Es ist mal wieder Zeit für eines meiner Fahrer-Portraits: nach Masten Gregory, Alberto Ascari, Willy Mairesse, Alfonso de Portago und Carel de Beaufort ist heute Mike Hawthorn dran:
©Doug Nye - Racers 1948-1968, the legends of Formula 1, 1999
Die Geschichte von Mike Hawthorn ist die Geschichte eines äußerst unsteten Mannes - sie ist aber auch die Geschichte eines Generationswechsels in der F1. Darum ein paar Worte vorab:
Hawthorn wurde zu einem der ersten und (neben Stirling Moss) berühmtesten Vertreter der neuen 'englischen Schule' des Motorsports, die ab Mitte der 50er Jahre eine nicht enden wollende Reihe von Rennfahrer und Konstrukteure hervorbrachte und bis heute nachwirkt.
Vor allem nach dem 2. Weltkrieg hatten sich erst Mal die Italiener als dominierende Macht durchgesetzt. Den Anfang machte Alfa Romeo mit ihren sieggewohnten Kompressorautos, gefolgt von Maserati und Ferrari. Die Fahrer stammten noch aus der Vorkriegsgeneration: Nino Farina, Luigi Fagioli, Gigi Villoresi und Alberto Ascari, aber auch der große Argentinier Juan Fangio trugen auf dem Höhepunkt ihrer sportlichen Erfolge bereits angegrautes Haar.
Die nachrückende Generation war völlig anders: hin und wieder tauchte zwar auch ein italienischer Newcomer auf, doch das Gros stellte Großbritannien; Stirling Moss, Peter Collins, Tony Brooks, Roy Salvadori, Stuart Lewis-Evans, Cliff Allison und eben Mike Hawthorn bildeten den harten Kern der F1- und Sportwagenszene; und nachdem Italien innerhalb kurzer Zeit seine besten Männer verloren hatte (Ascari, Musso, Castellotti), übernahm das britische Commonwealth komplett das Ruder. Die kleinen Garagisten und Hinterhof-Tüftler begannen den siegverwöhnten, etablierten Marken Paroli zu bieten - und sie schließlich zu überrollen. Cooper und Lotus machten den Anfang, Brabham, McLaren und viele andere sollten folgen.
Der Endstand der Fahrer-Weltmeisterschaft von 1958 sprach eine deutliche Sprache: 5 Engländer auf den ersten 5 Plätzen, und ganz vorne ein hellblondes 'Babyface', Mike Hawthorn. Das eben noch total ausgebombte England, auf dem Weg zur Auto-Nation Nr. 1, hatte ein Aushängeschild, wie es glänzender und strahlender nicht hätte sein können.
Leslie Hawthorn: Vater & Mentor
Am 10. April 1929 war Mike als einziges Kind von Winnifred und Leslie Hawthorn in Mexborough zur Welt gekommen. Bald darauf war die Familie nach Farnham gezogen, keine 30 km von der legendären Brooklands-Rennstrecke entfernt. Sein Vater betrieb eine Tuning-Werkstatt, verkaufte Autos der Marken MG, Riley, Singer und Rover, und natürlich hielt es Klein-Mike keinen Tag länger als nötig auf der Schulbank. Der Rennsport rief!
Hawthorn hatte seinem Vater viel zu verdanken: Leslie hatte ihm 1950 geholfen, seinen ersten Rennwagen auf die Räder zu stellen und ihn fürsorglich betreut, als er 1951 gegen die aufstrebenden Rennfahrer-Asse Stirling Moss und Peter Collins antrat, mit dem ihn zeitlebens eine tiefe Freundschaft verband. 1952 betrat Cooper-Bristol die F2-Szene, und wieder war es sein Vater, der ihm zu einem Auto verhalf und es einsetzte. Mike gewann das erste Rennen in Goodwood und wenige Wochen später auch das zweite, in Silverstone. John Cooper, der seine Konstruktionen eigenhändig einsetzte, erinnerte sich: "Mike fuhr buchstäblich Kreise um mich, und ich sah ein, dass es an der Zeit war, das Feld den Jungen zu überlassen."
Der Mann mit der Fliege
Schon zu diesem Zeitpunkt hatte Mike seine persönliche Kleiderordnung gefunden: Am Steuer eines Rennwagens trug er weiße Hemden und Hosen, dazu eine dunkle Fliege - das perfekte Abbild des englischen Gentleman-Drivers. Nur bei widrigen Witterungsverhältnissen streifte er eine dunkle Fliegermontur oder eine Barbour-Jacke über, und als Sturzhelme Pflicht wurden, wählte er eine dunkelblaue Halbschale mit klarem Plexiglasvisier - er hasste Brillen! Er entstieg dem Rennwagen stets wie aus dem Ei gepellt. Und wenn er auch aussah wie ein Herrenfahrer - Hawthorn war nichts weniger als das. Er stand rasch in dem Ruf, ein ganz abgebrühter Hund zu sein.
