@Michael; Danke für Deine Zusammenfassung. Auch ich hätte noch eine 'Kleinigkeit' beizutragen. Ich habe diesen Bericht von Toulo de Graffenried über den ersten WM-Lauf der Geschichte in einem alten Heft gefunden. Stammt aus dem Jahr 2000. Sicher redet er sich da vielleicht manches schön - und viele Daten wurden wohl auch vom einem Autor ergänzt (leider teilweise fehlerhaft - ich habe das in Klammern ergänzt), aber ich fand es immerhin doch recht interessant und unterhaltsam. Ich habe es mal für Euch zusammengestellt und ein paar Bilder dazu gefügt.
Dass es sich beim Großen Preis von England 1950 in Silverstone um etwas Besonderes handelte, ging für mich ein bisschen unter, weil eigentlich alles wie immer war. Ich bin damals fast an jedem Wochenende irgendwo auf einem Rennen unterwegs gewesen. insofem liefen die Dinge (fast) identisch ab wie beim britischen Grand Prix 1949, den ich gewann.
De Graffenried (rechts) und seine treuen Mechaniker Scotuzzi und Cazulani, die mit dem anfälligen 4CLT nicht viel zu lachen hatten...
Die Expedition begann aus meiner Sicht, nachdem der Transporter der Mailänder Scudenia Enrico Platé mit zwei Maserati 4CLT/50 und den beiden Mechanikern Scotuzzi und Cazulani in Fribourg eingetroffen war, wo ich damals wohnte. Der 4CLT war der erste Nachkriegsrennwagen von Maserati. Er debütierte 1948 in San Remo, wo Alberto Ascari mit ihm siegte, und wurde deshalb auch San Remo-Maserati genannt. Ingenieur Alberto Massimino hatte ihn aus dem früheren Modell CL entwickelt. Seine Maschine stammte noch aus der Zeit vor dem Krieg, ein Vierzylinder von 1,5 Litern, aufgeladen durch einen Roots-Zweistufenkompressor.
1950 leistete diese Maschine ca. 270 PS bei 7000 U/min. Einen Schwachpunkt bildete der Zylinderkopf, der ständig riss. Vor einem Rennen wusste man deshalb nie, ob man es auch zu Ende bringen würde.
De Graffenried während des Rennens. Das Auffälligste an dem Auto ist das riesige Schweizer Kreuz - sieht dadurch aus wie eines der berühmten Schweizer Offiziers-Taschenmesser.
Der Unterschied zu heute? Wie Tag und Nacht! Damals wurde nach dem Prinzip verfahren, die Räder müssten so schmal und hoch wie möglich sein, damit man mit den Reifen möglichst weit kam.
Die beiden Autos von Platé waren für mich selbst und den thailändischen Prinzen Bira bestimmt, mit vollem Namen Birabongse Bhanutej Bhanubandh. Er war ein rechter Aristokrat, hatte eine englische Erziehung genossen und in London Bildhauerei(!) studiert und wurde seit Jahren von seinem Cousin Prinz Chula unterstützt. Als Wappen führte er ein weißes Mäuschen auf den Flanken seiner Autos, ein Topolino (ist übrigens auch die Bezichnung für die Mickey Mouse in Italien).
Unser Teamchef Enrico Platé war früher selbst lange Zeit Rennen gefahren. Beim Grand Prix de Marseille 1946 fragte er mich, ob ich ab dem Großen Preis von Bern für ihn antreten wolle. Er sei rennmüde und wolle sich in die Organisation seines Teams zurückziehen. Ich sagte zu. Im Lauf der Zeit starteten z.B. auch Leute wie der reiche Harry Schell, der italienische Motorradchampion Nello Pagani, Christian Kautz und Piero Taruffi für Platé. Der Erfolg des Teams war durchwachsen. Der arme Enrico Platé kam später bei dem chaotischen Grand Prix von Argentinien 1953 durch einen Unfall in der Box ums Leben (Nachtrag: hier irrt Graffenried - Platé starb 1954 als er bei einem FL-Rennen in Buenos Aires von der Boxenmauer fiel - und einem gerade vorbeifahrenden Auto direkt vor die Schnauze).
