Auch wenn Ferrari den Formel-1-Erfolgen der Vergangenheit und seinem eigenen Mythos derzeit etwas hinterherfährt: In Monza beim GP Italien werden die springenden Pferde von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen von den Tifosi, den italienischen Fans, wieder bejubelt als wären es Götter.
Der Mythos begann 1930, als beim Bergrennen in Triest der erste Sieg des Ferrari-Teams in die Geschichtsbücher einging. Fahrer: Tazio Nuvolari. Fahrzeug: der 150 PS starke Achtzylinder Alfa Romeo P2. Ferrari begann als Alfa-Romeo-Kundenteam. Bis erste eigene Rennwagen gebaut wurden, vergingen noch mehr als ein dutzend Jahre.
Nicht nur für Ferrari, auch für Nuvolari begann damit eine Legendenbildung. Wann immer die Diskussion über den besten Rennfahrer aller Zeiten auftaucht, fällt auch der Name Tazio Nuvolari. Obwohl so erfolgreich mit Hunderten von Siegen, auch bei den Großen Preisen (heute Formel 1), war er im Kampf David gegen Goliath stets der David.
Einer seiner größten Erfolge: Der Deutschland-GP 1935 am Nürburgring. Nuvolari fuhr einen Alfa Romeo P3, mit einem nur 265 PS starken Motor. Seine Konkurrenz: die Silberpfeile von Mercedes-Benz und Auto Union. Der 4-Liter-Achtzylinder-Kompressormotor von Mercedes und der 5-Liter-16-Zylinder-Kompressormotor von Auto Union brachten über 100 PS mehr auf den Asphalt.
Aufgeben war für Nuvolari ein Fremdwort. Sein Teamchef Enzo Ferrari sah mit hochgezogenen Augenbrauen, wie Nuvolari attackierte, als gäbe es kein morgen. Mercedes und Auto Union reagierten: Die Fahrer preschten ebenfalls am Limit über die Nordschleife – was zu technischen oder fahrerischen Fehlern führte. Und die Reifen völlig überforderte. Am Ende hieß der Sieger vor 300.000 Zuschauern Nuvolari.
Letzter Sieg mit blutgetränktem Taschentuch
Nie aufgeben, immer kämpfen, egal wie aussichtslos die Situation. Oder wie schmerzhaft. Der in der Lombardei geborene Italiener bestritt viele Rennen schwerverletzt. Mechaniker mussten ihn am Motorrad festschnallen, Platz schaffen für Gipsbeine oder ihn ins Fahrzeug heben, wenn er gerade nicht eigenständig laufen konnte. Er ist Rennen gefahren nur wenige Tage nach Unfällen, nach denen ihm die Ärzte eine sechsmonatige Zwangspause verordnet haben.
Nuvolari selbst erklärte nach seinem Sieg beim berühmten, aber sehr gefährlichen Straßenrennen von Mille Maglia 1930, als er ohne Scheinwerfer fahrend seinen Kontrahenten Achille Varzi überrumpelte: „Ich bin ein Mann, der keine Angst kennt.“ Raue Erziehungsmethoden seines Vaters haben ihn eine Furchtlosigkeit eingetrieben. Schon in seiner Jugend glänzte er mit waghalsigen Aktionen. Seine Teenager-Freunde glaubten, er hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
Mehrmals wollte er zurücktreten. 1938 zum Beispiel, bevor ihn Auto Union zur Rückkehr bewegte. So charmant und freundlich er außerhalb des Cockpits wirkte, Nuvolari war getrieben von seelischen Schmerzen, die er nur im Rennsport überwinden konnte. Seine beiden Söhne Giuseppe (der ebenfalls eine Rennkarriere anstrebte) und Alberto starben jeweils, als sie gerade mal 18 Jahre alt waren.
Sein letztes Rennen bestritt und gewann Nuvolari 1950 mit 57 Jahren, längst gezeichnet von einer schweren Asthma-Krankheit. Die Auspuffdämpfe der damals noch methanolbetriebenen und vor dem Fahrer angebrachten Motoren verätzten seine Lungen. 1952 war er nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, 1953 überlebte er einen zweiten Gehirnschlag nicht mehr.
Über 50.000 Menschen strömten zu seiner Beerdigung, darunter auch die besten Rennfahrer der damaligen Zeit: Alberto Ascari, Juan-Manuel Fangio, Luigi Villoresi – sie alle erwiesen ihm die letzte Ehre.
Als Enzo Ferrari 30 Jahre später nach dem besten Rennfahrer aller Zeiten gefragt wird, sagt er: „Das kann man nicht sagen. Müsste ich aber einen Namen nennen, dann auf jeden Fall Tazio Nuvolari.“