Wie angekündigt hier das neue Thema. Da ich hoffe, dass dieser Thread über einen längeren Zeitraum aktiv bleibt, hier vorsichtshalber ein Link zum Juli-2002-Thread, in dem bereits ein Grossteil der Themen abgehandelt wurden.
https://www.motorsport-magazin.com/apboard/thread.php3?id=6123&start=1&BoardID=7
Die Diskussion dort hat gezeigt, wie wenig ich doch über diese Periode weiss, vor allem wenn es um Deutschland geht. Die 30er Jahre kennen wir alle, Mercedes und Auto Union dominierend, Alfa-Romeo und Maserati auf den Plätzen, Bugatti in den letzten Zügen, und immer wieder mal ein paar Exoten zwischendurch. Auch über die Zeit vor dem ersten Weltkrieg kennen sich die meisten von uns recht gut aus, von den „Städterennen“ über Gordon Bennett bis hin zum denkwürdigen Grand Prix de l’ACF in Lyon 1914. Und für die meisten fängt Motorsporthistorie ja sowieso erst 1950 mit dem Beginn der F1-Fahrer-WM an ...!
Die 40er Jahre haben es mir besonders angetan, eben weil diese Zeit direkt nach dem Krieg überall stiefmütterlich behandelt wird, und ähnlich sah es in der Nachkriegszeit ab 1918 aus. Egon kann hierüber einiges berichten, wenn er denn Lust und Zeit dazu hat. 1919 und 1920 fing das alles ganz langsam wieder an, und erst 1921 gab es wieder GPs in Frankreich und Italien. Und Deutschland trat für einige Jahre überhaupt nicht auf der internationalen Bühne an, weil man nach dem verlorenen Krieg international gesperrt war, ähnlich wie nach 1945. Eerst 1921/22 gab es erste Versuche von Mercedes und Wanderer bei der Targa Florio, und erst ab 1924 war man wieder richtig dabei.
Was aber spielte sich zu Hause ab? Obwohl das Internet von Rennstatistiken wimmelt, habe ich bisher nur Daten über das AVUS-Rennen von 1926 gefunden, und auch nur weil es sich dabei um den Grossen Preis von Deutschland gehandelt hat. Alles andere Fehlanzeige!
Was war eigentlich Sache? Das letzte grosse echte Rennen in Deutschland war der Kaiserpreis von 1907, eine Art Grand Prix obwohl er nicht so hiess. Was Rang und Namen hatte in Deutschland war hier noch vertreten - Mercedes, Benz, Opel, Adler, Horch, NAG, Eisenach, Protos, Argus, Gaggenau, und Dürkopp -, und dazu natürlich auch die bekannten Namen aus dem Ausland. Danach war „Feierabend“ in Deutschland, aber auch in den anderen Ländern wurden die Rennen immer weniger, und nach 1914 war dann sowieso Schluss. Bei dem GP de L’ACF 1914, oder auch GP Frankreich genannt, denkt jeder zuerst an die siegreichen Mercedes, die wenigsten aber wissen, dass auch Opel damals recht gut dabei war.
Das Hauptproblem - nicht nur in Deutschland - war das Manko an geeigneten Rennstrecken. Die ersten Planungen zur AVUS erfolgten zwar schon 1911, aber fertig wurde die Strecke wie wir wissen erst 1921. Der Nürburgring war die richtige Lösung, aber den gab es erst ab 1927. Seit 1919 existierte auch die bereits erwähnte Opel-Bahn bei Rüsselsheim, ein 1,5 km langer Ovalkurs mit überhöhten Kurven, aber für richtige Rennwagen war die Strecke nie geeignet. Ansonsten blieben nur Zuverlässigkeitsfahrten, Bergrennen, oder unbedeutende lokale Veranstaltungen „Rund um den Kirchturm“.
1918 gab es in Deutschland bereits unzählige Automobilmarken, obwohl die meisten durch die Rüstungsproduktion finanziell gestärkt den Krieg beendeten, begann jetzt eine wirtschaftlich extrem schwierige Periode. Hinzu kamen unzählige neue Hersteller, teilweise grosse Unternehmen, die durch fehlende Rüstungsaufträge ihre Kapazitäten auslasten wollten, aber auch viele Klein- und Kleinstfirmen. Die Automobile waren damals technisch recht einfach, und jeder bessere Handwerksbetrieb konnte mehr oder weniger gute Autos bauen. Einige Marken, die heute nur noch Insidern geläufig sind, wie z.B. NAG, Protos, Stoewer, und Dürkopp zählten zahlenmässig damals durchaus zu den führenden Fahrzeugherstellern, und Brennabor war sogar der grösste, bis Opel diese Rolle übernahm. Aber wer hat schon von von AAA und Argus, Bob und Baer, Club und Cyklon, Dinos und Dickmann, Elite und Ercor gehört? Ich könnte das jetzt bis zum Ende des Alphabet weiterführen, aber das wäre langweilig.
