Rubens Barrichello
Lange Zeit war er Teamkollege des Rekordchampions – und selbst ist er Rekordfahrer: 322 GP-Rennen, so oft wie Rubens Barrichello stand kein anderer Fahrer am Start eines F1-Rennens. Aber gerade die Zeit neben Rekordweltmeister Michael Schumacher war im Nachhinein zwar die erfolgreichste in Barrichellos Karriere, aber auch die schwerste. Das symbolische Rennen, das wohl die gesamte Ferrari-Ära Barrichellos auf den Punkt bringt, war der Österreich GP 2002 und die Worte von Ferrari-Rennleiter Jean Todt (heute Präsident der FIA): „Let Michael pass for the championship“ – Lass Michael in Hinblick auf die WM vorbei). Barrichello musste ein sauber herausgefahrenes Rennen verlieren, an den Teamkollegen Schumacher, der sowieso alles in Grund und Boden fuhr und Sieg um Sieg einfuhr. Barrichello war die Nummer zwei bei Ferrari, der Wasserträger – oder wie Rubens sich selbst bezeichnete: Die Nummer 1b.
Natürlich hatte Barrichello auch nicht die fahrerische Qualität eines Schumachers. Aber er hatte auch nicht dieselben Chancen wie der Deutsche. Was noch bitterer ist: Auch 2009 stand er wieder im Schatten seines Teamkollegen, dieses Mal Jenson Button. Wieder hatte Barrichello einen Rennwagen, mit dem man Weltmeister werden konnte: Den Brawn Mercedes. Aber Button machte das Märchen wahr und wurde Weltmeister, Barrichello holte immerhin noch mal zwei GP-Siege (in Valencia und Monza). Dabei war Barrichello in den gemeinsamen Jahren bei Honda auf einem Niveau mit Button, 2008 sogar schneller: Er holte damals im Regen von Silverstone den dritten Platz, Button sammelte null Punkte. Es war der Tiefpunkt von Hondas F1-Karriere, es folgte der Ausstieg des japanischen Herstellers, die Last-Minute-Übernahme des Rennstalls durch Honda-Teamchef Ross Brawn – und dann eben der WM-Titel. Barrichello war für den Titelgewinn wichtig: Oft fuhr Barrichello das entscheidende Setup für Button heraus. Button startete mit Seriensiegen in die Saison, aber als der Brawn Mercedes an Dominant verlor, wurde Barrichello wieder stärker als Button.
Immerhin hat Barrichello noch mal zwei Rennen gewinnen können mit Brawn. Fast wäre ja seine Karriere nach dem Honda-Aus 2008 beendet gewesen. So gab es auch noch eine Draufgabe: 2010 und 2011 fuhr er sogar noch weitere zwei Jahre für Williams. Das Team von Frank Williams hatte aber nicht mehr die Klasse wie in den 90er Jahren, als der heute 40-jährige Barrichello aber auch schon auf dem Wunschzettel von Williams stand. So war Barrichello einer der Nachfolger für Ayrton Senna nach dessen tödlichen Unfall in Imola 1994.
Imola 1994 – es ist bis heute ein schwarzes Kapitel in der Laufbahn von Barrichello. Mit seinem spektakulären Überschlag im Training und den daraus folgenden Gesichtsverletzungen, nahm das schwarze Wochenende seinen Lauf. Dann starb am Samstag Roland Ratzenberger – und am Sonntag Ayrton Senna. Senna war nicht nur brasilianischer Landsmann von Barrichello, sondern vor allem dessen Held. Barrichello wäre bei Williams legitimer Nachfolger von Senna gewesen, aber Eddie Jordan forderte eine zu hohe Ablösesumme. Das Jordan-Team war klamm und Barrichello bekam 1993 das Cockpit ohnehin nur, weil die Nahrungskette Arisco zwei Millionen Dollar für Barrichello auf den Tisch legte.
Dabei hatte sich Barrichello zuvor schon beweisen: Mit neun Jahren stieg er im Kartsport ein. Der Weg dorthin war kein Zufall: Barrichello wuchs in São Paulo in unmittelbarer Nähe der F1-Piste auf. Sein Onkel mütterlichererseits, Darcío dos Santos, war außerdem ein Ex-Rennfahrer – und heutiger Teambesitzer. Sein Rennstall war unter anderem in der südamerikanischen Formel-3 erfolgreich. Er war es auch, der Barrichello sein erstes Kart schenkte. Aber auch die beiden Onkel väterlicherseits, Sergio und Carlos Barrichello, unterstützten klein Rubens auf den ersten Metern.
