Das Merzario-Thema hat mich auf die Idee gebracht, mal etwas über 'vergessene' GP-Piloten zu schreiben, die viele hier nur noch dem Namen nach kennen dürfte - oder wenn man mal in einer Statistik über sie stolpert. Hinter vielen verbirgt sich eine interessante Geschichte. Wenn interesse von eurer Seite besteht, einfach wünsche schreiben über welchen GP-Piloten ihr gerne mehr wissen möchtet - ich werde versuchen einiges dazu herauszufinden. Anfangen möchte ich mit einem meiner Favoriten: Masten Gregory:
(© Schlegelmilch)
Masten Gregory gewann die 24 Stunden von Le Mans, er fuhr 38 Formel 1-Grand Prix und hätte es zu seiner Zeit einen Oscar für den besten Nebendarsteller auf der internationalen Racing-Bühne gegeben, hätte man diese Auszeichnung ohne Zögern ihm verleihen müssen, den man 'Kansas Kid' nannte. Die dicke Hornbrille und sein schmächtiges Aussehen stigmatisieren ihn als Intelektuellen, aber notfalls ging er auch einer Keilerei nicht aus dem Weg. Masten Gregory war ein Rennfahrer der 'alten Schule'!
Er stammte (Spitz-Nomes est Omen) aus Kansas-City und Anfang der 50er Jahre entdeckten die Boys einen neuen Sport: Drag Racing. Man versammtelte sich nachts auf der Betonfläche eines stillgelegten Werkes zu den Beschleunigungs-Prüfungen. Masten Gregory fiel den Zuschauern mit einem blauen Allard J2X auf, in dem ein bis zum Zerbersten getunter Chrysler V8 Hemi-Head Treibsatz donnerte.
Beruf Sohn, pardon Rennfahrer...
Er kam aus gutem Haus, seine Eltern waren im Aufsichtsrat einer Versicherung. Masten heiratete mit 21 und verschaffte sich Zugang zu den Aktienpaketen seiner Mutter - seine Vater war bereits in frühen Jahren gestorben. Er hatte ausgesorgt, außer Rennfahrer hatte er nie einen anderen Job. Sein ebenso rennverssückter Bruder Riddell hingegen mußte seine Renn-Karriere nach zwei schweren Unfällen beenden - und dann eben einen Job am Schreibtisch machen.
Im November 1952 fuhr Masten in Texas sein erstes Rennen, 1953 gewann er mit seinem Allard ein letztes Rennen in Oklahoma, bevor er ihn gegen einen Jaguar XKC austauschte. Den XKC auf einem Anhänger, pilgerte er von Rennen zu Rennen durch die Staaten. In Floyd Bennett Field, Brooklyn, versenkte er den Jaguar in einen Teich. Während der Tank explodierte, ging das Auto brennend unter. Masten lief an die Box und kaufte auf der Stelle von einem Konkurrenten dessen C-Typ Jaguar.
Zusammen mit Carroll Shelby und Dale Duncan startete er 1954 beim ersten Sportwagen-WM-Lauf in Buenos Aires. Greogorys Jaguar überhitzte, daraufhin kaufte er sich das Siegerauto, einen brutal starken Ferrarl 375MM. Beim ersten Rennen in Pebble Beach chauffierte er den Ferrari gegen einen Baum. Inzwischen hatte unser 'Kansas Kid' beschlossen, nach Europa zu übersiedeln - und sich mit den GP-Assen zu messen. Amerika wurde ihm zu langweilig. Am Comer See mietete er eine Villa, in der auch der US-Rennfahrer John Fitch einzog. Zusammen mit dem Italiener Clemente Biondetti, einem viermaligen Mille Miglia-Sieger wurde er im 12 Stunden Rennen von Reims Vierter. Seine Resultate mit dem 4,5 Liter Ferrari waren beachtlich, in Aintree schlug er das Aston Martin-Werksteam. 1955 kaufte er sich einen neuen Ferrari-Monza. Am Nürburgring wurde er hinter den Werks-Mercedes 300 SLR von Fangio und Moss als Privatfahrer Dritter, Karl Kling im dritten 300 SLR wurde Vierter. Bei der Tourist Trophy bot ihm Huschke von Hanstein einen Porsche Spyder vom Werk an; mit Co-Pilot Carroll Shelby wurde er Klassensieger und Neunter im Gesamtklassement.
Ein Amerikaner in der Formel 1
1956 fuhr er in den USA, 1957 gewann er auf seinem Ferrari 29OMM den Sportwagen-WM Lauf in Buenos Aires. Als kurz darauf das Ferrari-Cockpit von Peter Collins frei wurde, kam Gregory in Buenos Aires zu seinem ersten Formel 1-Start, er wurde Siebenter im ersten Lauf und schied im zweiten aus. Auf dem unterlegenen Maserati 250F der Scuderia Centro Sud lebte er sein ganzes Draufgängertum aus, er wurde Vierter in Pau und Fünfter in Neapel. Beim Grand Prix von Monaco stellte er seine Weltklasse unter Beweis: Er wurde hinter Fangio (Maserati) und Tony Brooks (Vanwall) Dritter. Damit war er der erste Amerikaner, der in einem Formel 1-Grand Prix Punkte machte. Er war ein toller Allround-Rennfahrer, wie es kaum einen zweiten gab. Er suchte immer das Limit, so schlecht konnte ein Rennauto gar nicht sein.
