So, das war jetzt aber eine Sau-Arbeit (vor allem bei der Hitze) - jetzt geh' ich Eise essen...
Der Bericht stammt aus der Sport Auto 8/77, als er gerade bei ATS eingestiegen war. Er ist meiner Meinung nach SEHR gut, aber wohl nicht von einem Jarier-Fan geschrieben - für den Autor ist Jarier offenbar nur schlampig, kein Genie. Und wenn man das so liest erklärt das auch (a) seinen chaotischen Lebenswandel (b) warum er nie großen Erfolg hatte. Ein paar Bilder aus meinem Archiv habe ich dazu gestellt.
Jarier und sein Mentor Marcel Arnold - der Eindruck täuscht - Jarier brachte Arnold nur selten ins Schwitzen. Leider musste er aus finanziellen Gründen sein Engagement im Rennsport (und die Unterstützung Jariers) 1973 aufgeben - irgendwie war Jarier danach nie mehr der Alte.
Jean-Pierre Jarier heißt der Ausländer bei ATS, und den meisten ist er sowenig bekannt, dass wir ihn vorstellen wollen.
In einer kaum sonderlich fair zu nennenden Blitzaktion hatte Hans Stuck ATS verlassen. Damit starb für Teamchef Günter Schmid die herrliche, reklameträchtige Idee des deutschen Fahrers im deutschen Team. Long Beach stand vor der Tür, man brauchte einen Fahrer. In Deutschland schien es für Schmid keinen Piloten zu geben, da Ertl einerseits kein Deutscher und andererseits bei Hesketh engagiert war, und Stommelen, nun ja, zwischen Stommelen und dem ATS-Schmid gab's halt keine 'Good Vibrations'.
So klingelte denn eines Tages bei sport-auto das Telefon, Schmid wollte Kommentare zu den Fahrern hören, die möglicherweise zu haben waren. Am Anfang hießen die Ickx - der sich trotz einiger Verhandlungen dann nicht recht entscheiden mochte - und Schuppan - der immerhin schon zweimal in Long Beach gefahren und überdies auch finanziell erschwinglich war.
Für Feuerköpfe, das muß ich gestehen, hielt ich beide nicht, auch nicht den guten Jean-Pierre Jarier, der schlußendlich im Team landete. Und dabei bleibe ich auch heute noch: Der Franzose geht mehr seitlich oder rückwärts als nach vorne! Da er das aber mit schwarzhaarigem, fast immer sensibel lächelndem Charme tut, stört man sich an seiner Art des Sich-Bewegens nicht sonderlich. Daran stoßen könnte sich auch nur einer, der Vorwärtskommen als Ziel jeden Bewegens sieht.
Bewußt erlebt habe ich Jarier zum erstenmal in Amerika, 1972 bei den Marken-WM- und Can-Am-Rennen in Watkins Glen. Da gewann ein mir damals recht unbekannter Franzose am Samstag zusammen mit Greg Young das GT-Klassement auf einem Chinetti-Ferrari. Das wäre vielleicht zu vergessen gewesen, hätte ich nicht den gleichen Franzosen namens Jarier am nächsten Tag im Cockpit eines Can-Am gesehen, der allgemein als unfahrbar galt. Sam Posey hatte diesen Ferrari 712F nach wenigen Proberunden bereits mit leidenschaftsloser Ablehnung an den Chinetti-Boxen abgeliefert, da er nicht einmal auf den Geraden wagte, Vollgas zu geben. Jarier ließ dem Ferrari härtere Federn montieren, setzte ihn höher und wäre 3. geworden, wenn ihn ein Plattfuß nicht zurückgeworfen hätte. Jarier wirkte so, als hätte er seinen Weg gemacht.
