Es wird mal wieder Zeit für eines meiner Fahrerportraits; nach Masten Gregory und Alberto Ascari ist diesmal 'Wild' Willy Mairesse dran - ein Fahrer der mich schon lange beschäftigt & fasziniert hat:
©Christophe A. Gaascht/Willy Mairesse - Le Chevalier Meurtri, 2003
Der belgische Allrounder
Mairesse war ein hochtalentierter Rennfahrer, zu Lebzeiten von vielen als Belgiens #1 bezeichnet. Als Allrounder wurde er von vielen Werks- und Privatteams angeheuert wurde um Rennen zu bestreiten. Anders als heute fuhren fast alle Fahrer sowohl Sportwagen, Prototypen als auch Monoposti - Mairesse sass bei Rallys (Lüttich-Rom-Lüttich, Tour de France, u.s.w.) genauso am Steuer wie bei Langstreckenrennen (Nürburgring 1000 km, Paris 1000 km, Targa Florio, 24 Stunden von Le Mans, 24 Stunden von Spa-Francorchamps, u.s.w.) und eben beim Grand Prix.
Er war das, was man heute als kompletten Fahrer bezeichnen würde - ein Typ Fahrer wie es ihn heute nicht mehr gibt. Vor allem aber die vielleicht tragischste Figur in der Geschichte des Rennsports.
Seine Karriere begann im Jahre 1953, als er und sein Freund Dr. Henry Misonne mit einer Porsche 356 die Rallye Lüttich-Rom-Lüttich zusammen bestritten. Nach einigen Jahren bei lokalen Rennen stieg er 1956 auf einen Mercedes 300 SL um. Er bestritt eine Reihe von Rallyes und erste Rundstreckenrennen. Während der Jahre 1957 und 1958 vertraute ihm die ENB einige ihrer Rennwagen an. 1958 bestritt Mairesse sein erstes 1000 km Rennen auf dem Nürburgring (Aufgabe durch technischen Defekt) sowie die 24 Stunden von Le Mans (Aufgabe durch Unfall). Seine Bemühungen produzierten mehr zerbeultes Blech als positive Resultate, da in Mairesse ein Feuer brannte, das er erst bändigen musste, bevor er auf den Rennstrecken dieser Welt erfolgreich in Erscheinung treten konnte.
Trotz eines schwierigen Jahres 1959, dass mit dem unvergesslichen Kampf gegen Olivier Gendebien während der Tour de France endete, kam schließlich der große Durchbruch.
Die Duelle zwischen Gendebien und Mairesse auf den Bergpässen der Tour de France hatten Enzo Ferraris Aufmerksamkeit auf den belgischen Heisssporn gelenkt. So wurde er von 1960 bis 1963 Werksfahrer bei Ferrari, zunächst als Langstreckenfahrer, dann auch im Formel 1. Die grossartigen Siege bei der Tour de France 1960 und 1961, der Targa Florio 1962 und der 1000 km Nürburgring 1963 verstärkten die Position Mairesse innerhalb der Scuderia. Abgesehen davon war er ein ausgezeichneter Testfahrer, unter anderem war er wesentlich an der Entwicklung des GTO beteiligt.
Kamikaze Willy
Jedoch überschatteten eine Reihe von katastrophale Unfälle diese Periode. In Monaco stiftete er am Start komplette Verwirrung, als er einen Frühstart produzierte, an die Spitze des Feldes schoss - und dort eine Massenkollison verursachte.
Eine Woche danach kam es in Spa zur Kollision mit Lotus-Werksfahrer Trevor Taylor, als beide um die Spitze kämpfte. Eine leichte Berührung der Nase des Ferrari mit dem Heck des Lotus entfachte eine Flammenhölle. Taylor landete in einem Graben und kam mit einigen blauen Flecken davon. Mairesse hatte weniger Glück - sein Ferrari überschlug sich mehrfach und landete schließlich an einen Telegrafenmast, wo er Feuer fing. Mairesse, bewusstlos und ins Cockpit eingeklemmt wurde von einer am Unfallort anwesenden Krankenschwester namens Paula Heysecom mutig aus dem Wrack gezogen.
