Dank TNF hab ich einige Argumente zusammen:
Großbritannien ist nach wie vor die Nummer eins im Motorsport. Die Frage ist aber, wieso ausgerechnet Großbritannien. Die Geschichte dieses Sports begann um die Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert. Erfunden mehr oder weniger von den Franzosen, auch zum Teil von den Amerikanern, vor allem natürlich Gordon Bennett. Dessen Stadt-zu-Stadt-Rennen, der Gordon-Bennett-Cup, waren die Vorreiter der heutigen GP-Rennen, die auch den F1-Weltmeister hervorbringen. Den ersten Grand Prix gab es 1906 – in Frankreich! Ausgetragen hat den Grand Prix damals der französische Automobilverband ACF, nach dem dieser Grand Prix auch benannt war. Viele betiteln das Rennen auch als Frankreich GP. Es gab aber Jahre, in denen es den ACF GP und den Frankreich GP gab. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Der französische Automobilverband war damals ein recht mächtiger Verband. 1904 wurde der Weltverband AIACR gegründet, heute als FIA bekannt. Er saß aber in den gleichen Büros des ACF. Noch heute hat die FIA ihren Sitz in Frankreich, in der Hauptstadt Paris. Nur, wenn ein Team Protest gegen eine Rennentscheidung einlegt, wird in Paris über ein F1-Rennen verhandelt – es sind die einzigen GP-Rennen heute in Frankreich, die GP am Grünen Tisch. Seit 2008 ist Frankreich ohne GP-Rennen, einen französischen Fahrer gibt es ebenfalls nicht mehr, mit Renault nur noch ein französisches Team, das inzwischen aber auch mit einer britischen Lizenz startet. Renault ist nur noch Namensgeber, derzeit besitzt die Investmentgesellschaft Genii Capital das Team, Renault liefert nur die Motoren, wie auch an Red Bull und Lotus – und ab 2012 auch wieder an Williams.
Frankreich war damals also die bedeutendste Motorsportnation schlechthin. Großbritannien dagegen nur eine Fußnote. GP-Sieger aus Großbritannien vor 1950? Williams Grover-Williams, der auch den ersten Monaco GP gewonnen hat, Richard Seaman, der bei Mercedes als Star heranreifte, aber dann tödlich verunglückte, Henry Segrave – alle drei haben jeweils zwei GP-Siege auf dem Konto. Mehr GP-Siege hat kein Brite vor 1950 gesammelt. Kurios: Heute befindet sich Großbritannien bei den meisten GP-Siegen mit galaktischem Abstand auf Rang eins, zusammengerechnet alle GP-Rennen (also die WM-Rennen, vor 1950 und F1-Rennen außerhalb der WM, die es bis in die 70er Jahre noch gab): Großbritannien (328), Deutschland (183), Italien (167), Frankreich (157), Brasilien (104) und so weiter. Aber was machte Großbritannien bis heute so mächtig. Es gibt einige Gründe:
1. Großbritannien hätte möglicherweise früher den Durchbruch schaffen können. 1941 sollte der GP-Sport nach einer neuen Formel ausgetragen werden, an der mehr Briten Interesse zeigten: ERA, Alta, Reg Parnell hatte ein Projekt laufen, Freddie Dixon und Earl Howe wohl auch. Aus Italien zeigten Alfa Romeo, Maserati und Ferrari Interesse, aus Frankreich Bugatti. Doch durch den Krieg kam es nicht mehr dazu. Mike Hawthorn war 1958 der erste britische Weltmeister. Der Aufstieg zur Spitzennation dauerte von nun an nicht mehr lange und wurde auch durch Charaktere und Garagisten wie Frank Williams, Ken Tyrrell, Colin Chapman, John Cooper und wie sie alle heißen möglich. Diese Briten gründeten eigene Rennställe, die anders als Nationen wie Deutschland oder Italien unabhängig von Autoherstellern waren. Davor und vor allem vor 1950 waren vor allem die Hersteller die dominierenden Teams, also Renault, Peugeot, Bugatti, Delage, Alfa Romeo, Mercedes, Auto Union, Ferrari, Maserati und so weiter. Diese oben genannten Herrschaften machten ihre Rennteams zu eigenständigen Unternehmen, wenngleich sie damals auch eher Bastel-Buben und die Werkstätten Bastel-Buden waren. Viele der Teams lebten lange, Williams bis heute, Lotus wurde vom Geschäftsmann Tony Fernandes wieder zurück ins GP-Leben geholt.