Auf der Fahrt nach England über französische Landstraßen wechselten wir einander ab, damit auch die Mechaniker mal schlafen konnten.
Silverstone war ein ausgedienter Flugplatz, alles andere als attraktiv, langweilig, ohne jede Atmosphäre. Die Strecke hatte nichts gemeinsam mit den traditionellen Straßenkursen, die ich gewöhnt war, oder Donington Park, wo die Grand Prix von England in der Vorkriegszeit stattgefunden hatten. Ein wenig aufgelockert wurde das Bild durch Bandenwerbung und Reklame an den Brücken über der Piste.
Wir Fahrer hatten Verträge mit Firmen aus der Branche wie Ferodo, Champion oder Shell und bekamen Zuwendungen nach einem Bonussystem je nach Erfolg. An uns selber und auf unseren Fahrzeugen durfte allerdings nichts auf diese Verbindungen hinweisen. Sonst wäre uns sofort die Lizenz entzogen worden. Komische Regeln damals...
Es gab eine Hand voll Journalisten und Radioleute, die mit Bleistift und Block herumliefen. Fernsehen war noch nicht in Sicht. Nur in der Wochenschau im Kino wurde dem Rennen eine halbe Minute eingeräumt.
Die Streckenbegrenzung bestand meist aus den Zuschauern selbst, ansonsten aus Strohballen und Ölfässern, die mit Sand gefüllt waren. 1949 hatte sich Bira sein Auto an ihnen verbogen. 1950 passierte Fangio mit dem Alfetta dasselbe beim Kontakt mit einem Strohballen, und noch 1954 blessierte er seinen Stromlinien-Mercedes an einer der massiven Tonnen. Streckenrisiko eben!
Seit 1948, als man den Kurs in Betrieb genommen hatte, war dennoch manches besser geworden. Boxen und Tribünen wirkten nicht mehr so behelfsmäßig. Einige Kurven waren einfacher zu fahren, und eine enge Schikane bei Club Comer, über die sich alle aufgeregt hatten, gab's nicht mehr. Nicht zuletzt deswegen brauchten wir pro Runde gut 20 Sekunden weniger als 1949. In jenem Jahr ging das Rennen über 100 Runden, insgesamt 300 Meilen. Ich benötigte dafür 3 Stunden, 52 Minuten und 50,2 Sekunden - ein Schnitt von 125 km/h. Diesmal waren es 70 Runden oder 204,4 Meilen. Also war der Grand Prix 1950 im Vergleich zum Vojahr ein Sprint!
Wie bei fast allen großen Veranstaltungen auf der Insel üblich, fand das Rennen an einem Samstag statt.
Die komplette königliche Familie gab sich die Ehre, George VI und die künftige Königin Elizabeth, Princess Margaret sowie Earl und Lady Mountbatten. Earl Howe, Präsident des British Racing Drivers Club, stellte uns kurz vor dem Start alle einzeln vor, auch die Leute aus der Formel 3. Mein Diener ist wohl besonders tief ausgefallen, was einige in Erstaunen versetzte. Ich habe ihnen fröhlich gesagt, damit hätte ich keinerlei Probleme, das sei doch normal, ganz einfach Tradition.
In England erfreute ich mich immer einer gewissen Popularität und wurde häufig mit Baron Toulo angeredet, schon allein deshalb, weil kein Mensch dort meinen Vornamen Emanuel richtig aussprechen konnte. Und mein Nachname wird von den englischen Zeitungen bis auf den heutigen Tag falsch geschrieben.
