MichaelZ hat geschrieben:
Was spricht gegen standartisierte Steuergeräte?
Ich habe auch nichts gegen technische Innovationen in der Formel-1, aber ich hab was dagegen, wenn der Rennsport damit kaputt gemacht wird. Und diese Telemetrie macht das momentan, in dem sie dazu führt, dass die Fahrer ferngesteuert werden. Das hat mit Racing nichts mehr zu tun.
Ich glaube auch, dass es andere Bereiche für Innovationen gibt, wo die Elektronik keine so tragende Rolle spielt.
Grundsätzlich spricht ersteinmal nichts gegen standardisierte Steuergeräte, da will ich dir nicht widersprechen. Dagegen habe ich mich ja auch garnicht explizit ausgesprochen, auch wenn das vielleicht so rüberkam.
Mein Problem ist viel mehr die Forderung nach "einfacherer" Technik, bis ins absolute Extrem hinein. Dann hat das ganze mit dem oft zitierten "Pinnacle of Motorsport" nämlich nichts mehr zu tun in meinen Augen.
Diese Idee des ferngesteuerten Fahrers ist irgendwie ja relativ jung, wenn ich mich da recht erinnere, also erst in den letzten paar Jahren aufgekommen. Dabei hat das Level an Telemetrie in den letzten 5 Jahren nicht maßgeblich zugenommen. Was wiederum stark zugenommen hat, ist die Übertragung vom Boxenfunk. Da hat sich auch die Strategie der FOM insofern geändert, dass viel mehr von diesem "Fernsteuern" übertragen wird, als das früher der Fall war. Wenn man sich diese Funksprüche in der Übertragung sparen würde, wäre vermutlich alles wieder in Ordnung für einen Großteil der Leute.
Es wird auch maßlos überbewertet, wie wichtig die Informationen des Renningenieurs sind bzw. wieviel wirklich neue Informationen dieser weitergibt. Die meisten Sachen, mal abgesehen von technischen Problemen, weiß der Fahrer grundsätzlich eh schon und es geht im wesentlichen um eine kurze Erinnerung. So wie der Fußballtrainer am Rand immer den gleichen Quatsch labert. Zusammen mit einer intelligenten Anzeige auf dem Display, kann man sicher ohne einen großen Anteil der "bösen" Funksprüche auskommen.
Ich sehe die halt garnicht als kritisch an. Für mich ist die Formel1 ganz klar ein Teamsport. Am Fahrer hängt letztlich die finale Umsetzung, aber alle bis dahin ist Arbeit des gesamten Teams und da ist es für mich nur natürlich, dass man da auch im Rennen etwas mithelfen möchte. Ich habe selber schon Rennfahrzeuge betreut, inklusive Fahrerfunk und Telemetrie. Die Einstellmöglichkeiten für den Fahrer waren in der Situation zwar begrenzt, aber man kann trotzdem Tipps geben. Dabei muss ich aber auch ehrlich gestehen, dass das Potential des Ingenieur-Inputs echt beschränkt ist. Der Fahrer muss immernoch die Möglichkeit haben, das ganze umzusetzen. Nur weil der Ingenieur ihm sagt, dass er an irgendeiner Stelle später bremsen kann, heißt das noch längst nicht, dass er das in der Realität auch WIRKLICH kann, aus welchen Gründen auch immer.
Zu einem Top-Fahrer gehört für mich eben auch, dass er den Input der Ingenieure, sei es jetzt während dem Rennen oder in den Briefings davor und danach, in der Realität umsetzen kann und von seiner Seite aus vernünftiges Feedback gibt.
Aus technischer Sicht waren übrigens die Motoren bis einschließlich 2013 absolute Steinzeittechnik. Das einzige halbwegs interessante war der pneumatische Ventiltrieb, wobei das im Rennsport auch schon 1989 von Renault eingeführt wurde und für Serienanwendungen schlicht keine Vorteile hat. Die Umsetzung wäre wiederum kein Problem. Ansonsten waren die Motoren als Saugmotoren mit Saugrohreinspritzung, keinerlei Variabilität im Ventiltrieb oder Ansaugtrakt und dem Verbot von interessanten Materialien technologisch etwa auf dem Serienstand von 1980-1990 - wow.
Die jetzigen Motoren bieten einige der aktuellen Technologien, die MGU-H gibt es so in der Serie noch nicht, als Prototyp wiederum schon etwas länger. Die neuen Kraftstoffe bieten übrigens sehr interessante Potentiale für den Alltag, da man dort bei TurboDI-Motoren (das heißt übrigens nicht Diesel, sondern Direct Injektion
) in die gleichen Probleme beim Thema Vorentflammung läuft. Auch die Strategien für die Kombination der beiden E-Maschinen je nach Betriebszustand sind vielleicht noch interessant.
