Purleys Heldentat
Die Formel-1 Karriere von David Purley ist denkbar kurz gewesen, bei 11 WM-Rennen war er gemeldet, gefahren ist er bei 7. Dennoch sorgte Purley dafür, dass ihn so schnell keiner mehr vergisst. Purley hatte 2 herausragende Szenen in seiner F1-Laufbahn: Die erste brachte ihm die britische George-Medaille, die andere einen Weltrekord. Beim Holland GP 1973 versuchte er vergeblich den verunglückten Roger Williamson aus dessen Wrack zu befreien. Williamson überschlug sich, sein March Ford blieb auf dem Dach liegen und fing Feuer. Tragisch, welche Szenen sich unmittelbar nach dem Crash von Williamson abspielten. Purley versuchte den March umzudrehen, danach entriss er den tatenlos zusehenden Streckenposten den Feuerlöscher. Doch bis Purley den Feuerlöscher zum Löschen brachte, verging weitere wertvolle Zeit.
Eine weitere interessante Frage: Wieso hielten nicht noch weitere Fahrer an und halfen Purley, Williamson aus dessen brennenden Wrack zu befreien? Niki Lauda sagte direkt nach dem Rennen: „Wir werden fürs Fahren bezahlt, nicht fürs Stehen bleiben.“ Ein harter Satz, schließlich kam Lauda wenige Jahre später selbst in eine gleiche Situation. Der Österreicher konnte seinen Feuerunfall am Nürburgring 1976 auch nur durch das beherzte Eingreifen von Arturo Merzario, Harald Ertl, Brett Lunger und Guy Edwards überleben, die Lauda aus den Flammen seines Ferrari-Wracks zogen. Übrigens: Laut Merzario hatte sich Lauda für diese Tat lange Zeit nicht bedankt. Doch zurück zur Lauda-Aussage über den Williamson-Crash: Lauda wusste während des Rennens nicht, dass Williamson im brennenden Auto sitzt, sondern er dachte, da steht ein Pilot neben seinem (eigenen) brennenden Auto und versucht, dieses zu löschen. Purley hatte seinen Boliden nämlich ein Stück weiter vorne abgestellt und war hingelaufen. Für Lauda - und alle anderen - war nicht ersichtlich, dass Pilot und brennendes Auto nicht zusammengehören und damit relativiert sich das Ganze. Außerdem waren bereits relativ schnell Streckenposten und Feuerwehleute vor Ort, was das Eingreifen anderer Fahrer nicht nötig macht. Die Feuerwehrleute und die Streckenposten (darunter Hans Rens) sahen jedoch relativ alt aus in der Szene, der einzige der wirklich Anstalten machte, Williamson zu helfen war Purley. „Ich habe gesehen, wie sich Williamson im Auto bewegte und sich zu befreien versuchte“, schilderte der mutige Brite Jahre nach dem hässlichen Unfall. Dennis Hulme, damals für McLaren Ford unterwegs, verteidigte Lauda: „Ein Problem war, dass sich die Fahrer über die Schwere des Unfalls nicht bewusst waren. Ich habe nie gewusst, dass in dem brennendem Auto noch ein Fahrer war. Erst als ich an die Box kam.“, so der Neuseeländer. Und weiter: „Als ich das erste Mal an die Unfall kam, sah ich das Auto in Flammen und Purley, wie er den Wagen löschen wollte. Meine Reaktion war: Purley hatte einen Unfall, schaffte es aber aus seinem Wrack und löschte es. Erst als er 2 Runden später immer noch dastand, habe ich mich gewundert. Ich wäre aber nie darauf gekommen, dass das Auto einige Meter vor der Unfallstelle das Auto von Purley war. Ich dachte, dass es sich bei dem Unfall vielleicht um eine Kollision handelte, aber das brennende Auto von Purley war.“ Hulme, der zwischen 1965 und 1974 insgesamt 112 WM-Rennen für Brabham und McLaren fuhr, kritisierte die Rennorganisatoren von Zandvoort scharf.
Kein Wunder: Selbst nach der stark kritisierten Bergungsaktion, spielten sich unglaubliche Szenen ab. Williamsons March wurde umgedreht und wieder auf die Räder gestellt, die verbrannte Leiche von Williamson einfach im Auto gelassen und mit einem Handtuch abgedeckt. Die Fans auf den Tribünen verfolgten das fortgesetzte Rennen, während direkt vor ihnen eine Leiche im F1-Renner saß! Hulme: „Wenn Purley rechtzeitig Hilfe bekommen hätte, hätte man Williamson retten können. Aber der Rettungswagen brauchte 8 Minuten, bis er kam, weil er fast um die gesamte Strecke fuhr. Ein anderer Wagen wäre nur 150 Meter von der Unfallstelle gestanden. Bewegt hat sich dieser jedoch keinen Meter!“ Augenzeugen berichteten, dass die Zuschauer auf den Tribünen auf die Strecke laufen wollten, um Purley dabei zu helfen, den auf dem Dach liegenden March zu kippen. Die Fans wurden mit Hunden zurückgehalten! Ein Grund, wieso die Sicherheitskräfte nicht so schnell am Unglücksort waren und das Rennen nicht abgebrochen wurde, war, weil der Renndirektor Ben Huisman nie einen Hinweis auf den Unfall bekam. 1973 war nicht 2007: Nicht jeder Zentimeter der Strecke war kameraüberwacht. Damals mussten die Streckenposten noch mit der Rennleitung Kontakt aufnahmen, falls sich auf der Strecke etwas zugetragen hat. In Zandvoort 1973 war der betreffende Streckenposten (Posten #10) Herman Brammer. Er schwenkte die gelbe Flaggen, konnte die Rennleitung jedoch nicht kontaktieren, weil mit der Telefonleitung etwas nicht stimmte. Huisman bemerkte die schwarze Rauchfahne, weil aber von keinem Kontrollturm eine Nachricht kam, dachte er, dass Fans Reifen angezündet hätten oder irgendwas in diese Richtung.
David Purley nach dem Rennen über seinen Rettungsversuch: „Ich habe den Wagen einfach nicht umdrehen können. Ich habe sehen können, dass er noch am Leben war und ich habe ihn schreien hören! Aber ich bekam den Wagen nicht auf die Räder.“ Purley stand unter Adrenalin, wusste auch nicht genau, was er machen sollte. „Ich habe versucht Leute zu animieren, mir zu helfen. Wenn wir den Wagen hätten umdrehen können, wäre Williamson noch am Leben! Wir hätten ihn rausziehen können“, schluchzte Purley. Purley wurde durch diese Szene zu einem der sympathischsten und charismatischsten Fahrer im Fahrerlager, der aber auch im öffentlichen Leben als sehr beliebt galt.
Dass Fahrer andere Fahrer aus verunglückten Formel-1 Wracks helfen, ist bekannt: Nachdem Erik Comas 1992 im Training in Spa verunglückt war, hielt Ayrton Senna an und half dem Franzosen. Es wird gemunkelt, dass Comas in Imola 1994 deshalb nochmals auf die Strecke gefahren ist, nachdem das Rennen abgebrochen wurde. Senna verstarb jedoch. Senna half in Spa ein Jahr später wieder. Dieses Mal war Alessandro Zanardi schwer verunglückt. Mike Hailwood half bereits 1973 vor dem Williamson-Unfall Clay Regazzoni aus dessen brennenden Renner. Das sind nur wenige Beispiele.