Eigentlich wollte ich bereits ein paar Worte über Alfonso de Portago, kurz 'Fon' - oder komplett ausgeschrieben Grande Alfonso Cabeza de Vaca y Leighton, Caryajal y Are, 13. Conte de la Mejordida, 17. Marquis de Portago (manche schreiben das auch etwas anders) - im Thread über die schlechtesten Rennfahrer verlieren, aber ich habe mich entschlossen etwas ausführlicher über ihn zu schreiben, denn hier haben wir ja den vor Alonso 'erfolgreichste' spanischen F1-Fahrer.
©Hartmut Lehbrink - Droge Rennsport - Die Sucht der Nüchternen, Porträts der Formel 1; Heel 2002
Nicht dass Portago nun ein sooooooooooo schlechter Rennfahrer gewesen wäre (das kann ich anhand seiner Ergebnisse schlecht beurteilen, obwohl sie nicht berauschend sind) und er fuhr auch nur sehr kurze Zeit (1954 bis Anfang 1957) - aber was ich kürzlich in einer Biografie über ihn gelesen habe war schon krass. Ich habe es in kurzen Zügen für Euch zusammengestellt.
Über seinen tödlichen Unfall sollten wir vielleicht noch mal getrennt diskutieren - das würde auch mich sehr interessieren.
Kindheit in der Fürstensuite
Aufgewachsen in der Fürstensuite eine New Yorker Nobelhotels (zumindest einige Jahre) führte er Zeitlebens das Leben eines Playboys, der nur seinen Hobbys (er nannte es eher Berufung) frönte - besonders alle Arten von Sport hatten es ihm angetan: Schwimmen, Rennreiten, Ski, Wasserski, Polo, Jai Alai, Skeleton, Bob und Fliegen - wobei er bereits mit 17 durch leichtfertige Aktionen auffiel, als er in Florida unter einem sechs Meter hohen Steg zwischen zwei Dämmen hindurch flog - was ihm prompt die frisch erworbene amerikanische Lizenz kostete. Dafür gewann er 500 Dollar aus einer Wette und praktizierte Ähnliches prompt mit seiner britischen Flugerlaubnis! Dieser Leichtsinn sollte ihn auch bei seiner Rennsport-Karriere stets begleiten...
1956 finden wir ihn auch noch in einer ganz anderen sportlichen Statistik: da wurde er bei den olympischen Spielen Vierter im Vierer-Bob (ich glaube er war sogar Lenker des Schlittens) - wobei man den damaligen Wettbewerb sportlich sicher nicht mit den heutigen Leistungen vergleichen kann.
Aber ich will natürlich nicht über seine vielseitigen sportlichen Aktivitäten reden - hier geht's um den Rennfahrer Portago - und um den Mann. Er war ein Lebemann und Selbstdarsteller - den Größenwahn muss er gleich literweise gefressen haben, er selbst sah sich als Held - und das ist auch jedes zweite Wort auf der von ihm besprochenen Schallplatten.
Portagos Audio-Tagebuch
'Schallplatten' werden jetzt manche fragen...? 1957 brachte er tatsächlich eine Schallplatte mit bescheidenen Titel 'The Marquis de Portago, the story of racing's most colorful driver' auf den Markt, in der er über seine Motorsportkarriere und den Rennsport im allgemeinen schwadronierte. Die meisten meiner Zitate in dem Bericht stammen aus dieser Platte.
Da lässt er z.B. folgende Sätze vom Stapel: 'Hätte ich vor 700 Jahren gelebt, wäre es meine Aufgabe gewesen, Mägdlein in Not zu retten, zum Beispiel aus der Gewalt von Drachen'. Oder etwa 'Mit 35 erkläre ich meinen Rücktritt - wenn ich Weltmeister werde schon früher. Dann gehe ich in die Regierung, werde vielleicht Außenminister meines Landes.'
Als ob sich irgendjemand für einen Rücktritt Portagos interessiert hätte...
Co-Pilot bei Chinetti
Auch wie er zum Rennsport kam findet auf seiner Schallplatte gebührende Würdigung: '1953 machte ich ein paar Wochen Pause - nach einem Reitunfall (beim Grand National in Aintree). Plötzlich hatte ich 14 Kilo Übergewicht. Sie ließen sich durch nichts in der Welt heruntertrimmen. Also nahm ich ein Angebot von Luigi Chinetti an, der mich als zweiten Pilot bei der Carrera Panamericana mitfahren lassen wollte. Erst später fand ich heraus, dass er mich lediglich als Ballast benötigte - ich fuhr nicht einen einzigen Meter!'
'Ich war starr vor Angst - es war das erste Mal dass ich in einem Rennwagen saß. Chinetti galt in Motorsportkreisen als vorsichtiger und umsichtiger Mann - aber wenn das ein vorsichtiger Rennfahrer war, was war dann ein Draufgänger?! Aber die Sache hatte einen eigentümlichen Reiz auf mich. Ich beschloss sie zu meinem Beruf zu machen.'
