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Daten und Fakten zum Lotus 72

Das Formel 1 Forum früherer Tage...
Beitrag Samstag, 12. November 2005

Beiträge: 4967
Könnte man nicht einmal die
Geschichte vom Lotus 72 ein
wenig erzählen. Der Wagen war
doch ein Meilenstein für die
moderne Formel 1. Ausserdem
war er doch sehr lange im "Dienst".

Bitte liebe F1-Fans helft! :)


Gruss, torino


Sollte schon ein Thread bestehen, so bitte ich um Verzeihung.

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 8060
Über den Lotus 72 wurde zwar immer wieder diskutiert - ein spezielles Thema dazu gab/gibt es aber meiner Meinung nach nicht. Deshalb habe ich hier mal (basierend auf einen Bericht von Doug Nye) einige Fakten zusammengetragen. Da es recht viel ist, habe ich es unterteilt:

Der Lotus 49 belebte drei Saisons lang die GP-Strecken. In dieser Zeit fielen Colin Chapman zunehmend die angebotenen Nachteile dieses schlanken Einbaums auf. Der geniale Chapman fühlte sich besonders durch Graham Hills liebe Angewohnheit genervt, unzählige Runden im Training allein dafür zu opfern, den "richtigen Einfederungsanschlag" herauszufinden. Als sich Chapman später daran erinnerte, sagte er lachend: "MeinTraum war es, für Graham Hill ein Auto mit progressiver Federung zu bauen. Dann hätte er niemals einen Einfederungsanschlag finden können. Also hätte er auch nicht die ganze Zeit damit herumspielen können. Das alleine hätte mir die Saison gerettet."

Die Planung für den 49er-Nachfolger begann 1970, kurz nachdem sich der Typ 69 mit Allradantrieb als Riesenflopp herausgestellt hatte. Colin Chapman und Maurice Phillippe war klar: Beim Lotus 49 hatte den Erfolg allein bestimmt, wie gut der Cosworth-Motor integriert werden konnte. Ob der neue Lotus 72 siegen oder hinterherfahren würde, entschied sich heute an zwei Dinger; Wie gut es gelang, das Chassis mit den neuen Firestone-Reifen zu kombinieren, und wie optimal Abtrieb und Aerodynamik bei den neuen Flügelvorschriften ausgelegt werden konnten.

Wesentliches Ziel beim Entwurf des Neuen war es auch, die ungefederten Massen, vielleicht durch innenliegende Bremsen, möglichst klein zu halten. Die Bremsscheiben aus den Rädern herauszuholen hieß außerdem, die Hitzebeanspruchung auf Radträger, Felgen und Reifen sehr zu verringern. Das würde es erlauben, ging man mal von minimalem Gesamtgewicht des Wagens und weichen, stoßfrelen Laufeigenschaften aus, weichere, also schnellere Reifenmischungen als die Gegner aufzuziehen. Und zwar, ohne sie zu überhitzen und damit zu zerstören. Denn das war bisher das übliche Ergebnis, wenn man versucht hatte, nicht speziell dafür ausgelegte Rennwagen mit solchen Weichmännern zu fahren. Das hohe Ziel war, mit dem Lotus 72 praktisch ein ganzes Rennen auf "Qualifiers" durchzustehen.

Die Designer entschieden sich, der Verwirklichung der Idee durch eine Aufhängung mit progressiven Federn ein Stück näher zu kommen. Damit konnte ein sehr feinfühliges Federungsverhalten erzielt werden, ohne das Auto gleich butterweich, etwa mit vollen Tanks, durchschlagen zu lassen. Eine Drehstabfederung bot sich als feinste Lösung an, und eine Verbunddrehstabfederung brauchte dabei den wenigsten kostbaren Platz.

Der Indlanapolis-Einsatz des Typs 56 Turbinenantrieb hatte 1968 gezeigt, daß eine keilförmige Karosserie sehr wirksam Abtrieb auf den Renner erzeugte. Auch der Lotus 72 sollte ein solcher abtriebsintensiver Keil werden, deshalb wanderten die Kühler von der Nase nach mittschiffs. Hier wurden sie auf die schlanken Flanken des Wagens aufgesetzt. Damit verschwand zugleich eine Hitzequelle, die die armen Piloten der Lotus 49 oft genug halbgar geröstet hatte. Auch die Verlagerung der Öltanks ins Heck brachte dem Fahrer thermische Entlastung. Gleichzeitig konzentrierte man so mehr Gewicht auf der Hinterachse, eine Philosophie, die schon beim 49er bestimmend war. Die Bremsscheiben wanderten tatsächlich nach innen, damit entfiel eine üble Hitzequelle in den Rädern. Die Rennwalzen hatten jetzt nicht mehr den bösen Temperaturstreß, zudem konzentrierten sich die Massen günstiger um den Schwerpunkt.

Erst mal ein bisschen Technik:

Grundlage des ganzen Entwurfs war ein völlig neues, keilförmiges Monocoque-Chassis, dessen aerodynamische Wirkung durch einen ebenfalls brandneuen, dreiteiligen Heckflügel und große Frontschaufeln noch ausbalanciert wurde. Die Verbund-Drehstabfederung bestand aus einer äußeren, hohen Röhre, in der innen ein massiver Stab an einem Ende durch Keilverzahnung befestigt war. Die Röhre war an ihrem offenen Ende mit dem Chassis verbunden. Aus ihr stand der innere Stab hervor, er wiederum war mit dem Radträger verbunden und wurde durch dessen senkrechte Bewegungen aktiviert. Rohr und Stab verdrehten sich also gegeneinander. Je mehr sich die Aufhängung von ihrer "Ruhestellung" entfernte, desto größer war nun die Verdrehung der Federungsanordnung. Der sehr willkommene Effekt war eine sich selbst justierende Aufhängung, die unabhängig von der an Bord befindlichen Treibstoffmenge die Fahreigenschaften des Lotus konstant hielt. Die Verbund-Drehstabfederung hatte den großen Vorteil, daß die Stäbe bei gleicher Kennung nur die halbe Länge konventioneller Drehstäbe haben mußten. Sie beanspruchten inbords weniger Platz als Schraubenfedern. Die federnden Stäbe wurden mit kleinsten Toleranzen auf Maschinen gefertigt, auf denen sonst Gewehrläufe produziert wurden. Um die Reibung zwischen Rohr und Drehstab möglichst gering zu halten, lag zwischen beiden am Betätigungsende des Stabes ein dichtgepacktes Kugellager - aus einem Rennrollschuh!

