F1-Boss Bernie Ecclestone will die Formel-1 spannender machen. Und hat dabei auch eine einleuchtende Idee: Eine umgekehrte Startaufstellung, was aber nur dann funktioniert, wenn es für das Qualifying und das Rennen die gleiche Anzahl an Punkte gibt. Puristen rümpfen die Nase, aber das Ziel von spannenderen Rennen wäre erreicht.
Ecclestone hat die Formel-1 zu dem gemacht, was sie ist: Zu einer der größten Sportveranstaltung weltweit. Aber er würde das Gesicht des GP-Sports trotzdem gerne ändern. Oftmals durch kuriose Ideen. Statt WM-Punkte wollte er schon Mal Medaillen vergeben. Weltmeister wäre dann der mit den meisten Goldmedaillen, also mit den meisten Siegen. Bei Gleichstand würde die Zahl der Silbermedaillen entscheiden und so weiter.
Die meisten seiner Ideen werden inzwischen abgelehnt. Ecclestone hat viel an Macht einbüßen müssen. Für den Sport betreffende strategische Zukunftsentscheidungen gibt es inzwischen die Strategiegruppe, die sich vor allem aus den Topteams zusammensetzt. Sie haben auch den jüngsten Vorstoß des F1-Chefvermarkters inzwischen abgelehnt, schon im Januar. Ecclestone gibt aber nicht locker und wirbelte am Rande des Malaysia-GP wieder an der Werbetrommel für seine jüngste Idee, spannendere Rennen zu erzeugen.
Sind künstliche Eingriffe nötig?
Das Grundproblem des Rennsports: Im Qualifying qualifiziert sich der Schnellste normalerweise ganz vorne. Er fährt von Platz eins los und weil er ja der Schnellste ist, fährt er in der Regel vorne weg und gewinnt das Rennen. Für die Zuschauer ist das so spannend wie der berühmte Sack Reis, der gerade in China umfällt. Action kommt nur dann rein, wenn das Fahren schwierig, die Fehlerquote daher hoch ist, wenn die Autos technisch die Distanz nicht mehr schaffen, wenn es große Unterschiede zwischen Quali- und Rennperformances gibt, oder wenn die Bedingungen einen chaotischen Rennverlauf herbeiführen. In der modernen Ära des GP-Sports ist das längst nicht mehr der Fall: Mit den aktuellen F1-Autos kann mit Max Verstappen schon ein 17-Jähriger fahren, die Boliden fahren wie auf Schienen und laufen verglichen mit der frühen Vorzeit wie Schweizer Uhrwerke.
Wie kann man Rennen also auch für Zuschauer spannend gestalten? Wie sorgt man für Rad-an-Rad-Duelle und spannende Zweikämpfe? Derzeit behilft man sich vor allem dem Mittel von Zwangsboxenstopps: Man schreibt den Gebrauch von zwei verschiedenen Reifenmischungen vor: Eine weichere und schnellere, die aber weniger lang hält und eine härtere und langsamere, mit der sich aber eine größere Distanz zurücklegen lässt. Zusätzlich sind die Mischungen so konstruiert, dass sie schnell abbauen und nur zu Beginn des Lebenszykluses eines Reifensatzes schnellere Rundenzeiten zulassen, dann lassen sie spürbar nach. Es entstehen Geschwindigkeitsunterschiede, die zu Überholmanöver führen.
Das Ganze ist natürlich ein künstlicher Eingriff. Man stellt den Sport in den Hintergrund, um die Show zu verbessern. Die eigentliche Idee des Motorsports ist es, das Material möglichst so zu gestalten, dass die Distanz am schnellstmöglichsten zurückgelegt werden kann. Doch die Reifen sind nicht genau dafür gedacht, sondern sie sind absichtlich schlechter als machbar konstruiert. Um Spannung zu erzeugen. Spannung, die es für die Fans eben braucht. Weil heute die Autos haltbarer, das Fahren leichter und vieles eben anders ist als früher. Der Rennsport ist eben auch ein technischer Sport und die Technik verändert sich, entwickelt sich weiter.
In den 80er wurde noch viel überholt
Wer sich Überholstatistiken im Verlauf der Jahrzehnte anschaut, der weiß, dass die Zahl der Überholmanövern in den 80er Jahren recht hoch war und dann ab den 90er Jahren deutlich zurückging. Also behalf man sich den Mitteln der schnell abbauenden Pirelli-Reifen und dem DRS-System und sorgte daher mit künstlichen Eingriffen für eine Fluktuation von Überholvorgängen. Doch Quantität ist nicht Qualität. Statt solche künstliche Eingriffe gäbe es aber auch noch eine andere Option: Nämlich zu analysieren, wieso die Überholmanöver seit den 90er Jahren so zurückgegangen sind und genau diese Ursachen dann zu beheben. Die Ursachen sind vor allem in der Technik und der ausgefeilten Aerodynamik zu finden. Diese neu und einfacher zu gestalten, würde gleichzeitig ein zweites Problem in der Formel-1 lösen: Die der horrenden Kosten. Die aerodynamischen und überholfeindlichen Details kosten viel Geld.
