Es ist soweit - ich blicke in meinem Archiv nicht mehr durch. Ich habe bestimmt fünfmal gestern (und auch heute früh) meinen Bücherhaufen durchwühl - und ich finde mein Fangio-Buch nicht mehr!!! Wenigstens habe ich einen (vielleicht noch lesenswerteren) Artikel von Huschke von Hanstein in seiner Biografie gefunden zum Thema Fangio, welches er offenbar aus erster Hand erlebte:
Der »Große Preis von Havanna« war keineswegs ein großes, international beachtetes Rennen. Die Firma Porsche, vertreten durch Huschke von Hanstein, einen Mechaniker und einen Werkswagen, war jedoch ausdrücklich von Kubas Diktator Fulgencio Batista eingeladen worden. Reisekosten, Benzin und andere Unkosten sollten übernommen werden. Auch einige andere Rennfahrer wie die Weltklasse-Piloten Nello Ugolini und Stirling Moss, Herrenfahrer Porfiro Rubirosa und der südamerikanische Superstar Juan-Manuel Fangio hatten zugesagt. Die Strecke entlang der Küste sei grauenhaft gewesen, berichtete der deutsche Rennbaron später der Presse, und sicher habe sich auch keiner von ihnen gefühlt: »Batista hatte einige Leibwächter für uns abgestellt, denn er fürchtete Aktionen von Rebellenchef Fidel Castro.« Die 45 Rennfahrer hatten den ganzen Samstag über trainiert. Der fünffache Weltmeister aus Argentinien nahm die Sache sehr ernst, die Probleme mit dem Motor seines 4,5-Liter-Maserati machten ihm Sorgen.
Einen Tag zuvor, am 2. Februar 1958, hatte ihn der Diktator als sicheren Favoriten dieses Rennens empfangen. Doch am Rennsonntag war Fangio nicht am Start: »verhindert durch höhere Gewalt«, wie es offiziell hieß. Tatsächlich hatten sich die Fahrer am Vortag im Hotel Lincoln in Havanna zusammengefunden und waren dort von drei bewaffneten Rebellen überrascht worden. Seit 1953 versuchte der junge Rechtsanwalt Castro mit immer neuen spektakulären Aktionen, die Position von General Batista zu erschüttern. Aber der Umsturz sollte ihm erst 1959 gelingen. Ziel der Revolutionäre in jenem Februar 1958 war, die Absetzung des Grand Prix zu erzwingen und so den Diktator vor der Welt zu blamieren. Fangio, der mit Hanstein, Ugolini und dem Mechaniker Guarino Herlochi in der Hotellobby saß, mußte pausenlos Autogramme geben und war sichtlich genervt. Er glaubte an einen schlechten Scherz, als ihn ein Kubaner plötzlich auf spanisch aufforderte mitzukommen und mit der Pistole herumfuchtelte. Ein anderes Mitglied der eher unbedarften Rebellengruppe hatte zuvor herausgefunden, welcher der Herren nun eigentlich der gesuchte Argentinier sei, indem er jeden - auch Huschke von Hanstein - fragte: »Verzeihung, sind Sie Fangio?« Widerstandslos ließ sich Fangio aus der Halle führen und in einen amerikanischen Straßenkreuzer verfrachten, der mit quietschenden Reifen davonraste.
Unter den Teppich kehren ließ sich dieser Vorfall nicht; die Zeitungen waren anderntags voll von dieser Entführung. Schuld daran war der sofortige Bericht, den Huschke an seine Sekretärin Erna Pienkos telefonierte. Sie gab ihn sofort an die Deutsche Presseagentur und andere Agenturen weiter. Wenig später ließ die kubanische Post die Leitungen ins Ausland abschalten, aber da hatte die Meldung bereits alle Redaktionen der Welt erreicht, und ganze Heerscharen von amerikanischen Reportern tauchten noch in der fraglichen Nacht in Havanna auf. Vermutlich rettete das öffentliche Interesse dem 46-jährigen Fangio das Leben, denn das Rennen fand trotz aller Drohungen statt. Zwei Bomben waren unter den Tribünen versteckt, wurden aber rechtzeitig gefunden. Die beiden Porsche-Privatfahrer Mieres und von Doery hielten die Führung in der 1,5-Liter-Klasse, als das Rennen abgebrochen wurde, weil vier vorwitzige Zuschauer an der nicht abgesperrten Strecke zu Tode kamen. Stirling Moss wurde der Gesamtsieg zuerkannt. Fangio war derweil in Gefangenschaft und zermartete sich den Kopf, wie die Mechaniker sich mit der mißlichen Situation abfinden würden: Schließlich hatten sie noch mühsam einen neuen Motor in den Maserati eingebaut...
Viermal fuhren die Rebellen juan Manuel Fangio in immer neue Quartiere; während der Fahrt mußte er sich auf den Boden des Autos hocken. Am Abend des Renntags setzten ihn die Kidnapper am Stadtrand von Havanna ab und riefen im Hotel Lincoln an: »Sie können Fangio abholen.« Unbeschadet kam er kurz vor Mitternacht zurück. Anderntags erhielten Fangio und die argentinische Botschaft Entschuldigungsschreiben der Castro-Leute. Huschke kam zwei Jahre später nochmals auf die karibische Insel und notierte enttäuscht: »Überall in den Luxushotels lümmelten langhaarige, bewaffnete jungen mit ihren Freudinnen herum. Nein, das war nicht mehr meine Welt.«