Vorne und hinten führte der Lotus Dreiecks-Querlenker, die an der Front aus Nickel-Chrom-Molybdän-Blech und für's Heck aus Stahlrohr angefertigt waren. Ein Hilfsrahmen trug die Anlenkpunkte der vorderen Querlenker. Um das Eintauchen der Nase beim Bremsen zu verhindern, lagen die vorderen Befestigungspunkte dieser Dreieckslenker tiefer als die hinteren. Umgekehrt verhielt sich's im Heck des Rennwagens: Hier waren die hinteren Anlenkpunkte tiefer plaziert. Das Ziel war ein "Anfahrnickausgleich", im Klartext: Der Lotus sollte beim Beschleunigen nicht auf der Hinterhand in die Knie gehen. Insgesamt hatte der ganze Aufwand zum Ziel, dem 72 die ausgeglichenen Fahreigenschaften des Typs 56 beizublegen, von dem die Indy-Fahrer begeistert waren. Und man wollte endlich Herr über das schlimme Verhalten werden, das man vom Lotus 49 kannte: Beim Bremsen Nase am Boden, beim Rausbeschleunigen Hintern auf der Strecke. Die neuen, innenliegenden Bremsscheiben wirkten über speziell angefertigte Bremswellen auf die Räder. In die Frontverkleidungversenkte Lufteinlässe führten denvorderenscheiben kühlenden Fahrtwind zu, die heiße Luft trat durch Auslässe über den Bremsen wieder aus.

Das Monocoque wurde auf interne Stahlschotts aufgebaut, die inneren Bleche bestanden aus Duraluminium-Material. Für die Außenhaut wurde ein weicherer, biegsamerer Werkstoff in geringerer Stärke verbaut. Damit konnte die gewundene, nach hinten zusammenlaufende Form erreicht werden, in deren Einbuchtungen die seitlichen Kühler lagen. Um die raumfahrtmäßige versenkte Vernietung des Monocoques wurde damals viel Aufhebens gemacht. In den Seitenpontons mit ihren steil abfallenden Wänden lagen FPT Gummiblasentanks, die einen Sammeltank hinter der schräg abfallenden hinteren Sitzverkleidung versorgten. Die Wanne wurde nach vorne durch eine "foot box" verlängert, die auf einem Rahmen aus 3,2 mm (5/8 Zoll) Stahlprofilen mit rechteckigem Querschnitt aufgebaut war. Sie trug die Pedale, Hauptbremszylinder und die ganze Vorderradaufhängung. An die foot box klammerte sich ein äußerst filigran aussehenderhilfsrahmen, der die Batterie beherbergte und der windschnittigen Nase Halt gab. Rücklings war was ganz wichtiges an das Monocoque angehängt: Der DFV-Motor. Die Last der hinteren Aufhängung trugen Sandwichplatten auf den Flanken des Hewland FG-Getriebes. Durch die innenliegenden Scheibenbremsen waren die Aufhängungen vom Bremsstreß weitgehend entlastet, deshalb reichten hinten obere Längslenker. Der 72er kam mit einem neuartigen, dreiteiligen Heckflügel daher. Durch die Teilung konnte insgesamt ein größerer Anpreßdruck erzeugt werden, als mit einem steil angestellten einteiligen Flügel. Der gewaltige Abtrieb des bis über das Getriebe reichenden Spoilers wurde durch zwei verstellbare Frontflügel ausbalanciert.

Los geht's - mit Problemen!

Der erste Auftritt des neuen Stars auf der WM-Bühne gestaltete sich nicht ganz problemlos: In Jarama 1970 löste sich an Rindts Wagen vorne ein hitzedämmender Einlegring zwischen Bremsscheibe und -welle - durch Hitze - ganz einfach auf. Als Folge lösten sich die Befestigungsbolzen und brachen: Rindt hatte nur noch auf drei Rädern Bremswirkung! An seinem Chassis 72/2 lösten draufhin innenbelüftete die massiven Bremsscheiben ab. Und heiß war's in Spanien! Viel zu heiß für die neuen 72er Kühler. Deshalb vergrößerte man deren Lufteinlässe durch Distanzleisten zwischen Wagenkörper und den seitlichen Boxen. Das Format der Rennwalzen wurde vom 49C übernommen, 13 Zoll Durchmesser vorne, 15 Zoll hinten, die Felgen waren 10 und 15 Zoll breit. Als Rindt hinten versuchsweise 17-Zöller aufziehen ließ, schoben ihn die breiten Schlappen in Kurven einfach geradeaus: brutales Untersteuern.

Aber auch unabhängig von der Reifenwahl gab es später immer wieder Handlingprobleme. Die Lotus taten sich zum Beispiel ziemlich schwer, ihre kurveninneren Räder am Boden zu halten, sie rollten bisweilen wie Schiffe auf hoher See. Andererseits hatten die Chapman-Schöpfungen im Regen Grip, wo eigentlich gar keiner mehr sein durfte, sie ließen mit dieser Eigenschaft beim Regentraining in Silverstone den Zuschauern sämtliche Haare zu Berge stehen. Als aber das anschließende Rennen auf dem schnellen Kurs auch keine überzeugenden Resultate brachte, war eine Denkpause angesagt. Nach Monaco wurde nur der 72/1 als Reservewagen mitgenommen. Rindt startete auf dem 49C - und gewann!