Viele von diesem Firmen produzierten nur sehr geringe Stückzahlen, und manche überlebten gar das erste Jahr ihrer Geschäftstätigkeit nicht, vor allem im extremen Krisenjahr 1923 - mit Todeskampf bis 1924 oder 1925 - ging so ziemlich alles Pleite was nicht auf einigermassen gesunden finanziellen Füssen stand.
Win on Sunday, sell on Monday - dieser alte Spruch aus dem Motorsport galt damals wie heute, und vor allem für die Newcomer waren Sporterfolge überlebenswichtig. Es gab Firmen, die bauten Rennwagen, in der Hoffnung mit deren Leistungen auf der Rennstrecke dann erst Aufträge hereinzuholen und Strassenautos zu bauen.
Der alte Thread über die AVUS-Rennen und das ADAC-Stadionrennen hat bereits einige selbst mir bisher unbekannte Namen ans Tageslicht gebracht.
Was wissen wir über die damaligen Rennformeln? Direkt nach dem Krieg galt für GP-Wagen anscheinend noch die alte 4.5-Liter-Beschränkung, aber das war hypothetisch, denn es gab keine Grand Prix. 1921 waren es 3 Liter, von 1922-1925 2 Liter, 1926-1927 1.5 Liter, und ab 1928 „Formula Libre“. Die alten 4.5-Liter leisteten so um die 110 PS, ein Wert der dann auch von den 3-Liter erreicht wurde, und auch die 2-Liter-Wagen lagen nicht weit darunter. Daran sieht man, wie schnell die Motorentechnik sich damals entwickelte. Nachdem Mercedes gezeigt hatte wie es geht, setzte sich in der 2-Liter-Formel nach und nach der Kompressor durch, und die Leistungen stiegen auf ca. 150 PS mit Spitzen von 170 PS (Mercedes). Durch konstante Weiterentwicklungen wurde dieser Wert dann sogar in der 1.5-Liter-Formel erreicht (Delage).
Ausserdem gab es natürlich die kleineren Klassen, die „Voiturettes“ (1500 ccm), und die „Cycle Cars“ (1100 ccm). Eine typische Voiturette war z.B. der Bugatti 13 Brescia, der 1921 so um die 40 PS leistete, später erhöhte sich die Leistung dann beim Bugatti 37 auf 60 PS, oder in Kompressorausführung auf 85 PS. Ende der 20er Jahre kam der T39A mit Kompressor sogar auf 120 PS.
Die Cycle Cars waren nicht sehr viel schwächer motorisiert, aber meistens noch einiges kleiner und leichter als die „Wägelchen“ (Voiturettes). Ein Salmson von 1921 brachte ca. 30 PS auf die Strasse, einige Jahre später waren es dann 40. Der 1922er Targa-Florio-„Sascha“ von Austro-Daimler hatte sogar beachtliche 45 PS. Auch die Cycle Cars gab es später in Kompressorausführungen, z.B. den Amilcar C6 mit 62 PS.
Alle diese Daten und Zahlen sollen einen Hinweis geben, wo das internationale Niveau in diesem Zeitraum lag, um die Situation in Deutschland besser zu verstehen.
Wem diese PS-Zahlen niedrig vorkommen, der sollte berücksichtigen, dass die Literleistung bei Serienwagen damals bei 11-14 PS lag.
Ich bin auch noch einmal der Sache mit den Steuer-PS nachgegangen, und habe den Ursprung herausgefunden. Das Steuergesetz wurde vom deutschen Reichstag 1906 verabschiedet, und nach folgender Formel berechnet:
0,3 x d2 x h x i.
d = Zylinderdurchmesser in cm, h = Hub in m, i = Zylinderzahl.
Zu diesem Zeitpunkt ergab diese Formel so ziemlich die echte Leistung des jeweiligen Motors, aber da gerade in den Folgejahren die Technik ungeahnte Schritte machte, entsprach die errechnete PS-Leistung nie der echten Leistung, so dass relativ schnell die Doppelzahlen wie 5/15, 20/50 usw. eingeführt wurden.
Beispiel Opel 4/12 (Laubfrosch) von 1924: Bohrung x Hub = 58 x 90 mm (950 ccm)
= 0,3 x (5,8 x 5,8 ) x 0,09 x 4 = 3,63, also 4 Steuer-PS bei 12 Brems-PS.
Die weitere Entwicklung bis 1930 kan man gut an den sich ändernden Typbezeichnungen ablesen - 4/14, 4/15, 4/16 und 4/20.