Bereits 1952 hatte Hawthorn den motorisch unterlegenen Cooper-Bristol in Holland neben Ascari und Farina für die erste Startreihe qualifizieren können - ein Jahr später besiegte er in Frankreich, mittlerweile auf Ferrari, den großen Fangio in einem der berühmtesten Rennen der Geschichte. Mikes Landsleute feierten den ersten britischen Sieg in Frankreich nach 30 Jahren mit allen chauvinistischen Ehren - der Mann wurde ein Volksheld.
Für Hawthorn sollte das siegreiche Engagement in Reims indes nicht nur berufliche, sondern auch private Konsequenzen haben: Am Abend des ersten Trainingstages hatte der 'Womanizer' zusammen mit Lance Macklin zwei reizende junge Damen zum Essen ausgeführt. Zwei Schwestern, von denen die jüngere, Jacqueline, unvorsichtigerweise Mike aufs Hotelzimmer folgte. Neun Monate später erhielt er ein Schreiben von der französischen Familienfürsorge, in dem er um Anerkennung der Vaterschaft für den kleinen Arnaud Delaunay ersucht wurde. Mike zeigte sich wenig gentlemanlike und verweigerte die Anerkennung auch dann noch, als er erfuhr, dass die unglückliche Jacqueline wegen des britischen 'Souvenirs' von ihren Eltern verstoßen wurde.
Erst Jahre später bekannte er sich offiziell zu seinem Sohn, den seine Mutter 'Mike' rief, und gewährte der ledigen Mutter die ihr zustehenden Unterhaltszahlungen. Jean Howarth suchte nach dem Tod ihres Verlobten Mike Hawthorn Kontakt zu der mittlerweile in Südfrankreich lebenden Familie Delaunay und stellte fest, dass 'Mike'-Arnaud seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war.
'Zweckehe' mit Ferrari
Doch zurück zu Hawthorn selbst. Als er zu Ferrari ging, weigerte er sich zuerst, in Italien zu leben. Er hatte sich für Ferrari entschieden, weil er das beste Auto fahren wollte (was 1953 sicherlich zutraf) und er sich persönliche Vorteile versprach. Und Ferrari hatte den jungen Engländer in sein Team aufgenommen, weil der Mineralölkonzern Shell sein Wort eingelegt hatte. Nicht weil Shell, wie Ferrari später betonte, ein so wichtiger Entwicklungspartner war, sondern weil Shell die Fahrergehälter bezahlte. Das Verhältnis zwischen dem Commendatore und dem Newcomer war dann auch alles andere als innig. Ferrari erinnerte sich: "Dieser große Blonde beunruhigte mich durch seine Launenhaftigkeit. Er konnte die schwierigsten Situationen kaltblütig meistern, nur um im nächsten Moment eine haarsträubende Dummheit zu begehen. In seiner Glanzzeit war er unschlagbar, ein kraftstrotzender Schönling, dem man seine physische Überlegenheit schon von weitem ansah."
Das schwarze Jahr
Nach einem 4. Platz in der WM-Saison 1953 wurde 1954 für ihn zu einem schwarzen Jahr. Schon der Saisonstart ging daneben: Beim GP von Syracuse (ohne WM-Status) drehte sich der Maserati des Fangio-Schützlings Marimon in die Bande. Hawthorn konnte den umherfliegenden Strohballen nicht ausweichen, Sprit ergoß sich auf das Stroh und im Nu stand alles in Flammen. Froilan Gonzalez hielt an, um Hilfe zu leisten und zog Hawthorn aus dem brennenden Ferrari, dabei fing er ebenfalls Feuer. Hawthorn erlitt schwere Verbrennungen an Oberschenkeln, Armen und im Gesicht und mußte in Rom und Mailand einige Monate pausieren.
Nach Hause wollte nun er nicht, denn die britische Presse hatte in der Zwischenzeit eine wahre Hetzkampagne gegen ihn losgetreten: Man warf ihm vor, nur deshalb bei Ferrari unterschrieben zu haben, weil er sich in England vor dem Militärdienst drücken wollte. Schimpfworte wie 'Feigling' und 'Drückeberger' machten die Runde - zum Glück wussten die britischen Journalisten noch nichts von der Affäre Delaunay!
Aber es sollte noch ärger für ihn kommen. Zu Ferrari-Tests für Le Mans war Mike wieder fit, und Ferrari wies ihm für das 24-Stunden-Rennen einen Platz in Umberto Magliolis Auto zu. Die beiden verließen Italien in Magliolis Fiat und machten in Paris Etappe. Vor dem Schlafengehen schauten sie noch auf einen Sprung in die Bar de l'Action, wo sie Rennfahrer Jean Lucas trafen. Der richtete Mike aus, dass man aus London mehrmals versucht hatte, ihn telefonisch zu erreichen. Es gab schlechte Nachrichten: Mikes Vater Leslie hatte einen tödlichen Verkehrsunfall erlitten.
