21 Jahre lang hielt die beste Serie der Formel-1: Solange gab es kein fahrerisches Todesopfer mehr während eines Grand Prix. Mit dem Tod von Jules Bianchi durch die Folgen des Crash in Suzuka 2014 ist diese Serie gerissen. Jetzt wird wieder über die Sicherheit in der Formel-1 diskutiert.
Die Sicherheit im Rennsport hat zwei Medaillen. Keiner will tote oder verletzte Fahrer sehen. Aber wer das Risiko im Rennsport ausschalten will, der muss den Sport abschaffen. Auch wenn die Sicherheitsstandards immer besser werden, macht man nach wie vor Kompromisse.
Doch verglichen mit vergangenen Tagen ist die Formel-1 bezüglich der Sicherheit einen riesigen Schritt weiter. Ab den 60er Jahren wurden die Bestrebungen, den möglichen Tod als Beifahrer abzuschütteln, intensiviert. So wurden 1961 erstmals Überrollbügel eingeführt, die die F1-Fahrer vor Überschlägen schützen. Sofern sie nicht kopfüber irgendwo dagegen krachen, sind Überschläge heute augenscheinlich spektakulär, aber relativ harmlos. Als Sergio Pérez im Budapest-Training seinen Force India Mercedes aufs Dach legte, stieg er völlig unversehrt aus. Am meisten haben die Stimmbänder der Kommentatoren abbekommen, die Bilder erschrocken kommentierten.
Wegmarken der Sicherheit
Alle Sicherheitsentwicklungen aufzuzeichnen würde den Rahmen sprengen. Es wäre ein eigenes Geschichtsbuch. Ein paar Wegmarken seien trotzdem angeführt: 1963 zum Beispiel wurde vieles eingeführt, was heute selbstverständlich erscheint: Flaggensignale, bruchfeste Helme, verbreitete Cockpits, damit die Fahrer im Notfall schneller aussteigen können.
Nicht nur die Fahrer, auch die Zuschauer wurden nach und nach geschützt. Tragödien wie Le Mans 1955 gab es – wenn auch nicht in diesem Ausmaß – immer wieder. Erst 1970 wurde der Sicherheitsabstand zwischen Zuschauer und Rennstrecke auf drei Meter festgeschrieben. Davor standen sie teilweise unmittelbar daneben. Nah am Geschehen, aber noch näher an der Gefahr. Erst 1980 gab es für die Veranstalter die Pflicht, Streckenkrankenhäuser aufzustellen. 1986 wurde für schlimme Notfälle auch ein Hubschrauber vorgeschrieben.
Es dauerte bis 1988, als erste Crashtests für das Monocoque vorgeschrieben wurde. Eigentlich schier undenkbar, wenn man heute Schlagzeilen liest, wonach Teams kleinere Teile nicht durch den Crashtests brachten und daher zuhause lassen müssen. Seit 1992 wird in Gefahrensituationen auch auf das Safety-Car zurückgegriffen, seit 2003 gibt es einen Nackenschutz für die Fahrer.
Zu viel des Guten?
Aber es wurden nicht nur sinnvolle Regeländerungen im Zeichen der Sicherheit gemacht. 1994 beschloss der Automobilweltverband FIA, dass 27 Kurven in der Formel-1 entschärft werden müssen. Teilweise zu Recht, doch die Folge war, dass die Strecken immer unspektakulärer wurden, sich immer mehr wie ein Ei dem anderen glichen – und vor allem jeden Charme verloren. Heute haben sich die externen Sicherheitsstandards wie die Streckenbegrenzungen und Reifenstapel so sehr verbessert, dass sich viele Fans zurecht wünschen, dass die Formel-1 wieder etwas offensiver diesbezüglich wird.
Genauso die asphaltierten Auslaufzonen: Sie wurden nicht nur der Sicherheit wegen geschaffen, sondern auch, um die Fahrer im Rennen zu halten und zu verhindern, dass sie im Kies stecken bleiben und ausfallen. Womöglich zum Ärger der Fans. Doch damit wurden potenzielle große Geschichten, die der Sport geschrieben hätte, im Keim erstickt. Heute wäre es undenkbar, dass Lewis Hamilton seinen Boliden bei der Boxeneinfahrt in China im Kies versenkt und so die WM verliert. Weil es dieses Kiesbett nicht mehr gibt. Es wurde zuasphaltiert – obwohl die Geschwindigkeiten dort wirklich klein sein. Viele Fans hoffen, dass zumindest ein Teil neben der Strecke nicht mehr asphaltiert, um den Reiz wieder etwas zu erhöhen. Früher waren Kiesbetten deswegen gefährlicher, weil sie zum Abbremsen der Fahrzeuge Rillen hatten, in denen die Boliden aber auch oft ausgehebelt wurden und sich überschlugen.
In gewissen Bereichen hat man es also übertrieben und der Formel-1 damit auch Reize genommen, die den Rennsport ausgemacht haben. Nicht die Gefahr, dass sich Fahrer verletzen. Aber die Gefahr, dass Fahrer beispielsweise das Rennen verlieren, weil sie über das Ziel hinausgeschossen sind und ihr Auto im Kies versenkten. Oder der Reiz, dass die Fahrer wirklich spektakuläre Kurven meistern können, Kurven, in denen sich die Streu vom Weizen trennt.
Cockpit-Kanzel kein Tabu
Das ist die eine Seite, auf der anderen Seite wird die Sicherheitsentwicklung weitergehen. Vielleicht auch in revolutionäre Bereiche. Zum Beispiel einer Cockpit-Kanzel. Die hätte Jules Bianchi nicht gerettet, aber zum Beispiel Tom Pryce 1977 in Südafrika. Viele sprechen sich aus optischen Gründen gegen eine Cockpit-Kanzel aus. Doch das Argument zieht nicht: Die F1-Rennwagen aus den 50er Jahren sehen auch ganz anders aus als die Flitzer heute.
Aber es gibt durchaus Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, bevor man über eine Überdachung nachdenken kann: Es muss gewährleistet sein, dass die F1-Rennwagen sich weiterhin von LMP1-Sportwagen unterscheiden. Es muss außerdem gewährleistet sein, dass die Cockpit-Kanzeln nicht neue Gefahrenherde öffnen, etwa bei Feuerunfällen.
Der Kopf des F1-Fahrers ist nach wie vor der wundeste Punkt. Man versucht ihn bereits indirekt zu schützen, indem beispielsweise seit 2000 die Reifen mit Halteseilen am Cockpit befestigt sind. Sie wurden seither immer wieder verschärft. Die Sicherheitsentwicklung geht weiter – Gott sei Dank. Jeder will, dass die Rekordserie von 21 Jahren nun übertroffen wird.