 den Malaysia GP mit einem Renault. Die zwei F1-aktiven Italiener werden es schwer haben, den nächsten Sieg zu holen: Jarno Trulli und Vitantonio Liuzzi verfügen über schlechtes Material. Und so wartet Italien weiter auf den nächsten Weltmeister – trotz einer guten Serien-Infrastruktur.