Sein Vater war eine Naturgewalt, unter deren Einfluß seine Mutter und er standen. Als Jarier neun Jahre alt war, verschwand der Vater und überließ die Restfamilie ihrem Schicksal, sprich einem Café mit ein paar Zimmern in Paris' 11. Arrondissement, in der Nähe der Porte de la Villette. Man schlug sich durch, Jean-Pierre immer vom Rennfahren angezogen: "Ich wußte immer schon, dass ich nichts anderes machen wollte."
Jarier gehört nicht zu denen, die die Technik von Rennwagen reizt, er hetzt auch nicht hinter Ruhm und Schmeichelei her, die es in dieser Branche reich zu ernten gibt, er ist auch nicht Masochist, der es genießt, furchtbare Angstmomente in einem Auto zu erleben. Am ehesten reizt ihn der unzweifelhafte Eros, der von einem Rennwagen ausgeht, vielleicht auch das Geld, das sich bei vollem Einsatz verdienen läßt. Doch bis dahin hatte er noch einen langen Weg vor sich.
Auf einer 650 BSA sammelte Jarier erste Motorraderfahrungen. Dann konnte er die Mutter überzeugen, den Familienwagen gegen einen R8 Gordini zu tauschen. Das war 1967, das Jahr, in dem Jarier die Angebote der nettesten Mädchen ausschlug, wenn es die andere Möglichkeit gab, bei Vollmond mit dem Gordini über Landstraßen zu driften. Zu der Zeit war er Student, in Paris, offenbar aber ziellos, denn heute erzählt er von Jura-Studium, wo er unlängst noch von Betriebswirtschaft oder Politik berichtete. Man muss das aber verstehen, denn in der Studienzeit schon fuhr er erste Rennen mit dem Gordini, seine Freunde waren seine Mechaniker. Das Examen - irgendeines offenbar - 1968 verpasste er, weil es in La Châtre ein Rennen gab. Als dann die Revolution der Studenten an der Sorbonne ausbrach, kam sie Jean-Pierre nur zu recht: "Ich wollte Rennen fahren, aber nicht unbedingt Rennfahrer werden" - das war sein etwas widersprüchlicher Leitspruch aus dieser Zeit...
Das erste 'professionelle' Jahr des Jean-Pierre Jarier war 1968 - da fuhr er einen Renault R8 Gordini - hier eine Aufnahme vom Coupe Gordini in Magny Cours.
Auch bei den Monoposti versuchte er sich im selben Jahr - genauer gesagt in der Formel France. Hier eine Aufnahme aus Montlhéry.
Er gammelt herum, lungert in den Rennfahrerkneipen, träumt von einem Jaguar XK140. Er lernt Beltoise kennen, der stellt ihn dem Möbelindustriellen Marcel Arnold vor.
Für die Saison 1969 leiht der Jarier dann einen Formel 3. Damit beginnt das, was Jarier im Rückblick als die "schönste Zeit" bezeichnet: Er findet seinen Kumpan "Pom", der aus besserem Hause als Jarier stammt und bereit ist, nicht nur unentgeltlich als Mechaniker zu arbeiten, sondern auch benötigte Ersatzteile - wie Kupplungen, Bremsbeläge etc. - aus eigener Tasche zu bezahlen. Man schafft einen alten Citroen-Kombi an, einen Hänger dazu, zieht quer durch Europa - und Shell bezahlt das Benzin. Die beiden schlafen im Auto, sind auf jedem Dorffest und verschmähen keine Einladung, sie leben wie die Götter in Frankreich.
Automobilistisch bleibt die Ausbeute der Saison eher bescheiden - außer schnellen Trainingszeiten und ab und zu einer guten Rundenzeit scheitern die Bemühungen der beiden an so simplen Dingen wie zu alten, oft gefahrenen Reifen, schwachen Motoren. Kurz: An eigentlich allem, was nur mit Geld zu erwerben ist.
