Hier mal wieder einige Infos die ich über Rennen in den 20ern in einem schlauen Büchlein fand - betrifft größtenteils die Avus. Vielleicht ergibt sich hierdurch endlich einmal ein klareres Bild. Sind auch ein paar interessante Pics mit dabei. Los gehts mit einem Bericht über das Avus-Debütrennen 1921;
Ein roter(!!) Opel (Fritz von Opel) kämpft mit einem NAG (den hatten wir glaube ich schon mal im History-Thread im Juli - müßte mal nachsehen) - obwohl ich mittlerweile das Teil eher für einen Stöwer halte. Ich glaube hier irrte Kitschigin!
Am
Wochenende des 24./25. Septembers war es soweit. Endlich konnte die Bevölkerung der Reichshauptstadt der Entscheidung beim
ersten großen Automobilrennen auf der AVUS beiwohnen. Die Teerung der gesamten Rennstrecke war beendigt. Auch die Tribünen konnten in letzter Minute noch fertiggestellt werden. Erhebliche Schwierigkeiten bot nur die Festlegung des Ziels. Das renommierte Fachblatt
'Allgemeine Automobil-Zeitung' (AAZ) berichtete in ihrer Ausgabe vom 27. August 1921: "Da auf den ungehinderten Zugang der Besucher und einen genügenden Anfahrt- und Warteplatz für Tausende von Gefährten Rücksicht genommen werden muß, konnte nur ein solcher Punkt gewählt werden, der die glatte Abwicklung des Verkehrs in hinreichendem Maße gewährleistet. Hierfür erschien die Strecke etwa 1 km vom Auslauf an der Nordkurve beim Bahnhof Eichkamp am geeignetsten. Das Innere der Nordschleife ist als eine Art Sattelplatz (jetzt wissen wir auch woher der Name Paddock kommt!) vorgesehen, in dessen Mitte sich eine größere Tribüne befindet, welche so angelegt ist, daß man den Hauptteil der Kurve von ihr gut besehen kann. Der frühere Exerzierplatz ist von der Avus zur Unterbringung von Wagen und Automobilen für die Dauer der Rennen gepachtet worden."
Die Anlage der 20 Kilometer langen Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße im Grunewald galt in der Motorwelt als ideale Prüfung für Gebrauchswagen. Nirgendwo anders gab es eine Strecke, auf der Rennwagen auf einer langen, schnurgeraden Strecke ihre Schnelligkeit, Widerstandsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Konstruktion besser unter Beweis stellen konnten wie auf dieser Bahn, die mit ihren zwei Geraden von je etwa 9 km Länge und ihren beiden Schleifen von 114 m und 258 m Durchmesser eine automobilsportliche Arena darstellte, wie sie einzigartig dastand.
Gegenüber dem Ziel, im Schatten alter idyllischer Eichenbäume, stand die Haupttribüne mit einer Länge von 200 Metern. Daran schloßen sich nach der Nordschleife zu eine etwa 75 Meter lange, überdachte Tribüne und die Pressetribüne mit zehn Telefonzellen und einem besonderen Arbeitsraum an. Gute Sichtplätze hatten Schlachtenbummler auch auf der Überbrückung der Bahn bei Wannsee. Drei Tribünen standen vor der Wannseer Kurve. Diese Tribünen enthielten Sitzplätze für rund 7.700 Personen; der riesige Raum rechts und links der Rennstrecke kam für Stehplätze in Frage. Der Stand der Rennen wurde durch fünf große Tafeln dem Publikum bekanntgegeben, deren Bedienungsposten durch Telefon miteinander verbunden waren. Für die Bewältigung des Besucherandrangs waren alle Vorkehrungen getroffen. 65 Kassen waren um die Rennstrecke verteilt. Sie wurden von besonderen Autobuslinien und sogar Extrazügen angesteuert.
