Meine Einschätzungen der Barcelona-Tests und dem Kräfteverhältnis:
Die Teams atmen auf: Erstmals spielte das Wetter bei den Testfahrten in Barcelona mit. Nur am ersten Tag gab es anfangs Nieselregen, aber die Teams kamen damit klar. Auch wenn ihnen das Wetter keinen Strich durch die Rechnung machte, dafür machte es ein neu aufgetauchter Konkurrenz: Das Brawn-Team! Das Klassement zeigt: Rubens Barrichello und Jenson Button geben im Brawn Mercedes den Ton an – und das obwohl das Team bisher noch keinen einzigen Kilometer getestet hat, stattdessen um die Zukunft bangte. Das ist peinlich für die anderen Teams, schlechtes Wetter bei den vorausgegangenen Tests hin oder her. Nico Rosberg kam bis auf eine Sekunde an die Barrichello-Zeit heran, aber auf dieser Runde hat der Williams-Toyota-Pilot abgetankt. Das derzeitige Kräfteverhältnis, 2 Wochen vor Saisonauftakt, sieht also in etwa so aus:
Brawn Mercedes: Ferrari-Pilot Felipe Massa bringt es auf den Punkt: „Egal, ob mit wenig oder viel Benzin – wir hätten die Rundenzeiten von Barrichello und Button nie erreichen können.“ Egal, wen man im Fahrerlager zu Wort kommen lässt – grundlegend andere Aussagen fängt man sich dabei nicht ein. Als das Team die ersten flotten Runden fuhr, wurde gemunkelt, man wolle mit weniger Benzin/Gewicht an Bord, neue Sponsoren anlocken, doch noch viel bessere Zeiten widerlegen die Theorie. Das Team hat gute Arbeit geleistet, war vor dem Honda-Ausstieg zwar auch als Geheimfavorit gehandelt worden, doch kein Konkurrent glaubte ernsthaft, dass die Monate des Nichtstuns im Brawn-Team keine Spuren hinterlassen hätten – aber da liegen sie falsch. Einige Experten halten den Ball flach: Die tollen Zeiten des Brawn-Teams ist für die anderen Teams ein gefundenes Fressen, sich selbst die Favoritenrolle von der Schulter zu klopfen. Erst in Melbourne wird sich zeigen, ob das Brawn-Team wirklich ganz vorne liegt.
Ferrari: Auch wenn das Herauslesen des Kräfteverhältnis aus den Testfahrten Kaffeesatzlesen gleich kam, so war es ein offenes Geheimnis: Ferrari und BMW Sauber geben den Ton an. In Barcelona wurden beide vom Brawn-Team überrumpelt. In Spanien konnte auch nicht geklärt werden, wer denn nun vor dem anderen liegt. Weil weder Ferrari, noch BMW Sauber kommende Woche Testen werden, wird sich das Geheimnis auch erst in Australien lüften.
BMW Sauber: Das Team fährt auf dem Niveau von Ferrari. Weil die Zeiten des Brawn-Teams schwer einzuschätzen sind, gilt BMW Sauber somit auch als Mitfavorit. Aber nicht nur das Brawn-Team könnte vor den Deutsch-Schweizern liegen, sondern auch Ferrari.
Toyota: Keine Frage: Toyota hat im Winter einen guten Job gemacht. Nach dem Abschluss der Testfahrten ist Toyota eines der zuverlässigsten Teams – und auch eines der Schnellsten. In Barcelona zeigte sich aber: Ganz auf dem Ferrari- und BMW-Sauber-Niveau ist Toyota nicht. Der Trend bestätigt Experten: Toyota wird die Saison stark beginnen, dann aber etwas abfallen.
Williams Toyota: Ein einziges Auf und Ab gibt es bei Williams. Fakt ist: Mitfavoriten sind die Fahrer des Traditionsrennstalls nicht. Fakt ist aber auch: Ganz so schlecht, wie es noch nach den Jerez-Testfahrten ausgesehen hat, ist das Team nicht. Nico Rosberg und Kazuki Nakakjima fahren konstant im Mittelfeld, können aber offenbar noch zulegen. Eingehende Analysen der Konkurrenzteams ergaben: Auf Williams muss aufgepasst werden.
Renault: Die Franzosen sind weiterhin das große Fragezeichen. Vom letzten Platz bis zum ersten Platz ist alles drin – schon auf jeden Platz wurde das Renault-Team getippt. Die Wahrheit liegt dazwischen, wo genau, ist schwer zu beurteilen, schon alleine deshalb, weil Teamchef Flavio Briatore selbst keine Ahnung hat, wo Renault gerade steht. War der Italiener nach dem Jerez-Test noch guter Dinge, in Australien sogar um den Sieg mitfahren zu können, so ist Briatore nun pessimistischer. Der Grund ist allerdings die starke Performance des Brawn-Teams. Alle Baustellen sind aber noch nicht beseitigt, deswegen durfte Fernando Alonso in Barca auch mehr testen als Nelson Piquet Junior.
Red Bull Renault: Sehr gute Rundenzeiten, aber schlechte Zuverlässigkeit – in diesem Motto standen bisher die Wintertestfahrten bei Red Bull. In Barcelona hat sich das Bild konkretisiert: So übel ist die Zuverlässigkeit nicht, aber übel genug, um sich Sorgen machen zu müssen. Auch die Zeiten sind nicht überragend, das zeigt auch das Schwesterteam Toro Rosso mit demselben Auto. Bei den Fahrern fällt auf: Mark Webber fällt gegenüber Sebastian Vettel stark ab.
McLaren Mercedes: Rang 11 für Lewis Hamilton, der letzte Platz für Heikki Kovalainen – rein die Zeiten sagen: McLaren Mercedes ist im Feld mit am weitesten hinten. Doch ein Team wie McLaren Mercedes, das in den vergangenen 10 Jahren nur selten nicht im Titelkampf eingegriffen hat, auf die letzten Ränge zu tippen, ruft auch bei den Pessimisten Bauchschmerzen hervor. Trotzdem: Es läuft nicht Rund für das Team, das zeigt auch die Tatsache, dass McLaren Mercedes auch in Barcelona Farbstoffe auf das Auto schmieren musste, um den Luftstrom um den Boliden nachvollziehen zu können. Bis Melbourne wird es schwer, zu einem Topanwärter zu werden, aber wie sooft dürfte das Team im Saisonverlauf an die Spitze aufschließen können.
Toro Rosso Ferrari: Schon am Ende der vergangenen Saison war man bei Toro Rosso pessimistisch. Die ersten Testzeiten zeigen: Die Stimmung von damals kam nicht von Ungefähr. Obwohl man schon früh mit dem neuen Auto auf die Strecke geht, sind die Zeiten nicht ermutigend. Toro Rosso dürfte sich eher nach hinten orientieren als nach vorne.
Force India Mercedes: Die Inder haben aufholen können, kämpfen aber trotzdem noch um die hinteren Plätze. Weder Adrian Sutil, noch Giancarlo Fisichella konnten herausragende Zeiten auf den Asphalt hauen, zudem ist auch die Zuverlässigkeit noch nicht ganz perfekt.