Mittlerweile wurde in der Lotus-Basis zu Hethel unter Colin Knights Aufsicht der 72/2 operiert, sowohl Brems- als auch Anfahrnickausgleich mußten raus. Das Anti-Dive sollte verschwinden, weil es die eh ziemlich schwammige Lenkung beim Bremsen, wenn die Aufhängung härter wurde, zur haarsträubenden Gefühllosigkeit steigerte. Der Anfahrnickausgleich stand im Verdacht, eine der Ursachen zu sein, die den Lotus in Kurven das innere Hinterrad lupfen ließen. Dieses Übel war schnell beseitigt, ein neuer hinterer Hilfsrahmen löste das Problem. Vorne ergaben sich einschneidendere Konsequenzen: Durch die Veränderung des vorderen Hilfsrahmens paßte dem Renner die windschlüpfrige Haut nicht mehr, das vordere Schott mußte völlig überarbeitet werden. Dies wiederum hatte Folgen für die gesamte Verkleidung... Am Ende waren vom alten 72/2 nur noch das Schott hinter dem Cockpit und die Befestigungspunkte für den Cosworth übrig. Gründliche Arbeit.

Dem 72/1 gingen die Monteure weniger gründlich ans Fell. Schale und Vorderradaufhängung blieben unverändert, hinten wurde wie beim 72/2 verfahren. Der Bolide wurde von Rindts neuem Teamkollegen John Miles bewegt. Ein neues Auto mit paralleler Aufhängung, der 72/3 wurde für ihn zum GP Deutschland in Hockenheim fertig. Sein 72/1 wanderte in die Werkstatt, wurde total überarbeitet und Rob Walkers reichlich spät gelieferter Nachfolger für seinen wunderbaren Lotus 49C R7, den Graham Hill fuhr. Der neu aufgebaute Renner lebte unter der Serlennummer 72/4 ein nur kurzes aktives Rennerleben.

Der Lotus 72 wird ein Sieger

Endlich in Zandvoort 1970 war's dann so weit: Rindt siegt auf dem 72/2 beim Großen Preis der Niederlande! Und in Clermont-Ferrand folgte sofort der zweite Triumph, wenn auch mit etwas Glück. Rindts Chassis war durch kreuzweise Verstrebungen im hinteren Schalenbereich versteift, die Aufnahmepunkte für die Radaufhängung waren verstärkt. Zudem waren die hinteren Dämpfer aus dem heißen Luftstrom der seitlichen Kühler genommen worden, die Hitze hatte ihnen zu arg zugesetzt. Zum britischen GP in Brands Hatch führte Rindts 72 die Motorlufthutze in die moderne Formel 1 ein. Die Einlässe der Airbox lagen wie Segelohren beidseits des Überrollbügels, Lotus war wieder mal Trendsetter. Und Rindt hatte außer der neuen Lufthutze auch noch Glück: Im Rennen fuhr ihm nämlich zuerst Brabhams BT33 ungeniert vorneweg, dann ging dem schnellen Jack aber in der letzten Runde der Sprit aus und Jochen hatte die charaktervolle Nase vom: Sieg Nummer drei für Lotus 72 und Rindt! Das nächste Rennen in Hockenheim sah eine High-Speed-Schlacht zwischen Rindt und Jacky Ickx auf dem neuen Zwölfzylinder-Flachmann von Ferrari, die Rindt schließlich mit 0,7 Sekunden Vorsprung für sich entschied: Sieg Nummer vier in Reihe! Etwas ironisch verbot Jochen Rindt seinem Chef Colin Chapman im Anschluß, an dem Auto auch nur das geringste zu verändern, weil damit auch "ein dressierte Affe gewonnen hätte"!

Österreich brachte dann wieder ernsten Ärger für Lotus ... Dort entdeckten die Inspekteure, daß die seitlichen Kühler breiter als die erlaubten 110 cm waren! Also: zurückbauen. Die Piloten gingen nach der Operation ziemlich skeptisch wieder auf die Strecke und... machten auf der Geraden plötzlich ganze 200 Umdrehungen mehr! Dabei blieben in der Steiermark die Temperaturen ganz gesund, verglichen mit dem Fieber, das die Motoren in der spanischen Flußebene gepackt hatte. Ende gut, alles gut - mit Glück. Und davon hatte Miles eine Riesenportion, als an seinem Wagen im Training beim Anbremsen eine der vorderen Bremswellen brach. "Es war, als ob plötzlich eine gewaltige, außerirdische Macht das Lenkrad gepackt und bis zum Anschlag herumgerissen hätte. Zum Glück hatte ich Platz genug, die Sache auf der ganzen Breite der Strecke zu regeln. Dann lief ich ziemlich blaß und geschockt die Boxen an", kommentierte Miles die kritische Situation. Im Rennen verlor Rindt seinen vierten Rang durch einen Dreher, keine Punkte für das Team.

Die Schwachstelle des Lotus 72 kündigt sich an

Aber was hatte Miles' Bremswelle zerstört? Die Wellen waren hohl, sie sollten ein wenig federn, Schocks dämpfen und durch die Bohrung natürlich Gewicht sparen. Wie üblich war die Welle für Miles' Wagen von beiden Seiten angebohrt worden, beide Bohrungen hatten sich aber nicht exakt getroffen. Fehlspannungen an der so entstandenen Kante hatten die Welle brechen lassen. Für den weniger bedeutenden Gold Cup in Oulton Park war Rindts 72/2 mit massiven Wellen bestückt. Walkers dunkelblauer 72/4 erlebte mit Graham Hill am Steuer sein Debüt.