Der Appell des Veranstalters des ersten AVUS-Rennens, des Automobil-Clubs von Deutschland, an die deutsche Automobilindustrie war nicht ungehört verhallt. Fast alle großen Firmen hatten Fahrzeuge gemeldet. Nach den Gründerjahren der Kraftfahrzeugindustrie erlebte die automobile Welt Deutschlands zu Beginn der zwanziger Jahre einen Fabrikationsboom. Fast ein halbes Hundert von Kraftfahrzeugschmieden montierte drei- und vierrädrige Geschöpfe, deren Namen heute kaum noch bekannt sind:
Aga, Alfi, Ego, Brennabor, Dinos, Hansa, Schebera, u.s.w. Oft entstanden diese Unternehmen nur, um aus der galoppierenden Geldentwertung und der damit ausgelösten Flucht in die Sachwerte Kapital zu schlagen. Sobald sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Inflationszeit wieder konsolidiert hatten, kam es zu zahlreichen Zusammenbrüchen von Unternehmen der 'Krisengewinnler', etwa des
Stinnes-Konzerns (Rabag, Dinos, Aga). In der Folgezeit gab es einen scharfen Konkurrenzkampf unter den verbliebenen Giganten, die um ihre Kunden mit enormen Preisnachlässen und auf der Rennbahn für ihre Produkte warben.
Gestartet wurden auf der Avus in verschiedenen Gruppen, die nach sog.
'Steuer-PS' ausgerichtet waren.
In
Gruppe VIII A (offen für zweisitzig karossierte Fahrzeuge, deren Abmessungen von Hub und Bohrung 8 Steuer-PS nicht überschritten) starteten die Firmen Fafnir (Aachen), Presto (Chemnitz), Brennabor (Brandenburg/Havel), Selve (Hameln), Dürkopp (Bielefeld), NSU (Neckarsulm), Stöwer (Stettin), Heim (Mannheim) und Opel (Rüsselsheim). Das Rennen ging über rund 140 km (7 Runden).
1. Fafnir, Oberingenieur W. Uren
2. Presto, W. Gischel
3. Brennabor, C. Reichstein
4. Selve, Ingenieur Willy Köster
5. Selve, Direktor Ernst Lehmann
6. Brennabor, Albert Hagen
7. Fafnir, Springsfeld
8. Dürkopp, Jean Horn
9. Neckarsulm, Georg Klöble
10. Stöwer, Betriebsleiter Kordewan
11. Stöwer, Betriebsleiter Reedel
12. Heim, Direktor Franz Heim
13. Dürkopp, Betriebsleiter Ewald Fiedler
14. Opel, Fritz von Opel
15. Opel, Karl Jörns
16. Presto, Arno Kermer
Hier handelt es sich um die Startaufstellung zum Rennen der Klasse VIII A; Hinten ein Presto #16, ein Opel #15, ein Brennabor #3; davor ein Opel #14 und ein Dürkopp #13 (der Gestreifte!), das rechte Fahrzeug kann ich nicht identifizieren. Die #12 weiter vorne ist ein Heim.
Ich glaube in dem bereits zitierten früheren Avus-Thread habe ich dieses Fahrzeug als Brennabor angegeben. Meine neue Quelle bezeichnet das Teil als Stöver von 1921. Irgendwelche Meinungen hierzu! Ich tendiere eindeutig zu Reichenstein (#3) und hagen (#6), Brennabor.
In
Gruppe VI B (offen für zweisitzig karossierte Fahrzeuge (hängende Ventile), deren Abmessungen von Hub und Bohrung 6 Steuer-PS nicht überschritten) starteten die Firmen Benz (Mannheim) und Wanderer (Chemnitz) mit je zwei Wagen.
1. Benz, Fahrmeister Fritz Hörner
2. Benz, Ingenieur Willi Walb
3. Wanderer, Ingenieur Wilhelm Scholl
4. Wanderer, Karl Loos
Vor den Boxen zum Avus-Rennen 1921; Der spätere Siegerwagen von Benz auf einem 6/18 PS Vierzylinder in Torpedokarosse
In
Gruppe X B (offen für zweisitzig karossierte Fahrzeuge, deren Abmessungen von Hub und Bohrung 10 Steuer-PS nicht überschritten) starteten die Firmen Adler (Frankfurt/M.), Steiger (Burgrieden b. Ulm - einer der Fahrer hieß Alfred Noll), Benz (Mannheim), Opel (Rüsselsheim), Simson (Suhl) und Horch (Zwickau). Länge des Rennens ca. 160 km (8 Runden).
Am Sonntag vereinigte
Gruppe VI A (offen für zweisitzig karossierte Fahrzeuge, deren Abmessungen von Hub und Bohrung 6 Steuer-PS nicht überschritten) die Firmen Agi (Berlin), Selve (Hameln), Dixi (Eisenach), Falcon (Sontheim b. Heilbronn) und Heim (Mannheim). Die Länge dieses Rennens betrug ca. 120 km (6 Runden).
