Belege für diese Theorie gibt es keine, aber ein Geheimnis ist es nicht: Timo Glock hätte statt zum Virgin-Team 2010 auch zum Renault-Team gehen müssen. Der Deutsche lehnte ab, die Zukunft der französischen Equipe stand in den Sternen. Stattdessen ließ sich der ehemalige GP2-Meister von Sir Richard Branson bequatschen. Ein Mann, der Visionen hat, ein Mann, der verrückte Ideen in die Wirklichkeit umsetzt, und ein Mann, der schwerreich ist. Doch das neue Virgin-Team tritt auf der Stelle, Timo Glock wirkt bisweilen frustriert. Es war eine falsche Entscheidung, statt zu Renault zu Virgin zu gehen. Doch damit steht Glock bei weitem nicht alleine da:
Tony Bettenhausen 1952 zu Ferrari: 1952 zeigte die Scuderia Ferrari echtes Interesse an den amerikanischen IndyCar-Star Tony Bettenhausen. Zwischen 1950 und 1960 fuhr der elf Rennen in der Fahrermeisterschaft, alle samt waren aber Indy-500-Rennen, die zur Meisterschaft damals dazuzählten. 1955 wurde er dabei Zweiter, in einem Kurtis Kraft Offenhauser eines Mannes namens Chapman, der aber nichts mit dem genialen Lotus-Gründer Colin Chapman gemeinsam hat. Wäre Bettenhausen damals zu Ferrari gegangen, seine Bilanz hätte sich sicherlich deutlich aufgebessert, denn Ferrari stellte damals das beste Auto. Die Meisterschaft war in dem Jahr aber für die Formel-2 ausgeschrieben, für Bettenhausen war das nicht reizvoll genug. Er blieb bei den IndyCars. Gegen Alberto Ascari hätte er es vermutlich eh schwer gehabt. Auch Johnny Parsons war 1952 bei Ferrari im Gespräch und unterschrieb sogar schon einen Vertrag. Immer wieder lehnten IndyCar-Stars Angebote aus der Formel-1 ab, so etwa auch Rick Mears 1980 bei Brabham oder 1982 bei Ferrari. Oder Bryan Herta 2002 bei Minardi, Al Unser jr. 1993 bei Williams und Lotus und dessen Vater 1977 bei McLaren.
Eddie Cheever 1977 zu Ferrari: Als „den wohl größten Fehler meines Lebens“ bezeichnete Eddie Cheever Jahre später die Entscheidung, 1977 nicht zu Ferrari zu gehen. Dabei hatte der US-Amerikaner bereits einen Dreijahresvertrag unterschieben. Ferrari holte dann aber auch Gilles Villeneuve und das löste bei Cheever Alarmglocken aus. War es ein Zweifel an den eigenen Fähigkeiten? Ein beeindruckender Eindruck von Gilles Villeneuve? Die Besorgnis über eine mögliche Bevorzugung des Kanadiers? Letztlich hatte er wohl Angst, dass der charismatische und flotte Rennwagenfahrer Villeneuve ihm die Butter vom Brot nehmen würde. Villeneuve hätte Cheever wohl auch kontrolliert, aber eine Chance für Cheever wäre es allemal gewesen.
Hans-Joachim Stuck 1979 zu Williams: Hans-Joachim Stuck ist Teil einer großen Rennsport-Dynastie. Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen wird er in diesem Jahr die 24-Stunden vom Nürburgring bestreiten. Stuck selbst war im GP-Sport vielleicht nicht so talentiert wie sein Vater Hans Stuck, der in den 30er Jahren das Aushängeschild von Auto Union war. Aber der Deutsche hatte auch viel Pech, es wäre mehr drin gewesen. Zum Beispiel, wenn er 1979 einen Vertrag von Williams nicht abgelehnt hatte. Denn was damals noch keiner wusste: Just in diesem Jahr wurde Williams zum Topteam. Stuck entging eine Chance zu GP-Siegen!