Doch bisher können sich die F1-Teams innerhalb der Strategiegruppe nicht auf ein technisches Reglement einigen, das eine einfachere Technik vorschreibt. Weil also eine sportliche Lösung für die Überholproblematik nicht in Sicht ist, muss man sich weiterhin mit künstlichen Showelementen behelfen. Das funktioniert ja auch: Der Malaysia-GP war spannend, weil die Teams durch die schnell abbauenden Reifen zu drei, mindestens aber zwei Boxenstopps gezwungen waren. Das brachte Bewegung ins Feld und es wurde überholt.
Ecclestone würde gerne den Rennveranstaltern ein spannendes Rennen garantieren. Er will das eingangs erwähnte Grundproblem des Rennsports am Schopfe packen und nicht mehr den im Qualifying Schnellsten von vorne starten lassen, sondern den Langsamsten! Gestartet wird also in der umgekehrten Reihenfolge des Qualifyings, der Langsamte vorne, der Schnellste ganz hinten. Das würde freilich zu Positionskämpfen en masse im Laufe des Rennens führen.
Früher entschied das Los über den Startplatz
Um zu verhindern, dass die Fahrer im Qualifying dann absichtlich vom Gas gehen, will Ecclestone gleich viele WM-Punkte für das Qualifying und das Rennen vergeben. Die schnellste Zeit im Quali und damit der letzte Startplatz im Rennen wäre also genau so viel Wert wie der Sieg im Rennen. Und es ist ja nicht ausgeschlossen, dass der Fahrer auch gewinnt, der von ganz hinten startet. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür sinkt eben.
Puristen stellt es bei solchen Ideen die Nackenhaare auf. Es wäre eine große Veränderung im GP-Sport. Umgedrehte Startaufstellungen gibt es auch schon in Nachwuchsserien wie der GP2. Sie trägt jedes Wochenende aber zwei Rennen aus, die ersten acht Fahrer von Lauf eins starten in Lauf zwei in umgekehrter Reihenfolge. Für das zweite Rennen gibt es aber weniger Punkte – und der Grund für dieses System in der GP2 ist die Ausbildung der jungen Rennfahrer: Man will dafür sorgen, dass sie auch die Zweikämpfe und Überholmanöver trainieren.
Aber auch im GP-Sport hat sich der Start immer wieder verändert. Man muss nur weit genug zurückgehen. Seit 1906 gibt es Grand-Prix-Rennen, aber erst seit dem Monaco-GP 1934 entscheiden die Zeiten im Training, wie gestartet wird. Davor wurde die Startaufstellung per Los bestimmt, Glück spielte da für die Fahrer also noch eine große Rolle. Und überhaupt gehen die GP-Fahrer auch erst seit dem Frankreich-GP 1922 gemeinsam in ein Rennen, davor starteten sie noch einzeln oder im Doppelpack zeitlich versetzt. So wie heute im Rallye-Sport wurde damals vor allem gegen die Uhr gefahren, ein Positionswechsel war nicht immer gleichbedeutend mit einer Veränderung im Klassement. Es hing davon ab, wann der Fahrer im Verhältnis zum anderen ins Rennen gegangen ist.
Weltmeister ohne Siegchance?
Vergleicht man den Start eines GP-Rennens heute mit dem vom ersten Grand Prix 1906 in Frankreich, dann unterscheiden sich diese beiden deutlicher, als sich die Ecclestone-Idee vom heutigen Start eines GP-Rennens unterscheidet. Es wäre ein künstlicher Eingriff um die Show zu verbessern, so wie die schnell abbauenden Pirelli-Reifen und das DRS-System, das nur dem Hinterherfahrenden einen Vorteil bietet. Weltmeister würde vermutlich durch die gleiche Punktevergabe für das Quali und das Rennen nach wie vor der schnellste Fahrer über eine Saison werden. Aber es wäre ein künstlicher Eingriff, der nochmal eine ganz andere Dimension hätte wie schnell abbauende Reifen und DRS.
Der große Nachteil nämlich: Die schnellsten Fahrer würden voraussichtlich zwar auch die meisten Punkte holen, aber die Pole-Position wäre sportlich wertvoller als der Rennsieg. Weil im Quali unter den meisten Umständen wie auch heute der schnellste Fahrer vorne steht, im Rennen wäre das mit dem Ecclestone-System aber nicht garantiert. Es wäre einfach seltsam zu wissen, dass ein Topfahrer wie Sebastian Vettel zwar die meisten Punkte erzielen würde, aber ein Mittelfeldfahrer durch das Startaufstellungs-System mit Glück etwa den prestigeträchtigen Monaco-GP gewinnen würde. Vermutlich würde der Weltmeister nie ein Rennen gewinnen, weil seine Aufholjagd durchs Feld immer auf den Plätzen drei bis fünf enden würde – außer er säße in einem überlegenen Fahrzeug.