1. Aga, Betriebsleiter Hugo Wilhem
2. Aga, Oberingenieur Otto Philipp
3. Selve, Direktor Ernst Lehmann
4. Dixi, Willi Heinicke
5. Falcon, Direktor G.Hartlieb
6. Selve, Ingenieur Willi Köster
7. Dixi, Fahrmeister Paul Gebser
In Gruppe VII B (offen für Fahrzeuge, deren Abmessungen von Hub und Bohrung 8 Steuer-PS nicht überschritten) starteten die Firmen Dinos (Berlin - einer der Fahrer hieß Dunlop), Adler (Frankfurt) und Opel (Rüsselsheim).
In Gruppe X A (offen für zweisitzig karossierte Fahrzeuge, deren Abmessungen von Hub und Bohrung 10 Steuer-PS nicht überschritten) starteten Opel (Rüsselsheim), Ehrhardt (Düsseldorf + Zella St. Blasi/Thür.), Dürkopp (Bielefeld), Adler (Frankfurt), NAG (Berlin - mit den Fahreren Riecken und Zerbst), Apollo (Apolda/Thür.), Horch (Zwickau) und Stoewer (Stettin). Länge des Rennens ca. 160 km.
An beiden Tagen fanden nach Beendigung der eigentlichen Avusrennen am Nachmittag Rekordversuche statt, für welche die Firmen Opel, Adler und Benz Wagen gemeldet hatten. Alle Rekordversuche waren für Rennwagen unbeschränkter Zylinderabmessungen offen und fanden über 3 km statt. Der Unterschied zwischen den Gruppen A und B war der, daß in Gruppe A nur Fahrzeuge startberechtigt waren, deren Motoren stehende -Ventile besaßen, während für die teilnehmenden Wagen der Gruppe B ganz oder teilweise hängende Ventile vorgeschrieben waren. Reges Leben herrschte auf der Avus-Bahn schon Tage vor Rennbeginn. Besonders in den Morgenstunden trainierten die Wagen aller Klassen, nachdem die Fahrbahn vollständig hergerichtet war. In den Kurven allerdings mußte die Geschwindigkeit mächtig gedrosselt werden. Es fehlte noch die Überhöhung der Kurven. Schon bei Übungsfahrten einiger Motorräder erwies es sich als notwendig, in der Nordkurve bis auf 78 km/h herunterzugehen. Fahrer, die versuchten, mit ihren Wagen ohne wesentliche Herabminderung der Geschwindigkeit durch die Kurven zu fahren, mußten ihre Leichtsinnigkeit mit einem nicht allzu geringen Schrecken und einigen Hautabschürfungen bezahlen. Ein Dürkopp-Wagen wurde aus der Südkurve geschleudert, wobei sich der Wagen mehrmals überschlug und die Fahrer in hohem Bogen über die Böschung geschleudert wurden. Auch einem Dinoswagen erging es in der Nordkurve ähnlich. Dort bremste der Fahrer seinen Wagen so scharf, daß er einen Hinterreifen verlor und in vollem Tempo bis auf die Böschung kletterte, wo er endlich hängenblieb. Am zweiten Trainingstag waren die Fahrer schon mehr mit der Bahn vertraut. Man konnte jetzt schon sagen, daß die Rennen in den Kurven entschieden wurden. Von den Fahrern wurde es kritisiert, daß die Teerung der Bahn noch nicht vollständig abgetrocknet und noch weich war, was ein kräftiges Schleudern der Wagen zur Folge hatte. Für die damalige Zeit beachtliche Geschwindigkeiten erzielten beim Training die Wanderer-, Agi- und Benz-Wagen, welche 150 km/h erreichten. Die AZZ: "Auch ein Brennaborfahrer zog durch sein geschicktes Nehmen der Kurven trotz seiner großen Beleibtheit die besondere Aufmerksamkeit auf sich."
Am Sonnabend, dem 24. September, wurde die Avusbahn durch die Streckenleitung
offiziell der Öffentlichkeit übergeben, wozu Vertreter der inländischen und ausländischen Fach- und Nachmittags dem Massenstrom gewachsen zu sein. Bei den Streifzügen der Presse längs der Rennbahn kam nicht nur Begeisterung für die Avus-Bahn auf, die nach Meinung ihrer Urheber eine Bahn der Superlative sein sollte. Kein Blatt vor den Mund nahm vor allem das führende Fachorgan AAZ: "Der erste Eindruck, den der Außenstehende, der bislang nur Pläne, Zahlen, Geschwindigkeiten und ähnliches gehört hat, von ihr empfängt, ist eine große Enttäuschung. Kommt man da friedlich aus der Provinz mit seinem Wagen durch das sonnenglitzernde Potsdam gefahren, schlängelt sich durch die historische Autofalle und sieht sich auf einmal in die stärksten polnischen Straßenverhältnisse des Weltkrieges versetzt."
