Neun von 19 Rennen sind vorbei, es ist also Saisonhalbzeit. Zeit, auch einmal Bilanz zu ziehen. Die Saison war bisher geprägt von abwechslungsreichen Rennen – da ist der vielleicht langweiligste Saisonauftakt aller Zeiten schnell vergessen. Sogar Rennen mit Fadheit-Garantie wie Barcelona und Valencia brachten spannende Rennen hervor. Das lag daran, dass technische Probleme die Topteams befallen haben. Ohne die, und ohne Fahrfehler oder Boxenpannen hätten viele Resultate 2010 anders ausgesehen. Am meisten Punkte verloren hat Sebastian Vettel, am meisten gewonnen Jenson Button. Es ist nur ein hätte-wenn-und-aber und als solches natürlich nicht allzu ernst zu nehmen. Denn letztlich zählt, was auf dem Punktekonto real steht. Es ist auch schwer einzugrenzen, wo man Punkte virtuell noch hergibt, und wo es eindeutig Renngeschehen ist. Technische Probleme, Fahrfehler und Boxenpannen sind klar, aber Regenrennen sind nun mal eindeutig Renngeschehen.
Schon in Bahrain hätte das Resultat ganz anders ausgesehen. Sebastian Vettel hatte gegen Ende des Rennens Motoraussetzer und fiel auf Rang vier zurück. Bis dato war er klar auf Siegeskurs – und daran hätte sich vermutlich auch nichts mehr geändert. Statt Alonso würde nach Bahrain also eigentlich Vettel der WM-Leader sein: Die Top-5: Vettel (25), Alonso (18), Massa (15), Hamilton (12), Rosberg (10).
Eine lose Radmutter sorgte in Australien für einen Vettel-Ausfall – in Führung liegend! Er hätte das Rennen wohl vor dem eigentlichen Sieger Jenson Button gewonnen. Button hatte schon am Start Glück, dass er durch die Kollision mit Fernando Alonso keinen Schaden davon getragen hat. So wie Alonso, der aber dank einer starken Aufholjagd noch Vierter wurde. Ohne die Kollision wäre er wohl Dritter geworden. In der virtuellen WM wäre das Resultat folgendes: Vettel (50), Alonso (33), Massa (28), Button (24), Hamilton (18). Tatsächlich führte Alonso vor Massa die WM an.
In Malaysia waren die Topplatzierungen ohne Probleme unterwegs. Der Regen im Quali brachte Ferrari und McLaren zwar ins Schleudern, aber so ist das halt mal. Alonso verlor aber Platz neun oder umgerechnet zwei WM-Punkte durch einen Motorschaden. Die Top-5 in der virtuellen WM: Vettel (75), Alonso (35), Massa (34), Rosberg (33), Button (28). Tatsächlich führte Massa vor Alonso und Vettel.
Ganz anders wäre der China GP unter normalen Umständen und ohne Regen ausgegangen. Nico Rosberg verlor die Führung an Jenson Button durch einen Fahrfehler. Weil der Deutsche bis dahin deutlich vor Button führte, hätte es womöglich sogar zum Sieg gereicht. Die spätere Safety-Car-Phase kostete ihm sogar auch noch den zweiten Platz an Lewis Hamilton. Hätte Rosberg die Führung behauptet, hätte Hamilton anstelle von Rosberg Jenson Button kassiert, denn Hamilton hatte zu dem Zeitpunkt optimale Reifen. Der Frühstart von Fernando Alonso hat wohl keine Positionen im Rennen gekostet. Die Top-5 hätten vor dem Europa-Auftakt also so ausgesehen: Vettel (83), Rosberg (58), Alonso (47), Hamilton (44), Button (43). Tatsächlich führte Button vor Rosberg und Alonso.
