Jeder kochte sein eigenes Süppchen, die Regeln wurden in einer beispiellosen Selbstfindungsphase jedes Jahr geändert, beim Großen Preis von Frankreich 1926 dann der Tiefpunkt: Gerade mal drei Fahrzeuge gingen ins Rennen! Wer sich über die heutige Krise im GP-Sport beklagt, der sollte sich mal mit den 20er Jahren beschäftigen…
Krise hier, Krise dort – die Formel-1 steht vor der Zerreißprobe. Fans laufen weg, Teams stehen am Rande des Ruins, die Technik ist zu komplex, die Show zu künstlich, die Autos viel zu unspektakulär. Der GP-Sport sieht sich mit einer Reihen von Problemen konfrontiert, schlimmer noch: Es führt fast kein Weg hinaus, weil die Entscheidungsstrukturen zu verworren und die Macht in den falschen Händen ist.
Doch das sind alles Peanuts gegen die Probleme, die der GP-Sport in den 20er Jahren hatte. Heute würde der Sport solche Krisenzeiten wie damals nicht mehr überstehen. Bei nur drei Teilnehmern beim wichtigsten GP-Rennen des Jahres würden sämtliche Fernsehstationen Sturm laufen, von den Veranstaltern ganz zu schweigen. Doch genau das passierte 1926 beim Großen Preis von Frankreich, als nur Bugatti drei Rennwagen nach Miramas schickte. Und wie spannend das Rennen war, zeigte sich auch am Resultat: Mit Jules Goux gewann zwar der damals beste Fahrer des Sports das Rennens, aber der zweitplatzierte Meo Constantini hatte schon 15 Runden Rückstand! Pierre de Vizcaya schied mit Motorschaden sogar aus.
Hersteller dominierten Sport
Was war passiert? In der Zeit des Ersten Weltkriegs schwiegen die Rennmotoren. Sobald sich der Kanonenhagel allerdings gelegt hat, ging es mit dem Rennsport schon wieder los. 1921 erst zögerlich, dann aber kamen wieder mehr und mehr Hersteller in den GP-Sport. Und die Fahrzeuge wurden damals eben ausschließlich von den Herstellern konstruiert, richtige Rennteams kamen erst Ende der 20er Jahre mit der Scuderia Ferrari und der Scuderia Materassi auf – aber auch die setzten wie ein paar andere Privatfahrer in der Regel auf Kundenfahrzeuge. Ferrari baute erst nach dem Zweiten Weltkrieg eigene GP-Flitzer, Materassi nie.
Bei einigen GP-Rennen waren Privatfahrer nicht einmal zugelassen. Immer wieder gab es aber Fahrer, die sich durch spektakuläre Eigenkonstruktionen einen Namen machten. 1925 zum Beispiel John Eldridge mit seinem Eldridge Special, Albert Guyot mit seinem Guyot Special oder auch 1926 Frank Halford mit seinem Halford Special. Solche Eigenkonstruktionen blieben in der Regel erfolglos.
Der GP-Sport war also damals ein Sport der Hersteller. Und schon 1922, als beim Frankreich-GP, dem Saisonhöhepunkt, 22 Fahrzeuge am Start standen, beteiligten sich die Hersteller Fiat, Bugatti, Ballot, Aston Martin, Sunbeam und Rolland-Pilain. Damals kochte jeder Rennveranstalter sein eigenes Süppchen, daher unterschied sich oftmals auch das Teilnehmerfeld leicht voneinander. Beim Italien-GP mischten neben Fiat und Bugatti noch Diatto und Heim mit.
Sinnkrise in den 20er Jahren
Damals standen die Einzelevents noch voll im Vordergrund. Viele Rennen wurden nach individuellen Regeln ausgetragen. Wer zu den großen Grand-Prix-Läufen zählen wollte, der musste sich nur an die Eckdaten des damaligen Automobilweltverbandes AIACR halten, die sich aber meist auf eine Hubraum-Maximalgröße beschränkte. Eine Meisterschaft wurde erst 1925 ins Leben gerufen, mit der Konstrukteursmeisterschaft. Die Fahrer spielten nur eine nebensächliche Rolle.
