Moin Holger, aus'm Urlaub zurück?
Ich glaube, die Punkte (a) bis (c) kann man nicht trennen, und (d) nur bedingt. "Wer" und "wann" gehören sowieso zusammen, nur genau feststellen wird man das nür können, wenn man die gesamte Presse der damaligen Zeit in den Archiven nachliest. Das wird kaum machbar sein, denn eine Konzentration auf die Fachpresse wird nichts bringen, wahrscheinlich wird hier eher etwas in den Boulevardblättern zu finden sein. Auch eine einzelne Fundstelle bringt uns nicht weiter, denn kein Reporter oder Redakteur wird bei Verwendung dieses Begriffes eine Quellenabgabe zur Konkurrenz machen.
Und Mythos? Den "macht" niemand, sondern das ist immer eine kontinuierliche Entwicklung. Und was ist ein Mythos denn genau? Wie lange muss irgend etwas zurück liegen, um als Mythos bezeichnet zu werden? 1 Tag? 1 Jahr? 10, 100 oder 1000 Jahre? Mythos waren die "Silberpfeile" schon während ihrer aktiven Zeit, man muss sich nur die zeitgenössigen Berichte von Donington 1938 anschauen. Spätestens aber schon 1954 konnte man von "Mythos" sprechen, als Mercedes wieder ins Grand-Prix-Geschehen eingriff, und auf Anhieb einen Doppelsieg einfuhr. Das war ungefähr so, als wenn an diesem Wochenende in Melbourne das Lotus-Team mit 2 schwarzen JPS-Rennern erschienen wäre, und morgen Ferrari, McLaren und Williams in Grund und Boden fahren würde!
Es ist eben so, dass der Mythos sich immer mehr auf Mercedes bezog, und weniger auf die AU. Zum einen war die Auto Union nach dem Krieg eben praktisch nicht mehr existent, und zum anderen war Mercedes auch in der Vorkriegszeit das erfolgreichere Team, vor allem wenn man auch die Zeit vor 1934 berücksichtigt.
Und der Mythos der "unbesiegbaren Silberpfeile" wurde mit jedem Jahr grösser, mit dem sich Mercedes vom Rennsport distanzierte. Sich auf dem absoluten Höhepunkt zurückzuziehen - man hatte die Fahrer-F1-WM und die Marken-WM für Sportwagen gewonnen, und das nur einige Jahre nach der kriegsbedingten Totalzerstörung -, das ist natürlich Stoff für Legenden und Mythen!
Und der Missbrauch? Nun, was ist eigentlich "Missbrauch" in diesem Zusammenhang? Angefangen hat es anscheinend mit Neubauer und seiner "Lackabkratzgeschichte", die nach meinen Erkenntnissen erstmalig 1959 in seinen Memoiren an die Öffentlichkeit getragen wurde. Nur "Missbrauch" würde ich das nicht unbedingt nennen, sondern eben eine typische "Don-Alfredo-Story". Wie die nun wirklich entstanden ist - ich weiss es beim besten Willen nicht. Vielleicht kam in irgendeiner weinseligen Runde die Sprache auf die alte 750-kg-Formel, und irgendjemand meinte, dass das Gewicht so knapp zu erreichen war, dass man sogar Hohlschrauben benutzen musste, und der nächste behauptet dann, es wurde sogar am Lack gespart. Die Geschichte wird dann immer weiter erzählt, und irgendwann kommt die "Lackabkratzstory" raus!
Muss man Neubauer dann "Missbrauch" vorwerfen? Nein, denn damals konnte er ja noch gar nicht wissen, dass diese Fabel von ihm von Generationen von Autoren und Redakteuren immer und immer wieder übernommen werden wird.
Von Missbrauch kann man m.M. nach auch nicht reden, als Ende der 80er der Sauber-Mercedes C9 in silber - mit nur kleinen Sponsoraufklebern - präsentiert wurde, und in der Sportwagen-WM nach Belieben siegte. Es war ganz einfach ein cleverer Schachzug von Mercedes, sich mit diesem "plain silver" mehr oder weniger selbst zu sponsorn. Auch vor der Technik des C9 kann man noch den Hut ziehen, ein (Beinahe-)Serien-V8 vom 500 SE plus 2 Turbolader, und man gewinnt die Marken-WM!
Kritisch wird das Ganze dann allerdings mit McLaren in der F1, und hier könnte man durchaus das erste Mal von Missbrauch reden. Dass der Motor nicht von MB sondern von Ilmor kam (und immer noch kommt!) ist bereits ein Armutszeugnis, aber dass man sich die "silberne" - oder besser graue - Farbe von einem Sponsor finanzieren lässt, ist zwar ein cleverer Schachzug, aber eigentlich etwas "unwürdig". Man hat anscheinend die Sponsorsuche limitiert auf Firmen mit grauem bzw. silbernem Markenauftritt, und sich somit die "Silberpfeil"-Wiedergeburt auch noch extern finanzieren lassen. Was übrigens relativ schnell von Ferrari mit Marlboro und später Vodafone kopiert wurde.