Beim GP von Spanien verlor Lewis Hamilton einen sicheren zweiten Platz durch einen Reifenschaden. Sebastian Vettel wäre also so und so Dritter geworden, ohne dem Bremsdefekt wäre er aber nicht hinter Fernando Alonso zurückgefallen. Mit anderen Worten: Ohne die Pannen von Hamilton und Vettel wäre Alonso nicht Zweiter, sondern Vierter geworden, und Hamilton hätte statt eines Ausfalls einen zweiten Platz geholt. Top-5: Vettel (98), Hamilton (62), Alonso (59), Rosberg (58), Webber (53). Eigentlich führte Button vor Alonso und Vettel.
Keine Probleme hatten die Topplatzierungen in Monaco. Lediglich Jenson Button verlor durch den frühen Motorschaden wohl etwa vier WM-Punkte. Die virtuelle WM: Vettel (116), Webber (78), Hamilton (72), Alonso (67), Rosberg (64). Real führte Webber vor Vettel und Alonso.
Der Türkei GP war geprägt von der teaminternen Kollision zwischen den beiden Red-Bull-Renault-Piloten Mark Webber und Sebastian Vettel. Webber fiel auf Rang drei zurück, Vettel sogar aus. Zuvor führten beide. Weil Vettel zu dem Zeitpunkt der schnellere Fahrer war, ist anzunehmen, dass er den Grand Prix ohne der Kollision vor Webber und Hamilton, der eigentlich Sieger, gewonnen hätte. Die WM hätte dann so ausgesehen: Vettel (141), Webber (96), Hamilton (87), Rosberg (72), Alonso (69). Tatsächlich führte Webber vor Button und Hamilton.
Die Reifen waren das bestimmende Thema in Kanada. Das sorgte für unterschiedliche Strategien. Definitiv ins Klo gegriffen hat Red Bull mit der Strategie von Mark Webber. Das kostete dem Australier mindestens einen Platz (nämlich den Vierten) gegenüber Sebastian Vettel. Für die WM hätte das bedeutet: Vettel (151), Hamilton (112), Webber (108), Alonso (84), Button (83). Tatsächlich führte Hamilton vor Button und Webber.
Bleibt noch der Europa GP. In Erinnerung bleiben wird der spektakuläre Überschlag von Mark Webber, der freilich zum Ausfall führte. Zu dem Zeitpunkt lag Mark Webber abgeschlagen außerhalb der Punkteränge, war aber schon an der Box und wäre am Ende deshalb trotzdem in etwa auf Rang fünf gelandet. Ohne Unfall hätte es auch keine Safety-Car-Phase gegeben und Fernando Alonso wäre nicht so weit zurückgefallen. Er wäre wohl Vierter geworden.
Fasst man all das zusammen, so stünde es jetzt in der Fahrer-WM so:
1. Vettel 176
2. Hamilton 130
3. Webber 118
4. Button 98
5. Alonso 96
Tatsächlich aber sieht es derzeit so aus:
1. Hamilton 127
2. Button 121
3. Vettel 115
4. Webber 103
5. Alonso 98
Und was bringt das jetzt? Es sind kleine Spielchen, nicht mehr und nicht weniger. Dass man Vettel jetzt zum Favoriten kürt, nur weil er eigentlich recht deutlich die WM anführen würde, wird falsch sein. Denn dann missachtet man, dass McLaren Mercedes seit einigen Rennen immer mehr zu Red Bull aufschließt. Experten gehen davon aus, dass ab Silverstone auch ein Silber-Wind weht und McLaren den Ton angeben wird. Das würde Lewis Hamilton in die Karten spielen, denn die virtuelle WM zeigt auch, dass der Abstand zwischen Hamilton und Jenson Button eigentlich deutlicher wäre und Button zu Beginn der Saison auch viel Glück hatte.
Auch zwischen Vettel und Webber würde trotz der starken Rennen von Webber eine größere Lücke klaffen, als das aktuell der Fall ist. Denn zu Beginn der Saison fuhr Webber einfach unter ferner liefen. Kann Red Bull das Entwicklungsrennen von McLaren wider erwarten mitgehen, wird es auf einen Zweikampf zwischen Vettel und Hamilton hinauslaufen – auch wenn man Webber freilich nicht abschreiben sollte.