Berger, Alesi und der Lancia....
Jean Alesi und ich schlenderten zu den geparkten Direktionsfahrzeugen, um einen Wagen zu finden, mit dem wir die knapp tausend Meter vom Werksgelände hinüber zur Teststrecke Fiorano fahren konnten. Es gab nur Lancias und Fiats, und einer der Lancias stand offensichtlich für uns parat, der Schlüssel steckte.
Ein paar Autos daneben sah ich einen besonders hübschen Lancia Integrale, der gefiel uns irgendwie am besten aus der ganzen Reihe, und der Schlüssel steckte auch. Also nahmen wir den.
„Wer fährt?“
Alesi opferte sich und ich hatte das Gefühl, dass er das neue Jahr sehr ambitioniert beginnen könnte. Vielleicht würde er sein weltmeisterliches Können schon auf der Anfahrt nach Fiorano aufblitzen lassen. Jedenfalls stellte ich meinen Sitz auf die letzte Raste, wegen der Kraft der gestreckten Beine, und legte den Gurt an.
Wir hatten zuletzt zwar wenig Rennen gewonnen, aber wir sind ziemlich gut, wenn wir gemeinsam fahren, zum Beispiel: Alesi am Gas, Berger an der Handbremse.
Jean glühte wie ein Bescheuerter aus dem Haupttor und baute genügend Speed auf, um die erste Rechtskurve im Drift zu nehmen, wobei ich ihn an der Handbremse unterstützte. Er war absolut voll am Gas, und auch die mittlerweile voll gezogene Handbremse hinderte den Lancia nicht wirklich am Fortkommen. Ich liess die Bremse nach, er blieb mit vollem Hammer drauf, das Tor von Fiorano war offen, und wir schafften wieder einen Superdrift, der dank Handbremse geradezu perfekt wurde. Der Integrale schob elegantissimo über alle vier Räder hinaus.
Plötzlich kriegte ein einziges Vorderrad Grip und leitete die anmutigste Bewegung ein, deren ein Auto fähig ist: Seitlich übers Vorderrad.
Wir merkten es daran, dass wir in der Luft sassen, Jean noch mehr als ich, weil er nicht angeschnallt war. Der Wagen rollte gleichzeitig kopfüber und seitlich ab, wir konnten nichts tun ausser quietschen und blöd lachen. Dann prackte es den Integrale mit unheimlicher Wucht aufs Dach, verkehrt rutschte er mit vollem Zahn weiter und knallte in die Mauer. Es machte einen Riesentuscher. Alesi war völlig verdreht und hatte die Knie beim Fenster draussen, das Dach war praktisch flach, und unsere Nasen steckten zwischen den Sitzen, zehn Zentimeter Nase an Nase. Überall war Rauch und auslaufendes Öl, ich kriegte die Panik, dass wir gleich zu brennen anfangen würden. Wir hatten ja keine Chance, uns zu befreien, unsere Köpfe steckten im stockfinsteren Bereich zwischen Flachdach und Handbremse.
Dabei waren wir fast schon am Ziel gewesen. Wir waren den Mechanikern, die sich mit dem Aufwärmen unserer Formel-1-Autos beschäftigten, praktisch vor die Füsse gefallen. Sie zerrten uns an Händen und Füssen durch die schmal gewordenen Fensteröffnungen raus, rundherum dampfte es, alles grammelte und schmurgelte.
Die Show wurde noch besser, als der Krankenwagen angerast kam. Bei jedem Testtermin seit 25 Jahren steht ein Krankenwagen an der Strecke, immer mit zwei Ärzten, die seit 25 Jahren nichts zu tun hatten, weil selten wer abfliegt und die Auslaufzonen in Fiorano eigentlich ausreichend sind. Die Leute waren natürlich überglücklich, dass die endlich eine sinnvolle Beschäftigung hatten, und rannten um ihr Leben, um uns schnell zu bergen und in den Krankenwagen zu stopfen.
Ich sagte gleich, mir fehlt nix, denn ich hatte mir nur das Kreuz geprellt, aber bei Jean sahen sie eine Chance auf die grosse Operation, weil ihm Blut über den Kopf und die Beine rann und ihm irgendwelche Glassplitter im Knie steckten.
Alesi indes sagte, „ich hau hier lieber ab und fahr nach Haus“, und ob ich die ganze Renndistanz fahren könnte?
„Klar, Jean, kein Problem, ich setz gleich den Helm auf und nehm ihn nimmer runter, bis hier alles fertig ist.“
Die Mechaniker drehten den platten Integrale um, kehrten den ganzen Scherbenhaufen weg und schrubbten die diversen Öl- und Wasserlacken auf, dann schoben sie das Wrack zur Seite und deckten es ab.
Alesi war inzwischen abgehauen, ich spulte meine Runden im Formel 1 ab. Als ich das erste Mal zum Nachjustieren an die Box kam, bogen Montezemolo und Jean Todt um die Ecke.
Oje!
Ich wusste nicht, ob sie schon informiert waren.
Die Mechaniker werkten herum, Todt stand neben mir. Ich fragte ihn zaghaft:
„Did you hear it already?“
“What did I hear?”
“So you didn’t hear anything?”
Man muss bedenken, dass die Grammatik etwas vernachlässigt wird, wenn sich ein Franzose und ein Tiroler auf Englisch unterhalten:
„No, what you mean?“
„So you didn’t hear that the car falls over?“
“What do you mean: The car falls over?”
Ich sagte: “Yeah, the car falls over”, und Jean schaute angestrengt auf den Formel-1-Wagen, an dem noch immer die Mechaniker etwas einstellten.
Jean Todt: „Come on, tell me, what do you mean: The car falls over?”
Ich sagte ihm, dass Jean und ich mit einem Lancia herübergefahren waren – „and the car suddenly gets grip and rolls.“
„What do you mean: The car rolls?“
“Well, Jean and myself, we come here, maybe a bit quick, the car suddenly gets grip, and it falls over.”
Sagte Jean Todt: “Okay, Gerhard, I understand the car gets grip, but what means: falls over?”
“It lands on the roof.”
Jean schaute mich von oben bis unten an.
„Did you hurt yourself?“
„No.“
„And Jean?“
„Not really.“
„What means not really?“
„he just had some glass in the hand and went home, because he didn’t feel good.”
Jetzt kapierte er endlich den Vorfall und wurde wütend, weil er zwei Vollidioten von Fahrern hatte, die drauf und dran gewesen waren, sich zwei Wochen vor dem ersten Rennen der Saison im Doppelpack zu eliminieren. Er schimpfte und hielt mir eine Predigt. Er hätte uns gescheiter eingeschätzt und das ganze Zeug, dass ein Vater halt seinem dummen Buben erzählt. Ich schaute möglichst verknirscht.
Auf einmal sagte er:
„And where ist he car?“
Ich deutete um die Ecke, er ging hin und sah die Abdeckung für eine niedrigen Klumpen Metall. Er hob die Abdeckung und kriegte einen wirklich bedauerlichen Anfall.
So begriff ich, dass es sich um Jean Todts eigenes Auto handelte. Das tat mir natürlich schrecklich leid, aber bevor ich ihm das erklären konnte, musste ich schnell den Helm aufsetzen und den Rest der Renndistanz fahren.
Dann hatten alle die grösste Angst, dass die Journalisten davon erfahren und die ganze Firma zur Schnecke machen würden, aber es war einer der ganz raren Fälle, wo im Hause Ferrari alle dichthielten.
Diese Story habe ich gestern im Internet gefunden.
Die Geschichte ist wahrscheinlich aus:
Gerhard Berger - Zielgerade - Ed. Autorevue