Mit Nicolas Hülkenberg hat ein aktiver F1-Fahrer das 24-Stundenrennen von Le Mans gewonnen und selbst ein Weltmeister wie Fernando Alonso wäre gerne an der Sarthe gefahren. Aber nicht nur die F1-Fahrer interessieren sich verstärkt für die Sportwagen-WM, auch die Fans laufen zur WEC über.
Während die Formel-1 medial in einer Krise steckt, gewinnt die Sportwagen-Weltmeisterschaft immer mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung der Fans. Aber woran liegt es? Ist die WEC inzwischen besser als die Formel-1? Wieso wird der Hybrid-Motor mit leisem Sound in der Formel-1 verteufelt, in der WEC aber in den Himmel gelobt?
Viele machen dafür die Beteiligten in der Formel-1 selbst verantwortlich. Kaum kamen die Motoren 2014 wurden sie sowohl von F1-Boss Bernie Ecclestone, als auch vom damals amtierenden Weltmeister Sebastian Vettel scharf kritisiert. Beide sind oder waren zu dieser Zeit die Aushängeschilder ihres Sports. Ihre Aussagen haben Gewicht, sie werden von den Fans gehört. Und sie redeten ihr eigenes Produkt schlecht. Wie kann ein Fan dann noch positiv über die Formel-1 sprechen?
Erwartungshaltung eine andere
Wahrscheinlich ist an dem Argument schon was dran. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. In Le Mans hat mit Porsche ein Hersteller gewonnen, der auf ein ähnliches Motorenkonzept setzt, das auch in der Formel-1 zum Einsatz kommt. Genauso laut, genauso Hybrid, also eigentlich genauso kritisierbar. Aber Fakt ist: Die Erwartungshaltung an Le Mans ist eine ganz andere als an die Formel-1. Die Formel-1 ist eine Sprintserie mit Rennen von eineinhalb Stunden. In Le Mans wird 24 Stunden gefahren, ein Langstreckenrennen also, bei dem Hybrid, Effizienz und Materialschonung toleriert wird. In der Formel-1 aber wollen die Fans Vollgas vom Start bis ins Ziel sehen, samt echten Zweikämpfen und ohne Rücksicht auf Reifen, Benzin, Bremsen oder andere Materialien.
Lotus-Technikchef Nick Chester erklärte vor dem Großen Preis von Österreich, dass inzwischen ein F1-Auto in Le Mans mitfahren und das Rennen auch gewinnen könnte. Die Motoren müssen inzwischen auch schon so lange halten, wie bei einem 24-Stundenrennen von Le Mans. Wollte Chester damit die F1-Technik loben, dürfte er damit aber das Gegenteil erreicht haben: Es zeigt, dass sich die F1-Technik zur Langstreckentechnik entwickelt. Für eine Sprintserie offenbar – das belegt der Zuschauerschwund – die falsche Richtung.
Es gibt aber auch noch eine Reihe anderer Gründe, wieso die WEC derzeit besser ankommt, als die Formel-1: Auch wenn sich in Le Mans eine F1 ähnliche Technik durchgesetzt hat und das technische Reglement gewiss nicht einfacher zu verstehen ist, als das F1-Reglement, so sind die Regeln doch so offen gestaltet, dass Audi, Porsche, Toyota und Nissan mit völlig verschiedenen Konzepten gegeneinander antreten können. In der Formel-1 gibt es viel zu wenig Freiheiten, zu viel Einheitsbrei, technische Innovationen: Fehlanzeige. Selbst Weiterentwicklung ist nur beschränkt möglich. Wenn ein Hersteller wie Renault wie aktuell daneben langt, muss er damit rechnen, in den nächsten paar Jahre hinterherzufahren. Toyota und Nissan können nach ihrer Schlappe dieses Jahr in Le Mans dagegen wieder ein komplett neues Auto auf Kiel legen.
F1-Rennen austauschbar
Das Rennen in Le Mans wirkt auch nicht künstlich – und vor allem: Es ist nicht austauschbar. Le Mans ist ein richtiger Saisonhöhepunkt. In der Formel-1 gleichen sich viele Strecken inzwischen wie ein Ei dem anderen. Vielleicht sollten die Chester-Aussagen ja mal in die Idee eines 24-Stundenrennens der Formel-1 verwandelt werden? Gewiss ein radikaler Vorschlag, der nie umgesetzt wird – aber in die Richtung muss es gehen. Grand Prix müssen ein Highlight werden und wieder eine gewisse Einzigartigkeit beanspruchen. Wieso sonst ist der Grand Prix von Singapur als einziges modernes F1-Rennen ein Klassiker geworden? Es war der erste Nacht-GP. Die Strecke in Monaco ist einzigartig verrückt – und daher der Klassiker schlechthin im Kalender.
Und obwohl die WEC derzeit einen Höhenflug erfährt, bleibt die Formel-1 die Königsklasse des Rennsports. Echte Überholmanöver gibt es in der WEC so gut wie gar nicht. Auch drängen alle Fahrer als erstes in die Formel-1, die WEC ist nur eine Alternative oder ein nettes Zusatzprogramm. Aber für den Rennsport zielführend wäre ohnehin die Abkehr des Konkurrenzgedankens: WEC und Formel-1 haben beides ihre Reize, beides ihre eigenen Gesetze, beide miteinander zu vergleichen, wird der Sache nicht gerecht. Wer sich für die WEC entscheidet, muss sich nicht gegen die Formel-1 entscheiden und umgekehrt.