MichaelZ hat geschrieben:
@Alfalfa: Du hast im Aerodynamikthread angesprochen, dass der Matra V12 Motor ein interessantes Thema wäre. Ich denke das würde hier reinpassen!
Die Geschichte des Matra V12 ist lange und zieht sich durch viele Teams und Serien. Der erfolglose MS11 ist der Urvater des späteren (deutlich erfolgreicheren) MS120. Mit diesem hat er schon viele Abmessungen gemeinsam. Die Bemühungen von Matra (eigentlich ein Rüstungs- & Raumfahrt-Unternehmen) zielten darauf ab, Frankreich in der F1 zu vertreten, und damit einen Gegenpol zu den englischen (Ford Cosworth und BRM), italienischen (Ferrari und Alfa Romeo) und amerikanischen (Weslake) Motoren zu schaffen. Eine besonders gute Repräsentanz konnte mit den Matra-Motoren allerdings nicht erreicht werden. Besser gelang dies viele Jahre später dem Staatskonzern Renault.
Der Matra MS11 verschwand nach einer kurzen, nicht mal kompletten Saison 1968 wieder von der Bildfläche, er hatte aber einige für den Techniker interessante Details. Er war so konstruiert, dass er die einzige noch verbliebene Lücke in der Vielzahl von Ventilanordnungen, Ventilanzahlen und Kanalführungen auch noch ausfüllte. Sicher steckt auch der Wunsch dahinter, es anders und besser zu machen als die Konkurrenz.
Es war der einzige neu konstruierte Vierventilmotor, dem das Gemisch zwischen den Nockenwellen zugeführt wurde. Da hier auch noch die Zündkerzen Platz finden mußten, ging es nur mit dem für Vierventiler sehr großen Ventilwinkei von 55 Grad. Ein weiteres besonderes Kennzeichen, zumindest ganz am Anfang, war die Auspuffanlage. Entgegen allen Regeln der Kunst wurden nur jeweils zwei Auspuffrohre zusammengefasst, so dass der Zwölfzylindermotor sechs Endrohre besaß - wir hatten neulich schon eine Diskussion darüber in diesem...
www.motorsport-magazin.com/forum/viewtopic.php?p=207155#207155
...Thread. Bald wurde er aber umgestellt auf die übliche Anordnung mit vier Endrohren.
Das Kurbelgehäuse, zunächst in Aluminium gegossen, sollte später auch in einer Magnesiumversion kommen. Es kam aber weder beim MS11 noch beim MS 120 jemals zum Einsatz. Offenbar hatte man, wie später auch beim Cosworth und noch bei einigen anderen, die Eignung von Magnesium als Material für das hochbeanspruchte Kurbelgehäuse von Rennmotoren überschätzt. Die Ventilbestätigung erfolgte über vier obenliegende Nockenwellen mit 14 Zahnrädern, Tassenstößeln und je zwei Schraubenfedern.
Der Motor war sehr unzuverlässig, und die Einsätze glichen mehr Testfahrten als den echten Bemühungen, Grand Prix-Rennen zu gewinnen - das zeigt sich nicht zuletzt daran dass Matra den riesigen Motor in einen winzigen F2-Monoposto pflanzte - was dem Vehikel ein sehr ungeschlachtes Aussehen verlieh - und den zwar schon älteren, aber in der F1 völlig unerfahrenen Beltoise das Steuer überließ. Unter der Vorausetzung waren die 9 WM-Punkte, die der Wagen zusammenfuht, nicht mal schlecht. F1 Enthusiasten zog er gleichwohl sofort in seinen Bann durch seinen schier unglaublichen Sound - so etwas hatte man bis dahin noch nicht gehört!
Nach Abschluß der wenig ermutigenden Saison 1968 legte Matra eine einjährige Denkpause ein.
Der Ur-Matra MS11 von 1968 - mit abgenommenem Auspuffsystem; nicht erfolgreich, aber sehr schön.
1970 kam man mit dem weiterentwickelten MS120. Mit seinem Vorgänger hat er zumindest das Zylinderkurbelgehäuse und das Hub-Bohrungs-Verhältnis gemeinsam. Nach den Misserfolgen mit den ersten Zylinderköpfen hatte man nun eine recht konventionelle Bauweise wieder mit vier Ventilen gewählt, wobei aber in klassischer Art der Einlaß innen oben in der Mitte des Motors lag und der Auspuff je seitlich außen.
In der Formel 1 war auch diese Version nicht besonders erfolgreich und wurde auch nicht durchgängig eingesetzt. Matra trat 1970 an Tyrrell heran (mit dem man eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit seit vielen Jahren hatte) und bot ihm den V12 für seinen F1-Einsatz an - Tyrrell und Stewart lehnten dankend ab. Man rang sich also wieder zum Einsatz eines eigenen Teams durch, das aber in den drei Jahren seines bestehens - außer einigen Führungsrunden und einem Sieg in einem Nicht-WM-Lauf, nichts erreichte.
Matra, die zweite: der Eigenseinsatz des MS120 wurde von den Fans aufmerksam verfolgt & das Team war sehr beliebt - erfolgreich war aber auch der zweite Versuch (leider) nicht...