Michele Alboreto 1989 zu Williams: Ein Vizeweltmeister ist ein Fahrer, der zweifelsohne talentiert ist. Ein Fahrer, dem nicht mehr viel zum WM-Titel fehlt, entweder nicht mehr viel Talent, oder nicht mehr viel Glück. 1985 wurde Michele Alboreto mit Ferrari Vizemeister. Doch er war kein Vizemeister, der WM-Chancen hatte: Der Italiener, der vor zehn Jahren bei einem Sportwagentest mit einem Audi sein Leben lassen musste, gewann in jener Saison nur einen Grand Prix, McLaren-Porsche-Pilot Alain Prost hatte das Feld unter Kontrolle, zu jeder Zeit der Saison. Trotzdem schürte Alboreto die Hoffnungen der italienischen Fans: Nach zahlreichen großartigen GP-Rennfahrer wie Tazio Nuvolari oder Achille Varzi in der Vorkriegszeit, war Alberto Ascari 1952 und ’53 der letzte von zwei F1-Weltmeistern (nach Giuseppe Farina 1950) – und eigentlich war er das nie, denn die Fahrer-Weltmeisterschaft war just in diesen zwei Jahren für F2-Fahrzeuge ausgeschrieben, weil es nicht genug F1-Starter gab! Wie dem auch sei: Alboreto konnte die Erwartungen der Fans nicht beglücken: Mit Ferrari ging es Stück für Stück bergab, 1990 wurde Alboreto für das Arrows-Team nur noch 35. der Fahrerwertung! Dabei gab es noch einen Punkt in seiner Karriere, in der sich das Blatt hätte wenden können: 1989 verhandelte er mit dem Williams-Team, ein Rennstall, der im Aufwärtstrend war und zu Beginn der 90er Jahre die Formel-1 nach Belieben dominierte. Zumindest zu weiteren GP-Siegen wäre Alboreto bei Williams wohl gekommen, stattdessen erfolgte mit Tyrrell und Larrousse der Abstieg in die Mittelklassigkeit. Als er in den folgenden zwei Jahren noch mal bei Benetton im Gespräch war (auch im WM-Jahr 1994), waren seine Chancen auf einen Platz in der italienischen Schmiede eher bescheiden.
Jean Alesi 1991 zu Williams: Der heutige Berater der Lotus-Gruppe, der 2012 das Indy 500 bestreiten möchte, unterschrieb 1991 gleich bei drei F1-Teams einen Vertrag: Tyrrell, Ferrari und Williams. Der Vertrag mit Tyrrell war noch eine Altlast aus der Vergangenheit, denn für dieses Team war der Franzose unterwegs. Als nächstes gab es eine Übereinkunft mit Williams. Der Deal sollte beim Großbritannien GP bekannt gegeben werden, wurde er aber nicht. Williams vertröstete Alesi, weil es auch Verhandlungen mit Ayrton Senna gab. Weil Riccardo Patrese bereits gesetzt war, lief Alesi Gefahr zwischen Stuhl und Bank zu fallen und unterschrieb deshalb auch noch einen Vertrag bei Ferrari. Dort dockte er letztlich auch an. Alesi gilt als einer der besten Fahrer seiner Ära, gewann mit Ferrari aber nur einen Grand Prix, den in Kanada 1995. Wäre er 1991 zu Williams gegangen, seine Bilanz wäre wohl bedeutend besser, denn Williams wurde just in diesem Moment zum Team, das in den kommenden Jahren nur schwer zu schlagen war und selbst mit mittelmäßigen Fahrern Erfolg erzielte. 1999 lehnte Alesi übrigens eine Rückkehr zu Ferrari ab, als Ersatz für den verletzten Michael Schumacher. Eine besondere Wende hätte der Wechsel in Alesis Laufbahn wohl nicht dargestellt, denn es war damals bereits fix, dass 2000 Rubens Barrichello kommen würde.