Er fuhr den ersten Ferrarl Testa Rossa Prototyp am Nürburgring, er wurde auf Maserati Vierter in Monza, er überschlug sich 1957 mit einem Maserati 450S in Führung liegend beim Finale zur Sportwagen-WM in Venezuela, er wurde 1959 auf Cooper Dritter in Holland und Zweiter in Portugal. Er zeigte als dritter Mann im Cooper Team einige brillante Vorstellungen, namentlich an der AVUS, wo er lange führte - aber mal wieder kam ihm einer seiner spektakulären Unfälle dazwischen, als bei einem Sportwagenrennen in Goodwood die Lenkung seines Tojeiro-Jaguar brach, sprang er bei hohem Tempo aus dem Auto, bevor es an einem Erdwall zerschellte. Wäre er an Bord geblieben, wäre er tot gewesen. Beim Absprung kam er mit Rippenverletzungen davon. Aber die Saison war für ihn vroüber - und 1960 wurde ihm von Cooper trocken mitgeteilt dass man ihn als Fahrer nicht mehr benötigte.
Seine GP-Karriere ging also nun den Bach runter - aber einen Rennsportverrückten wie Masten irritierte das nur kurz - wenn er nur am Steuer eines Rennwagens saß! Er fuhr Porsche, Cooper-Maserati, Lotus-Climax, Lotus-BRM und Lola-Climax. 1965 bestritt er vier Grand Prix auf BRM, wieder für die Scuderia Centro Sud - die letzten seiner Karriere. Aber Masten war noch lange nicht am Ende...
Kein Bock auf Le Mans: "Jetzt fahren wir bis die Kiste auseinander bricht...!"
1965 in Le Mans - der Ferrari-Ford-Krieg ist auf dem Höhepunkt (und Ford hat massiven Appetit an einer Übernahme von Ferrari gefunden) - geschieht eines jener Wunder die im Motorsport immer wieder mal vorkommen. Daran beteiligt: Masten Gregory und Jochen Rindt in einem privaten Ferrari 275 LM des N.A.R.T. Rindt ist durch-und-durch-GP-Pilot, das Langstreckenfahren kotzt ihn an. Nach frühen technischen Problemen liegt man aussichtlos über eine Stunde zurück. Rindt will alles hinschmeißen, aber Gregory überredet ihn: "Wir fahren jetzt GP-Tempo, so schnell, bis die Kiste auseinanderbricht - dann kannst Du ja immer noch heimfahren!"
Rindt ist einverstanden, denn beide haben keine großen Hoffnungen mehr. Aber ihr Ferrari hält und hält und hält. Was man von der Konkurrenz nicht behaupten kann. Die überragend schnellen 7-Liter Ford fallen gleich reihenweise aus - der letzte bereits nach 6 Stunden. Die Getriebe und Kupplungen waren der harten Arbeit in Le Mans nicht gewachsen, die ihnen als Ausgleich für schlechte Bremsen (aha, wir reden hier von amerikanische Autos!) abverlangt wurden. Vier der fünf Cobras machten es kurz darauf den Ford nach, ohne schlüssige Beweise ihrer Kapazitäten erbracht zu haben. Und nun erwischt es auch einen Werks-Ferrari nach dem anderen. Um drei Uhr Nacht sind die Privaten unter sich!
Gewonnen hätten die beiden aber wohl trotzdem nicht, wenn nicht dem deutlich führenden - ebenfalls privaten von der Ecurie Francorchamps gemeldeten - Ferrari 275 LM von Pierre Dumay und 'Taf' Gosselin auf der Hunaudieres Gerade kurz vor Schluss ein Reifen geplatzt wäre. So aber kam Jochen Rindt zu einem Le Mans Sieg, auf den er eigentlich keinen Bock hatte.
Da es mit der GP-Karriere nun vorbei ist, entdeckt Masten seine Leidenschaft für Langstreckenrennen, wo er sich als guter & schneller Pilot erweist: zwischen 1966 und 1972 fuhr er Ford GT40, Ferrari P3, Porsche 910, Lola T70 und Alfa Romeo T33 - sein letztes 1972 in Le Mans am Steuer eines Ferrari 'Daytona' 365 GTB/4 - gemeinsam mit dem Sohn von N.A.R.T.-Chef Luigi Chinetti - Masten spielt praktisch 'Kindermädchen'. In Le Mans startete er übrigens rekordverdächte 16 mal - zumindest für die damalige Zeit eine ganz enorme Zahl.
Nach Ende seiner Karriere war er als Diamantenhändler in Amsterdam tätig. Das Rauchen (man sieht ihn ja fast auf keinem Foto ohne Zigarette) konnte er sich nie abgewöhnen - 1985 starb der Kettenraucher während eines Italienaufenthalts an einer Herzattacke. Er wurde 53 Jahre alt.