„Brabham spürt auf einmal den Druck, er spürt, dass er das, was da von hinten auf ihn zukommt, nicht aufhalten kann, er schießt ein letztes Mal, ein allerletztes Mal auf die Gasometer-Haarnadel zu, in der Mitte der Straße, links vorne sind Courage und Peterson, zum Überrunden, aber die halten sich weit aus der Schusslinie, und Brabham kommt daher, mit einem Irrsinnstempo, Mensch, denk ich, ich glaub ich spinn, wieso bremst der nicht?, aber er hat gebremst, nur zu spät, außerdem ist er zu weit rechts, ganz innen, da liegen Dreck und Staub und Gummibrösel, und Brabham rutscht, rutscht an uns vorbei, die Räder blockiert und voll eingeschlagen, immer geradeaus, und da kommt Jochen, schaltet runter wie in der Fahrschul, dritter, zweiter, erster, schaut nach links, wo der Brabham in den Strohballen hängt, ein Streckenposten ist ihm auf die Schnauze gefallen, und der Lotus umrundet die Haarnadel und biegt als erster in die krumme Zielgerade ein, die Tribünen explodieren, Hemden, Jacken, Anoraks, Hüte, Programme, alles fliegt durch die Luft, das Geschrei der Leut übertönt fast den Motorenlärm, und auf der Ziellinie steht der Mann mit der Flagge, er wartet auf Brabham, die Flagge oben, der Mann glotzt dem Lotus mit offenem Mund nach, die Augen quellen ihm heraus, grenzenloses Unverständnis, ein einziges Fragezeichen, jetzt dreht er sich wieder um, jetzt, endlich, kommt der Brabham, mit zerknitterter Schnauze, wieder glotzt der Mann dem Auto nach, wieder fällt die Flagge nicht, und erst als dann Pescarolo kommt, da wird dem Mann klar, dass er nicht geträumt hat, dass Rindt Erster ist und Brabham verloren hat, und der Mann senkt die Flagge und das Rennen ist aus.“
Dieter Stappert
Das österreichische Magazin Datum schreibt dazu:
Es gibt Sätze, die muss man stehen lassen, wie sie sind, (...) mit ihrer ganzen Wucht und Atemlosigkeit von gezählten 59 Beistrichen.
Dieser Satz, eine mächtige Ikone des Sportjournalismus, verdichtet die Atmosphäre des Großen Preises von Monte Carlo 1970 in einer Art und Weise, wie es das damalige Fernsehen einfach nicht konnte und unter den Schreibern auch nur die wenigsten.
Kennt jemand von Euch noch vergleichbare "Ikonen"? Also Sätze, die man gerne liest, die nicht nur Information transportieren, sondern die auch sprachlich zum Erlebnis werden, wo's nicht nur darum geht, "was" gesagt wird, sondern auch "wie" etwas geschrieben ist?