Tendenziell glaube ich, dass man mit der aktuellen Technik und den neuen Fahrerdisplays auf einen Großteil der "Fernsteuerung" verzichten kann. Nachdem ich nochmal etwas im Reglement gestöbert habe, hat sich herausgestellt, dass es bei der Motorabstimmung selber im Rennen nur ganz ganz wenige Einstellmöglichkeiten gibt. Eigentlich nur für unterschiedliche Reifentypen und dazu noch den Boost Knopf, ansonsten ist das vom Verbrennungsmotor alles ziemlich fest. Das maßgebliche sind die Betriebsstrategien für das Hybrid-System. Da kann man dem Fahrer sicher auch irgendwie beibringen, wie er das selber mithilfe einer Anzeige hinzubasteln hat. Oder man gibt den Teams die Möglichkeit für eine Hand voll Strategien die frei programmierbar sind und fertig ist's.
Dass es so wirklich Bereiche für Innovation ohne Elektronik gibt, glaube ich wieder nicht. Außer man öffnet halt das Reglement wieder an manchen Stellen. Man muss aber einfach sehen, dass das bei der aktuellen Technik einfach so ist. Ohne Elektronik läuft kein einziges Serienauto. Im Formel1-Wagen sind auch Unmengen an Steuergeräten drin, über die der Großteil der Leute noch nichteinmal Bescheid weiß. Das Wissen darüber ist auch nicht relevant. Es geht ja nur darum, dass diese Steuergeräte gewisse Steuerungs- und Regelungsaufgaben übernehmen. Ein Rekuperieren mit der MGU-K wäre nicht sinnvoll möglich, wenn man kein Steuergerät für den hydraulischen Teil der Bremse hätte, nur mal als Beispiel. Das lässt sich mechanisch nicht sinnvoll lösen, würde ich behaupten. Und selbst wenn, dann wäre man damit wieder bei Steinzeitmethoden, wohingegen die elektronische Lösung einfach das moderne und sinnvolle ist. Genau das gleiche ist ja beim Fahrwerk oder bei der Servolenkung der Fall. Das muss laut Reglement alles rein mechanisch sein und deswegen werden da zig Millionen drin verbraten um ein unglaublich komplexes mechanisches System über winzige Ventile, Drosseln usw. abzustimmen, wo das ganze mit einem Steuergerät um Größenordnungen günstiger und vom Resultat gleich wäre.
Was mir gerade noch einfällt: Es scheint eine weit verbreitete Illusion zu sein, dass die Elektronik alles perfekt macht und dem Fahrer das Leben unglaublich erleichtert oder den Ingenieuren Arbeit abnimmt, in dem Sinne, dass man etwas nicht mehr gescheit konstruieren muss. Das ist schlichtweg falsch. Es ist bei der Steuerung mit Steuergeräten nur einfacher, Änderungen vorzunehmen. Wenn man jedes mal ein mechanisches Teil fertigen und austauschen muss, dauert das erheblich länger, als wenn man einmal den Laptop anstöpselt. Dafür kann man dem Fahrer innerhalb von einer Testsession die Lenkung nach seinem Wunsch einstellen, anstatt da eine ganze Saison hinterherzurennen und für einige hundert Tausend Dollar Teile zu produzieren.
So ein bisschen habe ich immer das Gefühl, dass viele maßgeblich dagegen sind, weil sie selber einfach nicht verstehen, was da abläuft und alles was mit Computern und Elektronik zu tun hat immer "ferngesteuert" ist. Dazu folgende Frage: Wie soll ein Formel 1 Auto noch technologisch fortschrittlich sein, wenn es jeder ungefähr verstehen soll? Es versteht doch nahezu kein Ottonormalverbraucher mehr auch nur die Grundzüge seines PKW.
Was ich noch dazu sagen muss: Ich bin selber im Bereich der Funktionsentwicklung für Motorsteuergeräte tätig und bin deswegen nicht wirklich unparteiisch auf dem Thema von Elektronik in Automobilen. Ich hänge laufend mit meinem Laptop in irgendeinem Prototypen oder Demonstrator und bastle da noch dran rum, das ist also für mich einfach normal. Über diese Arbeit weiß ich aber auch, dass die ganzen coolen mechanischen Features an einem modernen Verbrennungsmotor nur sinnvoll funktionieren, wenn sie äußerst präzise gesteuert und geregelt werden. Man fängt immer an mit einer coolen mechanischen Entwicklung und dann muss man nach den Stationärversuchen auf dem Motorenprüfstand im Fahrzeug mit Prototypensteuergeräten schnell neue Funktionen entwickeln, die alles passend ansteuern. Ohne neue Steuergerätefunktionalitäten würde da einfach nichts funktionieren.