Die Qualität des tatsächlich von anderen Teammitgliedern als Mackereth zur Kenntnis genommenen Materials unterscheidet sich ja offenbar durchaus drastisch vom McLaren-Fall:
8.7. The WMSC has concluded that of the four drawings actually viewed by Renault's engineers, three were either of no use to Renault or were not in fact used by Renault. The fourth drawing (a drawing of McLaren's so-called 'J-damper') was used by Renault to try ot have the system that they thought McLaren was using declared illegal. This failed because Renault had certain fundamental misunderstandings about the operation of the 'J-damper' system. This suggests that Renault's sight of the 'J-damper' drawing did not give Renault enough information to understand how it worked. In these circumstances, an affect on the Championship cannot be established.
Generell ist allein dadurch, dass Renault offenbar zumindest mittels der Kenntnisnahme dieser vier Zeichnungen "Zugang" zu geistigem Eigentum eines anderen Teams hatte, natürlich bereits ein Verstoß gegen Artikel 151(c) des International Sporting Code festzustellen – was von Renault ja auch offiziell eingeräumt wird (vgl. Urteilsbegründung).
Unterstellt wird dabei, dass grundsätzlich bei jeder unerlaubten Kenntnisnahme vertraulicher Informationen die Voraussetzungen dafür gegeben sein dürften, aus dieser Kenntnisnahme einen unfairen Wettbewerbsvorteil erlangen zu können. Damit wäre, wie das WMSC im McLaren-Fall angemerkt hat, schon allein durch den Nachweis der Kenntnisnahme bzw. des Besitzes fremden geistigen Eigentums die Möglichkeit da, eine Strafe auszusprechen.
Allerdings ist im jeweiligen Einzelfall natürlich dann sehr wohl zu prüfen, inwiefern die Informationen, welche das Team zur Kenntnis genommen hat oder in dessen Besitz es gelangt ist auch qualitativ signifikant genug waren, um einen derartigen Vorteil zu erlangen. Damit hat sich das WMSC ja u. a. beschäftigt (vgl. Zitat) – und ich halte solche Analysen auch für sachlich aussagekräftiger und damit für ein Urteil wesentlicher als die vorab ja schon in der Presse zelebrierten Seitenzahlen im dreistelligen Bereich. (Wie McLaren dann ja nachträglich per Pressemitteilung präzisiert hat, umfassen die Inhalte dieser Disketten, die gedruckt 762 Seiten ergeben würden, achtzehn verschiedene Zeichnungen, die
"eine technische Definition des grundsätzlichen Aufbaus des 2007er McLaren-Autos und der technischen Details seiner innovativen und leistungsverbessernden Systeme" liefern können).
Auch wesentlich ist natürlich, dass die Rahmenbedingungen der Spionage, der unerlaubten Informationsbeschaffung bzw. –weitergabe hier anders waren als im McLaren-Coughlan-Fall. Das wird in der Urteilsbegründung auch – wie ich finde sehr sauber – differenziert:
8.8. The McLaren confidential information brought to Renault was in the context of an F1 engineer changing teams. It was not 'live' information in the sense that there is no evidence of a flow of current information between competing teams. After leaving McLaren, Mackereth had no further access to current or updated McLaren information. Nor is there any evidence that Renault encouraged Mackereth in any way to bring the confidential information from McLaren.
Dadurch wird meines Erachtens sehr anschaulich klar, dass Renault im aktuellen Fall bestenfalls einmaligen Zugang zu Informationen gehabt haben konnte, die mit einiger Wahrscheinlichkeit als veraltet angesehen werden können.
Bei der Einschätzung halte ich es durchaus für vertretbar, zunächst keine Strafe auszusprechen. Die Möglichkeit, bei etwaigen neuen Informationen bzw. Weiterungen eine erneute Anhörung zu veranstalten, besteht ja ohnehin, worauf in der Urteilsbegründung auch noch mal ausdrücklich hingewiesen wird:
8.14. It should be noted that in the event of new information coming to light which calls into question the WMSC's conclusions in this decision, this matter may be re-opened by the FIA.