1954 fuhr er sein erstes Rennen - im zarten Alter von 25 Jahren! Harry Schell (ein ähnlicher Charakter wie Portago - nur fahrerisch begabter) meldete ihn als zweiten Mann beim 1000 km Rennen in Buenos Aires - aber Schell hatte wohl ebenso wenig Vertrauen in Portagos Fähigkeiten wie Chinetti und wollte das Rennen von vorne bis hinten alleine fahren. Nach 700 km und deutlichen Ermüdungserscheinungen überließ er Portago notgedrungen das Steuer - nur um nach zwei Runden wie ein Verrückter auf die Piste zu laufen und Portago durch schwenken einer roten Fahne zum Fahren in die Box zu bewegen - damit er wieder das Auto übernehmen konnte!
Wo zum Teufel liegt Nassau?
Da half also alles nichts - es mussten eigene Autos her, wenn ihn schon niemand ans Steuer lassen wollte. Und das mussten die besten - sprich Ferrari - sein. Im Herbst des Jahres gewann er damit zwei drittklassige Veranstaltung bei der Nassau Speed Week. Er fand nun sei er reif sich bei Ferrari persönlich wegen eines Platzes im Werksaufgebot vorzustellen - mit zwei Ferrari-Siegen in der Tasche sollte das doch klappen!
Aber Enzo Ferrari wusste nicht mal wo Nassau lag - und ließ ihn abblitzen!
Doch er hatte nicht mit der Hartnäckigkeit Portagos gerechnet, der weiterfuhr, weiter Ferraris kaufte und weiter bei Ferrari vorsprach; und Mitte 1956 schaffte er es tatsächlich ins Ferrari-Werksteam (zahlfreudige Kunden sah man dort immer gern), wo es seine Aufgabe war den dritten Wagen zu fahren, wenn die Spitzenleute Collins oder Fangio ein Auto zum Wechseln brauchten. Irgendwie war es wie zu Beginn seiner Karriere bei Chinetti und Schell - nur diesmal halt in der Formel 1: bei seinen 5 GPs stellte er den einmaligen Rekord auf 4x das Auto gewechselt zu haben. Dabei fielen - o Wunder - sogar zwei Mal WM-Punkte für ihn ab.
Aber Auftritte im Rennwagen waren eigentlich nie das Interessanteste an Portago.
Der schwarze Ritter
Sein damaliger Teamkollege Fangio - der immer auf ein gepflegtes Auftreten auf allen Pisten der Welt Wert legte - erinnerte sich an seine Auftritte bei Ferrari. 'Meist rückte er ganz in schwarz an, liderlich, schmuddelig und unrasiert, eine tote Zigarette im Mundwinkel - er sah aus als hätte er im Graben übernachtet - offenbar wollte er uns zeigen wie er sich einen 'harten' Rennfahrer, der ständig auf Achse lebt, vorstellte. Dabei hätte er sich nicht nur ein gutes Hotel leisten können, er hätte es sogar kaufen können! Und wir hatten keine Ahnung wo er die ganze Nacht gewesen war.'
Portago schien sein Metier und seine Berufung gefunden zu haben. Der tödliche Unfall seines Teamkollegen Castellotti bei Testfahrten in Modena brachten ihn nur kurz zum Nachdenken - noch hatte er die Lust an seinem neuen Hobby nicht verloren.
Unrühmliches Ende im Graben
Sein Ende fand er 1957 bei der Mille Miglia. Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache dass ausgerechnet der leichtsinnigste Rennfahrer seiner Zeit einen derart folgenschweren Unfall fabrizierte. Eigentlich hätte eher ein Tod zu ihm gepasst wie der seines Vaters, der eines Tages tot vom Pferd fiel.
Ob es nun ein Fahrfehler war oder ein Materialschaden war, wer will das wissen. Ferrari drehte seinen zahlungskräftigen aber ahnungslosen Kunden ja gerne B-Material an - das war nichts neues - und wenn es so war, dann muss er diesen Unfall wohl mit seinem Gewissen ausmachen.
Portagos Reifenplatzer war, so hab mal gehört, vorprogrammiert. Man wollte nicht durch einen Reifenwechsel Zeit verlieren und schickte ihn mit alten, verschlissenen Pneus wieder los. Tatsache ist das Portago, seiner Beifahrer Ed Nelson und zehn Zuschauer dabei ums Leben kamen - DAS Rennen (schlechthin), die Mille Miglia, wurde nie wieder ausgetragen.
Ferrari (und nicht nur der) hatte in der Folge einen gewaltigen Prozess am Hals, der die Schuld dann Englebert zusprach, die sich von diesem Image-Schaden niemals mehr erholt haben. Eines der dunkelsten Kapitel des Motorsports.
Alonso ist nicht Alfonso!
Und Portago? Eigentlich hätte er ja beim kometenhaften Aufstieg des Fernando Alonso eine kleine Renaissance verdient - aber beide haben wohl außer der Nationalität und der Tatsache dass sie Rennen fuhren, nicht wirklich etwas gemeinsam. Glücklicherweise gab es nicht viele solcher Rennfahrer wie Portago - die Formel 1 wäre vielleicht längst als Veranstaltung von sportlichem Wert zugrunde gegangen. Ein äußerst schillernder Charakter aber war er - der Marquis de Portago - und als solcher wird er uns in Erinnerung bleiben - weniger wegen seiner fahrerischen Leistungen...