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Die GP2-Saison ist beendet und wen sehen wir nun aus der zweiten Liga nächstes Jahr in der Königsklasse, in der Formel-1? Der Meister Romain Grosjean verhandelt mit Renault, Williams und Virgin. Das klingt erst mal ganz gut, aber tatsächlich hat Grosjean auch eine gute Chance, durch den Rost zu fallen und ein F1-Comeback nicht zu schaffen. Und mal Hand aufs Herz: Was hat man schon von einem F1-Cockpit bei Virgin? Wer da Timo Glock nicht in Grund und Boden fährt, der hat keine guten Chancen auf die Zukunft, das haben die Beispiele Lucas di Grassi und Jérôme D’Ambrosio gezeigt. Weiter mit dem Vizemeister, Luca Filippi: Seit 2005 steht er auf der Schwelle zur Formel-1, aber er bringt seinen zweiten Fuß nicht rein. Über 100 GP2-Rennen, unzählige F1-Tests mit Minardi, Honda, Super Aguri. Inzwischen ist er 26, ein F1-Debüt 2012 ist höchst unwahrscheinlich. Hinter Filippi landete Jules Bianchi. Ein viel versprechender Franzose, der unter Wert geschlagen wurde, seinen Platz im Ferrari-Nachwuchsprogramm längst schon sicher hat, aber trotzdem nicht die besten Chancen auf ein F1-Debüt hat. Am ehesten noch bei Williams.
GP2-Fahrer ohne Aufstiegschance?
Bianchis Landsmann Charles Pic hat sogar Sponsorengelder hinter sich – und eine überraschend starke GP2-Saison, speziell im Qualifying. Bei HRT ist er ein Thema, bei Force India nur als Testfahrer. Eine dritte GP2-Saison wahrscheinlicher als eine erste F1-Saison. Guido Van der Garde war schon 2007 kurz vor dem F1-Einstieg mit Spyker, trainierte schon im Training, jetzt fährt er seit Jahren GP2. Bei Williams hat er eine kleine Chance, vielleicht auch bei Virgin. Mit einem Van der Garde als F1-Fahrer 2012 sollte man aber lieber nicht rechnen. Sam Bird überzeugte letztes Jahr bei F1-Tests mit Mercedes, fährt auch in der GP2 vorne mit, setzt aber keine Highlights. F1-Debüt 2012? Zumindest nicht von Anfang an. Christian Vietoris ist im Förderprogramm von Renault-Teambesitzer Gerard Lopez und wird wohl einen F1-Test bekommen. Der Deutsche liebäugelt jetzt schon mit der DTM, trotz des starken GP2-Finishs. Dani Clos hat den GP2-Titel auch im dritten Jahr nicht gewonnen. Vielleicht bei HRT, viel wahrscheinlicher aber irgendwo anders, bloß nicht in der Formel-1. Davide Valsecchi hat stark begonnen, dann aber nachgelassen – und so bleibt Lotus bei Jarno Trulli und holt den italienischen Landsmann nicht in den GP-Sport. Und, um die GP2-Top-10 dieses Jahres abzurunden: Auch Marcus Ericsson hat keine Chance auf ein F1-Debüt.
Da stellt sich natürlich die Frage: Haben es die Nachwuchsfahrer heute tatsächlich schwieriger in die Formel-1 zu kommen als in früheren Tagen? Denn, so viel steht fest: Die GP2 ist dennoch das beste Sprungbrett in die Formel-1, ist man doch der direkte Unterbau im GP-Sport. Gewiss: Vor allem in den Bastlerjahren, in den 50er, 60er und auch in die 70er Jahre hinein, als die Formel-1 noch nicht so professionell war, kaufte man sich für verhältnismäßig günstigen Konditionen einen F1-Wagen, mit dem man einfach an den Start ging – mit Erfolgschancen, die nicht mal so schlecht waren, als wenn man heute das ganze Jahr über mit einem HRT Cosworth fährt…
Nackte Zahlen
Kundenfahrzeuge, die privat eingesetzt werden, sind von der Logistik und auch vom Aufwand her nicht mehr zu machen, dagegen spricht schon das beinahe jährlich wechselnde Reglement. Doch man braucht gar nicht in die F1-Steinzeit zurückzugehen: Noch zu Beginn der 90er Jahre, also vor 20 Jahren, kam fast das halbe Feld der internationalen Formel-3000, die heute GP2 heißt, in den Genuss von F1-Rennen. Beispiel 1991: 20 von 45 F3000-Fahrer, also 44% fuhren in ihrer Karriere Mal ein F1-WM-Rennen. Nämlich: Christian Fittipaldi, Alessandro Zanardi, Emanuele Naspetti, Marco Apicella, Jean-Marc Gounon, Damon Hill, Vincenzo Sospiri, Andrea Montermini, Karl Wendlinger, Heinz-Harald Frentzen, Allan McNish, David Brabham, Giovanna Amati, Michael Bartels, Andrea Chiesa, Paul Belmondo, Giovanni Lavaggi, Fabrizio Barbazza und Jean-Denis Deletraz. 2001, also vor zehn Jahren, waren es nur noch zehn von 38 Fahrer, also 26%. Nämlich: Mark Webber, Antônio Pizzonia, Giorgio Pantano, Justin Wilson, Tomas Enge, Stéphane Sarrazin, Norberto Fontana, Zsolt Baumgartner, Patrick Friesacher und Sébastien Bourdais. Und vor fünf Jahren, nun schon unter dem Namen GP2 startend nur noch sieben von 32 Fahrer, also 22%. Und das war ein starker Jahrgang mit Fahrern wie Lewis Hamilton. Die anderen sechs waren Timo Glock, Nelson Piquet jr., Giorgio Pantano, Vitaly Petrov, Lucas di Grassi und Gianmaria Bruni. Zwei davon, nämlich Pantano und Bruni fuhren aber ihre F1-Rennen vor dieser GP2-Saison 2006…
Man muss sich nicht weit aus dem Fenster lehnen, um zu behaupten: Vom aktuellen GP2-Starterfeld werden es noch weniger in die Formel-1 schaffen. Dieses Jahr tut sich allerdings auch erstaunlich wenig am F1-Transfermarkt, das wird sich nächstes Jahr wohl ändern, wenn ältere Fahrer wie Rubens Barrichello, Jarno Trulli, Mark Webber oder Michael Schumacher wohl den Helm an den Nagel hängen werden und ein paar weitere Verträge auslaufen. Und damit sind wir auch schon beim ersten Grund, wieso es die Fahrer heute schwieriger haben, als früher: 1991 gab es auch noch 18 Teams, 2001 und 2006 nur noch elf, heute sind es immerhin zwölf. Das heißt die Cockpits, die zur Verfügung stehen, haben sich nahezu halbiert. In den stärksten Jahren (Ende der 80er), meldeten sich 40 Fahrer zu einem WM-Rennen, so gab es schon rein von der Quantität mehr Möglichkeiten für Nachwuchsfahrer, speziell aus der Formel-3000.
