Ich schließe mich zu 100% dem Blog von Michael Schmidt auf AMS an.
Hier der Artikel:
Eigentlich können wir das Thema schon nicht mehr hören. Doch die Seifenoper um die Reifen erfindet jede Woche eine neue Folge. Diesmal der Test von Mercedes in Barcelona, von dem zehn Tage lang keiner etwas wusste. Außer Pirelli und Mercedes und FIA-Rennleiter Charlie Whiting. Dass es so lange geheim blieb, ist schon einmal ein Armutszeugnis für die anderen Teams, vor allem für jene, die Millionen ausgeben, um die Konkurrenz auszuspionieren.
Wie können Red Bull, Ferrari, Lotus und McLaren so lange so tief schlafen? Der Test fand ja nicht auf einer abgesperrten Teststrecke von Mercedes in Deutschland statt, sondern in aller Öffentlichkeit in Barcelona. Die Lotus-Teammitglieder wunderten sich am Abend des GP Spanien noch, warum nebenan bei Mercedes niemand das Motorhome abbaute und die Trucks reisefertig machte. Aber das ist nur eine Randnotiz in einem Theater, das den bedauernswerten Zustand des Patienten Formel 1 aufzeigt.
Die FIA hat in einem Schreiben fünf Stunden nach der Zielflagge mit möglichen Konsequenzen gedroht. Man gab zu, generell einen solchen Test abgesegnet zu haben, sei aber dann nicht weiter von Pirelli informiert worden. Außerdem hätten offenbar nicht alle Teams die Möglichkeit gehabt, an diesem Test teilzunehmen. Hier muss man sich fragen, warum es überhaupt so weit kommen musste, dass Pirelli einzelne Teams um Probefahrten bittet. Und zwar explizit mit einem aktuellen Auto.
Die italienische Reifenmarke war im Bestreben, einerseits schnellere Rundenzeiten zu ermöglichen, andererseits die Reifen unberechenbar zu machen, einen Schritt zu weit gegangen. Nicht wegen der 82 Boxenstopps beim GP Spanien. Das hatten wir schon 2011. Nein, in ein paar Fällen löste sich die Lauffläche der Hinterreifen ab. Die Luft blieb zwar im Reifen, aber es sah halt blöd aus.
Red Bull und Mercedes sahen darin die einmalige Gelegenheit, ihre Reifenprobleme zu lösen. Sie warnten vor Sicherheitsrisiken, gewürzt mit Aussagen der Fahrer, dass Langsamfahren keinen Spaß mache. Weder das eine, noch das andere ist durch Fakten gedeckt. Aber darum geht und ging es auch nie. Beide Teams wünschen sich die 2012er Reifenkonstruktionen zurück, weil damit ihr Fahrzeugkonzept besser funktioniert. Alles andere ist billige Politik.
Die Reifenkritiker hatten aus ihrer Sicht gute Arbeit geleistet. Pirelli musste handeln. Jeder weitere Schaden hätte in der Außenwirkung den Eindruck bestätigt, sie wüssten nicht, wie man Reifen baut. Eine schnelle Lösung musste her. Doch wie testen, wenn man nur einen 2010er Renault hat? Auf dem lernt man genauso wenig wie mit den drei Jahre alten Ferrari, die im Kundenprogramm laufen und mindestens ein Mal für ein Reifenentwicklungsprogramm zweckentfremdet wurden.
So kam es dazu, dass Pirelli Mercedes und Red Bull kontaktierte, ob sie 1.000 Kilometer testen könnten. Es ist kein Zufall, dass diese beiden Teams gefragt wurden. Beide nehmen die Hinterreifen härter ran als alle anderen. Mit diesen Autos konnte man am besten sehen, ob die Änderungen an der Schulter der Hinterreifen funktionieren. Red Bull lehnte ab. Mercedes sagte zu, und sicher nicht nur, um Pirelli zu helfen. Da war schon auch gehöriges Eigeninteresse dabei.
