John Miles hat diesen Bericht (zu den flügellosen 72er) mal viele Jahre nach seiner aktiven Karriere von sich gegeben - hab's schnell mal wo anders rauskopiert:
"Die drei Wagen kamen spät an und es gab eine grosse Panik. In einer solchen Situation ist es am besten, wenn man seine eigene Arbeit macht, ohne den anderen zu stören. Gegen Ende des Freitagtrainings hatte ich mich für eine Flügeleinstellung entschlossen, die zufälligerweise die gleiche war wie an Graham Hills Rob Walker 72. Wir hatten hinten immer noch den dreiteiligen Flügel und wir hatten den mittleren Teil entfernt und die anderen zwei ziemlich abgemacht. Die vorderen Profile hatten ebenfalls einen flachen Winkel. Kurz vor Trainingsende fand ich mich mit Jochen zusammen, der inzwischen, wahrscheinlich auf Colins Wunsch, ohne Flügel fuhr. Zum ersten Mal konnte ich mit seinen Zeiten mithalten, obschon sich sein Wagen, besonders an Stellen wie der Ascari-Kurve, auf der Geraden und in der Lesmokurve sehr schwierig unter Kontrolle zu halten schien. In den Kurven hatte ich die bessere Strassenlage, war aber auf der Geraden langsamer. Meiner Meinung nach hatte ich die bessere Version.
Ich kam in die Box und Colin kam herüber, um meine Zeiten anzuschauen. Ich war um rund eine halbe Sekunde langsamer als Jochen, aber im Vergleich zu anderen Rennen waren unsere Zeiten enger als sonst. Colin sagte dann: "Dein Flügel stimmt nicht. Du musst den Flügel entfernen." "Das will ich lieber nicht, Colin", antwortete ich, "der Wagen fühlt sich jetzt schon ein bisschen komisch an." Er beharrte aber darauf, also liess ich den Flügel entfernen und fuhr vor Trainingsschluss eine weitere, langsame Runde. Ich bin in meinem Leben nie einen so schlechten Rennwagen gefahren. Er war unglaublich unstabil und hatte hinten einen fürchterlichen Auftrieb.
Nachher hatte ich mit Colin ein Gespräch und er sagte: "Nur ohne Flügel wirst Du schnell sein können." "Ich will aber nicht ohne Flügel fahren, da ich hier zum ersten Mal in meinem Leben vor einem Rennwagen Angst hatte", erwiderte ich. Dann bemerkte er: "Du wirst aber ohne Flügel fahren müssen, da sie morgen von Deinem Wagen abmontiert werden." So ging es weiter. Meine Antwort war: "Ich will nicht, dass Du sie abmontierst", und er wiederholte: "Ich werde sie abmontieren!"
Am nächsten Morgen kam ich nach einer schlaflosen Nacht an und sah, dass sie meinen Flügel tatsächlich abmontiert hatten - gegen Colin hattest du keine Chance. Ich habe aber dann doch nicht damit trainiert, da sich der Unfall von Rindt ereignet hatte, bevor ich zum Fahren bereit war. Colin hatte mir am Vortag gesagt: "Wir haben schon öfters Wagen ohne Flügel zum Laufen gebracht." Und ich antwortete: "Ja, das haben wir, aber wir hatten damals Zeit, die wir jetzt nicht haben und mir fehlt das Selbstvertrauen, um den verlorenen Tag nachzuholen!"
Die Anklage in Italien wurde schliesslich abgewiesen, da es offensichtlich war, dass die gebrochene Bremsstange nicht zum Tod von Jochen Rindt geführt hatte. Zwei Fragen blieben allerdings unbeantwortet: Warum fehlten an der Leitplanke zwei Bolzen und wie konnte sich das Rad unter der Leitplanke hindurchdrücken?
Der Brasilianer Emerson Fittipaldi wurde in der Mitte der Saison gebeten, sich dem Team Lotus anzuschliessen und hatte den dritten Wagen für den britischen Grand Prix übernommen. Er wurde Achter und schon vor Trainingsbeginn in Monza zur Nummer 2 vom Team Lotus ernannt. John Miles verliess Lotus nach der Tragödie in Monza und Fittipaldi wurde über Nacht auf die Position des Teamführers gesetzt.
John Miles fuhr im nächsten Jahr bei einigen Grands Prix einen BRM und wandte sich dann mit etwas Erfolg dem Sportwagenrennsport zu. Er wollte mit der Formel 1 nichts mehr zu tun haben. "Es war nicht nur der Unfall von Rindt, aber das Jahr war überhaupt erschreckend blutig gewesen. Piers Courage, Bruce McLaren und mein guter Freund Paul Hawkins wurden getötet. Die ständigen Probleme mit dem Wagen entnervten mich. Während der Entwicklung des 72er gab es vieles, was mich beängstigte. Alles zusammen war einfach zuviel für mich. Nach Monza sprach ich mit Colin und sagte ihm, ich nähme es sehr schwer, wenn Leute sterben. Er könne mich verstehen, antwortete er und schlug eine zwei-wöchige Pause vor. Rund zehn Tage später bekam ich von Peter Warr einen Telefonanruf und er teilte mir mit, dass mein Platz in der Mannschaft von Reine Wisell eingenommen würde. Ich hatte meinen Rücktritt nicht eingereicht - ich hatte nur ein bisschen moralische Unterstützung gebraucht - und war von dieser Entscheidung niedergeschmettert! Mike Warner bot mir den Lotus 70 Formel 5000 an, ich lehnte ihn ab - glücklicherweise wie es sich herausstellte, da der Wagen zwei Wochen später bei einem Rennen entzwei brach! Es war das Ende meiner Karriere mit Team Lotus. Ich bin sicher, dass Colin die Verantwortung für einen Fahrer nicht übernehmen wollte, der dem Wagen nicht mehr traute. Es war nicht seine Aufgabe, mir Mut zu machen, er hatte damals eigene Probleme zur Genüge."