Und die Auswahl an F1-Cockpits ist de facto noch kleiner als 24. Erstens, weil sich viele Teams langfristig an Fahrer binden (die Topteams sind für die nächsten Jahre nahezu dicht: Fernando Alonso hat einen Ferrari-Vertrag bis Ende 2016!). Zweitens – und das ist ein noch schlechterer Trend für Nachwuchsfahrer, verfolgen die meisten F1-Teams eigene Nachwuchsprogramme. Wer darin keinen Platz findet, für den ist die Auswahl an noch zur Verfügung stehenden F1-Plätzen noch deutlich geringer. Denn Teams wie Toro Rosso bedienen sich freilich aus dem eigenen Kader, anstatt einem anderen GP2-Fahrer das Cockpit anzuvertrauen. Auf der einen Seite ist das natürlich ehrenhaft, schließlich ist die Reihe starker französischer Fahrer in den 70er Jahren auch nur durch ein Förderprogramm von Renault gemeinsam mit dem Mineralölkonzern Elf so entsprungen. Statt Öl hat Elf Fahrer wie Alain Prost, René Arnoux, Didier Pironi, Patrick Tambay, Jean-Pierre Jabouille und viele weitere gefördert – mit großem Erfolg. Heute sehen die Förderprogramme anders aus: Im Gravity-Förderprogramm des Renault-Teams sind Fahrer wie Jan Charouz, Ho-Pin Tung oder Fairuz Fauzy. Wir würden nicht ans Herz legen, in Wettbüros auf diese Fahrer zu setzen, geht es um zukünftige F1-Weltmeister.
Geld regiert die Welt
Die Talentsucher von Gravity sind natürlich keine Personen, die vom Motorsport keine Ahnung haben. Letztlich ist es aber wichtig, Fahrer aus wirtschaftlich bedeutenden Ländern unter den Fittichen zu haben – denn auch Firmen wie Gravity müssen sich finanzieren. Der Motorsport ist ungemein teurer geworden, die Formel-1 ist eine Geldvernichtungsmaschine, die ihresgleichen sucht. Aber trotz Einheitschassis, Einheitsmotoren und Einheitsreifen: Auch Serien wie die GP2 (ja auch in der zweiten Liga wurden die Rennautos vor 25 Jahren noch von den Teams selbst gebaut!) sind inzwischen keine Spielwiesen mehr, sondern knallhartes und vor allem sündhaft teures Geschäft. Immer mehr Fahrer scheitern daran, das Geld für eine GP2-Saison aufzubringen, vor allem, wenn man in keinem Förderkader steckt.
Wer keine GP2-Saison zahlen kann, der versucht sein Glück in der Formel-2 oder der Formel-World-Series-by-Renault. Die Fahrzeuge kommen von der Power her an die GP2-Rennwagen ran, sind aber billiger – die Aufstiegschancen in die Formel-1 auch bescheidener. Das führt zum nächsten Argument? Gibt es zu viele Rennserien? Tatsache ist: Wenn sich die Nachwuchsfahrer auf verschiedene Starterfelder aufteilen, dann sinkt die Qualität. Fakt ist aber auch: Das ist so neu nicht. Auch vor ein paar Jahrzehnten gab es neben den GP2-Vorgängerserien noch andere Meisterschaft, die als Sprungbrett in die Formel-1 galten: Die Formel-5000, die Formel-Atlantik, auch die japanische Formel-3000 war lange Jahre sehr stark und brachte Fahrer wie Ralf Schumacher oder den aktuellen McLaren-Testfahrer Pedro de La Rosa hervor.
Die Vielfalt der Serien ist also nicht neu, neu ist aber, dass die Aufstiegschancen geringer werden. Denn: Die Fahrer kommen immer jünger in die Formel-1 und bleiben deshalb auch länger. Es ist kein Zufall, dass aus der aktuelle Rekord-Teilnehmer im aktuellen F1-Feld ist: Rubens Barrichello.