Mika Häkkinen 1993 zu Williams: Eigentlich kann ein Fahrer, der zwei Mal F1-Weltmeister wurde und über Jahre als einziger Fahrer galt, der Michael Schumacher herausfordern konnte, nicht viel falsch gemacht haben. Doch tatsächlich entschied er sich 1993 falsch, als er die Wahl zwischen McLaren, Williams und Ligier hatte. Er ging zu McLaren, wo es aber erst 1998 endlich aufwärts ging. Bis dahin fuhr Häkkinen hinterher. Bei Williams dagegen hätte er sofort ein spitzenklassiges Material gehabt. 1992 hatte er bereits einen Vertrag mit Williams, dann verpasste das Team es aber, sich für die WM einzuschreiben. Es bedurfte nun der Zustimmung aller Teams, wobei das Lotus-Team nur zustimmte, wenn Williams Häkkinen freigab.
Gerhard Berger 1995 zu Williams: Als Teambesitzer von Toro Rosso führte er die sympathische italienische Mannschaft aus Faenza zu einem GP-Sieg. Als Fahrer war Gerhard Berger gut, als Persönlichkeit eine Bereicherung. Doch der Österreicher war nie so schnell wie etwa ein Ayrton Senna. Trotzdem brachte er es in seiner Ära auf zehn Siege in der Formel-1. Es hätten wohl mehr sein können, wenn er sich nicht 1995 dazu entschieden hätte, seine Geldvorstellungen neu zu überdenken, als er in Verhandlungen mit dem Williams-Team trat. Williams wollte Berger, Berger wollte aber mehr Geld. Williams ist nicht gerade dafür bekannt, seine Fahrer wenigstens einen Cent zu viel zu bezahlen. Also scheiterte der Wechsel und Berger ging zu Ferrari. Eine falsche Entscheidung Bergers, denn der Williams Renault war in diesen Tagen das mit Abstand beste Auto. Mit Damon Hill hätte es Berger durchaus aufnehmen können – und der wurde 1996 bekanntlich Weltmeister. 1998 lehnte Berger erneut ein Angebot eines Spitzenteams ab: Er hätte zu McLaren zurückgehen können. Aber er entschied sich, aus der Formel-1 zurückzutreten.
Damon Hill 1997 zu Benetton: 1996 wurde Damon Hill Weltmeister, 1997 ging er in ein Hinterbänklerteam und fuhr hinterher. Was war passiert? Ein Weltmeister sollte doch eigentlich genügend Angebote bekommen? Und tatsächlich hatte Hill die auch. Schon alleine der Weggang von Williams war nur deshalb nötig, weil er sich in seinen Gehaltsforderungen wohl etwas überschätzt hat – mit einem Frank Williams war das nicht zu machen. Den gleichen Fehler machte Hill aber auch bei Benetton und McLaren, bei den Teams war er nämlich ebenfalls im Gespräch. So blieb nur noch das Arrows-Team übrig, mit einem großmündigen Teamchef Tom Walkinshaw, der viel Geld in die Hand nahm, um das Team zum Spitzenteam zu machen. Mit einem Teil des Geldes finanzierte man die Verpflichtung des Weltmeisters Damon Hill.
Alessandro Zanardi 1997 zu Jordan: Die Karriere von Alessandro Zanardi ist weiß Gott nicht von Glück gesegnet. Zwei schwere Unfälle überlebte er, 2001 in der IndyCar aber verlor er dadurch beide Beine. Zanardi blieb dem Motorsport trotzdem verbunden, wurde zur lebenden Legende. Der Italiener ist charismatisch, fuhr in der Formel-1 seinen Erwartungen aber hinterher. Nach dem er in der IndyCar Meister wurde, kam er 1999 zu Williams zurück in die Formel-1. Unter anderem wegen den Rillenreifen hat sich das Gesicht der Formel-1 stark geändert – zu stark für Zanardi. Er enttäuschte. Hätte er das Angebot 1997 bei Jordan angenommen, es wäre vielleicht anders gekommen. Damals gab es noch keine Rillenreifen und Jordan war zumindest ein grundsolides Team im Jahr 1997.