Dann kam der Große Preis von Italien, Monza 1970. Rindt und Miles kamen mit ihren gewohnten Wagen. Emerson Fittipaldi (der bereits vorher hin und wieder einen alten 49er bewegt hatte) stieß neu zum Team und erhielt den 72/5, einen im Werk ganz frisch gebauten Renner. Am Samstag morgen ging Rindt im 72/2 probeweise ohne Flügel auf die Strecke. Der Wagen rollte auf frischen Reifen, die Bremsbalance war völlig normal eingestellt. Beim Anbremsen der Curva Parabolica, einer Rechts, brach höchstwahrscheinlich die vordere rechte Bremswelle. Rindts Wagen schlug mit unglaublicher Wucht in die Betonbarrieren und Planken auf der linken Seite der Fahrbahn ein. Eine Plankenverbindung gab nach, der Vorderwagen geriet unter die Planke und wurde völlig zerstört, als er frontal auf einen Pfosten auftrat Die Schalenkonstruktion hielt dem gewaltigen Aufprall nicht stand, Jochen Rindt, der designierte Weltmeister, war tot. Sieben lange Jahre nach dem Unfall stellte ein italienisches Gericht zwar den Bruch der Bremswelle als Hauptursache des schrecklichen Unglücks fest, aber Rindt hätte bei richtiger Befestigung der Planken am Leben bleiben können. Gegen Ende der Saison siegte Fittipaldi auf dem 72/5 beim GP der USA in Watkins Glen, sein neuer Gefährte Reine Wisell kam als Dritter ein. Damit ging der Titel an Jochen Rindt - die wahre Freude konnte über einen toten Weltmeister aber natürlich nicht aufkommen. Lotus wurde zum vierten Mal Konstrukteursweltmeister.

Teil 2 der Lotus 72-Geschichte folgt in Kürze.

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 8060
Ich will das Thema Monza 1970 aber noch nicht ganz verlassen und noch diesen interessanten Berich von John Miles einschieben, den ich vor vielen Jahren mal gelesen habe. Miles war damals #2-Pilot bei Lotus und schildert darin in eigenen Worten die Ereignisse:

"Die drei Wagen kamen spät an und es gab eine grosse Panik. In einer solchen Situation ist es am besten, wenn man seine eigene Arbeit macht, ohne den anderen zu stören. Gegen Ende des Freitagtrainings hatte ich mich für eine Flügeleinstellung entschlossen, die zufälligerweise die gleiche war wie an Graham Hills Rob Walker 72. Wir hatten hinten immer noch den dreiteiligen Flügel und wir hatten den mittleren Teil entfernt und die anderen zwei ziemlich abgemacht. Die vorderen Profile hatten ebenfalls einen flachen Winkel. Kurz vor Trainingsende fand ich mich mit Jochen zusammen, der inzwischen, wahrscheinlich auf Colins Wunsch, ohne Flügel fuhr. Zum ersten Mal konnte ich mit seinen Zeiten mithalten, obschon sich sein Wagen, besonders an Stellen wie der Ascari-Kurve, auf der Geraden und in der Lesmokurve sehr schwierig unter Kontrolle zu halten schien. In den Kurven hatte ich die bessere Strassenlage, war aber auf der Geraden langsamer. Meiner Meinung nach hatte ich die bessere Version.

Ich kam in die Box und Colin kam herüber, um meine Zeiten anzuschauen. Ich war um rund eine halbe Sekunde langsamer als Jochen, aber im Vergleich zu anderen Rennen waren unsere Zeiten enger als sonst. Colin sagte dann: "Dein Flügel stimmt nicht. Du musst den Flügel entfernen." "Das will ich lieber nicht, Colin", antwortete ich, "der Wagen fühlt sich jetzt schon ein bisschen komisch an." Er beharrte aber darauf, also liess ich den Flügel entfernen und fuhr vor Trainingsschluss eine weitere, langsame Runde. Ich bin in meinem Leben nie einen so schlechten Rennwagen gefahren. Er war unglaublich unstabil und hatte hinten einen fürchterlichen Auftrieb.

Nachher hatte ich mit Colin ein Gespräch und er sagte: "Nur ohne Flügel wirst Du schnell sein können." "Ich will aber nicht ohne Flügel fahren, da ich hier zum ersten Mal in meinem Leben vor einem Rennwagen Angst hatte", erwiderte ich. Dann bemerkte er: "Du wirst aber ohne Flügel fahren müssen, da sie morgen von Deinem Wagen abmontiert werden." So ging es weiter. Meine Antwort war: "Ich will nicht, dass Du sie abmontierst", und er wiederholte: "Ich werde sie abmontieren!"

Am nächsten Morgen kam ich nach einer schlaflosen Nacht an und sah, dass sie meinen Flügel tatsächlich abmontiert hatten - gegen Colin hattest du keine Chance. Ich habe aber dann doch nicht damit trainiert, da sich der Unfall von Rindt ereignet hatte, bevor ich zum Fahren bereit war. Colin hatte mir am Vortag gesagt: "Wir haben schon öfters Wagen ohne Flügel zum Laufen gebracht." Und ich antwortete: "Ja, das haben wir, aber wir hatten damals Zeit, die wir jetzt nicht haben und mir fehlt das Selbstvertrauen, um den verlorenen Tag nachzuholen!"

Die Anklage in Italien wurde schliesslich abgewiesen, da es offensichtlich war, dass die gebrochene Bremsstange nicht zum Tod von Jochen Rindt geführt hatte. Zwei Fragen blieben allerdings unbeantwortet: Warum fehlten an der Leitplanke zwei Bolzen und wie konnte sich das Rad unter der Leitplanke hindurchdrücken?

Der Brasilianer Emerson Fittipaldi wurde in der Mitte der Saison gebeten, sich dem Team Lotus anzuschliessen und hatte den dritten Wagen für den britischen Grand Prix übernommen. Er wurde Achter und schon vor Trainingsbeginn in Monza zur Nummer 2 vom Team Lotus ernannt. John Miles verliess Lotus nach der Tragödie in Monza und Fittipaldi wurde über Nacht auf die Position des Teamführers gesetzt.