Im Gegensatz zu den internationalen Hubraumeinteilungen war in Deutschland zumindest Anfang der 20er Jahre eine Einteilung der Wettbewerbs-Kategorien nach Steuer-PS üblich, angefangen von 4 PS bis hin zu 10 PS. Eine direkte Umrechnung in Hubraum habe ich nicht geschafft (vielleicht haben wir einen Mathematiker unter uns, der diese Frage lösen kann), aber ungefähr dürften diese PS-Klassen den folgenden Hubraumklassen entsprechen:
4 PS = 1050 ccm
5 PS = 1300 ccm
6 PS = 1500 ccm
8 PS = 2100 ccm
10 PS = 2600 ccm
Interessant ist auch die beim AVUS-Rennen von 1921 praktizierte Aufteilung der Klassen in „unten gesteuerte Ventile“ (= stehende Anordnung, Ventile im Motorblock) und „hängende Ventile“ (= Ventile im Zylinderkopf, in der Regel aber immer noch von einer im Block liegenden Nockenwelle über Stösselstangen angetrieben). Diese Aufteilung ist mir bei späteren Rennen nicht mehr untergekommen, aber vielleicht findet doch jemand noch weitere Daten. Sie diente anscheinend dazu, den traditionellen - um nicht zu sagen veralteten - Motoren doch noch die Chance auf einen Laufsieg zu ermöglichen. Es ist aber nicht so, dass „hängende Ventile“ alleine der neueste Stand der Technik waren. Im Rennwagenbau dieser Jahre waren DOHC-Motoren, also 2 obenliegende Nockenwellen, durchaus üblich, und es gab selbst bereits Vierventiler.
Der einzige deutsche Hersteller, der in den 20er Jahren international konkurrenzfähige Rennwagen baute, war Daimler-Benz. Hierüber gibt es auch ausreichend Daten und Informationen, im Gegensatz zu den unzähligen anderen Marken, die nationalen Motorsport betrieben, und die hier unser Thema sein sollen.
Trotzdem hier eine Zusammenfassung der DB-Rennwagen:
Die Targa Florio 1921 bestritt Max Sailer mit einem 28/95, einer Vorkriegskonstruktion, 7,25 Liter Hubraum und 95 PS. Bei der TF kam die GP-Formel nicht zur Anwendung, sie war offiziell ein Sportwagenrennen, obwohl damals der Unterschied zwischen Sport- und Rennwagen eigentlich nur in Kotflügeln und Lampen zu suchen war. Der 2. Platz von Sailer ist um so höher zu bewerten, wenn man bedenkt, dass er den Wagen auf eigener Achse von Stuttgart nach Sizilien fuhr, dort das Rennen bestritt, und dann den gleichen Weg wieder nach Hause, und das zu einer Zeit, wo befestigte Strassen die Ausnahme waren ...!
1922 schickte man wieder einen 28/95 nach Sizilien, Fahrer Christian Werner, aber diesesmal hatte man einen Kompressor montiert, so dass sich die Leistung auf immerhin 140 PS erhöhte.
Im Team waren ausserdem 3 umgebaute Grand-Prix-Wagen von 1914, 105 PS bei 4,5 Liter (Saugmotor), 2 Werkswagen für Christian Lautenschlager und Otto Salzer, sowie einen rot lackierten für Graf Giulio Masetti, der damit auch gewann.
Hinzu kamen 2 Voituretten für die 1,5-Liter-Klasse für Paul Scheef und Fernando Minoia. Der Motor baute auf dem Serienmotor 6/25/40 (die 3. Zahl bezeichnet die Leistung mit Kompressor) auf, und leistet 54 PS ohne und 79 PS mit Kompressor. Das Fahrgestell entsprach aber weitestgehend der Serie, so dass man nicht von einem reinrassigen Rennwagen reden konnte. Es ist trotzdem verwunderlich, dass man mit diesem Motor in der Voiturette-Klasse nicht weitermachte, denn die Leistungsdaten waren sehr vielversprechend. Aber für „Kleinvieh“ hatte Mercedes ja noch nie viel übrig ...!
Für 1923 entschloss man sich bei Mercedes, wieder einen reinen GP-Wagen nach der neuen 2-Liter-Formel zu bauen. In Frankreich waren deutsche Wagen immer noch ausgeschlossen, aber in Italien konnte man starten, und auch bei den 500 Meilen von Indianapolis. Dieser Indy-Mercedes, natürlich jetzt auch mit Kompressor, dürfte so um die 100 PS geleistet haben.
Für 1924 wurden Wagen und Motor weiter entwickelt, der Vierzylinder lag in der Targa-Florio-Ausführung bei 126 PS, und am Jahresende waren sogar 150 PS erreicht.
