Mir geht die Kritik an die neuen Teams bissi auf die Nerven. Deswegen, hier mal ein paar Vergleiche:
Die Medienberichte sind fast durchweg negativ, Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo legt ihnen die GP2 statt der Formel-1 ans Herz und sogar F1-Boss Bernie Ecclestone will lieber zehn starke Teams als wie jetzt drei neue Hinterbänklerteams. Nein, die drei neuen Teams Lotus (eigentlich ein Comeback nach dem Ende 1994), Virgin und HRT sind wirklich nicht zu beneiden. Im Frühjahr 2009 schrieben sie sich für die F1-WM 2010 ein, die damals noch ganz anders geplant war, als sie jetzt durchgeführt wird. Vor allem die Tatsache, dass die Budgetobergrenze doch nicht gekommen ist, trifft die neuen Teams hart, schließlich waren ihre Pläne für eine Formel-1 ausgelegt, in der nicht mehr als 60 Millionen Euro ausgegeben werden darf. Nun sparen die Teams zwar, aber wie viel und wo genau gelangt nicht an die Öffentlichkeit.
Aber ist die Performance von Lotus, Virgin und HRT wirklich so schlecht? Cosworth-Chef Mark Gallagher meint: Nein. Dass der Brite eine Lanze für die neuen Teams bricht ist aber logisch, immerhin sind das drei Viertel seiner Kunden. Hat Gallagher nun Recht oder nicht?
Freilich hinkt der Vergleich, aber auch in anderen Rennserien gibt es neue Teams. Beispiel IndyCar, immerhin das amerikanische Pendant zur Formel-1. Dort gibt es 2010 erstmals das FAZZT-Team, ein kanadisches Team, das um den Kanadier Alex Tagliani herum aufgebaut wurde. Tagliani schenkt dem Team auch das T im Namen FAZZT. Das F kommt von Jim Freudenberg und Andre Azzi spendet dem Team das AZZ. Aber noch wichtiger sind seine finanziellen Spenden: Die Mannschaft steht und fällt mit dem Geld des kanadischen Geschäftsmannes.
Vergleich mit FAZZT
Geld ist dank Azzi also da. Aber das sollte bei Lotus dank Airline-Besitzer Tony Fernandes, Virgin dank Multimillionär Sir Richard Branson und HRT dank Hispania-Chef José-Ramon Carabante auch nicht das Problem sein. Die Betonung: Sollte. Fernandes, Branson und Carabante müssen schon eine ordentliche Ecke mehr Geld auf den Tisch hauen, wie Azzi. Die IndyCar ist einfach deutlich kostengünstiger als die Formel-1. Außerdem schmeißt Branson nicht wirklich mit Geld um sich: Bereits als Sponsor bei Brawn war der Gegenwert deutlich höher als die Gelder, die er dem Weltmeisterteam von 2009 zur Verfügung stellte. Und auch jetzt tritt Bransons Virgin-Firma zwar als Namensgeber auf, soll damit aber vorsichtig formuliert nicht sein letztes Hemd hergeben müssen. Und bei Carabante ist nicht einmal klar, wie viel Vermögen der Spanier besitzt – und vor allem wie lange noch. In Spanien läuft eine Klage gegen Carabante wegen Ungereimtheiten bei der Firmenübergabe.
Zurück zu FAZZT. Das Projekt wurde mit Bedacht aufgebaut: Teamteilhaber Jim Freudenberg war bereits jahrelang Teamteilhaber bei Kelley Racing. Das Team von Tom Kelley gewann zwischen 1998 und 2004 neun IndyCar-Rennen, darunter sieben mit Scott Sharp, der 2001 mit Kelley auch Vizemeister wurde. Ende 2004 wurde das Team an Tony George veräußert, der daraus sein Vision-Team machte, das wohl auch wegen des Weggangs von Freudenberg nie mehr an die Erfolge anknüpfen konnte. Freudenberg startete dann 2008 gemeinsam mit dem Schauspieler Jason Priestley ein Team namens Rubicon, dass 2008 gemeinsam mit Sam Schmidt Motorsport einen IndyCar-Dallara Honda beim Indy 500 für Max Papis einsetzen wollte. Der ehemalige F1-Fahrer verpasste aber die Qualifikation fürs Rennen. Doch Rubicon ließ sich nicht abschrecken: Eine Partnerschaft mit Pacific Coast scheiterte zwar 2009, dafür spannte man mit Conquest zusammen – natürlich mit Tagliani als Fahrer. Im Sommer verließen sowohl Tagliani, als auch Freudenberg und Priestley das Conquest-Team und kauften die Überreste des Roth-Teams, ein kanadisches Team des wohlhabenden Marty Roth, das 2004 aus den Überbleibsel des Panther-Indy-Light-Teams entstand, sozusagen also aus einem Team der amerikanischen GP2. Roth beendete seine Karriere, nachdem er es 2009 erstmals nicht mehr zum Indy 500 schaffte. Noch ein Jahr zuvor waren seine 50 Lebensjahre kein Hindernis für die Quali zum IndyCar-Klassiker.