John Miles fuhr im nächsten Jahr bei einigen Grands Prix einen BRM und wandte sich dann mit etwas Erfolg dem Sportwagenrennsport zu. Er wollte mit der Formel 1 nichts mehr zu tun haben. "Es war nicht nur der Unfall von Rindt, aber das Jahr war überhaupt erschreckend blutig gewesen. Piers Courage, Bruce McLaren und mein guter Freund Paul Hawkins wurden getötet. Die ständigen Probleme mit dem Wagen entnervten mich. Während der Entwicklung des 72er gab es vieles, was mich beängstigte. Alles zusammen war einfach zuviel für mich. Nach Monza sprach ich mit Colin und sagte ihm, ich nähme es sehr schwer, wenn Leute sterben. Er könne mich verstehen, antwortete er und schlug eine zwei-wöchige Pause vor. Rund zehn Tage später bekam ich von Peter Warr einen Telefonanruf und er teilte mir mit, dass mein Platz in der Mannschaft von Reine Wisell eingenommen würde. Ich hatte meinen Rücktritt nicht eingereicht - ich hatte nur ein bisschen moralische Unterstützung gebraucht - und war von dieser total Entscheidung niedergeschmettert! Mike Warner bot mir den Lotus 70 Formel 5000 an, aber ich lehnte ihn ab - glücklicherweise wie es sich herausstellte, da der Wagen zwei Wochen später bei einem Rennen entzwei brach! Es war das Ende meiner Karriere mit Team Lotus. Ich bin sicher, dass Colin die Verantwortung für einen Fahrer nicht übernehmen wollte, der dem Wagen nicht mehr traute. Es war nicht seine Aufgabe, mir Mut zu machen, er hatte damals eigene Probleme zur Genüge."

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 8060
Und zum Abschluss der Jahres 1970 noch ein Bild des Lotus 72 in seiner 'Urform' - in Spanien 1970 - bei einem wenig geglückten Debüt:

Bild

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 4967
@Alfalfa

Für diese Abhandlung kriegst Du
von mir eine Goldmedaille. :D)

Ich freue mich schon auf den
2. Teil.

Ich habe hier noch eine Skizze von einem Lotus.
Ist das auch ein 72er? Wurde der jemals mit dieser
Heckflügelausführung gefahren?

Bild

Gruss, torino

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 454
@ torino:

Das ist der Lotus 76 - er war seiner Zeit weit voraus, als er Ende 1973 die ersten Testfahrten absolvierte. Halbautomatisches Getriebe und andere Gimmicks, die mir gerade nicht einfallen... :)

Ronnie Peterson kam mit dem Ding überhaupt nicht klar und bekniete Chapman, wieder den "bewährten" Typ 72 fahren zu können. Jacky Ickx war auch kein begnadeter Testfahrer und so verschwand der 76 wieder von der Bildfläche und wanderte ins Museum.

In der Heckflügel-Variante tauchte er schon bei einigen Rennen auf - ob sie aber im Rennen auch Verwendung fand - da müsste ich mal mein Archiv durchsuchen.

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 454
Yep, in Spanien (Jarama) 1974 - kann man nicht so gut erkennen, aber es ist dieser geteilte Heckflügel:

Bild

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 1681
Zuerst ein großes Dankeschön für Alfalfas Ausführungen über den 72.
@ torino,
Nein, es ist ein Lotus 76 ( oder auch JPS Mk 1) aus dem Jahr 1974 und es war ein ziemlicher Flop. Revolutionär war wohl das Getriebe, das ausser beim Start ohne Kupplung auskam und ein zweites Bremspedal für den linken Fuß.
Insgesamt gab es mehr Probleme (getriebeprob.,zu schwer) als Vorteile, so daß der 76 nur zehnmal eingesetzt worden ist und nur einmal ( peterson in Dt. 4-er) in die Punkte kam.

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 4967
Vielen Dank Peterson78 und Micha :D)

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 1681
Hier noch ein Bild vom 76 mit Doppelflügel in Südafrika :

Bild

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 8060
Nachtrag: das ist übrigens der flügellose Lotus mit dem Miles in Monza 1970 nicht fahren wollte - ein ungeöwhnlicher Anblick. Teamkollege Rindt verunglückte auch prompt mit einem solchen 72er. Allerdings sollen die abgebauten Flügel auf den Unfall keinen Einfluss gehabt haben:

Bild

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 8060
So, weiter geht's mit Teil 2, dem Jahr 1971. Die Jahre werden naturgemäßg nun etwas kürzer, denn das Wichtige & Grundsätzliche habe ich a bereits im Jahr 1970 erzählt:

Das schwache Jahr 1971

Der Winter kam, für die nächste, die Saison 1971, erhielten die Lotus ein neues Schmierungssystem. Für die amerikanischen Läufe nach Rindts Tod waren massive Bremswellen montiert worden, an ihre Stelle traten nun wieder ausgebohrte. Firestone brachte einen neuen Niederprofilreifen, der eine bessere Kontrolle der Auflagefläche durch steifere Flanken erlaubte. Also mußten auch die Aufhängungen der neuen, niedrigen Mittelachse der Räder angepaßt werden. Die ursprünglich verwendeten Magnesium-Radträger waren ohnehin im Verdacht, sich stark zu verwinden. Genügend feste, gegossene Magnesiumradträger wären viel zu schwer geworden, also ging man bei Lotus zu Stahlteilen über.

Beim "Good Friday Oulton Park" Rennen sah man den 72/5 mit einem neuen, einteiligen Heckflügel, unter dem ein strömungsgünstig angeordneter Öltank lag. Noch was für die Chassisnummernpedanten: Der "72" hieß mit dem Verschwinden des Anfahrnickausgleichs "72B", gefolgt vom "72C" mit der Amputation des Bremsnickverhinderers und der Neubearbeitung der Schale. 1971 in Monaco lief Emerson Fittipaldis "72/5" als "72D", nachdem die Geometrie der hinteren Aufhängung zur Aufnahme der neuen Niederprofil-Reifen geändert worden war. Der Lotus hatte nun hinten doppelte Längslenker auf jeder Seite, Rechteckquerlenker unten ersetzten die ursprünglichen Querlenker, um Spurveränderungen besser zu kontrollieren. BRM hatte diese Anordnung schon 1967-68 vorgeführt, Matra war 1969 gefolgt. Die Lotus-Leute konnten mit dem neuen System das hinterlistige, plötzliche Wechseln des Renners vom Unter- zum Übersteuern etwas zähmen und den Piloten so ein paar Schrecksekunden ersparen.