Das
erste Avus-Rennen verlief zeitlich parallel zur Deutschen Automobil-Ausstellung, die in unmittelbarer Nachbarschaft ihre Hallen hatte. Viele Berliner zogen es vor, nicht in die Auto-Messe am Kaiserdamm zu gehen, sondern sich die automobile "Privatausstellung" an der Avus anzuschauen. Ein Kaleidoskop mannigfachster Kraftfahrzeuge nahm Kurs zum Parkplatz der Avusbahn. Es waren zwischen 200.000 und 300.000 Menschen auf den Beinen. Motorjournalist Walter Ostwald: " (Ein) organisatorisches Meisterwerk der Riesenauffahrt zur Riesenrennbahn ging vor sich. In der organisatorischen Technik der Meisterung von Menschenmassen hat man in der Republik gegenüber dem Kaiserreich zweifellos Fortschritte gemacht. Der ganz ungeheuer starke und sich auf riesige Gebiete von Großberlin erstreckende Verkehr einer unzähligen, buntscheckigen Menschenmasse(...) wurde ohne Kommandieren und ohne Reibung mustergültig geleitet."
Auch auf der Rennbahn selbst war alles derartig geschickt organisiert, daß sogar die sonst für jedes Berliner Ereignis typische und für den Berliner Taschendieb so einträgliche echt Berliner Drängelei nirgendwo zu beobachten war. Das Publikum war mannigfaltig. Berlins feine Gesellschaft (oder was sich dafür hielt) nahm Platz auf den weißlacklerten Sitzen der Tribünen (nicht ahnend, daß man darauf nach wenigen Minuten festkleben würde - der Lack stammte noch aus dem Krieg) und die arbeitende Bevölkerung mußte sich mit den billigen Stehplätzen zufriedengeben.
Überraschend war der starke Zustrom auswärtiger Besucher, auch aus dem Ausland. Man sah und hörte zahllose Holländer, Engländer, Amerikaner, Japaner, Chinesen oder Inder. Eine Journalistin beschrieb die Rennbahn-Atmosphäre in Manier eines Gesellschaftsberichtes so: "Natürlich zog ich etwas Hübsches und Feines an, um nicht negativ aufzufallen. Und während auf der eigentlichen Rennstrecke schon die ersten Runden von den schlanken Rennwagen gefahren wurden, die durch ihren tiefen, sonoren Motorenklang Nerv und Ohr angenehm reizten, strömten noch in unabsehbarer Menge die Besucherinnen heran und lenkten die Blicke auf sich. Fabelhaft wirkungsvoll war vieles, allein schon durch die so beliebten, grellen Farben, die allerdings oft bis ans feinste zueinander abgestimmt waren, so daß das Auge wohl entzückt sein konnte. Aber es war auch nicht gespart worden an kostbarem Material, das bei unserer heutigen Valuta ja sündhaft teuer ist."
Tausende von Augen blickten wie gebannt auf die schnurgerade AVUS, als das erste Rennen gestartet wurde. Eine ungeheure Spannung lag über den weiten Tribünen, auf denen die Zuschauer, Kopf an Kopf gedrängt, oft seit Stunden harrten und den Kampf der Rennmaschinen mit fieberhafter Erwartung verfolgen wollten. Endlich erschallte das Fanfarensignal, das den Beginn des ersten Rennens ankündigte. Ein Fafnir mit seiner charakteristischen Kühlerfratze und ein Presto flogen als erste über die Bahn (auch das Bild hatten wir in dem früheren Thread schon mal). Das Publikum jubelte. In kurzer Frist folgten die nächsten zwei, bis alle
"Achter" mit von unten gesteuerten Ventilen auf der Bahn waren. Schon kehrten die ersten wieder. Auf den gegenläufigen Parallelstrecken sausten Wagen mit ca. 150 km/h, also nach Einstein rund 300 km/h Relativgeschwindigkeit aneinander vorbei. Man freute sich über die gräßlichen Fratzen der gleichmäßig laufenden
Fafnir-Wagen. Man bewunderte die schönen Formen der
blitzblauen(!) Brennabors und verfolgte mit Feldstecher die schneidige Fahrt des
Stöwers. Favorit wurde bald auch
NSU. Ein ganz charakteristischer Geruch wehte von der Strecke der zu Anfang stark überölten Motoren auf. Die Flieger unter den Zuschauern wußten sofort Bescheid:
"Aha, Rizinusöl". Fast alle Fahrer verwendeten für ihre Rennwagen Rizinusöl und nicht Benzin. Schnell begannen sich bei den Rennen die Felder zu lichten. Oft klang es nach überhitzten Verpuffungen und fressenden Kolben. So mußten gleich im ersten Rennen die beiden
Selve-Wagen aufgeben. Waren deren Motoren vielleicht schlecht eingestellt? Denn der alte Benz-Rennfahrer Heim dagegen kam hervorragend mit seinem Eigenbauwagen voran - unter dem auch ein Selve-Aggregat blubberte (klingt interessant, diese Konstruktion, oder...)
