Iceman's good hat geschrieben:
Ist das Buch empfehlenswert? Ich liebe Aerodynamik!!!
Die Frage von Iceman's good nach dem Buch über Areodynamik hat mich auf dieses spezielle Thema gebracht. Das ist zwar ein bisschen Abseits unserer eigentlichen Yesterday-Themen, aber vielleicht doch für den einen oder anderen interessant. Ich bleibe absichtlich an der Oberfläche, denn (a) ist das auch nicht so mein Spezialgebiet (b) möchte ich es für den Laien verständlich halten und (c) gibt's für tiefergehende Fragen ja noch die Technik-Ecke.
Beginnen möchte ich mit dem Ground-Effect, der nun schon seit Ende der 60er Jahre die Motorsport-Aerodynamiker fesselt und das primäre Streben ihrer Bemühungen ist.
Venturi - das Vermächtnis der Herrn Bernoulli
Vorneweg - bevor der Frage danach kommt - das Prinzip des Ground-Effects: Der Italiener Giovanni Battista Venturi entdeckte, dass sich die Geschwindigkeit eines durch ein Rohr strömenden fließenden Mediums (Flüssigkeit oder Gas) zu einem sich verändernden Rohrdurchmesser antiproportional verhält. Auf Deutsch, die Geschwindigkeit des Mediums ist dort am größten, wo der Querschnitt des Rohres am engsten ist. Darauf basierend folgerte im 18. Jahrhundert der Schweizer Physiker Daniel Bernoulli den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und statischem Druck eines Fluids. Wenn (zum Beispiel) Luft, also ein Gas, durch eine sich verengende, offene Röhre strömt, wird sie beschleunigt und ihr Druck nimmt ab. Eine solche trichterförmige, sich verjüngende Röhre bezeichnet man als Venturi-Rohr oder allgemein, Venturi. Der Ansaugstutzen eines Vergasers ist nach diesem Prinzip geformt.
Um 1967 entdeckte die schnelle Zunft der Renngerätebauer seinen physikalischen Grundsatz. Einige Jahre später, 1977-79, lernten vor allem die Formel 1-Konstrukteure für die Aerodynamik ihrer Boliden das Vermächtnis des Herrn Bernoulli besonders hoch zu schätzen.
Jim Hall lernt's auf die harte Tour
Zurück zu den Anfängen: 1961 baute ein texanischer Öl-Baron, genialer Hobby-Konstrukteur und Rennfahrer, namens Jim Hall einen Chevrolet V8-getriebenen Chapparal 1-Sportwagen, der im Renneinsatz einige Erfolge verbuchen konnte. Chevrolets Forschungsabtellung horchte auf und bot Hall Unterstützung an. Man wollte einem Chaparral eine Karosserie in Form eines umgedrehten Tragflächenprofils verpassen, deren Unterboden vorne und hinten hochgebogen war. So ergab sich zwischen dessen Unterseite und der Straßenoberfläche eine Art Venturi-Tunnel. Eigentlich ein genialer Einfall: Wird das Auto auf der Strecke bewegt, so strömt der Fahrtwind unter den Wagenkörper, die Luft wird beschleunigt, es entsteht Unterdruck, und das Fahrzeug würde sich förmlich an die Piste saugen. Schließlich mußte es laut Herrn Bernoulli funktionieren! Tat es aber nicht.
Als Hall mit dem Vehikel auf dem Versuchsgelände von General Motors eine Testfahrt unternahm, wurden die Vorderräder mit steigender Geschwindigkeit zusehends leichter. Bei ca. 200 km/h stiegen sie voll aus den Federn, und er hätte beinahe abgehoben. Der geschockte Hall baute daraufhin vorne am Wagen einen gigantischen Spoiler, groß wie der Schieber eines Schneepflugs. Der Luftfluß unter die hochgeschwungene Nase sollte nun vollständig eliminiert werden. Das erzeugte so einen enormen Druck auf die Vorderachse, daß Hall in der ersten Runde auf halbem Weg anhalten mußte. Die Reifen hatten sich förmlich nach oben durch die Kotflügel gefressen. Also wurde so lange experimentiert bis die richtige Spoilergröße gefunden war.
Der Chaparral 1, dem Hall um ein Haar das Fliegen beigebracht hätte - hier allerdings eine neuer Aufnahme mit 'kleinem' Frontspoiler
Heute wissen wir, das Problem des zuerst modifizierten Chapparal war folgendes: Erstens wurde der Unterdruck durch einströmende Luft von den Seiten her zwischen Vorder-und Hinterrädern ständig ausgeglichen. Zweitens staute sich der Fahrtwind unterhalb der hochgewölbten Schanze dermaßen, daß der Wagen locker einen Salto rückwärts hätte machen können, wäre da nicht der massive und schwergewichtige Klotz des Frontmotors gewesen. Der "Schneepflug" löste dann dieses Problem konsequent. Hall hatte in Unkenntnis der Materie zu viel auf einmal probiert.
Eine (wie wir heute wissen falsche) Erkenntnis hatte man aber damit gewonnen: Spoiler GUT - Luftstrom unter dem Auto SCHLECHT. Die neue Mode setzte sich in den 60er Jahren schnell durch und alle Designer folgten dem Trend, Luftfluß unterhalb des Fahrzeugs zu verhindern. Abtrieb sollte mittels einer aerodynamisch gestalteten Karosserie-Oberfläche unter Hinzufügung von Flügeln erzielt werden - ein eigenes, sehr umfangreiches Thema, auf das ich später noch eingehen werde. Halls haushohe Spoiler auf seinen Rennsportwagen taten die Tendenz deutlich kund - und auch die Auswüchse in der Formel 1 von 1968/69 sind wohl noch vielen bekannt.
Irrweg der Aerodynamik: der 'Geflügelsalat' der späten 60er Jahre. Aber (man beachte die kleinen Seitenkästen) BRM war auf dem richtigen Weg.