Sein Trainingsdebüt war richtig stark. Analysen von TV-Aufnahmen zeigen: Selbst in den schnellen Kurven, in denen hohe Fliehkräfte wirken, konnte Verstappen seinen Kopf gerade halten und lehnte sich nicht seitlich am Cockpit an – ein Beleg wie fit der jüngst 17 Jahre alt gewordene F1-Sprössling wirklich ist.
Für viele Fans ist es aber auch ein Beleg dafür, wie einfach die Formel-1 ist. Es gibt nicht wenige, die erkennen Verstappen als Ausnahmetalent nicht an, sondern finden die guten Darbietungen beschämend für die Formel-1, die sich auch Königsklasse des Rennsports nennt. Ganz Unrecht haben die Kritiker nicht: Die Formel-1 hat an Reiz verloren, aber das an Verstappen fest zumachen, ist grundfalsch. Sämtliche Argumente lassen sich wiederlegen:
1. Direkter Aufstieg aus der Formel-3
Von der Formel-3 direkt in die Formel-1 – das ist für viele unvorstellbar. Doch in allen Epochen der Formel-1 kam genau das immer wieder vor. Auch ein Star wie Ayrton Senna kam 1984 direkt aus der Formel-3 in die Formel-1. Noch radikaler war der Schritt bei Kimi Räikkönen 2001, als er aus der Zwei-Liter-Klasse der Formel-Renault in die Formel-1 aufsteigen konnte, in einer Ära, in der durch Tankstopps und Reifenwechsel die Fahrer stets am Limit operierten. Da war noch keine Rede von Reifen schonen oder Benzin sparen. Da wurde volle Kanne Vollgas gegeben, vom Erlischen der Startampel bis zum Fallen der schwarz-weiß-karierten Zielflagge. Natürlich war es eher die Ausnahme, dass Fahrer aus der Formel-3 direkt in den GP-Sport kamen, aber das ist es auch heute noch: Die Tendenz geht eher dahin, dass die Nachwuchsfahrer immer länger in Serien wie der GP2 oder WSbR Zeit und damit Geld verprassen! Übrigens: Keiner bestreitet, dass so mancher Fahrer zu früh in die Formel-1 kam, aber das entkräftet das Argument nicht, dass es theoretisch schon immer ging und es auch einige erfolgreiche Fälle gab.
2. Das Alter von 17 Jahren
Kritiker werden einwenden: Aber Senna und Räikkönen waren schon älter, Verstappen ist gerade Mal 17 Jahre alt, da durfte man bis vor wenigen Jahren noch nicht einmal auf öffentlichen Straßen fahren. Ja, ein Ayrton Senna oder ein Gerhard Berger, der auch direkt aus der Formel-3 in die Formel-1 aufstieg, waren zwar älter, aber sie begannen auch viel später mit dem Rennsport als Verstappen. Ein 17-jähriger Berger hatte noch kein einziges Rennen auf dem Buckel, noch nicht einmal ein Kartrennen! Logisch, dass der Österreicher nicht schon mit 17 debütieren konnte. Verstappen hat inzwischen schon eine 13-jährige Rennkarriere hinter sich!
3. Die Erfahrung von nur einer Formel-Saison
13 Rennsaisons also, wenn auch nur eine davon im Formel-Sport. Doch der Kartsport ist inzwischen so professionell, die Kart-WM braucht sich von der Professionalität und Qualität her nicht vor kleinen Einsteiger-Formeln wie die Formel-Ford oder Formel-Renault verstecken. 2014 fuhr Verstappen dann einige Rennen in der Florida-Winter-Serie und der F3-EM, insgesamt fast doppelt so viele Rennen wie etwa ein Räikkönen im Formel-Sport vor dem F1-Einstieg absolvierte.
4. Die körperliche Fitness
Wenn ein Michael Schumacher mit 43 Jahren noch locker Formel-1 fahren konnte, dann kann das auch ein 17-Jähriger Teenager. Das körperliche größte Potenzial hat man Anfang 20, aber überschreitet man die 30 Lenzen, dann ist das Potenzial nun mal kleiner als bei einem 17-Jährigen. In vielen Sportarten zählen 17-Jähriger zur absoluten Weltspitze, es gibt keinen Grund, wieso das nicht auch in der Formel-1 der Fall sein soll. Viel hängt vom Trainingsfleiß ab, nur so konnte sich auch ein Schumacher mit 43 noch locker fit halten.
5. Die geistige Fitness
Viele glauben auch, dass ein 17-Jähriger auch mental und geistig noch Defizite hat. Das fängt beim Umgang mit dem Medienrummel an und zieht sich bis hin zu einer gewissen Rücksicht im direkten Zweikampf. Doch auch diese Argumente sind zu widerlegen: Der unfassbare Mediendruck ist für alle Fahrer eine Herausforderung, es gibt viele Fahrer, wie Lewis Hamilton, die sich dadurch wohl auch charakterlich verändert haben. Max‘ Vater Jos Verstappen weiß als Ex-F1-Rennfahrer darüber sehr gut Bescheid und wird Max mit Sicherheit ein Umfeld geben, damit der Niederländer am Boden bleibt. Auch im Zweikampfverhalten dürfte Verstappen reif sein. Außerdem war das noch nie eine Eigenschaft des Alters: Pastor Maldonado oder andere als Crashpiloten verrufene Fahrer sind wesentlich älter als Verstappen…
Fazit: Subjektive statt objektive Gründe
Natürlich wollen viele F1-Fans gestandene Typen wie in der IndyCar etwa Tony Kanaan, Hélio Castroneves oder Juan-Pablo Montoya sehen, statt Milchbubis, die noch nicht einmal volljährig sind. Aber das sind subjektive, keine objektiven Gründe. Objektiv heißt: Die besten Fahrer gehören in die Formel-1, gleich ob der Fahrer 17 oder 43 Jahre alt ist (oder noch älter!).
