über die diskussion über den flügellosen lotus 1970 in monza ist mir wieder ein alter artikel über jochen rindts tod von dieter stappert eingefallen. stappert war 1970 noch motorsport-journalist und augenzeuge des unfalls. 20 jahre später erinnert er sich in einem autorevue-beitrag an die tragischen geschehnisse.
hier ein paar auszüge. ist etwas lang; ich finde aber, das ist ein sehr guter und berührender artikel:
[...] Ich höre nichts, und sehe nichts. Der Staub pickt mir in den Augen, ich glaub’ ich bin taub und blind. Dann höre ich das Kreischen der Leute, der Staub setzt sich, ich seh’ das rot-gold-weiße Gebilde, das einmal ein Lotus war, vorne komplett zerfetzt, von mir abgewandt, aber da kann nichts mehr sein. Jochens Fuß schaut heraus, nackt, kein Schuh, kein Socken, weiße Leute rennen herum, einer zieht ihn an den Händen, zwei halten eine weiße Decke, um den Leuten die Sicht zu versperren, sie ziehen ihn nach vorne heraus, legen ihn auf die Bahre, die rechte Hand fällt herunter, und da nimmt der eine die Hand und legt sie auf die Brust, wie bei einer Puppe, und alles ist voller Blut.
Mir schießen die Tränen in die Augen, bitte lieber Gott, mach’, dass es nicht wahr ist, lass es bitte nicht wahr sein.
Aber ich mach’ die Augen auf, und es ist doch wahr. Ein Mann legt Jochens Helm zurück ins Cockpit, schaut sich dann seine Hände an, Blut, ich erkenne den panischen Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht.
[…] Mir ist schlecht. Ich kämpfe mich zurück ins Fahrerlager, durch die Menschenmauer vor der Ambulanzbaracke. Helmut und Heinz sitzen dort im Gras, ich hock’ mich zu ihnen, „bist dort g’wesn?“, fragt Helmut, der weiß, dass ich mit meinen Freunden beim Abschlusstraining immer in der Parabolica bin, „ja“ sag’ ich, keiner traut sich den anderen ins Gesicht schauen, jeder weiß, jetzt ist alles vorbei.
Später im Pressebüro, kommen sie, die Kollegen, die Aasgeier, die Hyänen. Ich muss erzählen, was ich gesehen hab’, einmal, fünfmal, zehnmal, zwanzigmal. […] Dann kommt wieder einer, ein Preuß’, „Se warn doch dort?“, sagt er, „ja“, sag ich gottergeben, und ich wünsch’ mir, dass er abhaut, der Trottel, weil ich kann’s nicht noch einmal erzählen, und dann fragt er, „warumm hammSe dennich’n Foto jemacht, wennse dochn Apparat dabeihamm?“, und da verlier’ ich die Nerven und die Geduld und ich schrei’ ihn an, „verschwind’, du Schwein, verschwind’, oder ich bring dich um!“
Draußen warten dann meine Freunde auf mich, „Dieter, wir fahren heim“, sagen sie, „weil das Rennen, des interessiert uns jetzt nimmer.“ Mich interessiert es auch nicht mehr. Am Abend sauf’ ich mich an, am nächsten Tag erleb’ ich wie in Trance die Schweizer Sternstunde, Regazzonis ersten Grand-Prix-Sieg. Mir ist alles wurscht, auch wenn ich als Redakteur der Schweizer Zeitschrift „Powerslide“ eigentlich jubeln müsste. Aber Jochen ist tot. Und der österreichische Automobilsport ein Scherbenhaufen.
[…] Die Nachricht erreicht mich und Herbert Völker am Spätabend des 4. Oktober auf der Terrasse eines Hotels in Cascais. Herbert und ich hatten die TAP-Rallye bis in den Norden Portugals verfolgt, hatten die Driftwinkel von Ove Anderssons blauer Alpine sowie die dramatische Schönheit und grenzenlose Einsamkeit der Gegend um Orbacem und Ponte de Lima genossen: was für ein wohltuender Kontrast zu den bösen Erinnerungen von Monza. Nach einer Flasche des herben Vinho Verde, es können auch zwei gewesen sein, geht Herbert telefonieren, „nie im Leben kommst drauf, wer gewonnen hat“, sagt er im Zurückkommen, und ich erinnere mich noch gut an das traurig-freudige Gefühl, als Herbert sagt: „Emerson Fittipaldi“, und ich wusste, Jochen ist Weltmeister.
[…] Irgendwann im Herbst 1989 bin ich nach Eisenerz gefahren. […] Plötzlich sehe ich im Seitenfenster eines Riesenbaggers ein überlebensgroßes Porträt von Jochen Rindt. Mir ist’s kalt über den Rücken gelaufen. Ich musste aber weiter, aber auf der Rückfahrt habe ich angehalten und bin ausgestiegen.
Eine Handvoll Bauarbeiter stehen herum. „Wer fährt mit dem Ding?“, frage ich in die Runde. „i bin’s wiesou?“, kommt’s in ursteirischen Lauten zurück.
„SindS’ mir nicht bös’, dass ich frag, aber wieso habenS’ dieses Foto vom Jochen Rindt in ihrem Vehikel?“
Und der Mann schaut zu dem Bild, lächelt etwas verträumt und fast ein bißl verlegen, wie mir scheint und sagt dann: „WissenS’, der Jochen, den hab ich g’sehn beim Grand Prix in Zeltweg. Ich bin zu eahm hingangan und hab’ eahm die die Hand druckt, und er hat mir a Autogramm geb’n. Und seither ist des Foto immer dort, wo i bin. Weil der Jochen, des is mei Freind.“
Ich schwöre es: Er hat „ist“ gesagt, nicht „war“.
Mitten in der Einsamkeit der steirischen Berge, am Ende der Welt, diesen Mann zu treffen, der in seinem Bagger ein riesengroßes Foto von Jochen Rindt hat und in der Gegenwartsform von ihm spricht, fast 20 Jahre nach dem Unfall, das hat mich tief berührt.
Und wieder einmal habe ich mich erinnert an das Foto im englischen Autosport vom 8. Oktober 1970 […]. Zuschauer in Watkins Glen, dichtgedrängt, und mitten aus der Menschenmasse ragen zwei Arme heraus, die ein schwarzes Band halten, auf dem in weißen Blockbuchstaben steht: JOCHEN LIVES.
quellen:
text: autorevue 9/90
foto:
www.godai.at
"When you're racing, it's life. Anything that happens before or after is just waiting."
Michael Delaney (Steve McQueen), Le Mans