1990 fuhr Barrichello in der südamerikanischen Formel-3, vor allem aber auch seine ersten Rennen in Europa. Mit dem heutigen WSbR-Team Draco gewann er die Formel-Opel-Lotus. Seine Titeljagd ging 1991 weiter: Meister in einer hart umkämpften britischen F3-Meisterschaft für das West-Surrey-Racing-Team. Sein Vorgänger war dort Mika Häkkinen – auch er wurde ein Jahr zuvor Meister dieser Serie. Auch 1992 war Barrichello anfangs auf Titelkurs, dieses Mal schon im F1-Vorzimmer, der GP2-Vorgängerserie Formel-3000. Zur Mitte der Saison wechselte sein Barone-Rampante-Team aber die Motoren: Von Judd auf Cosworth. Teambesitzer Giuseppe Cipriani, derzeit mit seinem eigenen Ibiza-Team in der Auto-GP unterwegs, wollte als Benetton-Junior-Team in die Formel-1 einsteigen, der Wechsel auf Cosworth-Triebwerke hatte also vor allem politische Hintergründe. Barrichello wurde am Ende Gesamt-Dritter.
Und dann war Barrichello in der Formel-1. Und setzte auch dort sofort Ausrufezeichen, wie beim Regenrennen in Donington, als er mit seinem Jordan Hart auf dem Weg zum Siegerpodest (dritter Platz) war und dann kurz vor Rennende doch noch ausschied. 1994 eine weitere Sternstunde, als er im verregneten Belgien-Quali die Pole-Position eroberte. Beim Pacific GP stand er als Dritter zuvor schon auf dem Treppchen. 1997 wechselte Barrichello ins neue Stewart-Team des dreimaligen F1-Weltmeisters Jackie Stewart. Mit den neuen Bridgestone-Reifen konnte Stewart beim Monaco GP im Regen brillieren und Barrichello wurde Zweiter!
Bei Stewart fuhr er im Mittelfeld, aber gerade 1999 war das Red-Bull-Vorvorgänger-Team richtig stark. Am Nürburgring gewann man sogar ein Rennen, allerdings nicht mit Barrichello, sondern mit Johnny Herbert. Typisch Barrichello wieder: Die Saison beendete er deutlich vor Herbert, aber wenn’s um die großen Höhepunkte geht, dann schlug mal wieder der Teamkollege zu. Und so ging es dann mit Ferrari ab 2000 auch weiter. Auch wenn Barrichello natürlich auch bei Ferrari seine Highlights hatte. Unvergessen war der Deutschland GP 2000, als er mit Slicks im Nassen die beiden McLaren-Piloten Mika Häkkinen und David Coulthard besiegte: Sein erster F1-Sieg! Barrichello weinte mit dem Himmel über Hockenheim auf dem Siegertreppchen um die Wette. Mit dem Sieger Barrichello. Er war ein Sieger, aber eben nie ein Weltmeister.
Mit der Formel-1 hat er eigentlich noch nicht abgeschlossen: Ende 2011 musste er seinem Landsmann Bruno Senna (Ayrtons Neffe) bei Williams weichen. Ein Abschiedsrennen hatte Barrichello nicht. Das würde er heute gerne nachholen. Bei Force India soll er sich für 2013 angeboten haben, aber eben ohne Sponsorengelder. Weil die fehlen, ist auch mit der IndyCar wieder Schluss: 2012 fuhr er für das KV-Team an der Seite seines Freundes Tony Kanaan. Jetzt fährt er in der brasilianischen Stockcar-Meisterschaft. Zorn auf Senna hegt er nicht: Vor der Saison 2009 passierte nämlich genau das Gegenteil: Damals sollte eigentlich Bruno Senna für Rubens Barrichello fahren, aber nach der Übernahme durch das Brawn-Team sprach sich Brawn doch für Barrichello aus.
Einen 323. Grand Prix wird es wohl nicht mehr geben. Aber 322 sind ja eh schon mehr, als alle anderen bisher. Wie viel mehr, das ist teilweise schon erstaunlich. Juan-Manuel Fangio hätte 322 WM-Rennen erst mit dem USA-West GP 1980 geschafft, Niki Lauda hätte bis zum Frankreich GP 1995 fahren müssen, Alain Prost hätte erst aufhören müssen, als 2001 sein eigenes Rennteam schon eingegangen ist, und auch Damon Hill hätte bis Singapur 2011 fahren müssen, um die Barrichello-Rekordmarke zu erreichen! Natürlich hingen die Vergleiche teilweise, weil es bis in die 80er Jahre hinein nicht so viele Rennen wie heute gab. Aber trotzdem zeigen sie, wie beeindruckend die Zahl von Barrichello ist.