Jarier bekommt anschließend einen Vertrag als Redakteur einer Motorsportzeitung, sieht aber sein Büro nie, denn Arnold hat für 1970 einen Transporter, zwei Tecno-Formel-3-Wagen, drei Novamotoren und einen Mechaniker aufgeboten. "Da waren wir auf einmal ein richtiges Team, und dank einiger Erfolge fing ich an, erste Preisgelder zu kassieren, von denen ich dann sogar leben konnte - wie ein Hund." Jariers Mechaniker arbeitete immer noch für nichts, sein Teamgefährte hieß damals Etienne Vigoureux, der "Zylinder", weil er so rund war wie hoch!
1970 fährt Jarier F3 mit seinem Kumpel Marcel Arnold - und erste Erfolge stellen sich ein - hier in Monaco wird er mit dem Tecno 3.
In diesem ersten, ernsten Jahr fällt Jarier dadurch auf, dass er um Pole-Positions für die Startaufstellungen kämpft, um gute Zeiten, aber dass er die Kampftätigkeit einstellt, sobald es um nicht mehr als einen 16. oder 18. Platz geht. Diese Einstellung soll ihm erhalten bleiben. Bis heute ist sie meiner Meinung nach eins seiner Handikaps: Er hat nur Biß, wenn vordere Plätze in Sicht sind.
Der nächste logische Schritt nach oben heisst Formel 2 - weiter unterstützt von Marcel Arnold. Hier mit dem attraktiven, pfeilförmigen March in Albi 1971 - er wurde 3.
1971 löst Arnold seine Formel-3-Truppe auf. Ein Einstieg in die Formel 2 ist ihm zu teuer, aber er rückt einiges Geld raus, um Jean-Pierre Jarier und Jaussaud bei March unterzubringen. Jarier ist weiterhin der Zigeuner, der nie weiß, von was er am nächsten Tag leben soll. Dennoch hat er große Pläne - er möchte nun endlich in die Formel 1. Er trifft Hubert Hahne, bittet den, ihm seinen March 701 ohne Leihgebühr auszuborgen. Hahne (der mit dem Auto sowieso nicht zurecht kommt) hat nichts dagegen, Jarier kommt mit seinem Hänger und schleppt den 701 ab, nach Oulton Park/England, zu einem F1-Rennen ohne Prädikat. Ohne Mechaniker fährt er Training und Rennen, wird 3., bekommt 500,- Pfund, von denen aber 350,- gleich als Schuldenbezahlung vergangener Sünden einbehalten werden.
Jariers erstes F1 Rennen war eine zweitklassige Veranstaltung in Oulton Park 1971 - er schwatzte Hubert Hahne für diesen Einsatz dessen alten March 701 ab. Jarier fährt noch mit dem Helm, dessen Design Jacky Ickx nachempfunden ist. Sein kurz darauf gewähltes Design war aber auch nicht origineller...
Arm wie zuvor, macht sich Jean-Pierre mit Hahnes Auto im Schlepp auf zum Grand Prix Italien nach Monza. Wie durch ein Wunder wird er dort 11., sieht aber nie einen Pfennig vom Preisgeld, da das irrtümlicherweise zu March nach England geschickt wird (und dort Geld herauszuholen, ist eine anerkannt schwere Aufgabe)!
Jarier lebt weiter unbekümmert - er hat das Gefühl, als würde Marcel Arnold alles für ihn richten, besonders, als ihm sein Gönner aus lauter Freundschaft einen schicken Ferrari schenkt. Die Sorglosigkeit weicht schrecklichem Erwachen, als Arnold für 1972 nichts mehr für den Motorsport tun kann - aus Geldmangel. Jarier ist verzweifelt: Er hat 35.000,- Mark Schulden, eine abgebrochene Universitätslaufbahn, sonst nichts.
...oder doch; einen lächerlichen Formel-3-Vertrag, bei dem er 250,- DM pro Rennen verdient, und einen R 4 als Privatauto.