1972 zog man sich zurück, denn inzwischen hatte man mit diesem Motor die 24 Stunden von Le Mans gewonnen (in Frankreich extrem prestigeträchtig) und konzentrierte sich auf die Prototypen-WM, wo man Ferrari 1973 in Grund und Boden fuhr. 1974 war man konkurrenzlos und gewann nach belieben - da verlor man die Lust und wollte wieder zurück in die F1. Ein Versuch mit Shadow Ende 1975 war wenig erfolgversprechend, aber die Partnerschaft mit dem jungen Ligier Team war durchaus erfolgreich zu nennen und brachte 1977 sogar einen (wenn auch etwas glücklichen) Sieg.
Zwei Rennen lang versuchte es Shadow 1975 mit dem Matra V12. Theoretisch hätte der PS-starke V12 auf den ultraschnellen Kursen in Zeltweg und Monza Vorteile bringen müssen - tat es aber nicht! Man hatte nur Probleme und beschloss keine weitere Zusammenarbeit.
Ab 1976 setzte das neue (1-Mann)-Ligier-Team den V12 recht erfolgreich an - und erreichte soger einen vielumjubelten Sieg 1977 in Anderstorp.
Ende der Saison 1978 wurde der Motor dann allerdings eingemottet. Aufwind bekam er wieder mit den Flügelautos, weil er dafür aufgrund seiner schmalen Bauweise gut geeignet war. Immerhin erzielte der Motor noch 1981 zwei Grand Prix-Siege und hätte um ein Haar (allerdings ein recht dickes Haar) die WM gewonnen.
1981/82 gab's ein Revival für den V12 in den Ligier-Wingcars - und Laffite war bis zum letzten Rennen WM-Kandidat mit dem ziemlich wuchtigen JS17.
Etwas Technik (für alle die so etwas interesiert): Dass der Motor gegen Ende seiner Karriere nicht mehr ganz taufrisch war, erkennt man an seinem für einen Zwölfzylinder recht großen Ventilwinkel von 32 Grad. Die Tendenz ging damals eher zu kleineren Winkeln. So hatte der Zwölfzylinder Alfa Romeo-Motor nur 26, der Renault-Turbo gar nur 22. Aus Gewichtsgründen waren die Nockenwellen hohl gebohrt. Gerade bei V60-Motoren ist diese Maßnahme doppelt wirksam, weil nicht nur Gewicht gespart wird, sondern durch die hohe Lage der Nockenwellen auch der Schwerpunkt des Motors nach unten rutscht. Der Antrieb der vier Nockenwellen erfolgt über zwölf Zahnräder vom vorderen Ende der Kurbelwelle. Drei Nockenwellen müssen noch andere Funktionen übernehmen als nur Ventile zu betätigen. So treibt die Einlaßnockenwelle der linken Zylinderreihe den riesigen Zündverteiler an, die Einlaßnockenwelle der rechten Zylinderreihe die mechanische Einspritzpumpe und die Auslassnockenwelle der rechten Seite die mechanische Benzinförderpumpe. Auch die tief in der Ölwanne liegenden Ölpumpen wurden durch Zahnräder angetrieben. In den weiterhin aus Aluminium bestehenden Zylinderblock sind die nassen - direkt vom Wasser umspülten - Zylinderlaufbüchsen von oben eingesetzt. Das Material, aus dem die Zylinderlaufbüchsen zunächst gefertigt wurden, war Grauguß. Grauguß ist dafür geeignet, weil es durch die Graphiteinschlüsse sehr gute Gleiteigenschaften hat. Im Zylinderkopf wurden die Auslaßkanäle getrennt bis nach außen geführt, so daß der Motor 24 Ansaugöffnungen besaß. Auf der Einlaßseite verwendete man nicht wie üblich schräg eingesetzte Einspritzdüsen. Die Düsen lagen vielmehr genau in der Mitte der Einlauftrichter. Der dafür nötige Düsenhalter nahm die Düse so auf, dass der Kraftstoffstrahl genau mittig mit der Strömungsrichtung der Ansaugluft eingespritzt wurde.
Nachdem der Matra-Motor zunächst in anderen Rennformein zum Einsatz kam, wurde er für die Formel 1 gründlich überarbeitet. Er bekam andere Köpfe und einen stärker verrippten Zylinderblock. Die Graugußzylinderlaufbüchsen wurden aus Gründen des Gewichts und eines verbesserten Wärmeüberganges durch solche aus Aluminium ersetzt. Die Zylinderlauffläche der Büchsen war mit Nikasil beschichtet. Die elektrochemisch aufgebrachte dünne Schicht bietet zusammen mit Aluminium die beste Voraussetzung für Rennmotoren höchster Literleistung. Neben der guten Wärmeableitung ist auch noch die geringst mögliche Reibleistung für die Kolben vorteilhaft. Die Hauptbemühungen bei der Überarbeitung galten weiter der Einführung von Pleuelstangen aus Titan und der Absenkung des Motorschwerpunktes. Verfügte der alte Motor noch über eine sehr hohe Ölwanne und ein großes Schwungrad, ließ sich die Weiterentwicklung durch kleinere bzw. niedrigere Teile tiefer einbauen.