Der Rennsport war damals also nicht nur was die Teilnehmer betrifft, eine Herstellersache. Die Autos standen auch klar im Vordergrund. Der Rennsport wurde auch mit dieser Prämisse erfunden: Als das Automobil auch immer mehr für die Bevölkerung ein Thema wurde, mussten die Hersteller erfolgreich Werbung betreiben, um Bekanntheit zu erlangen und ihre Fahrzeuge zu verkaufen. Dafür wurde der Rennsport ins Leben gerufen.
In den 20er Jahren änderte sich aber vieles: Zu allererst hatten sich einige Hersteller etabliert und brauchten jetzt nicht mehr zwingend sich im GP-Sport – der Spitze des Motorsports – zu beteiligen. Zweitens brach vor allem Ende der 20er Jahre die große Wirtschaftskrise aus, die auch viele Autohersteller ruinierte. Drittens entfernten sich die GP-Rennwagen immer mehr von den normalen Straßenfahrzeugen. Die Technik speziell in der Motorentwicklung veränderte sich weiter und wurde immer besser – damit stiegen aber auch die Kosten. 1927 trieb Delage das Spiel auf die Spitze: Ihre Rennwagen waren so teuer, dass die Aktivitäten die französische Marke fast an den Rand des Ruins gebracht haben. Immer weniger Hersteller wollten sich an diesem Wettrüsten beteiligen. Die logische Konsequenz war ein sich immer stärker reduzierendes Starterfeld.
Not macht erfinderisch
Nur Bugatti und Maserati erkannten einen Weg, wie man GP-Sport zu einem relativ günstigem Preis betreiben konnte: Man konstruierte zwar Rennwagen, verkaufte sie aber in Massen an Privatiers, die zuvor bei vielen Rennen gar nicht startberechtigt waren. So konnten sie das finanzielle Risiko für die Einsätze abtreten und am Verkauf von Rennwagen sogar etwas verdienen. Vor allem Bugatti beherrschte dieses Spiel perfekt: Man stellte Rennwagen nicht nur für die große GP-Klasse her, sondern auch für die zweite Liga (Voiturette) und die dritte Liga (Cycle-Cars), aber auch für andere Disziplinen wie Sport- und Tourenwagen. Bei fast jedem Rennen – von den großen GP-Rennen bis hin zu den Rennen „rund um den Kirchturm“ – standen Ende der 20er Jahre diverse Bugatti-Fahrer am Start, nur selten mit Werksstatus, meistens privat.
Um aber auch wieder mehr Hersteller für die Beteiligung am GP-Sport zu begeistern, änderte die AIACR fast jedes Jahr die Bestimmungen. Meistens waren es nur kleine Bereiche in Sachen Abmessung, Verbrauchslimit, Fahrzeuggewichte oder dergleichen, während man aus motorischer Sicht keine Beschränkungen ausgab, doch ab und an kamen auch skurrile Regeln auf, wie die 10-Stunden-Mindestdistanz 1930.
1931 wurde dann eine Fahrer-Meisterschaft ins Leben gerufen, die aber nur aus drei Läufen bestand. Erst als die faschistischen Regime den Rennsport zu Propaganda-Zwecken für sich entdeckten, ging es mit dem GP-Sport wieder bergauf, wenn auch aus zweifelhaften Gründen. Die Krise der Jahre zuvor wurde überstanden, weil es damals vor Ort diverse Rennen gab und man außer aus Zeitungsberichten damals auch kaum die großen GP-Rennen rund um die Welt verfolgen konnte. Die Krise der 20er Jahre aber leitete ein Trend ein, der dann nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt aufgenommen und umgesetzt wurde: Die Privatisierung des GP-Sports, Hersteller wurden immer unbedeutender, die Privatteams und Privatfahrer eroberten die Rennstrecken und veränderten das Gesicht des GP-Sports nachhaltig.