Trotz allem war der Vierzylinder 2-Liter technisch veraltet, und Prof. Porsche, der 1924 zu Mercedes kam, konstruierte einen komplett neuen GP-Rennwagen. Natürlich 2 Liter, und natürlich mit Kompressor, aber diesesmal ein 8-Zylinder-Reihenmotor mit ca. 170 PS. Beim einzigen Grand-Prix-Auftritt in Monza 1924 kam Graf Louis Zborowski zu Tode, wahrscheinlich durch die schlechten Fahreigenschaften des Wagens. Mit diesem Hintergrund und auch aus wirtschaftlichen Überlegungen zog sich Mercedes-Benz aus dem Grand-Prix-Geschäft bis auf weiteres zurück. An der neuen 1.5-Liter-Formel beteiligte man sich überhaupt nicht, und bei den Formula-Libre Rennen war man erst Ende der 20er Jahre mit dem SSK wieder dabei.
Einen weiteren internationalen Einsatz gab es bei Benz (die Fusion kam erst 1926) in Monza 1923 mit dem Typ RH, auch als „Tropfenwagen“ oder „Heckmotorwagen“ bekannt. Der 2 Liter 6-Zylinder DOHC - ohne Kompressor - leistete 100 PS, was in Anbetracht der internationalen Konkurrenz nicht gerade viel war, mehr als Platz 4 und 5 waren nicht drin.
Von allen anderen Marken habe ich in Sachen Wettbewerbswagen im Moment nur Fragmente zur Verfügung:
1919 - Protos C - 2614 ccm - 30 PS
1919 - Wanderer - 1220 ccm
1921 - Benz 6/18 - Vierventiler mit Königswelle - 1570 ccm und 45 PS
1921 - Benz 10/30 - Serienwagen mit Langheck
1921 - NAG - 2536 ccm - seitengesteuert
1921 - Opel 8/25 - 1984 ccm
1921 - Opel 10/35
1922 - Presto D - 2350 ccm - 30 PS
1922 - Brennabor 1499 ccm DOHC
1923 - Fafnir 471 - 1980 ccm - 50 PS - 80 PS Kompressor
1923 - NAG - 2640 ccm - hängende Ventile
1923 - NSU 5/25/40 - 1307 ccm - später 1476 ccm
1923-24 - NSU 5/30 Sportwagen
1924 - Protos C1 - 2600 ccm - 45 PS - OHV
1924 - Simson Supra S - 1970 ccm - 60 PS - DOHC-16V
1924 - Wanderer - 1150 ccm - ab 1926 - 1940 ccm
1924 - Wanderer W10 - 6-Zyl - 2540 ccm
1926 - NSU 6/60 Kompressor-Rennwagen
Das ist wahrlich nicht viel, oder? Aber der Sinn und Zweck dieses Threads ist ja, die Lücken so weit wie möglich zu füllen.
In der 2. Hälfte der 20er Jahre begann auch in Deutschland die „Bugatti-Ära“, jeder Privatfahrer der über die ausreichenden finanziellen Mittel verfügte legte sich einen Bugatti zu, denn mit Ausnahme der reinen Werks-GP-Wagen war das die einzige Alternative um zu gewinnen. Bekannt ist zwar vor allem der 35B, 2,3 Liter mit Kompressor, aber die wenigsten wissen, dass es den Typ 35 in unzähligen Variationen gab - 2 Liter, 1500 ccm, 1100 ccm, 4- und 8-Zylinder, mit und ohne Kompressor, für jede Klasse also den „passenden“ Bugatti.
Wie sah das mit den Fahrern aus? Einige wenige wie Christian Lautenschlager und Otto Salzer von Mercedes und Carl Joerns von Opel konnten noch auf Vorkriegserfahrung zurückgreifen, aber wie gesagt, da gab es kaum noch richtige Rennen. Andere haben damals den Grundstein für ihre spätere Karriere gelegt, wie Rudolf Caracciola, der auf Ego und Fafnir begann, oder Hans Stuck mit Austro-Daimler. Andere fuhren ihre „Erzeugnisse“ selber, wie die Opel-Brüder, oder Christian Riecken, Chefkonstrukteur von NAG, und auch Carl Slevogt, der technische Leiter von Apollo. Oder sie waren bei ihren Firmen angestellt, als Mechaniker oder als Einfahrer, und Rennen fahren gehörte einfach zu ihrem „Berufsbild“. Und dann natürlich die grosse Anzahl der Amateure, die einfach Spass an diesem Sport hatten, und es sich leisten konnten.
So, das ganze ist nun doch erheblich länger geworden als geplant, aber ich wollte eben eine entsprechende Grundlage schaffen.
Alles was ihr an Informationen aus der deutschen Rennsportszene findet, vorzugsweise aus der 1. Hälfte der 20er Jahre, ist willkommen, sei es über Wettbewerbswagen, Fahrer, und Rennveranstaltungen jeglicher Art. Aber im grossen und ganzen wird sich aber fast alles doch immer wieder um die AVUS drehen, ob wir nun wollen oder nicht.
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