2. Diese Rennteams konzentrierten sich vor allem auf den Bau von Chassis. Motoren kümmerten sie eher weniger. Dazu passte die Entwicklung der Rennstrecken, immer mehr zu Rundkursen auf abgesteckten Plätzen. Die Strecken wurden kurviger, die Leistung der Motoren zählten immer weniger. Wichtiger wurden die Chassis, welche die Kraft auf die Straße bringen mussten. Die Briten hatten mit ihren wendigen, kleineren und leichteren Rennwagen einen Vorteil, aus dem sie nun voll schöpfen konnten. Kurios auch hier: Neben Indianapolis war die britische Strecke in Brooklands eine der ersten Rundkursstrecken der Geschichte, allerdings bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts!
3. Apropos Strecken: Die Tatsache, dass es in Großbritannien mit Strecken wie Silverstone, Brands Hatch, Donington, Oulton Park und so weiter eine Vielzahl guter Streckenanlagen gibt, die eine hervorragende Motorsportinfrastruktur schaffen, hilft Großbritannien bei ihrer Vormachtstellung auch. In Frankreich gibt es eher weniger Strecken, so scheitert ein Comeback des Frankreich GP nicht nur am Geld, sondern durchaus auch an Streckenmöglichkeiten. Denn Alternativen zum Niemandsland Magny Cours gibt es kaum. Deutschland hat verglichen mit Großbritannien trotz Nürburgring, Hockenheim, Oschersleben, Lausitzring und so weiter trotzdem eher weniger Strecken, was Qualität und Quantität betrifft. In Italien sieht es zwar eher so aus wie in Großbritannien (Monza, Imola, Mugello, Fiorano, Vairano,…), doch dass Italien nicht mehr so gut vertreten ist im Formel-Sport ist eh eine gesonderte Frage, immerhin hat man eine recht große Kultur, eine eigene Formel-3, die Auto-GP, die Rennwagen fast auf GP2-Niveau hat, alte Helden wie Tazio Nuvolari, Achille Varzi oder Alberto Ascari, viele Hersteller wie Maserati, Alfa Romeo, Lamborgini und so weiter – und natürlich die Scuderia Ferrari. Noch immer träumen die meisten Fahrer davon, eines Tages für Ferrari an den Start zu gehen.
4. Anders als Deutschland hatte Italien auch kein Verbot im Motorsport nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei internationalen Rennveranstaltungen waren deutsche Teilnehmer erst einmal ausgeschlossen. An alte Erfolge aus der Silberpfeilära in den 30er Jahren konnte man daher gar nicht erst anschließen. Erst Mitte der 50er Jahre kam Mercedes in den GP-Sport und holte in beiden Jahren des Daseins den Titel. Allerdings mit Juan-Manuel Fangio am Steuer, einem Argentinier – und dem größten Wagenlenker der damaligen Zeit. Den ersten deutschen Star gab es mit Wolfgang Graph Berghe von Trips, aber der verstarb auf dem Weg zum WM-Titel 1961 beim Italien GP. Die Geschichte hat Deutschlands Geschichte im Motorsport durchaus behindert. Davon profitierte letztlich auch Großbritannien.