Mit Rubicon sammelte man also erste Erfahrungen, mit Roth hatte man Teile eines Rennstalls übernommen, mit Azzi hatte man einen guten Geldgeber und nun kam auch noch Rod Edwards. Der jetzige FAZZT-Teammanager erarbeitete sich in mehr als einem Jahrzehnt bei Walker Racing einen ausgezeichneten Ruf in der IndyCar. Nun waren alle Zutaten beisammen.
Um mal einen Vergleich herzustellen: In der Formel-1 wäre das vergleichbar, wenn das HRT-Team 2011 unter einem ganz anderen Namen an den Start geht, sich dazu das Toro-Rosso-Team kauft und Ross Brawn als Teamchef verpflichtet. Man braucht weder Einstein noch ein guter Mathematiker zu sein, um sich auszurechnen, dass man da wohl mehr Erfolg hätte, als jetzt. Und dann kommt noch dazu, dass in der IndyCar alle Teams mit dem gleichen Fahrzeug starten. Letzteres ist aber nicht unbedingt eine Garantie für Erfolg, denn auch in der IndyCar sind trotz der Einheitschassis immer die gleichen Teams vorne. In den letzten zwei Jahren und damit in den letzten 30 IndyCar-Rennen gewann 14 Mal das Ganassi-Team, 13 Mal das Penske-Team, zweimal das Andretti-Team und einmal Dale Coyne. Aber: Durch die Einheitschassis wird verhindert, dass neue Teams sofort einen Rückstand von mehrere Sekunden auf die Spitze haben.
FAZZT ist zweifelsfrei eine Überraschung in der aktuellen IndyCar-Saison. Zwar liegt Tagliani mit einem vierten Platz als bestes Resultat nur auf Rang zwölf in der Fahrermeisterschaft, doch es wäre deutlich mehr drin. Siege das Rennen am vergangenen Wochenende, dem Indy-GP in Sonoma. Startplatz vier für Tagliani, aber im Rennen gab es dann Probleme und nur wenige Punkte. Oder beim Indy 500, als Bruni Junqueira mit einem zweiten FAZZT-Boliden im Training Spitzenzeiten fuhr. Der Brasilianer durfte in Indy für das Team fahren, weil sich Tagliani schuldig fühlte: Im Vorjahr scheiterte Tagliani an der Qualifikation zum Rennen, nicht so sein damaliger Teamkollege Junqueira. Doch weil sich in Indy nicht die Fahrer qualifizieren, sondern die Autos (anders als in der Formel-1), tauschte Conquest einfach die Fahrer und ließ Tagliani im von Junqueira qualifizierten Dallara Honda fahren. Der Williams-F1-Tester von 1999 musste zuschauen.
Vergleich mit ISR
Fazit: FAZZT präsentiert sich deutlich besser als Lotus, Virgin und HRT. Das Argument der Einheitschassis kommt auch in der Formel-World-Series-by-Renault zu tragen. Dort fährt 2011 erstmals das ISR-Team von Igor Salaquarda aus Tschechien – und feiert sofort Erfolge. Müsste Esteban Guerrieri nicht immer wieder aussetzen, würde der Argentinier um den Titel kämpfen. Zumindest das Virgin-Team erkannte das: Für 2011 ist Guerrieri dort für einen F1-Sitz im Gespräch.
Vergleich mit alten F1-Teams
Die Vergleiche mit FAZZT und ISR stützen einen Lanzenbruch für die drei neuen F1-Rennställe also nicht, auch wenn deutlich wird, dass die Formel-1 schon ein ganz schweres Feld ist, wo es schwierig ist auf Anhieb Erfolg zu haben. Und damit ist die Verbindung zum nächsten Vergleich auch gleich hergestellt: Wie schlugen sich eigentlich die anderen neuen Teams, die es in der Formel-1 gab? Ausgerechnet wurde der durchschnittliche Rückstand des Teams im Qualifying auf die Pole-Zeit (bei den neuen Teams auf die schnellste Zeit in Q1). In Klammern dahinter ist die durchschnittliche Länge der Rennstrecken angegeben, auf denen die Teams im ersten Jahr gefahren sind. Zum Vergleich dienen die letzten zehn neuen Rennställe, die von Grund auf neu aufgebaut wurden, also Teams wie Mercedes, die ein bestehendes Team gekauft haben, fließen nicht mit in die Statistik mit ein.