Zwei äußerst spektakulär gefahrene Wagen auf der Avus. Den hinteren Wagen kann ich nicht deuten - der vordere scheint mir der Bruder des oben mit dem Opel kämpfenden Wagens mit der #11 zu sein. Anregungen willkommen. Vorne vor dem Kühler scheint mir das Fahrzeug einen aerodynamischen Aufsatz zu besitzen.
Das zweite Avus-Rennen vom Samstag stand unter einem besonders schlechten Stern. Das Rennen der 6 Steuer-PS-Wagen mußte abgebrochen werden, nachdem sowohl die teilnehmenden beiden
Benz- als auch die zwei
Wanderer-Wagen nicht über zwei Runden hinauskamen. Favorit im dritten Rennen war der
Steiger-Wagen. Walter Steiger, ein gebürtiger Schweizer, hatte 1914 in Burgrieden eine Maschinenfabrik gegründet, die 1920 auch den Bau von Automobilen aufnahm. Als Betriebsleiter gewann Steiger den bekannten Konstrukteur Paul Henze. Zur allgemeinen Überraschung aber fielen auf der AVUS bald alle beiden Steiger-Wagen aus, während die
Horch-Wagen sich gut schlugen. Sieger wurde schließlich der ohne alle Schwierigkeiten fahrende Benz. Die beiden Horchs belegten den zweiten und dritten Platz. Der
Ehrhardt-Wagen fuhr als Vierter durchs Ziel. Er gehörte dem Rüstungsfabrikanten und Großindustriellen Heinrich Ehrhardt, der 1904 mit seinem Sohn Gustav die Ehrhardt-Automobil-Werke AG in Düsseldorf und Zella St. Blasi gegründet hatte. Wie es sich für einen ehemaligen Rüstungsbetrieb gehörte, waren die Zylinder des Ehrhardt-Wagens aus Kanonenstahl. 1922 erwarb der schwedische Süßwarenkonzern Kanold (Sarotti!) aus währungsspekulativen Gründen die Aktienmehrheit der Ehrhardt-Automobilwerke.
Am zweiten Renntag erregte vor allem der Sieg der
NAG großes Aufsehen. Er wurde von einem normalen, serienmäßig hergestellten Tourenwagen des Typs C4b erstritten, der nur unwesentliche Veränderungen, die durch die Rennvorschriften zugelassen und geboten waren, aufzeigte. Die NAG, ein Tochterunternehmen des Elektroriesen AEG, hatte sich bis dato stets von Rennen ferngehalten und ihre Wagen im Grunewald das erste Mal auf die Bahn geschickt. Der NAG ging in der Klasse X A mit seitlicher Ventilanordnung an den Start und brauchte für die acht Runden mit etwa 160 km Fahrstrecke 73 Minuten und 51 Sekunden. Es entsprach dies einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 130 km/h und bedeutete unter Berücksichtigung der schweren Kurven, in denen die Geschwindigkeit erheblich vermindert werden mußte, eine Durchschnittsgeschwindigkeit in den Geraden von ca. 140 km/h. 13 gemeldete Fahrzeuge besiegte der NAG aus dem Werk Berlin-Oberschöneweide, und die
B.Z. am Mittag urteilte in ihrer Ausgabe vom 26. November 1921: "Das dritte Rennen des gestrigen Tages, der Kampf der 1O PS-Wagen, gehörte den erregendsten Sportereignissen, die man in Berlin gesehen hat, er heizte dem Publikum trotz dem kühlen Winde ordentlich ein. Die Fachleute hatten für dieses Rennen die NAG-Wagen favorisiert, aber das Publikum war für Fritz von Opel. Er hatte die Startnummer 1... Aber ebenso schnell wurde man gewahr, daß der grüne NAG mit Riecken am Steuer tatsächlich sein gefährlichster Gegner war. Auch der Grüne fraß den Weg in verblüffender Raserei und Regelmäßigkeit und Riecken, ein alter erfahrener Renn- und Straßenfahrer, der sich im Ausland mit vielen großen Kämpen herumgeschlagen und alle Schliche und Pfiffe gelernt hat, kannte seinen Wagen und sein Rennen...