Zum GP England in Silverstone traten die Lotus mit einer neuen Lufthutze an, die statt der Schlappohren eine einzelne, zentrale Öffnung über dem Fahrerkopf führte - Matra hatte das schon beim GP von Mexiko im letzten Jahr eingeführt - nun zog also auch Lotus nach. Der Herbst brachte den Abschied von Konstrukteur Maurice Phillippe. Er ging zum Vel's Parnelli Jones Racing Team in die USA, um dort Rennwagen für die USAC und später auch die Formel 1 zu bauen. Vor dem GP der USA wurden unsere Lotus weiter verändert, die Geometrie mit progressiver Federung schien nichts mehr zu bringen. Sie schien im Gegenteil verantwortlich für die schlimmen Vibrationsprobleme mit den neuen Niederprofilreifen und verschwand von der Hinterradaufhängung. Fittipaldi qualifizierte sich mit höher profilierten Walzen auf niedrigeren 13 Zoll Rädern prompt für den zweiten Startplatz, nur 0,017 Sekunden hinter Stewarts Tyrrell. Im Rennen ließ dann ein ganzes Paket von Problemen nur den 17. Platz rausspringen.

Fazit; Stewart war einfach besser!

Das Team war auf der Talsohle, die mieseste Saison seit 1959. Denn zwischen 1960 und 1970 gab es kein Jahr ohne Lotus-Sieg, in diesem Jahr hatte die Chapman-Truppe aber noch keinen einzigen Triumph erlebt. Alle litten noch unter Rindts Tod. Und die beiden neuen Piloten mußten noch viel Erfahrung sammeln. Zu allem Übel wurde der schnellere der beiden, Fittipaldi, bei einem Autounfall verletzt. Er fuhr zwar weiter Rennen, Teammanager Peter Warr hatte aber den Eindruck, seine Nummer Eins wäre stärker angegriffen, als sie es zugeben wollte. Ein Faktor, der mit aller Ingenieurskunst nicht auszugleichen war.

Trotzdem war und ist die Tastache dass man sich von Stewart im konstervativen und gegen den Lotus wirklich 'alt' aussehenden Tyrrell in Grund und Boden fahren ließ eine ziemlich beschämende Tatsache - allerdings fuhr Stewart 1971 wohl auch die Saison seines Lebens. Und es wurden ja angesichts seiner überrangenden Leistung in der Saison immer wieder Manipulationsvorwürfe erhoben - nach dem GP von Frankreich etwa wurde sein Cosworth komplett zerlegt und seziert - aber man fand nichts 'unanständiges'.

Bild

Der Lotus 72 im Jahr 1971 - der Airbox entsprach jetzt dem allgemein üblichen Schnorchel (allerdings noch sehr klein im Vergleich zu dem späteren Auswüchsen - obwohl der 72 in dieser Disziplin nie ein Spitzenkandidat war) und der Heckflügel wuchs gewaltig - aber auch hier sollte es noch schlimmer kommen. Wie 1970 fuhr man mit Gold Leaf als Hauptsponsor.

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 8060
Teil 3:

Der zweite Titel für den 72

1972 brachte neue Bestimmungen über den Schutz der Benzintanks mit stärkeren Blechen, also bekam die Lotus 72 eine neue Haut in geforderter Dicke. Neue Pelle, neues Aussehen: die Lotus setzten von diesem Jahr an auch modisch neue Akzente mit ihrem vornehmen, schwarzgoldenen "John-Player-Special" Kleid. Der knallige Rot-Golden-Weiße Gold-Leaf Anzug wurde abgestreift - und eine Legende geboren! Nie mehr gab es ein besser aussehendes F1-Auto!

Im Winter war unter Leitung der beiden neuen Konstrukteure, Martin Waide und Ralph Bellamy viel Testarbeit geleistet worden. Sie brachte einen neuen Heckflügel, der sich in der Saison bewährte, die Anordnung des Öltanks wanderte im Laufe des Jahres allerdings häufig hin und her. Die schwarzen Schönheiten bewegten sich auf Rädern von 13 bzw. 15 Zoll Durchmesser, und die Auspuffsysteme suchten sich verschiedenste Wege durch die ständig geänderten Hinterradaufhängungen. Aber Fittipaldi erfüllte alle Hoffnungen, die man auf ihn gesetzt hatte: Er gewann die WM-Läufe in Spanien, Belgien, England, Österreich und Italien. Dazu war der Brasilianer noch bei nicht zur WM zählenden Rennen in Brands Hatch, Silverstone und Vallelunga, später in der Saison bei den einmaligen "312 Meilen", wieder in Brands Hatch, siegreich: Triumpf auf der ganzen Linie!

Zum Zeitpunkt des italienischen GP im September mußten entweder Hulme von McLaren oder Stewart auf Tyrrell alle drei verbliebenen GP's gewinnen, ohne daß Fittipaldi besser als ein Vierter in einem dieser Rennen würde, um ihm und Lotus die Weltmeisterschaftstitel abzuringen. Aber Fitti gewann in Monza und wurde so der jüngste Formel 1-Weltmeister, den es je gab (na ja, bis zu dieser Saison!), Lotus gewann seine fünfte Formel 1 -Weltmeisterschaft. Erwähnenswert ist an dieser Saison, dass Fittipaldi beide Titel im Alleingang holte, den #2 Pilot, der stämmige Australier Dave Walker, schaffte es in der ganzen Saison KEINEN EINZIGEN Punkt zu holen. Gegen Saisonende wurde Reine Wisell reaktiviert, aber auch der schaffte in den letzten Rennen keine Punkt.