Ich erinnere mich noch, dass vor dem Rennen Raymond Mays drei Demonstrationsrunden mit dem BRM V16 gedreht hat. Das Motorengeräusch war höllisch, wahrscheinlich viel lauter als ein paar Minuten später das ganze Grand-Prix-Feld zusammengenommen, immerhin 21 Fahrzeuge. Schade, dass viel Lärm um nichts gemacht wurde. Aus dem Auto ist nie etwas Ordentliches geworden.
Mein Rennen ist rasch erzählt. Die 4 Alfettas verschwanden am Horizont. Ferrari war nicht anwesend - wurden aber nicht sonderlich vermisst, weil sie 1950 noch nicht die Kraft späterer Jahre waren. Ich führte den Rest an, vor Bira - bis Runde 36 (auch hier irrt Graffenried. Laut Rundentabelle lag er zu keiner Runde vor seinem Teamkollegen Bira. Tatsächlich überholten ihn in Runde 3, bzw. 13 auch noch Talbot-Werksfahrer Yves Giraud-Cabantous und Eugéne Martin, der später ausfiel. Zum Zeitpunkt seines Ausfalls lag er also an 7. Stelle). Dann erscholl ein Geräusch, als hätte jemand einen Werkzeugkasten ausgekippt. Eine Pleuelstange war gebrochen, und der Wagen rollte bei Abbey Curve aus.
Start frei zum ersten Formel 1-WM Lauf der Geschichte. De Graffenried 'knattert' aus der 3. Reihe los.
Wie üblich wohnten wir im Cornhill Hotel, einer umgebauten Villa in der Nähe von Towcester. Wir hatten viel Spaß. Die Atmosphäre war überhaupt viel familiärer und entspannter als heute, wo es nach dem Rennen Champagnerdusche, Amen und ab ins Flugzeug heißt. Für eine Fünf-Pfund-Note bekamen wir dort eine schöne Unterkunft und ein anständiges Essen. Für mich genügten ein großes Steak und ein Glas Rotwein, oder zwei oder drei. Das war meine Medizin und Diät zugleich. An Gymnastik, Fitness und Gewicht haben wir nicht einen Gedanken verschwendet. Mineralwasser stand erst recht nicht auf meinem Menü. Vielmehr kam der eine oder andere Whisky hinzu, oft sind wir am folgenden Morgen mit schwerem Kopf aufgewacht. 1949 zum Beispiel, als wir nach meinem Sieg noch 3 Tage geblieben sind und ordentlich gebechert haben.
Die Heimfahrt verlief diesmal ohne Zwischenfälle, im Gegensatz zur letzten nach einer Veranstaltung in Goodwood im Frühjahr 1950. Da hatte uns eine üble Überraschung erwartet beim Verladen unseres Transporters auf die Fähre. Ein Drahtseil riss, und der Lastwagen samt den Rennautos stürzte krachend auf das Deck. In Calais haben wir die ganze Havariemasse auf die Bahn verbrachtet und zwei Tage und zwei Nächte durchgearbeitet, damit die beiden Maserati beim Rennen in San Remo am folgenden Wochenende wieder einsatzbereit waren.
Mein letzter Grand Prix war der Gran Premio d'Italia 1956 in einem Maserati 250 F der Scuderia Centro Sud. Dennoch bin ich dem Sport noch drei Jahrzehnte treu geblieben. Ich bin Gründungsmitglied des Club des Anciens Pilotes, der Vereinigung ehemaliger Grand-Prix-Fahrer, Mille-Miglia-Sieger und dergleichen, und habe Anfang der 70er Jahre der Formel 1 Marlboro als Sponsor zugeführt und den Dachkonzem Philip Morris viele Jahre als Repräsentant vertreten.
In beiden Eigenschaften kam ich häufig nach Silverstone. Am Ende war die Strecke nicht mehr wiederzuerkennen, wegen all der Millionen, die man in sie hineingesteckt hat, und weil sie inzwischen ihr eigenes Ambiente gewonnen hatte.