Die Tatsache, dass die Fahrer immer jünger werden, liegt auch daran, dass sie viel früher mit dem professionellen Rennsport anfangen, als in früheren Jahrzehnten. Bis in die 70er Jahre hinein waren Gaststarter, die eine wesentlich schlechtere Ausbildung hatten, eher Gentleman-Fahrer und meist nicht besonders jung waren, außerdem die Regel – sie hoben den Altersschnitt. In den 50er Jahren waren aufgrund der rennsportfreien Zeit während des Zweiten Weltkriegs außerdem noch viele Vorkriegsfahrer unterwegs, die bereits jenseits der 50 Jahre waren!
Das Problem sind nicht die jungen Fahrer, das Problem ist eher, dass aufgrund der wenig verfügbaren Cockpits (1989 waren es noch 39!) Fahrer schon recht früh die Formel-1 wieder verlassen müssen (wie jetzt Jean-Eric Vergne). So jung wie 2014 war der älteste Fahrer im Feld (Jenson Button) noch nie!
Bestrebungen, die Formel-1 fahrerisch wieder schwieriger zu gestalten, sind aber auf jeden Fall begrüßenswert. Dann haben eventuell auch Fahrer wie Verstappen es wieder deutlich schwerer.
Die jüngsten Fahrer jeder F1-Saison
1950 José-Froilán Gonzalez (28) Maserati
1951 Stirling Moss (21) HWM
1952 Peter Collins (20) HWM
1953 Peter Collins (21) HWM
1954 Peter Collins (22) Vanwall
1955 Cesare Perdisa (22) Maserati
1956 Cesare Perdisa (23) Maserati
1957 Carel Godin de Beaufort (23) Porsche
1958 Bruce McLaren (21) Cooper Climax
1959 Fritz d’Orey (21) Maserati
1960 Keith Greene (22) Cooper Maserati
1961 Ricardo Rodriguez (19) Ferrari
1962 Ricardo Rodriguez (20) Ferrari
1963 Chris Amon (19) Lola Climax
1964 Chris Amon (20) Lotus BRM
1965 Chris Amon (21) Lotus BRM
1966 Chris Amon (22) Cooper Maserati
1967 Jacky Ickx (22) Matra Ford
1968 Jacky Ickx (23) Ferrari
1969 George Eaton (23) BRM
1970 Emerson Fittipaldi (23) Lotus Ford
1971 Niki Lauda (22) March Ford
1972 Jody Scheckter (22) McLaren Ford
1973 Jody Scheckter (23) McLaren Ford
1974 Hans-Joachim Stuck (23) March Ford
1975 Tony Brise (23) Williams Ford
1976 Ingo Hoffmann (22) Fittipaldi Ford
1977 Hector Rebaque (21) Hesketh Ford
1978 Eddie Cheever (20) Hesketh Ford
1979 Elio de Angelis (20) Shadow Ford
1980 Andrea de Cesaris (21) Alfa Romeo
1981 Andrea de Cesaris (22) McLaren Ford
1982 Andrea de Cesaris (23) Alfa Romeo
1983 Corrado Fabi (22) Osella Ford
1984 Mike Thackwell (23) RAM Hart
1985 Ivan Capelli (22) Tyrrell Renault
1986 Alex Caffi (22) Osella Alfa Romeo
1987 Nicola Larini (23) Coloni Ford
1988 Bernd Schneider (23) Zakspeed
1989 JJ Lehto (23) Onyx Ford
1990 Gianni Morbidelli (22) Dallara Ford
1991 Michael Schumacher (22) Jordan Ford
1992 Christian Fittipaldi (21) Minardi Lamborghini
1993 Rubens Barrichello (20) Jordan Hart
1994 Rubens Barrichello (21) Jordan Hart
1995 Jan Magnussen (23) McLaren Mercedes
1996 Tarso Marques (20) Minardi Ford
1997 Tarso Marques (21) Minardi Hart
1998 Esteban Tuero (20) Minardi Ford
1999 Ricardo Zonta (23) BAR Supertec
2000 Jenson Button (20) BMW Williams
2001 Fernando Alonso (20) Minardi European
2002 Felipe Massa (21) Sauber Petronas
2003 Fernando Alonso (22) Renault
2004 Christian Klien (21) Jaguar Ford
2005 Christian Klien (22) Red Bull Cosworth
2006 Nico Rosberg (21) Williams Cosworth
2007 Sebastian Vettel (20) BMW Sauber
2008 Sebastian Vettel (21) Toro Rosso Ferrari
2009 Jaime Alguersuari (19) Toro Rosso Ferrari
2010 Jaime Alguersuari (20) Toro Rosso Ferrari
2011 Jaime Alguersuari (21) Toro Rosso Ferrari
2012 Jean-Eric Vergne (21) Toro Rosso Ferrari
2013 Esteban Gutiérrez (21) Sauber Ferrari
2014 Daniil Kvyat (19) Toro Rosso Renault
2015 Max Verstappen (17) Toro Rosso Renault