Jacques Villeneuve 2001 zu Benetton: Da hat ihn BAR 2001 aber ganz schön gelinkt. Nach dem WM-Titel 1997 folgte der gemeinsame Fall mit dem Williams-Team 1998. Also viel es Jacques Villeneuve leicht, 1999 dem ambitionierten, aber neuen Projekt von BAR sich anzuschließen. Der Manager des Kanadiers war damals Strippenzieher. Große Klappe, nichts dahinter. Nach zwei Jahren, in denen das Projekt erfolglos blieb, wollte Villeneuve das Team wechseln. Benetton bot ihm einen Vertrag für die Saison 2001 an, doch Villeneuve lehnte ab und blieb bei BAR – mit der Voraussetzung, dass sein in die Kritik geratener Manager Craig Pollock Teamchef bleiben würde. Kurz nach der Unterschrift von Villeneuve feuerte BAR Pollock. Mit Benetton ging es dafür bergauf, weil Renault die Truppe kaufte…
Weitere Absagen: Beim Monaco GP 1989 hat Mario Andretti ein Angebot von Ferrari abgelehnt. Mit 49 Jahren sollte er Gerhard Berger vertreten, der verletzt aussetzen musste. In der IndyCar war der US-Amerikaner noch siegfähig, aber ohne Tests lehnte er das Angebot ab. Ob der F1-Weltmeister von 1978 damit eine Chance verpasst hat, seine Bilanz aufzubessern? Luca Badoer lehnte einen Vierjahresvertrag mit Tyrrell vor der Saison 1993 ab. Tyrrell war weiß Gott kein Topteam, aber besser als Badoers Wahl, die Scuderia Italia. Außerdem wäre die Bindung zu Tyrrell eine langfristige gewesen, so kam Badoer schon recht schnell ins Trudeln. Ein Jahr später bot Williams Rubens Barrichello den Platz an, der sich durch den Unfalltod von Ayrton Senna aufgetan hat. Barrichello hätte wohl nicht nein gesagt, aber sein Arbeitgeber, Eddie Jordan, verlangte vom sparsamen Williams eine irrsinnig hohe Ablösesumme. Damit entging Barrichello die Chance auf ein Topauto. Kenny Bräck verzichtete 1995 den Pacific GP für das Pacific-Team zu bestreiten, aus fehlenden Testmöglichkeiten im Vorfeld. Damit verspielte der Schwede, der später in der IndyCar recht erfolgreich im Kreis fuhr, die einzige Möglichkeit in der Formel-1 Fuß zu fassen. Gewiss war das Sauber-Team 1995 kein Topteam, aber wesentlich besser als Minardi und Arrows in den Jahren zuvor. Christian Fittipaldi schloss mit der Formel-1 aber ab und ging lieber in die IndyCar. Über die Station Sauber wäre der Aufstieg in ein besseres Team eventuell geglückt. 1976 lehnte Emerson Fittipaldi einen Wechsel zu Ferrari als Ersatz des verletzten Niki Laudas ab. Er blieb lieber im Team seines Bruders Wilson Fittipaldi – eine falsche Entscheidung. Kein Test vor dem Rennen, also auch kein Rennen. Das entschied der inzwischen gealterte Kazuyoshi Hoshino, als Benetton ihm ein Cockpit für den Japan GP angeboten hat. Bereits 1976 und 1977 fuhr der Japaner beim GP in Japan, bei Benetton hätte er das Auto gehabt, das den Titel geholt hat!
1980 war Jan Lammers bei Lotus im Gespräch. Der Holländer wollte aber nicht warten, bis sich Lotus-Teamchef Colin Chapman zwischen ihm und Elio de Angelis entschieden hatte. Das kommt einer Absage gleich. Stefano Modena ging 1990 lieber als Testfahrer zu Ferrari, als dass er Rennen für Minardi fuhr. Die Hoffnung auf eine teaminterne Beförderung bekam Modena bei der Scuderia aber nicht. Währenddessen hatte Minardi die besten Jahre des Teams. Olivier Panis führte für 2000 Gespräche mit Williams. Williams bot ihm tatsächlich auch einen Vertrag an, der aber nur über ein Jahr lief. Panis wollte nur einen längerfristigen Kontrakt. Auch Nelson Piquet lehnte 1991 einen Vertrag mit Williams ab. Archie Scott-Brown lehnte 1957 ein BRM-Angebot zugunsten von Sportwagenrennen ab. Derek Warwick schlug 1985 ein Williams-Angebot aus, John Watson ein Jahr zuvor ein Lotus-Angebot.