5. Und noch mal Weltgeschichte: Die Tatsache, dass Großbritannien damals mit dem Königreich eine absolut große Macht in der Welt war, förderte den Rennsport freilich auch. Großbritannien wurde in den 60er Jahren und danach zur Spitze in Medizin, Wissenschaft und eben auch Sport. Natürlich neben den Amerikanern, aber die sind im Motorsport eh einmal mehr mit einer Extrawurst unterwegs. Viele andere Länder aus dem Königreich von Großbritannien waren in dieser Zeit ebenfalls sehr stark, Länder, die heute eher bedeutungslos im Motorsport sind. Neuseeland zum Beispiel. Damals mit Stars wie Bruce McLaren, Denny Hulme und Chris Amon gesegnet, heute seit Jahren ohne F1-Pilot.
6. Amerika ging im Motorsport eigene Wege. Gab es vor 1950 oft Überschneidungen im Kalender, Rennveranstaltungen, die sowohl europäische, wie amerikanische Fahrer und Teams bestritten haben, so ist das seit 1950 Mangelware. In den 50er Jahren zählte das Indy 500 zwar zur Fahrermeisterschaft in Europa, aber letztlich starteten bis auf eine geschätzte handvoll Fahrer nur Amerikaner dort, kaum F1-Fahrer. Erst in den 60er Jahren waren auch F1-Fahrer in Indianapolis erfolgreich, nun hatte das Rennen aber keinen WM-Status mehr. Amerika entwickelte sich anders als Europa. Inzwischen ist die IndyCar, die amerikanische Formel-1, klar im Schatten einer Rennserie, die es so in Europa gar nicht gibt: Die Nascar. Amerika wurde Großbritannien deshalb nie wirklich zur Gefahr. USA hat inzwischen die eigenen Motorsporthochburgen wie in Charlotte, aber die IndyCar-Rennwagen werden beispielsweise von Dallara aus Italien gefertigt!
7. Großbritannien profitierte auch davon, dass Frankreich seit Jahrzehnten nicht wirklich ein Bein nach vorne bekommt. Nach den 20er Jahren und den Erfolgen von Bugatti und Delage kam lange nichts mehr nach im GP-Sport. In den 80er Jahren gab es eine ganze Reihe starker französischer Fahrer: Alain Prost mit vier Titel, René Arnoux, Didier Pironi und Patrick Tambay, um mal die vier wichtigsten zu nennen. Diese Piloten profitierten damals von einem breiten Angebot an Nachwuchsförderung in Frankreich, etwa durch den Hersteller Renault, oder dem Mineralölhersteller Elf. Doch das Ganze war nicht von Dauer, heute fährt gar kein Franzose mehr mit!
8. Auch ein Punkt: Nach dem Krieg wurden vor allem die britischen Rennen von Tageszeitungen gesponsert – so wie einst in der Geburtsstunde des Rennsports. Gordon Bennett war ja Sohn eines berühmten Verlegers und der Verlag eben Veranstalter. Nach dem Krieg sponserten in Großbritannien viele Tageszeitungen einzelne Rennevents, so gab es unter anderem auch Nicht-WM-Rennen, die deren Namen annahmen, beispielsweise die Daily Express International Trophy. Dadurch hatte der Motorsport natürlich viele Leser und Beobachter, das hilft, um auf die Beine zu kommen.
Die Zukunft könnte aber auch für Großbritannien immer schwieriger werden. Noch sind die meisten F1-Teams in Großbritannien niedergelassen, auch wenn sie mit anderen Rennlizenzen fahren, wie Force India (Indien), Lotus (Malaysia) oder Marussia Virgin (Russland). Die Welt wird globaler, die Teilnehmer immer internationaler und exotischer. Auch das F1-Teilnehmerfeld. Die Vormachtstellung der Briten wankt. Vor wenigen Jahren sah es sogar eine zeitlang so aus, als stehe der Großbritannien GP auf der Kippe. Genau dort hat man aber auch immer wieder das Gefühl: Großbritannien und Rennsport – diese Geschichte ist längst nicht zu Ende.