Angesichts des fürchterlichen Unfalls kam Mairesse noch glimpflich davon: er trug Verbrennungen im Gesicht und an den Beinen davon, verlor seine gesamten Vorderzähne(!) und wurde durch ausslaufendes Kühlwasser verbrüht. Außerdem verletzte er sich am Fuß. Das Jahr war so gut wie gelaufen, aber Ende des Jahre konnte er noch den GP von Monza (wo er erstaunlicher 4. wurde) für Ferrari fahren.
Die nächste Katastrophe folgte 1963 in Le Mans; der Brand seines in Führung liegenden Ferrari, als dieser nach einer von seinen Mechanikern verursachten Panne beim Tanken während der Fahrt Feuer fing. Mairesse entkam dem Wrack brennend, konnte sich auf durch Wälzen auf der Erde löschen und fuhr - so unglaublich das klingt - eigenhändig(!) mit einer Ambulanz zu den Boxen zurück, wo er rasend vor Zorn auf seine Mechaniker losging! Nur mühsam konnte man den Tobenden beruhigen und dazu bewegen sich in ärztliche Behandlung zu begeben.
Kaum war er wieder genesen, passierte der nächste fatale Unfall beim Deutschen Grand Prix 1963 auf dem Nürburgring. Offensichtlich durch einen Materialfehler überschlug sich sein Ferrari am Streckenteil Flugplatz, Mairesse wurde aus dem sich überschlagenden Wagen geschleudert. Ein Streckenposten wurde von einem davonfliegenden Rad erschlagen, einige Zuschauer wurden verletzt, etliche geparkte Wagen verschrottet!
Seine Frau Dorine lies ihn - trotz seine kritischen Zustands - sofort nach Belgien überführen. Mairesse hatte inzwischen den Ruf eines gemeingefährlichen Kamikaze-Piloten. Allgemein machte man ihn für den Tod des Streckenpostens verantwortlich. Seine Angehörigen hatte Angst um seine Sicherheit in Deutschland! Dieser letzte Unfall bedeutete das Ende seiner Karriere bei Ferrari und hielt ihn für mehr als ein Jahr von den Rennstrecken fern.
Nach langer Genesungspause begann er nach ein paar Jahren wieder mit GT-Rennen ein Comeback; für die Ecurie Francorchamps, seinem Freund Jean Blaton und der Scuderia Filipinetti, ja und sogar mit der BMW-Werksmannschaft. 1965 und 1967 fuhr er ganz erstaunliche Rennen in Le Mans. Sein letzter Sieg bleibt die Targa Florio von 1966 mit dem Porsche 906 der Scuderia Filipinetti.
Tragisches Ende
1968 startete Mairesse in Le Mans auf Beurlys' Ford GT40 und verunglückte auf der Mulsanne-Geraden, als er versuchte, die nach dem traditionellen Le-Mans-Start nicht richtig eingerostete Fahrertür zu schließen. Der Wagen wurde ein Raub der Flammen und Mairesse schwer verletzt. Zwei Wochen lag er im Coma. Danach musste er zu seinem Entsetzen festellen, dass an eine Wiederaufnahme seiner Rennkarriere nicht zu denken war - sein Gleichgewichtssinn war dauerhaft gestört. Er zog sich völlig von der Außenwelt zurück und wurde immer agressiver - seine Frau (und seine beiden Söhne) verließen ihn, weil es mit ihm nicht mehr auszuhalten war.
Er verfiel immer mehr in Depressionen und nahm sich schließlich - nach zwei mißglückten Versuchen - in seinem Haus in Oostende mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. Auf seinen Nachttisch hinterließ Mairesse drei Abschiedsbriefe, einen an seine Mutter, einen an seine Frau Dorine und einen an seinen Freund Jacques Swaters - 'Vergib' mir, aber es war der einzige Ausweg.'