Über Tazio Nuvolari, einem der grössten Fahrer der Vorkriegszeit, ist bereits an anderer Stelle vieles geschrieben worden, ich möchte deshalb hier keinesfalls eine weitere Biographie zum Besten geben, sondern mich auf die Geschichte seines letzten grossen Rennens beschränken.
Bereits kurz nach dem Krieg in 1946 fuhr Nuvolari wieder die ersten Rennen. Er war damals bereits 53, und ersthaft krank, die Auspuffdämpfe der methanolbetriebenen Rennmotoren hatten über die Jahre seine Lunge verätzt. Auch privat musste er immer wieder Schicksalsschläge hinnehmen, bereits 1937 starb sein ältester Sohn Giorgio an den Folgen einer Krankheit, und 1946 verstarb auch sein anderer Sohn im Alter von 18 Jahren. Sicherlich war er nicht mehr der alte, unbesiegbare Tazio, trotzdem schaffte er es immer wieder auf unterlegenem Material den einen oder anderen Sieg herauszufahren.
Die Mille Miglia war Italiens berühmtestes Rennen, zwar „nur“ ein Strassenrennen für Sportwagen, aber ein Sieg bei den „Tausend Meilen“ von Brescia nach Rom und zurück war für Hersteller und Fahrer immer schon etwas Besonderes. Nuvolari hatte die MM bereits in den 30er Jahren zweimal gewonnen, aber als krönenden Abschluss seiner Karriere wollte er unbedingt noch ein letztesmal siegen. Pierro Dusio hatte für Tazio einen der neuen Cisitalia genannt, aber der Wagen wurde kurz vor dem Rennen beschädigt und konnte nicht mehr rechtzeitig repariert werden. Alles sah danach aus, dass Nuvolari die Mille Miglia bereits vor dem Start verloren hatte, und er wusste genau, dass es für ihn die letzte Chance war.
Im letzten Moment hatte sein alter Freund Enzo Ferrari eine Lösung anzubieten. Für alle die mit der älteren Rennsporthistorie nicht so vertraut sind, Ferrari und Nuvolari waren Teamkollegen bei Alfa-Romeo in den 20er Jahren, und als die Scuderia Ferrari in den 30ern das Werkteam von Alfa war, war „Nivola“ Ferraris Fahrer Nummer 1. Ferrari hatte 1947 die ersten eigenen Autos gebaut, und für 1948 eine Serie von 8 Tipo 166 Spyder Corsa für die eigene Scuderia und für Kunden gebaut. Die Werkswagen waren für die Mille Miglia alle in festen Händen, aber Chassis No. 010I stand gerade in Maranello. Der Wagen gehörte Prinz Igor Troubetskoy, einem weissrussischen Emigranten mit französischem Pass, Ehemann von Barbara Hutton, der milliardenschweren Woolworth-Erbin. Troubetskoy musste kurzfristig nach Paris reisen, da seine Frau erkrankt war, und # 10I liess er bei Ferrari zurück (viele Privatfahrer liessen ihre Ferrari-Rennwagen durch die Scuderia betreuen). Kurzentschlossen stellte Enzo Ferrari Troubetskoys Wagen Nuvolari zur Verfügung, obwohl er dazu nicht authorisiert war.
Im Ferrari des Prinzen fand sich Nuvolari schnell da wo er hingehörte – an der Spitze. Obwohl er laufend von Hustenanfällen geschüttelt wurde und Bluck spuckte, lag er in Pescara weiterhin in Führung. Beim Umkehrpunkt in Rom betrüg sein Vorsprung 12 Minuten, in Livorno 20, und bis Florenz schaffte er es, 29 Minuten (!) auf den Zweiten herauszufahren. Eine Taktik hatte er nicht, er fuhr so wie er es gewohnt war – Vollgas und immer am äussersten Limit. Langsam löste sich der Ferrari in seine Bestandteile auf, erst flog die Motorhaube davon, und dann der linke Vorderkotflügel. Dann löste sich der Fahrersitz aus seiner Verankerung, und wurde kurzentschlossen über Bord geworfen und durch einen Sack Orangen ersetzt. Und „Nivola“ fuhr weiter Bestzeiten, er wusste, dass er nicht mehr lange leben würde, und dass dieses Rennen seine letzte grosse Chance war, er wollte nicht – er
konnte nicht aufgeben!
Bei der Durchfahrtskontrolle in Maranello war Ferrari schockiert über Tazios Zustand, er bat ihn eindrücklich aufzugeben, auch auf die Gefahr hin, den ersten Mille-Miglia-Sieg für Ferrari zu verlieren. Er versprach ihm ein Auto für das folgende Jahr, aber Nuvolari antwortete „Für Männer in unserem Alter sind Rennen wie dieses selten geworden, und nächste Jahre noch seltener“. Viele glaubten damals, er wolle Selbstmord begehen, er wollte lieber am Lenkrad eines Rennwagens sterben als in einem Krankenhausbett.
Und weiter ging es über die langen geraden Landstrassen der Po-Ebene Richtung Ziel in Brescia, und selbst als die Bremsen ihre Funktion einstellten, war das noch lange kein Grund um aufzugeben. Erst als kurz vor dem Ziel die Hinterachsaufhängung des Ferrari brach, war es vorbei! Er hatte den kleinen Ferrari so schnell und so lange gefahren wie er konnte, und wenn das Auto ihn nicht im Stich gelassen hätte, hätte es nichts – aber auch nichts – auf dieser Welt gegeben, das ihn davon abgehalten hätte, diesen letzten grossen Sieg zu ergreifen! Sein Rennen war vorbei, er hielt am Strassenrand an, zu erschöpft um auszusteigen. Einer der Zuschauer, ein Pfarrer, hob ihn aus dem Auto, trug ihn in sein Haus, und legte ihn in ein Bett.
Einige Tage später erfuhr Prinz Troubetskoy, dass Enzo Ferrari sein Auto an Nuvolari ausgeliehen hatte, und er war nicht gerade erfreut, als ihm die Überreste präsentiert wurden. Er soll auch nicht begeistert gewesen sein, als die grossen italienischen Zeitungen ihm öffentlich dafür dankten, dass er Nuvolari für sein wahrscheinlich letztes grosses Rennen sein Auto geliehen hatte. Der Prinz hat Enzo Ferrari diese Aktion niemals vergeben, und selbst als er # 010I vollständig repariert und überholt zurückbekam, war er immer noch verbittert.
Die Mille Miglia 1948 war leider Nuvolaris letztes grosses Rennen. Dieser kleine schmächtige Mann hatte das Herz eines Giganten, und alle, die auf den Rennstrecken Europas gegen ihn angetreten waren, wussten, dass es einen wie ihn nie wieder geben würde. Es wurde immer gesagt, dass Nuvolari hoffte, dass ihn das Schicksal bei seinem so geliebten Sport ereilt, aber dieser Wunsch wurde ihm versagt. Er starb am 11. August 1953, 9 Monate nachdem ihn ein Schlaganfall lähmte. Die italienische Nation und die gesamte Motorsportgemeinde trauerte um den grössten Fahrer den die Welt jemals gesehen hatte.
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