Bild

'Black Beauty' gab sein Debüt (Argentinien 1972) - und verlor gegen Stewart! Aber im Laufe der Saison drehte Fittipaldi den Spiess um und fuhr nun seinerseits Stewart in Grund und Boden. Symptomatisch dafür das Rennen in Brands Hatch, wo Stewart von seinen eigenen Landsleute beschimpft wurde und diese statt dessen Fittipaldi zujubelten!

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

Beiträge: 8060
Teil 4:

...und noch ein Titel - leider der falsche!

Für die 1973er Auflage der WM sollte Lotus zum absoluten Superteam werden. John Player engagierte Ronnie Peterson an die Seite des amtierenden Weltmeisters. Bei Firestone haderte das Top-Management, ob man in der Formel 1 bleiben wollte. Chapman orientierte sich blitzschnell in Richtung Goodyear um, er konnte es noch nie leiden, wenn ihn jemand in Unsicherheit ließ. Die neuen Reifen erforderten praktisch neue Aufhängungen. Trotzdem gewann Fittipaldi die ersten beiden Grands Prix der Saison ungefährdet auf seinem Heimatkontinent. Beim Training in Interlagos ließen die beiden, doch schon angejahrten Lotus, die gesamte Konkurrenz mehr als eine Sekunde hinter sich! Auch noch mit vollen Tanks hängten sie alle ab, eine schier unglaubliche Kombination von Chassis, Reifen und Piloten!

Trotzdem gab Chapman in Hethel Ralph Bellamy den Auftrag, endlich einen würdigen Nachfolger für den 72 zu bauen. "Alles, was wir brauchen", sagte er "ist ein 72, der hundert Pfund leichter ist." Ab dem GP Spanien mußten verformbare Strukturen die Tanks der Formel-1 Renner schützen. Martin Waide zeichnete die nötigen Veränderungen für den 72. Die schon ziemlich ältlichen Wannen wurden wieder überarbeitet und tauchten beim Race of Champions mit Kühlern auf, deren Seitenwände die verformbaren Strukturen enthielten.

Im Lauf einer langen Entwicklung waren die Stahl-Radträger schwerer geworden als vergleichbar starke Magnesium-Vettern. Gerade waren neue Teile in der Mache, da änderte Goodycar abrupt die Reifengrößen. Natürlich mußte ein Lückenbüßer her. Der geriet sehr groß, sehr häßlich und funktionierte sehr gut. Während der Saison 73 erschienen Lufthutzen in den verschiedensten Ausführungen, und der Heckflügel wanderte weiter hinter den Wagen.

Peterson - der neue Superstar der Formel 1

Inzwischen mußte Petersons Renner immer wieder verstärkt werden, um dem Fahrstil des wilden Schweden standhalten zu können. Peterson setzte die Leistungsstandards der Saison, verlor aber einige Rennen wegen technischer Defekte. Im Juli stand er nach dem GP Frankreich dann endlich ganz oben auf dem Treppchen - der Bann war gebrochen und er hatte Fittipaldi, der als klar #1 in die Saison gestartet war, im Sack. Rückwirkend sollte diese Tatsache aber dann den Fahrertitel koste, der eigentlich einem er beiden zugestanden hätte - aber man wurde sich bei Lotus ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr einig.

Im Team gab es unvermeidlich eine ziemlich schädliche Rivalität zwischen Peterson und Fittipaldi. Für den Weltmeister kam ein schlimmer Rückschlag, als ein Trainingsunfall seinen verläßlichen 72/5 zerstörte. Den schlimmsten Druck bekamen die Lotus in dieser Saison von den neuen Tyrrells mit ihrem ultrakurzen Radstand und vom McLaren M23, leicht an seinen seitlichen Kühlern zu erkennen. Beide hatten eine günstigere Gewichtsverteilung mit höherer Belastung der Vorderräder. Um mehr Last auf die Vorderräder zu bringen, experimentierte Lotus nun mit einer breiteren Spur, die eine härtere Drehstabfederung nötig machte. Und es dauerte Ewigkeiten, diese Dinger beim Zulieferer zu konstruieren und zu bauen. Die hinteren Magnesiumradträger waren wieder mal zu schwer, also wurde wieder Stahl versucht. Das Teuerste an der Formel 1 sind wohl die vielen Teile, die auf den Schrott wandern...

Am Ende war Lotus mit dem 72 wieder Konstrukteursweltmeister. Wer aber errang den Fahrertitel? Fittipaldl mit drei Siegen zu Anfang der Saison? Oder Peterson mit seinen vier Triumphen auf dem schwarzgoldenen Renner? Keiner von beiden! Stewart auf Tyrrell raste gleich fünfmal als erster über die Ziellinie und schlug sie beide!

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Monza 1973: das Ende der Beziehung zwischen Fittipaldi und Lotus. Eigentlich hätte die Stallorder zugunsten von Fittipaldi greifen müssen, um den Brasilianer auf WM-Kurs zu halten, aber Chapman hatte inzwischen sein Herz an Peterson verloren. Der Draufgänger durfte - verdient - gewinnen, Stewart aber war Fahrer-WM!