1. Stewart Ford (1997): +2,072 Sekunden (4,905 Kilometer)
2. Toyota (2002): +2,349 Sekunden (4,585 Kilometer)
3. Sauber Mercedes (1993): +3,332 Sekunden (4,792 Kilometer)
4. Jordan Ford (1991): +3,533 Sekunden (4,812 Kilometer)
Lotus Cosworth: +3,785 Sekunden (5,039 Kilometer)
Virgin Cosworth: +4,638 Sekunden (5,039 Kilometer)
5. Aguri Honda (2006): +4,867 Sekunden (4,892 Kilometer)
6. Simtek Ford (1994): +5,503 Sekunden (4,801 Kilometer)
HRT Cosworth: +6,139 Sekunden (5,039 Kilometer)
7. Lamborghini (1991): +7,021 Sekunden (4,812 Kilometer)
8. Pacific Ford (1994): +7,825 Sekunden (4,801 Kilometer)
9. Forti Ford (1995): +7,979 Sekunden (4,762 Kilometer)
10. Andrea Moda Judd (1992): +15,942 Sekunden (4,981 Kilometer)
Analyse: Es gibt also kein neues Team seit 1991, das in der ersten Saison näher als durchschnittlicher plus zwei Sekunden hinter der Spitze zurück lag. Lotus liegt sogar in der ersten Hälfte des Klassements, schlägt sich also durchaus beachtlich im Vergleich. Das Problem der neuen Teams 2010: Seit drei bis vier Jahren liegt das F1-Feld derart dicht beisammen, dass man mit vier Sekunden Rückstand chancenlos abgeschlagen ist. Noch vor 15 Jahren wäre man damit bequem ins Mittelfeld gefahren!
Dazu kommt: Das Stewart-Team war 1997 ein Werksteam von Ford. Das heutige Red-Bull-Team konnte also auf die Unterstützung des amerikanischen Herstellers bauen, von Anfang an und schon in der Planungsphase. Die dauerte auch deutlich länger, als bei den neuen Teams 2010: Lotus wusste beispielsweise erst im September 2009, das man 2010 in der Formel-1 starten darf. Toyota plante den Einstieg schon ab 1999. Ursprünglich wurde auch die Saison 2001 für das Debüt angepeilt, doch trotz eines Investments des Konzerns von mehrere hundert Millionen US-Dollar wurde das Projekt erst 2002 fertig. Sauber und Jordan machten bei ihren F1-Debüts wirklich einen guten Job, dich beide Teams hatten auch viele Jahre in Nachwuchsserien oder anderen Rennserien auf dem Buckel – und Sauber hatte noch dazu auch den Support von Mercedes. Das darf nicht unterschätzt werden.
Vergleich mit aktuellen Teams
Noch interessanter dürfte der gleiche Vergleich mit den aktuellen F1-Teams sein. Denn so schlecht Lotus, Virgin und HRT heute gegen die etablierten Teams aussehen, so gut sehen sie aus, wenn man die Performance des ersten Jahres aller zwölf Teams vergleicht:
1. Red Bull (Stewart Ford 1997): +2,072 Sekunden (4,905 Kilometer)
2. McLaren (McLaren Ford 1966): +3,177 Sekunden (4,024 Kilometer)
3. Sauber (Sauber Mercedes 1993): +3,332 Sekunden (4,792 Kilometer)
4. Force India (Jordan Ford 1991): +3,533 Sekunden (4,812 Kilometer)
5. Lotus (Lotus Cosworth 2010): +3,785 Sekunden (5,039 Kilometer)
6. Virgin (Virgin Cosworth 2010): +4,638 Sekunden (5,039 Kilometer)
7. Ferrari (Ferrari 1950): +5,652 Sekunden (7,710 Kilometer)
8. HRT (HRT Cosworth 2010): +6,139 Sekunden (5,039 Kilometer)
9. Renault (Toleman Hart 1981): +7,633 Sekunden (4,608 Kilometer)
10. Williams (Brabham Ford 1969): +7,654 Sekunden (6,512 Kilometer)
11. Toro Rosso (Minardi Ford 1985): +10,147 Sekunden (4,923 Kilometer)*
12. Mercedes (Matra BRM 1966): +48,000 Sekunden (22,772 Kilometer)**
* Bei Minardi fließen die Zeiten in Monaco und Detroit nicht mit ein, weil man dort nur um den Kurs geschlichen ist.
** Tyrrell bestritt 1966 nur den Deutschland GP, damals auch noch mit F2-Renner von Matra.
Fazit: Man sollte den neuen Teams zwei bis drei Jahre Zeit geben und dann erst beurteilen, ob sie für die Formel-1 geeignet sind oder nicht. Immerhin: Neue Farben bringen sie auf jeden Fall in die Formel-1. Sie geben Fahrern wie Bruno Senna oder Karun Chandhok eine Chance, die sie bei etablierten F1-Teams nie bekommen würden. Sie haben Spaß an der Sache und sehen die Formel-1 nicht nur als Werbeplattform. So läuft zwischen den beiden Airline-Besitzern Tony Fernandes und Richard Branson auch eine Wette: Der Besitzer des schlechten Teams muss einen Tag bei der Airline des besseren Teambesitzers als männliche Stewardess arbeiten… Und sie füllen das Feld, denn wer will schon eine Formel-1 mit nur 18 Autos sehen?