Missbrauch? Jein, würde eher sagen clever - aber irgendwie billig. Der Missbrauch kam eigentlich als Nebeneffekt, vor allem durch die Medien. Wie oft die RTL-Pfeifen Kai Übel und Heiko Schwätzer an einem F1-Wochenende den Begriff "Silberpfeile" in den Mund genommen haben, war ja gar nicht mehr zu zählen (ist Gott sei Dank mit nachlassenden Erfolg etwas weniger geworden). Und RTL war und ist nicht der einzige, von Bild-Zeitung bis Tagesschau - der Begriff "Silberpfeile" wurde augeschlachtet bis zum geht nicht mehr.
Ich habe das damals nicht richtig verfolgt, aber ich gehe davon aus, dass hier von den Mercedes-PR-Leuten die Vorlagen gegeben wurden, denn parallel zu dem neuen McLaren-Mercedes-West-Outfit gab es unzählige andere Promotions unter Einbeziehung der alten echten "Silberpfeile". Werbespots und -anzeigen, Auftritt bei Klassikveranstaltungen, eine Flut von Berichten und Artikeln in der Fachpresse und nach dem Fall der Mauer war man sich auch nicht zu schade, Manfred von Brauchitsch in seinem hohen Alter für "Propaganda"-Zwecke zu missbrauchen - obwohl er über Jahrzehnte persona non grata war.
Missbrauch? Definitiv ja! Aber es geht noch ärger. Hinter den Kulissen gab und gibt es einen verbissenen Grabenkrieg um den Begriff "Silberpfeil" und die damit verbundenen Legenden. Die Tauschaktion "Horch gegen Silberpfeil" wurde hier ja bereits angeschnitten, aber in anderen Fällen konnte ich bisher nur an der Oberfläche kratzen. Einige Beispiele gefällig? Man nehme z.B. Karl Ludvigsen, eine anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet Motorsportgeschichte, der mit "Mercedes-Benz Renn- und Sportwagen" die Bibel in Sachen MB-Rennhistorie geschrieben hat. Und ausgerechnet dieser akkurate Automobilhistoriker Karl Ludvigsen hält auf Biegen und Brechen an Neubauer's "Lackabkratzstory" fest?! Komisch, oder? Nun ja, nicht unbedingt, denn für sein Buch "Mercedes-Benz - The Quicksilver Century" war er auf den Goodwill der Mercedes-Leute und vor allem deren unverzichtbares Archiv angewiesen ...! Und dass er im Hauptberuf Geschäftsführender Gesellschafter der auf die Automobilindustrie spezialisierten Unternehmensberatung "Ludvigsen Associates" ist spielt hierbei vielleicht auch eine Rolle...
Oder man nehme "Motor-Klassik", Deutschlands führendes Oldtimer-Magazin und Mercedes-Benz-Hauspostille. Stuttgart als Redaktionssitz verpflichtet natürlich, und auch die Sponsorschaft von MB für die Seriensendung auf DSF, und nicht zu vergessen die kostenlose Teilnahme an internationalen Klassikerveranstaltungen mit Fahrzeugen aus dem Mercedes-Museumsfundus, von Mille Miglia bis Argentinien ...!
In der Ausgabe 12/2001 (oder war es 01/2002?) erschien ein glorifizierender Artikel über die Mercedes-Silberpfeile - die alten selbstverständlich -, mit der Überschrift "Silberschmuck". Und wie nicht anders zu erwarten der übliche Standard-Schmarrn wie Neubauers Lackabkratzstory, und kein Wort über die silbernen Auto Union auf der AVUS 1934. Ich habe daraufhin einen langen Leserbrief geschrieben, mit meiner Argumentation in dieser Richtung, und auch der erwiesenen Tatsache, dass die AU bereits früher als Mercedes silbern waren, einschl. den dazugehörigen Photos. Wie nicht anders zu erwarten wurde dieser Leserbrief selbst nicht auszugsweise veröffentlicht, ich vermisse auch bis heute eine fachliche Reaktion der selbsternannten "Klassik-Spezialisten" (gestern noch Volontär beim Puselmucker Boten, heute Fachredakteur Motor-Klassik
), und selbst den Formbrief "... nicht genügend Platz ... blahblah ... können nicht alle Briefe veröffentlichen ... blahblah ..." hat man sich verkniffen. Nach dem Motto "... welche Mail?? Haben wir nicht bekommen...!" Nun, eine Reaktion gab es zumindest, wenn auch nur indirekt ..., das hochauflösende Photo von dem Brauchitsch-W25 beim Eifelrennen 1934 (JPG-Datei mit 3 MB!!) wurde vom Mercedes-Benz-Server genommen, ich hatte in meiner Argumentation auf dieses Photo hingewiesen!
Wenn man tiefer anfängt zu graben, wird man sicher noch das Eine oder Andere ausbuddeln, aber es ist einfach nur peinlich, wie DaimlerChrysler krampfhaft versucht, aus aktuellen Marketinggründen den Begriff "Silberpfeil" und den damit verbundenen prestigeträchtigen Mythos für sich in Anspruch zu nehmen. Und wenn man von Missbrauch redet, dann ist er sicherlich hier zu finden.