LotusFan hat geschrieben:
Alfalfa hat geschrieben:
Ja, der Ursprung der Lackabkratzstory ist entdeckt!! Komisch dass das vorher niemanden aufgefallen ist - es steht in einem allgemein zugänglichen Büchlein von 1951. Ich bringe in Kürze mal eine Zusammenfassung an geeigneter Stelle.
Nu machs mal nicht so spannend
Ruck Zuck ist Winter
Okay, hier kommt's also (versteckt im unpassendsten Thread - aber vielleicht schlägt das eines Tages hohe Wellen).
Die Scans aus einem Buch sind von unserem werten Kollegen 'Julius', der sich neulich über die unerlaubte Veröffentlichung seines Jo Siffert Bildes beschwerte (zu Recht - wie ich einräumen muss). Auch diesmal plagt mich wieder das schlechte Gewissen, weil diese Entdeckung nicht auf meinem Mist gewachsen ist - aber was soll's. Frei nach Cato möchte ich sage: "Ceterum censeo Lackabkratzstorum esse delendam!"
Verbreitet diese Story, auf dass man bei Mercedes mit dem Blödsinn keine Publicity mehr machen kann!
1951 erschien unter dem Namen von Alfred Neubauer im Verlag Auto-Revue, Luxemburg, ein Büchlein mit dem Titel "Heute lacht man darüber!"; 99 Seiten, einige Zeichnungen, Inhalt: Äußerungen zu Entwicklungen aus der Frühzeit der Motorisierung bzw. des Motorsports, die sich als Fehleinschätzung herausgestellt haben und entsprechend von ihm kommentiert werden.
Darunter auch ein Kapitel mit dem Titel "Oh - diese Gewichtsformeln!": erwähnt wird die 750 kg-Rennformel - und wir werden hellhörig! Dazu steht auf S.59:
"Vor jeder Ausfahrt zu einem Rennen wurden daher die Fahrzeuge auf einer geeichten Waage überprüft ... an den einzelnen Rennorten ... führte .. aber zu langen Gesichtern, wenn der Wagen 1 oder 1,5 kg über dem zulässigen Gewicht befunden wurde."
Das wäre doch DIE Stelle gewesen, an der er seine 'klassische' Lackabkratzstory hätte anbringen müssen. Aber nichts davon, kein ein Wort.
Dafür steht aber einige Seite weiter hinten dann FAST WÖRTLICH die Geschichte, die er viele Jahre später seinem Ghostwriter Harvey T. Rowe diktierte:
"Oftmals ereignen sich nun sehr amüsante Zwischenfälle. So musste einmal vor zwei oder drei Jahren ein Fahrer, dessen Name mir nicht mehr erinnerlich ist, die Lackierung von seinem Wagen herunterkratzen, um ein oder zwei Kilogramm zu gewinnen. Eine sehr mühselige Arbeit, doch was hätte der Arme tun sollen?"
Hier die Seiten zum persönlichen Nachlesen:
http://img233.imageshack.us/img233/343/ ... latro6.jpg
http://img245.imageshack.us/img245/7245 ... ichow0.jpg
http://img233.imageshack.us/img233/8348 ... atzdl5.jpg
Neubauer also ein Opfer seiner eigenen Fantasie!
Mir fällt dazu ein sehr passender Abschnitt ein, den ich gerade in einem Buch von Harald Welzer gelesen habe, in der es um die Aufarbeitung persönlicher Erinnerungen aus der Nazi-Zeit geht (ist nicht mal weit weg vom Thema); Titel 'Opa war kein Nazi - Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis' - sehr empfehlenswert (von meiner Seite aus).
"Historiker nehmen die Aussagen von Zeitzeugen zur Ergänzung, wenn bereits andere nachprüfbare Fakten vorliegen. Erinnerung ist kein verlässliches Archiv, da fließen Sachen, die man vom Hörensagen und aus Filmen kennt, mit ein. Das muss nicht bewusst gefälscht sein, wer oft genug etwas erzählt, glaubt daran. Das Gedächtnis ist äußerst erfinderisch. Wir müssen übrigens auch vergessen, um unser gegenwärtiges Leben sinnvoll zu sortieren. Wenn wir alles behalten würden, könnte unser Gedächtnis nicht mehr funktionieren."
Natürlich stellt man die Frage, warum das 1959 - als Neubauers Memoiren erschienen - niemanden aufgefallen ist. Aber konnte es überhaupt jemand auffallen? Neubauer diktierte diese Memoiren einen in Motorsport unbedarften Autoren (Harvey T. Rowe) für ein Boulevard-Blatt (Quick).
In dem Buch „Hitlers Rennschlachten“ schreibt Eberhard Reuß (der auch ein Zweifler der Lackabkratzstory ist), Harvey T. Rowe habe ihm gesagt, ihm sei die Geschichte mit dem abgekratzten Lack durchaus glaubwürdig erschienen. Warum habe Neubauer so etwas erfinden sollen? Er sei nun mal dabei gewesen. Natürlich habe „der operettenhaft auftretende Neubauer bei all seinen Erzählungen immer gewaltig übertrieben und ausgeschmückt, aber vieles habe für das Buchprojekt in Interviews mit den Rennfahrern von damals geklärt werden können.
Wenn man etwas nachforscht, stellt man fest, dass Rowe bis 1998 17 Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift "Du und das Tier", des Organs des Deutschen Tierschutzbundes, war. Informationen über Veröffentlichungen sind spärlich. 1986 erschien von ihm ein Buch mit dem Titel "Als die Autos fahren lernten", 1990 wird er als Co-Autor bei Josef Neckermanns "Erinnerungen" genannt. 1968 schrieb er ein Buch über den Herzverpflanzer Barnard ("Der Chirurg von Kapstadt"), 1960 erschien ein Film mit dem Titel "Salon Parisi/Frauen in Teufels Hand", bei dem er am Drehbuch mitgearbeitet hatte, und 1959 ein Buch über den Boxer Gustav Scholz ("Ring frei").
Dieser bunte Mix deutet darauf hin, dass Rowe sich mit dem Motorsport nie näher befasste.
Da Neubauers Memoiren zunächst als Serie in dem Magazin QUICK (kennt das noch jemand?!) veröffentlicht wurden, liegt die Vermutung nahe, dass Rowe damals für diese Zeitschrift arbeitete. Ob ihm die Neubauer-Story zugewiesen wurde oder ob er sich darum beworben hat, ist offen. Ebenso ist nichts bekannt, ob die Initiative für die Veröffentlichung von Neubauer himself oder von QUICK ausging.
Vermutlich Letzteres, denn sonst hätte sich Neubauer eher die Dienste eines damals bekannten professionellen Motorsport-Journalisten gesichert wie etwa Hans Bretz, Ernst Hornickel, Günther Molter, Ernst Rosemann, Paul Schweder oder Kurt Wörner.
Wenn es aber Rowe war, der auf Neubauer zukam und ihn dafür warb, ihm seine Lebenserinnerungen zu erzählen, dann dürfte Neubauer rasch gemerkt haben, dass Rowe nicht vom Fach war und ihm nicht auf die Schliche kommen würde, wenn er seiner Phantasie freien Lauf lässt.