Dann spielt der Zufall gut für ihn: Réné Bonnet schlägt Luigi Chinetti vor, Jarier in Le Mans einen 365 GTB fahren zu lassen. Jean-Pierre dreht sich nicht ein einziges Mal, darf nach Watkins Glen, darf Can-Am fahren, wird sogar 4. in Elkhart Lake. Auf dem Kontinent gelingen ihm gute Rennen in einem F3-March. Dann schlug ihm Robin Herd vor, anstelle von Jochen Mass den Werks-March F3 für einige Rennen zu fahren.
Den Winter 72/73 verbringt der Franzose in England - als Testfahrer für March. In diesen Monaten gehen alle March-Modelle durch seine Hände: Formel 1 und 3-Liter-Sportwagen, Formel 3 und Atlantic-Autos. Er legt gute Zeiten vor, beginnt, seine Schulden in Frankreich zu bezahlen und bekommt für die '73er Saison einen Formel-2-March mit einem der neuen BMW-Motoren. Dank dieser Treibsätze, die ab dieser Saison '73 die Überlegenheit der englischen Ford-Triebwerke knackten, wurde Jarier Formel-2-Europameister, ein strahlender dazu, und er begann, viel Geld zu verdienen.
Zuerst kaufte er sich ein Segelboot - verschacherte es aber wieder. Dann kam ein einmotoriger Flieger an die Reihe, der in kaum späterer Zeit einer teuren Zweimotorigen wich. Jean-Pierre machte alle Flugscheine samt Blindfluglizenz, Jean-Pierre schwamm oben.
Das Ende mit March 1973 war (trotz F2-EM Titel) wenig erfreulich - man setzte Jarier nur noch sporadisch ein - er kam einfach nicht mit Max Mosley aus. Hier eine Aufnahme vom Österreichring - die STP Sticker waren bereits vom Auto verschwunden - trotzdem (meiner Meinung nach) ein sehr schöner F1.
Allerdings: Nicht in der Formel 1, wohin er eigentlich gewollt hatte. Mit Mosley von March verstand er sich so wenig, dass der ihn aus dem Werksauto suspendierte, als Roger Williamson mit Geld von Tom Wheatcroft auftauchte - bereits vorher hatte ihn einmal sein Landsmann Pescarolo ersetzt.
Jarier erhält ein Angebot von Ferrari - doch Mosley hält ihn (manche sagen aus purer Häme) in seinem Vertrag. Jarier kann Le Mans für Matra fahren, bekommt für 1974 eine Shadow-Verpflichtung und brilliert in Training und Rennen in Südamerika (als man von Ford Versuchsmotoren bekam).
In jenem Jahr kommt Jarier - außer mit seinen Finanzen - nicht weiter, im nächsten Jahr wird es noch schlechter. Am Jahresende beschließt er, zu Ligier zu gehen, aber Don Nichols kann ihn überreden, bei Shadow zu bleiben, obwohl ihr Konstrukteur Tony Southgate schon bei Lotus unterschrieben hat. Bei Shadow geht es deutlich abwärts, persönlich gehts bei Jarier aufwärts: Er verbessert seine gesellschaftliche Stellung durch, Heirat mit Caroline Rattier, der Tochter des Air-France-Präsidenten, und fliegt ab dieser Zeit nur mehr als VIP.
Ganz möchte er aber seinen Stil, das zigeunerhafte Herumziehen, nicht ändern. Er bleibt sich trotz Eheschließung treu, überläßt seiner Frau das Haus an der Marne und treibt sich weiterhin herum. Die Lust an der Rennerei hat er 1976 verloren, so sagt er, da ihm nicht einmal mehr die Hoffnung blieb, ein Rennen zu gewinnen. Er wollte nichts mehr mit den Rennwagen zu tun haben, vergrub sich mit Hunden und einem Motorrad in der Bretagne. Ihm war klar, dass er für '77 nur in einem guten Team unterschreiben würde, aber er suchte nicht. Jarier unterzeichnete für Sportwagenrennen bei Alfa-Romeo, fuhr ab und zu Alpine-Prototypen in Tests. Dann kam der Anruf von Günter Schmid, die Reise nach Long Beach.