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

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Teil 5:

1974: das alte Schlachtross kann noch siegen

1974 kam, und der Lotus 76 als Nachfolger unseres 72 nahm Gestalt an, Fittipaldi war zu McLaren gegangen, der Neue neben Peterson hieß Jacky Ickx. Goodyear kam wieder auf Hinterreifen mit 28 Zoll Gesamtdurchmesser zurück. In Brasilien tauchten deshalb die Lotus mit uralten Radträgern auf, die zu den alten Gummis paßten. Ickx gewann Brands Hatch gegen alle Voraussagen im strömenden Regen. Dann kamen endlich die neuen Lotus 76 - und versagten total. Also machte der treue, jetzt aber wirklich völlig überalterte Lotus 72 weiter. Gelenkt von dem unbeschreiblichen Peterson gab es noch Siege auf so unterschiedlichen Kursen wie Monaco, Dijon-Prenois und Monza. Der 72/8 war dermaßen erfolgreich, daß in Hethel noch ein solches Gerät, der 72/9 entstehen sollte, der aber schon vor der Fertigstellung übel ausgeschlachtet wurde, um am "Achter" nach einem Trainingsunfall am Ring die schlimmsten Wunden zu versorgen. Dijon sah die Lotus mit mehr als zwei Zoll breiterer Spur vorne, in Brands Hatch fuhren sie mit gelochten Bremsscheiben. Um höhere Endgeschwindigkeiten zu erzielen, baute das Team für Monza und Watkins Glen die Spur wieder auf schmaleres Maß zurück.

Zu der Zeit gab's aber schon schlimme Untersteuerprobleme mit den neu entwickelten Goodyears, die auf die Bedürfnisse der moderneren Konkurrenz von Ferrari, McLaren und Tyrrell abgestimmt waren. Dadurch geriet der 72er immer mehr ins Abseits, Reifen wurden für die erfolgreiche Mehrheit gebaut.

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Der letzte Sieg des 72: Monza 1974. Aber warum fährt Ronnie Peterson die #1, obwohl er nie Weltmeister war? Nun, die festen Startnummern wurden erst 1974 eingeführt - und da gab es die Regel dass der Weltmeister die #1 in sein neues Team mitnehmen darf offenbar noch nicht - so blieb sie bei Lotus, dem Konstrukteursweltmeister.

Nicht's passt mehr zusammen

Insgesamt sollte deshalb die Saison 1975 eine reine Katastrophe für das traditionsreiche Team werden. Die Lotus-Gruppe war zudem in Nöten, es konnte nicht vernünftig in den längst überfälligen Nachfolgerennwagen investiert werden. Zum Start der Saison in Argentinien war das sogenannte Lightweight-Chassis für Peterson noch immer nicht fertig. In Brasilien präsentierten sein "72/8" und Ickx' getreuer "72/5" neue hintere Radträger mit neuer Geometrie. Beide hatten vorne sehr große Bremsscheiben. Zum Race of Champions in Brands Hatch kam dann endlich Ronnies Neuer und ein dritter Platz im Rennen, die Stimmung bei dem Schweden sank trotzdem weiter.

Jim Crawford fuhr für Ickx, der mehr und mehr in die Krtik geriet, in Silverstone, baute aber in Vortests und beim Training zwei schwere Abflüge. Das große Problem blieben die neuen Goodyear-Reifen. Der Lotus 72 brachte sie einfach nicht auf Temperatur, weil er sie seiner Konzeption folgend nicht so belastete wie die moderne Konkurrenz. Aber es wurde nach Lösungen gesucht: In Le Castellet sah man Petersons Ersatz-72/8 mit Hilfsschraubenfedern um die vorderen Dämpfer, die die Drehstabfederung unterstützen sollten. Der Motor war auf einem Rohrrahmen ca. 13 cm weiter nach hinten gewandert, der Öltank lag nun zwischen dem Monocoque und dem Motor, um mehr Gewicht nach vorne zu bekommen. Ickx' 72/5 kam ebenfalls mit verlängertem Radstand daher, hatte aber keine Hilfsfedern. Sein nordischer Kollege wurde dann im Rennen auf dem 72/9 Zehnter, der Belgier gab auf. Es war sein letztes Rennen für Lotus. Peterson konnte gerade noch überredet werden, dem Stall die Treue zu halten.

Im britischen GP gesellten sich Brian Henton und Jim Crawford zu ihm. An ihren 72/5 und 72/8 waren die Drehstäbe hinten verschwunden und durch Schraubenfedern ersetzt. Peterson trat mit dem 72/9 im Trimm von 1973 an - und das funktionierte auch nicht.
John Watson steuerte den zweiten Lotus auf dem Ring. Beim Großen Preis der USA ging Peterson vom 14. und Henton vom 19. Platz aus ins Rennen. Der Brite sah das Ziel auf seinem 72/5 als Zwölfter, Peterson fuhr den 72/9 in die Punkte: fünfter Rang. So ergatterte der Lotus sechs Jahre nach seiner Premiere in seinem letzten Rennen noch WM-Zähler.

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Versöhnliches Ende für einen großen Champion: Peterson ergattert in Watkins Glen 1975 im letzten Rennen für den 72er noch 2 Punkte. Und sein klassisches Profil ist trotz der hetigen Veränderungen im Laufe der Jahre noch klar erkennbar.

Mini-Fazit:

In seinen sechs aktiven Jahren hatte der klassische Lotus-Keil nicht weniger als 20 Grands Prix gewonnen und das Team dreimal zum Konstrukteursweltmeister gemacht. Nachdem er auf der Bildflächer erschienen war, war wieder mal nichts mehr wie vorher in der Formel 1 und binnen 2 Jahren sahen dann fast alle Autos so aus. Wie man es auch betrachten will, der Lotus 72 war ein großartiges Renngerät.

Beitrag Sonntag, 13. November 2005

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Hier noch mal ein Bild des 'verbesserten' Lotus 72 - des 76, da sieht man den Heckflügel sehr gut. Eigentlich ein recht attraktives Auto, oder...?!

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Beitrag Sonntag, 13. November 2005

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wie immer ein ganz toller bericht!!!

der lotus 72 hat auch das design bei anderen teams maßgeblich beeinflusst. der mclaren m23 etwa - mit ihm wurde fittipaldi 1974 wm - sieht aus wie ein lotus 72 in marlboro-farben.
"When you're racing, it's life. Anything that happens before or after is just waiting."

Michael Delaney (Steve McQueen), Le Mans


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