Fiat glaubte mit dem 1911 gebauten Typ S. 76 und seinem 28,4-Liter-Vierzylindertriebwerk die Welt aus den Angeln heben zu können. Bei einem Hub von 250 mm und einer Bohrung von 190 mm wurden die gewaltigen Kolben auf eine sehr lange und dabei auch gemächliche Reise geschickt. Daß bereits 1908 ein Sechszylinder-Kompressorwagen der Marke Chadwick beim Vanderbilt Cup und beim American Grand Price durchaus achtbar mithalten konnte, focht die 'Giganten'-Bauer nicht an. Sie setzten weiterhin auf die Formel 'viel Hubraum = viel Leistung'. (Immerhin hat es bis 1923 gedauert, daß der Kompressor in den Grand-Prix-Sport eingeführt wurde. Ein Fiat vom Typ 805 tauchte bei den Grand-Prix-Rennen dieses Jahres mit einem Schaufelkompressor der Firma Wittig auf.) Fiat stach der Hafer, denn nach Felice Nazzaros Sieg im Jahr 1908 beim 'Elefantenrennen', auf Brooklands gegen Newtons Napier Salmson - angeblich mit einer Geschwindigkeit von 194,624 km/h nach elektrischer Zeitmessung, was bis zum heutigen Tag angezweifelt wird - wollte man den Weltrekord über den fliegenden Kilometer erobern. Mephistopheles war in private Hände übergegangen und stand den Fiat-Werken nicht mehr zur Verfügung. Aus diesem Grunde wurde Typ S. 76 gebaut. Nazzaro testete ihn auf italienischen Straßen, und die Turiner Presseabteilung verbreitete die Meldung, dieses sei nun der stärkste Wagen, der je auf einer Straße gefahren sei. Bevor der Wagen nach Brooklands verschafft wurde, entschloß sich Nazzaro, eine eigene Autofirma zu gründen, so daß Werksfahrer Bordino ans Steuer mußte. Aber daraus wurde alles andere als ein Vergnügen. Typ S. 76 war einfach mißlungen. Um Kühlwasser einzufüllen, mußte man mit Hilfe einer Leiter eine Höhe von 1,50 Meter überwinden. Der Fahrer war gezwungen, damit er überhaupt die vor ihm liegende Straße sehen konnte, mit einer bandscheibenfeindlichen Verrenkung am gigantischen Kühler vorbeizupeilen. Außerdem rissen diese Kolosse riesige Schlaglöcher in den Pistenbelag von Brooklands. Aus dem Weltrekordversuch wurde nichts. Bordino verlud den S. 76 nach Saltburn, Yorkshire, wo er 1911 auf dem Strand mit 201,2 km/h wenigstens einen inoffiziellen Rekord fuhr. Aber in Turin gabs nur lange Gesichter, und der Wagen wurde zurückbeordert. Vorläufiges Fazit: Gegen den Blitzen Benz war nicht anzukommen. Aber es gab dann doch einen zweiten Frühling für den 300-PS-Giganten. Ein russischer Prinz erblickte den Wagen in den Ausstellungsräumen. Quanta costa war gar kein Problem, und der S. 76 kam mit Hilfe russischer Rubel in die Obhut des französischen Fahrers Arthur Duray. Im November 1913 schaffte er den Wagen nach Ostende, um unter Aufsicht des Automobilclubs von Frankreich (A.C.F.) auf Rekordjagd zu gehen. Dieses Mal funktionierte die elektrische Zeitmessung und zeigte eine Geschwindigkeit von 213,01 km/h an. Das wäre Weltrekord gewesen! Aber als offizieller Rekord wurde diese Zeit nicht anerkannt, weil bei Rekordversuchen über den fliegenden Kilometer immer auch in entgegengesetzter Richtung gefahren werden mußte, und zwar innerhalb einer Viertelstunde nach der Hinfahrt. Warum hat Duray nicht die erforderliche Rückfahrt angetreten? Nun - es war schlechtes Wetter, ein scharfer Westwind wehte, die Straßen waren regennaß, und Duray hielt es für verantwortungslos, den Rekordversuch nach den gültigen Regeln zu beenden. Immerhin war er inoffiziell jetzt der schnellste in dieser Disziplin. Aber dem russischen Prinzen verging dennoch sehr schnell die Freude an seinem Mitbringsel aus Turin. Im stillen hatte er sich wohl schon ausgemalt, mit welchen Schwierigkeiten der Fiat S. 76 mit seinen 300 PS auf den schlechten russischen Straßen rechnen müßte, und er gab ihn zurück. Im übrigen schien sich bereits die Götterdämmerung der Giganten anzukündigen. Die französischen Behörden erklärten Kolosse wie den Fiat für unerwünscht auf den Straßen Frankreichs, und auch in Brooklands machte man sich Gedanken, ob man diese Pistenzerstörer weiter dulden sollte.
Soweit ich gehört habe wurde das Teil durch Druckluft angekurbelt.