Fritz von Opel mit Siegerkranz
...Friedrich Breckheimer/Opel (#12) überholt Zerbst/NAG.
...sein Wagen ging und ging und gab nicht nach. Als Fritz von Opel aus der sechsten Runde wiederkam, konnte man auch den Grünen schon unten auf der Straße daherkommen sehen. Aber als er an die achte Runde kam, lag der Grüne schon örtlich dicht hinter ihm. Und Riecken blieb die Unerschütterlichkelt selbst, er wußte, er hatte den Gegner in der Hand. In die letzte Gerade kam er schon an der Spitze dahergeflogen, rundete die Nordkurve und war Sieger. Riecken ist außerordentlich gleichmäßig gefahren, die Differenz zwischen seiner langsamsten und schnellsten Runde betrug 16 Sekunden."
Auf den NAG folgte als zweiter Wagen Breckheimer auf
Opel; als Dritter kam Favorit Fritz von Opel durch das Ziel. Ihm folgte der zweite
NAG, von Zerbst gesteuert, über den Kreidestrich. Abgeschlagen waren die
Adler-Wagen, die beiden
Horchs, der
Stöwer sowie der
Dürkopp-Wagen. Dieses letzte große Rennen auf der Avus am zweiten Renntag war der Höhepunkt der Veranstaltung. Die Deutsche Allgemeine Zeitung schrieb: "Während die zweite Konkurrenz das Interesse der Zuschauer ein wenig ermüdet hatte, brachte das letzte große Rennen über 160 km schärfste Kämpfe und prachtvollen Sport. Von Anfang bis zu Ende setzte es Angriffe über Angriffe, und als das Feld langsam zurückfiel, entwickelte sich ein Zweikampf zwischen dem Sieger vom Sonnabend, Fritz von Opel, und dem prachtvoll fahrenden Riecken auf NAG, das erst in der 6. Runde die Entscheidung zugunsten Rieckens brachte. Glänzend fahren die NAG-Wagen. Riecken hält sich dicht hinter Fritz von Opel, passiert die vor ihm liegenden Maschinen und ist am Ende der ersten Runde nur drei Sekunden langsamer als der an der Spitze liegende Fritz von Opel. Zerbst auf NAG berholt in der Südschleife den Dürkopp Tatenhorsts in glänzendem Stil. Riecken ist stark aufgerückt und liegt zum Schluß der 6. Runde nur noch 4 Sekunden hinter Fritz von Opel. In den beiden letzten Runden steigerte sich das Interesse von Minute zu Minute auf die beiden Opel und den NAG von Riecken. Riecken, der seine Runden mit bewundernswerter Pünktlichkeit absolvierte, kam immer stärker auf und vermochte trotz der verzweifelten Abwehr Fritz von Opels diesen hinter der Südkurve in der achten Runde zu passieren und mit erheblichem Vorsprung durchs Ziel zu gehen. Riecken trug die Start-Nummer 6, sein schärfster Gegner, Fritz von Opel, Nr. 1." Den Abschluß des zweiten Renntags bildeten wieder Rekordversuche, bei denen der
bulldoggenartige, gedrungene 200 PS-Benz besonders auffiel. Er ließ endlich einmal Benzingeruch über die Bahn verbreiten, der während der Rennen vermißt worden war.
Bei der Siegerehrung im AvD-Haus am Leipziger Platz tönte Graf von Arnim-Muskau, seines Zeichens Vizepräsident des Automobilclubs von Deutschland: "Ich sage nicht zuviel, wenn ich behaupte, daß die Fertigstellung der Rennstrecke im Grunewald eine Großtat auf dem Gebiete des Automobilsports in Segen der Automobilindustrie bedeutet." Das waren große Worte.