Den Zusammenhang mit Varzi hast du bereits selbst erläutert. "Der Italiener hatte 1947 ein großartiges Comeback in Südamerika und fuhr sich in die Herzen der Argentinier. Er hatte geplant, in diesem Land seine Pension zu genießen". Er genoss ein hohes Ansehen in Argentinien, und war Vorbild für viele lokale Rennfahrer. Sein Tod im Jahre 1948 war auch in Argentinien ein Schock, und die "Scuderia Achille Varzi" war eine Art Gedenkstein.
Dass Fangio immer wieder als Teaminhaber bzw. -gründer genannt wird, beruht meiner Meinung nach auf unzureichenden Informationen und der Tatsache, dass gerade im Bereich Motorsportgeschichte über Jahrzehnte hinweg immer wieder abgeschrieben wird, ohne dass wirklich neue Recherchen stattfinden. Sicherlich war Fangio so etwas wie Team-Captain, zumindest 1949, aber Eigentümer der Wagen war definitiv der ACA.
Man muss in diesem Zusammenhang die politische und wirtschaftliche Situation in Argentinien zu dieser Zeit sehen. Das Land war damals extrem reich, im 2. Weltkrieg war man neutral, und es wurden riesige Summen an Devisen eingefahren durch den Export von Getreide und Fleisch, dessen Preise durch den Krieg in enorme Höhen geschraubt waren. Präsident Peron verfolgte eine stark nationalistische Politik, anti-USA, mit starker Orientierung in Richtung Europa, und die Aktivitäten im Rennsport müssen unter der Prämisse "Public Relation" gesehen werden. Vor allem die Präsidentengattin, Evita Peron, hatte ein grosses Interesse am Motorsport, und an Fangio hatte sie einen Narren gefressen. Besonders erwähnenswert sind die sogenannten "Temporada"-Rennen, die seit 1946 abgehalten wurden, meistens zwischen Dezember und Februar, also im europäischen Winter, bei denen exorbitante Startgelder bezahlt wurden, um europäische Teams und Fahrer anzulocken. Die einheimischen Fahrer wie Oscar und Juan Galvez, Benedicto Campos, Pascual Puopolo, Eitel Cantoni, und eben auch Juan Manuel Fangio konnten sich hier mit der europäischen Elite messen. Veranstalter dieser Rennen war natürlich der ACA, finanziell gesponsort von YPF, der argentinischen staatlichen Monopolfirma für Mineralöl, und damit mehr oder weniger vom Staat direkt.
Der argentinische "Fuhrpark" bestand damals überwiegend aus Vorkriegsrennwagen der Marken Alfa-Romeo und Maserati, angereichert durch einige Specials mit amerikanischen Motoren, und selbst betagte Bugatti oder Mercedes SSK wurden sporadisch gesichtet. Auch die Europäer hatten anfangs nichts anderes zu bieten, aber nach und nach tauchten die Neukonstruktionen von Ferrari, Maserati, und Gordini auf, die natürlich auch bei den Argentiniern auf grosses Interesse stiessen. Amedee Gordini, der zur Temporada 1947/48 mit 2 Wagen anrückte, wurde ein T11 (# 04GC) vom ACA praktisch in der Box abgekauft, und für Fangio eingesetzt. Es folgte der erste Europaeinsatz von Fangio als Gastfahrer für die Equipe Gordini mit einem T15 beim GP Frankreich und parallel beim F2-Rahmenrennen, dem "Coupe des Petite Cylindres", in Reims.
Für die Temporada (= Saison) 1948/49 kaufte der ACA dann die beiden neuen Maserati 4CLT/48 # 1599 und # 1600, die für Fangio und - abwechselnd - Campos und Malusardi eingesetzt wurden.
Vor allem Fangio überzeugte immer wieder durch gute Ergebnisse, und man beschloss, ihn zusammen mit Campos nach Europa zu schicken, um dort trotz seiner immerhin bereits 38 Jahre eine "Lehrsaison" zu bestreiten. Man gab ihnen die beiden 4CLT/48 für F1-Rennen, sowie die beiden mittlerweile gekauften Gordini T15 mit auf den Weg. "Man" war offiziell der ACA, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass dieses Projekt von Peron und seiner Frau Evita stark gefördert wurde. Das war die offizielle Geburtsstunde der "Scuderia Achille Varzi", deren Europahauptquartier übrigens in Galliate im Haus des mittlerweile tödlich verunglückten Varzi war (siehe Photo). Teamchef war der ACA-Direktor Francesco “Pancho” Borgonovo, und auch Sr. Anesi, der ACA-Präsident, war für einige Wochen mit auf Tour.