Es war auf dem Rückweg von einem Sprintmeeting in Goodwood passiert. Renntransporter waren den großen Teams vorbehalten, und so fuhr Leslie Hawthorn seinen 'leergeräumten' Lancia Aurelia B20 mit provisorischer Plexiglas-Windschutzscheibe (ein Chassisdefekt sorgte für starke Verwindungen, so dass die gläserne Scheibe geplatzt war) auf der Landstraße nach Hause. Plötzlich einsetzender Regen verschlechterte die Sicht dramatisch, und wenige Kilometer vor dem Ziel touchierte Leslie im Schmierlicht der zerkratzten Windschutzscheibe ein entgegenkommendes Auto, kam von der Straße ab und wurde aus dem sich überschlagenden Wagen geschleudert.
Es war ein furchtbarer Schlag für den lebensfrohen und trinkfesten, manchmal etwas übermütig, fast arrogant wirkenden Blondschopf.
Fanatischer Deutschen-Haß
Nach der glücklichen Saison 1953 und dem schicksalhaften 1954 brach er den Kontakt zu Ferrari ab und kehrte nach England zurück, wo er sich (ähnlich wie Moss zwei Jahre zuvor) als britischer Fahrer auf rein britischem Material beweisen wollte - ohne Erfolg.
Angeblich soll Rudolf Uhlenhaut, Cheftechniker der wiedererstarkten Mercedes-Rennabteilung, Hawthorn zuhause besucht haben, um ihm einen Platz im Team anzubieten, worauf Hawthorn ihm zur Antwort gab "Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass ich mich an das Steuer einer dieser verdammten deutschen Maschinen setze - nach allem, was Sie uns im Krieg angetan haben?" - und anschließend aus dem Haus warf!
Normalerweise wäre das Verhandeln mit Fahrern die Aufgabe von Rennleiter Alfred Neubauer gewesen, was die Begegnung zwischen Uhlenhaut und Hawthorn in das Reich der Legende verweist.
Hawthorns hirnrissige Tat
Tatsache ist, dass 1955 Stirling Moss und Peter Collins für Mercedes fuhren, doch die Anekdote belegt anschaulich Hawthorns fanatischen Deutschenhass, der mit der Le-Mans-Katastrophe im Juni 1955 neue Nahrung erhielt.
Der Mercedes des Gast-Fahrers 'Pierre Levegh' wurde in die Haupttribüne geschleudert, nachdem Lance Macklin dem in die Boxenstraße einbiegenden Hawthorn ausweichen musste. Hawthorn hatte seinen Landsmann in einer sinnlosen Aktion noch unmittelbar vor dem Boxenstopp überholt und in Ausweichmanöver gezwungen, das eine schreckliche Kettenreaktion auslöste. Es war eine hirnrissige Tat von Hawthorn, die sich auch heute nur sehr schwer erklären und in Worte fassen lässt.
Hawthorns 'beichtete' im Schockzustand noch während des Rennens einem Rennfahrer-Kollegen seine heftige Selbstvorwürfe, gleichwohl war er anschließend kaltblütig genug das Rennen zu gewinnen! Nach dem Rückzug des Mercedes-Werksteams wurde er von der europäischen Presse mehr oder weniger direkt für die Katastrophe verantwortlich gemacht.
Saufen oder fahren?
1955 wurde auch in anderer Beziehung eine glücklose Saison: auf Vanwall, Jaguar und später einigen 'Aushilfs'-Rennen für Ferrari holte nicht einen Punkt! In Aintree soll er noch kurz vor dem Rennen so blau gewesen sein, dass er sein Auto nach wenigen Runden an Eugenio Castellotti übergeben musste - und es gehen Gerüchte dass das Wort Übergeben wörtlich gemeint ist!
1956 wurde es nicht beser - es folgten erfolglose Einsätze auf Maserati, Vanwall, BRM, dazu Sportwagenrennen für Jaguar.
Ab 1957 konnte er dann wieder für Ferrari fahren - aber es war nicht mehr der stahlende Mike Hawthorn früherer Jahre der da fuhr - so wurde sein WM-Sieg im folgenden Jahr (mit nur einem Sieg) auch eher ein Triumph der Beständigkeit über seinen inzwischen alles überstrahlenden Landsmann Stirling Moss. So paradox es klingt: Hawthorn war Weltmeister - doch der Superstar war Moss.
Der Tod seiner Teamkollegen Musso und Collins nahm ihn mehr mit als man annahm - am Ende des Jahres wollte er sich vom Rennsport zurückziehen und sich um die Garage seines Vaters kümmern. Es sollte nicht mehr dazu kommen. Kurz nach seinem WM-Triumph raste er auf einer Landstraße gegen einen Baum und verstarb - er hatte sich ein sinnloses privates Duell mit Rob Walker geliefert.
Kollege Roy Salvadori nannte später eine schockierende Erklärung für Mikes tödlichen Unfall auf der Landstraße: "Seine Aversion gegen alles Deutsche nahm immer mehr paranoide Formen an. Als Mike den weißen Mercedes von Rob Walker sah (aufgrund des Kennzeichens ROB2 wußte er sofort, wen er vor sich hatte), gingen ihm die Gäule durch. Wenn er wütend war, konnte er sich wie ein Hooligan aufführen. Er musste den Mercedes mit aller Gewalt überholen, er konnte einfach nicht anders."