Wer hätte das gedacht? Ayrton Senna blieb nicht der letzte F1-Fahrer, der bei einem Grand Prix tödlich verunglückt. 21 Jahre lang hielt die beste Serie, die der Sport je geschrieben hat. Sie ging mit Jules Bianchi leider zu Ende. Es lässt die F1-Gemeinde am Wochenende in Budapest zusammenrücken.
Der Überlebenskampf von Jules Bianchi dauerte 286 Tage. Der 25-Jährige war zwar seit seinem Crash in Suzuka 2014 nicht mehr bei Bewusstsein, aber diese Zahl zeigt, dass er gekämpft hat wie eh und je. Denn als er damals mit seinem Marussia Manor seitlich in einen Bergungstraktor geknallt ist, wirkten auf seinen Kopf Verzögerungswerte von 254g! Also das 254-fache des eigenen Körpergewichts! Sogar die Airbox wurde bei diesem Einschlag komplett abgerissen, die Wucht des Unfalls war enorm. Die Tragik dessen aber auch: Es war eine Verkettung nicht nur unglücklicher, sondern unglücklichster Umstände, ein Unfall, der so sinnlos war und bei dem sich jeder dachte: Das darf und das kann doch eigentlich gar nicht passieren. Es ist passiert. Hoffentlich zum letzten Mal.
Der Automobilweltverband FIA reagierte als Veranstalter der F1-Weltmeisterschaft mit einer genauen Unfallforschung. Das Ergebnis ist das virtuelle Safety-Car, bei dem die Fahrer bei einer Gefahrensituation den Kurs in langsamer Fahrt umrunden müssen, ohne dass das Safety-Car auf die Strecke kommt und die Abstände egalisiert. Damals in Japan gab es an der Stelle gelbe Flaggen, die dem Fahrer eigentlich signalisiert, dass er an der Stelle vom Gas gehen soll. Doch Bianchi war schnell unterwegs, zu schnell.
#17 wird nicht mehr vergeben
Die FIA zeigt Herzlichkeit: Die Startnummer 17, die sich Bianchi für seine F1-Karriere ausgesucht hat, wird in Zukunft nicht mehr vergeben werden. Sie wird immer mit dem Gesicht des Franzosen verbunden bleiben. Was weniger herzlich ist: Offiziell zählt Bianchis Unfall nicht als tödlicher GP-Unfall, weil als solche nur Zwischenfälle eingestuft werden, bei denen der Tod innerhalb 30 Tage eintrifft. Es ist reine Statistik, aber so mancher wird sich natürlich fragen, ob es solche Statistiken braucht.
Was mehr als nur Statistik ist: Bianchi fuhr in seinen 34 WM-Rennen zwei Punkte heraus. Sein neunter Platz beim Monaco-GP 2014 wurde mehr gefeiert als so mancher Sieg. Es waren die ersten und bis heute einzigen Punkte des Marussia-Manor-Teams. Die Mannschaft von John Booth geht 2015 bereits in die sechste F1-Saison, hat den Anschluss ans Mittelfeld aber bis heute nicht geschafft. Inzwischen wurde das Team an ein britisches Konsortium um Stephen Fitzpatrick und Justin King verkauft.
Zwei Jahre lang fuhr Bianchi für das Marussia-Team. Es war seine erste F1-Festanstellung. Es wäre nicht die letzte geblieben: Der Vertrag mit Sauber war für 2015 schon fix – und 2016 sollte er Kimi Räikkönen bei Ferrari beerben. Bianchi war im Nachwuchskader von Ferrari.
Immer unter den besten drei
Seine Karriere verrät auch: Aus Bianchi hätte ein Siegfahrer werden können. Ab 2007 fuhr der Franzose Formel-Rennen, dabei war er immer unter den besten drei seiner Kategorie. Aus dem Stand heraus gewann er die französische Formel-Renault, wechselte dann in die F3-Euroseries zu ART. Während sein Stallgefährte Nicolas Hülkenberg Meister wurde, beendete Bianchi die Saison als Gesamt-Dritter, holte den Titel dann aber im darauf folgenden Jahr. 2010 und 2011 blieb Bianchi bei ART, stieg allerdings in die GP2 auf. In beiden Jahren wurde er Dritter. 2012 fuhr er für das Tech-1-Team in der Formel-World-Series-by-Renault und wurde Vizemeister. Erst am Schluss drehte er damals auf, musste sich aber im Finale Robin Frijns beugen. Die Entscheidung war ein Foul: Frijns krachte mit Bianchi zusammen, wurde dafür bestraft – aber Bianchi schied aus, verlor den Titel. Parallel dazu war Bianchi Freitagstestfahrer bei Force India in der Formel-1.
Bianchi ist nicht der erste Familien-Vertreter in der Formel-1. Der erste war sein Uropa: Er war Mechaniker von Johnny Claes in dessen gegründeten F1-Team. Zwischen 1950 und 1955 fuhr Claes 23 WM-Rennen, immer dabei: Uropa Bianchi als Mechaniker. Aus Mailand stammend, siedelte er auch nach Belgien über. Deshalb taucht Lucien Bianchi in der F1-Statistik auch als Belgier auf. Er ist Jules’ Großneffe und war selbst F1-Pilot. Sein Debüt gab er 1959 im Claes-Rennstall Equipe National Belge. Bis 1968 fuhr Lucien Bianchi Rennen für Reg Parnell, Scuderia Centro Sud und Cooper. Das Highlight: Platz drei beim Monaco GP 1968 im Cooper BRM. Aber das wirkliche Highlight in der Laufbahn von Lucien Bianchi: Der Sieg beim 24-Stundenrennen von Le Mans 1968, auf einem von John Wyer eingesetzten Ford, gemeinsam mit Pedro Rodriguez. Ein Jahr später verstarb Bianchi beim Vortraining zum Le-Mans-Klassiker.
In der Familien-Dynastie fehlt noch Mauro Bianchi, der Opa von Jules Bianchi. Er schaffte es nie in die Formel-1 – wurde trotzdem Weltmeister, drei Mal in der GT-Klasse.
In Budapest ist der Tod von Jules Bianchi auf fast jedem Auto, auf diversen Helmen und auch in vielen Trauerfeierlichkeiten überall präsent. Die F1-Gemeinde und mit ihr viele Fans trauern.