torino hat geschrieben:
Ja, das wäre sicher noch aufschlussreich. Stewart brauchte ja fast eine Ewigkeit, um mit Clark mal richtig ins Gespräch zu kommen.
Ich habe Clark zwar nie live fahren gesehen, aber im Auto wirkte er doch immer irgendwie entspannt, oder habe ich "falsche" Bilder von ihm im Kopf
Hier der entscheidende Abschnitt in Peter Fullers Betrachtung über Jim Clark - passt genau zu Deiner Bemerkung, man mag es eigentlich kaum glauben, was er so schreibt:
Nehmen wir, zum Beispiel, Jim Clark, der gewiß einer der Besten, wenn nicht sogar der Beste aller Zeiten war. Wenn er fuhr, war er der entschlossenste Mann der Welt - er tat genau das, was er wollte, mit der Präzision dessen, der genau weiß, was er tut, und mit einer Sicherheit, die nahezu vollkommen war - jedenfalls gab es kaum einer Fahrer der Vollkommenheit näher kam als er. In einem Gespräch mit Jackie Stewart - kurz nach dem Tod Clarks - erzählte der Schotte über die Charaktereigenschaften seines Landsmanns:
'Eine gute Entscheidung war es, 1965 zu BRM zu gehen. Ich wurde damals von Colin Chapman umworben, und es wäre für mich ein verführerischer Gedanke gewesen, dort mit Jim Clark zu fahren, meinem schottischen Landsmann, den ich enorm verehrte und mit dem ich in Mayfair zusammen ein Zimmer gehabt hatte. Vor seinem Talent hatte ich große Ehrfurcht, aber hätte ich von ihm profitiert? Das war mir nicht klar.
Ich hätte also zu Lotus gehen können und entschied mich dennoch für BRM, weil es ein gutes Team war, und ich wußte, ich würde eine Mannschaft brauchen, die mich nicht gleich allzu hart unter Druck setzte. Als Nummer eins hatte man dort Graham Hill, und jeder, der als Nummer zwei einstieg, würde auch das und nichts anderes sein. Einerlei, ich vermutete in Graham Hill kein ganz so überragendes Talent wie in Jim Clark, was das fahrerische Können anbelangte, doch eine ähnlich große Entschlossenheit und ein großes Maß an Erfahrungswissen und Information; Dinge, von denen ich hoffte, eine Menge lernen zu können. Seltsamerweise glaubte ich nicht, in der Weise von Clark profitieren zu können, weil dessen Naturbegabung so überwog, er wusste selber nicht, warum ihm alles so gut und so leicht gelang. Hätte er mehr darüber nachgedacht und alles genau analysiert, dann hätte auch ich von ihm gewiß mehr lernen können.
Vermutlich war es bis zu einem hohen Grad sogar Colin Chapman, der ihn nicht zum Nachdenken kommen ließ. Colin hat auf Jims Leben einen derart starken Einfluß, war so sehr Teilhaber an seinem Erfolg, dass er alles tat, was Colin sagte. Und ich glaube, erst ganz spät in seiner so kurzen Fahrerlaufbahn - schon 1968 sollte Jim am Hockenheimring verunglücken - muss er einige Löcher in Chapmans Konzeption gesehen und sich ungeschickt haben, eigene wichtige Entscheidungen darüber zu treffen, wie er die Dinge haben wollte. Doch lange Zeit ließ er sich - und das mit großem Erfolg, wie man weiß - von Chapmann willig dirigieren.
OhneChapman und vor allem ohne seinen Wagen war Jim der unsicherste Menschen, den ich je gekannt habe. Die Zahl der Restaurants, die wir nicht besuchten, weil er sich nicht entschließen konnte, entzieht sich jeder Berechnung. Desgleichen die Zahl der Kinos, die wir, durch ganz London fahrend, der Reihe nach abklapperten, damit Jim sich entscheiden konnte, welchen Film er sehen wollte; wir stiegen endlos in Taxis ein und aus, und dann hatte die verdammte Vorstellung meistens schon begonnen, und die Kasse war geschlossen und der Abend auf die sinnloseste Weise verdorben! Es war grausam. Es war gerade so, als wäre er völlig verloren, als wäre er manchmal ein Kind.