Wie gesagt, Geld spielte hierbei keine Rolle, sowohl die Maserati als auch die Gordini waren zwar durchaus konkurrenzfähig, aber man wollte das Beste was auch dem Markt war. Ferrari hatte mit dem neuen Tipo 125/166 unter Farina bei der Temporada einen extrem positiven Eindruck gemacht, und so bestellte man 2 166er zum stattlichen Betrag von $ 11.000 pro Stück. Der Vorteil der Ferrari lag in ihrer universellen Einsatzbarkeit, der gleiche Wagen konnte mit einem 2-Liter-Motor in der F2 eingesetzt werden, mit einem 1.5-Liter-Kompressor in der F1, und mit einem 2-Liter-Kompressor-Triebwerk eben auch bei den Formula-Libre-Rennen der Temporada (Formula Libre = freie Formel = alles geht). Als man im Juni die Fahrzeuge in Maranello übernehmen wollte, war allerdings erst eines einsatzbereit, # 011F, das andere, # 013F, wurde erst am Jahresende fertig, und zusammen mit den Werkswagen der Scuderia Ferrari nach Buenos Aires zur Temporada verschifft. Auch der neue Maserati F2 Tipo A6GCS wurde beim Caracalla-Rennen in Rom von Fangio ausprobiert, aber zu Gunsten des Ferrari verworfen.
Die Sternstunde von Fangio kam dann 3 Wochen später beim F2-Rennen in Monza, dem "Gran Premio del Autódromo de Monza". Der Ferrari war erst 3 Tage vorher fertig geworden, und war zum Entsetzen der nationalbewussten Argentinier nicht blau-gelb, sondern rot lackiert. Alle Proteste halfen nichts, die Banküberweisung aus Buenos Aires war noch nicht eingetroffen, und Enzo Ferrari bestand darauf, dass der Wagen sein Eigentum wäre, solange er nicht bezahlt ist, und alle seine Wagen hätten gefälligst rot zu sein, basta! Mit viel Überredungskunst gelang es dann doch, 011F für das Monza-Rennen frei zu bekommen. Im Training stellte Fangio fest, dass der 5. Gang nicht funktionierte, aber die Ferrari-Mechaniker konnten das Problem nicht lösen - ob tatsächlich nicht, oder aus taktischen Gründen, wird für immer unbeantwortet bleiben. Fangio ging also ohne 5. Gang ins Rennen, gegen ein extrem starkes Starterfeld einschliesslich der Ferrari-Werkswagen von Ascari, Villoresi und Bonetto. Es wurde trotzdem ein grandioser Sieg für den Maestro, geschmälert nur durch die Tatsache, dass Enzo diesen Sieg für die Scuderia Ferrari einforderte, denn der Wagen war immer noch nicht bezahlt, und gehörte ergo ihm - basta! Wenn einige sich wundern, dass Fangio für 1949 als SF-Werksfahrer geführt wird - das war der Grund!
Ende August war man wieder zurück in der Heimat, und Fangio, der es den Europäern so richtig gezeigt hatte, wurde frenetisch gefeiert. Nach der Temporada 1949/50, bei der die beiden Ferrari unter Fangio und Campos äusserst erfolgreich waren, machte sich die "Scuderia Achille Varzi" wieder auf den Weg nach Europa. Die beiden Maserati hatte man dort zurückgelassen, und auch # 011F - jetzt wieder ohne Kompressor - ging mit zurück. Nachfolger von Campos im Team war jetzt der junge Froilan Gonzalez, dessen enormer Körperumfang nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass er ein absoluter Topfahrer war. Und auch Alfredo Pian bekam seine Chance, nachdem Fangio als Werksfahrer von Alfa-Romeo angeheuert wurde. Nach Pians Monaco-Crash kam dann mit Roberto Mieres ein weiterer Argentinier zum Einsatz. Da Alfa-Romeo aber nur an den WM-Rennen teilnahm, war Fangio immer noch des öfteren mit dem Maserati unterwegs.
1950 war das 2. und gleichzeitig letzte Jahr der "Scuderia Achille Varzi". Fangio war nun Werksfahrer bei Alfa, und Gonzalez bei Ferrari, man hatte also im Prinzip das erreicht, was man wollte, nämlich die argentinischen Topfahrer international zu propagieren. Campos, Pian und Mieres hatten die in sie gesetzten Erwartungen nur teilweise erfüllt, und die Kosten einer "Equipe Nacional Argentino" waren für eine "zweite Garde" einfach zu hoch.