Er hatte nicht einen heilen Fingernagel. Er biß sie alle ab, kaute sie ab bis auf die Haut des ersten Fingergliedes. Als er Weltmeister geworden war, fiel es ihm schwer, Reden zu halten, ja auch nur in der Öffentlichkeit aufzutreten, denn er geriet in peinliche Verlegenheit, wenn er nicht gut sprach. Er wußte das und war unglücklich darüber.
Einmal, als wir beide aus Kalifornien zurückflogen, damals, als Helen gerade Paul geboren hatte und Jims Vater ebenfalls mit einem schwer Leiden im Krankenhaus lag, wollte ich alles richtig organisieren und sichergehen, dass unsere Anschlüsse klappten. Ich sagte es Jim, aber er war entschieden dagegen. Er verbot mir, einen VIP-Service für uns in Anspruch zu nehmen. 'Nein, nein', sagte er, 'das macht nur allen eine Menge Umstände'. Ich versuchte ihm zu erklären, daß uns die Fluggesellschaft mit Freuden aufnehmen würde, aber er wollte nichts davon wissen, er wollte niemandem Ungelegenheiten bereiten.
Aber wenn ich ihn in seinem Wagen beobachtete, war er völlig entspannt, aggressiv und geschmeidig zugleich auf eine phantastische Weise. Es war so, als wäre das Rennen eine Kur für seine Neurose, etwas, was ihm aus sich selbst heraushalf und ihm eine große Befreiung verschaffte. Es war sein einziges wahres Element, die einzige Straße in seinem Leben, auf der er alles in der Hand hatte und auf der alles zusammenkam, um das zu bilden, was ich nur die Fähigkeit oder die Gewißheit der absoluten Beherrschung nennen kann. Der Unterschied war unglaublich: Jim in einem Wagen und Jim unter anderen Menschen, und das Beklagenswerte war, dass er ganz zuletzt, '67 und '68, gerade anfing, sich unter Medikamenteneinfluss so weit zusammenzunehmen, dass er sich auch in der Öffentlichkeit hätte wohl fühlen können. Aber dazu sollte es dann nicht mehr kommen...'
Unbewußte Ambivalenz gegenüber elterlichen Introjekten manifestiert sich im Bewußtsein oft durch solche chronische Zweifelsucht und Unentschlossenheit - als Ergebnis des Versuchs, die gegensätzlichen Impulse der Liebe und des Hasses auszugleichen. Bezeichnenderweise machte Clarks Aggression fern der Rennbahn eine Umkehrung durch und trat in Erscheinung als neurotische Schüchternheit und Hintanstellung der eigenen Person - in der obigen Beschreibung interessanterweise auf die schwere Krankheit seines Vaters bezogen. Eine Zeitlang verschaffte ihm der Rennsport Erleichterung, weil er eine Situation herstellte, in der er 'alles in der Hand hatte und alles zusammenkam, um die Fähigkeit oder Gewißheit der absoluten Beherrschung zu bilden'.
Meiner Ansicht nach war sein Fahrstil aber auch nicht frei von den Auswirkungen seiner unbewußten Ambivalenz. Anfangs siegte er und wurde einer der größten Champions des Grand Prix, und das befriedigte die eine Gruppe der verdrängten Impulse gegenüber dem Vater. Dann aber, vielleicht aufgrund von Schuldgefühlen wegen dessen Krankheit, verlor Clark 'die Herrschaft über seinen Wagen' und führte damit seinen eigenen Tod herbei. Anstatt zu versuchen, im Rennsport beide Seiten seiner Ambivalenz gleichzeitig gegeneinander abzuwägen, befriedigte er sie nacheinander.