Natürlich hat Mercedes davon profitiert, auch wenn die dort getesteten Reifenmischungen nichts mit denen des GP Monaco zu tun hatten und bei Mercedes keiner wusste, wann welcher Reifentyp auf dem Auto war. Wer drei Tage im Kreis herumfährt, sammelt drei Tage Daten. Der kann sein Setup ändern, die Daten mit dem vorangegangenen Grand Prix vergleichen und daraus Lehren ziehen, wie man die Reifen besser schont. Egal welcher Gummi drauf ist.
Jetzt ist das Geschrei groß. Aus Sicht der anderen Teams verständlich. Doch hier geht es um mehr als nur darum, dass Pirelli Mercedes eine Testmöglichkeit und damit auch einen Vorteil verschafft hat. Es geht darum, wie der Formel 1-Zirkus mit Krisen umgeht. Da fällt einem nur ein Wort ein: Dilletantisch.
Das ist bei der Frage der Kostenbremse nicht anders. Jeder weiß, dass es für Pirelli im nächsten Jahr keinen Ersatz gibt, jedenfalls keinen, der den Wunsch der Zirkusdirektoren erfüllt, Reifen für die Show zu bauen. Und trotzdem wird alles getan, diesen Reifenhersteller zu vergraulen. Wäre ich Vorstandschef von Pirelli, hätte ich schon längst den Stecker gezogen. Weil jeder nur an sich denkt und nicht an die Sache.
Wenn Red Bull behauptet, man handle ausschließlich zum Wohle des Sports, dann ist das einfach nur lächerlich. Es geht darum, sich Reifen zu erstreiten, die besser zum eigenen Auto passen. Wenn die anderen Teams jetzt aufjaulen, Mercedes habe profitiert, dann ist das genauso Heuchelei. Es war in früheren Fällen ja auch keiner bereit, Pirelli aus Notlagen zu befreien. Mercedes inklusive.
In dieser Geschichte haben alle Fehler gemacht. Deshalb müssten eigentlich auch alle bestraft werden. Das geht aber nicht. Ich weiß nicht, wie die FIA aus dieser Nummer wieder rauskommen will. Wer soll hier den Kopf hinhalten? Und wie muss die Strafe aussehen? Mercedes wird sich darauf hinausreden, dass man grünes Licht von der FIA bekam. Es ist juristisch betrachtet nicht die Pflicht von Mercedes, diesen Test zu kommunizieren.
Der Test war von Pirelli bezahlt und organisiert. Die Reifenfirma war der Veranstalter. Es ist höchstens eine Frage des Stils. Es war natürlich blauäugig von Mercedes zu glauben, diese Sache würde unter dem Teppich bleiben und wenn sie dann doch bekannt würde, keine Wellen schlagen. Da muss sich im Team auch keiner wundern, dass Nico Rosbergs Sieg am Sonntag nur die zweitbeste Geschichte war.
Wenn Rosberg zu seiner Siegesfahrt zudem nur lauwarme Statements abgibt und noch nicht einmal sagen kann, will oder darf, was beim Start im Detail schiefgelaufen ist, dann werden sich die Journalisten lieber dem kontroversen Reifenthema zu zuwenden.
Was macht die FIA mit Pirelli? Natürlich hätte der Reifenhersteller alle anderen Teams explizit fragen oder zumindest informieren müssen. Man hätte den Kandidaten für diesen Test unter den elf Teams vielleicht auslosen und die Daten allen anderen zugänglich machen sollen. Es wäre auch absolut notwendig gewesen, den Test in allen Einzelheiten bekanntzumachen. Sonst gibt Pirelli ja auch alle zwei Tage eine Pressemitteilung heraus.
Andererseits stand der Reifenhersteller unter Druck. Ein Druck, der gezielt von einigen Teams aus purem Eigeninteresse aufgebaut wurde. Wenn die FIA Pirelli eine Geldstrafe verpasst, dann steht die Formel 1 im nächsten Jahr ohne Reifen da. Der Bogen ist ohnehin schon überspannt. Wenn als Wiedergutmachung jedes andere Team 1.000 Kilometer testen darf, sind die Kleinen wieder die Angeschmierten. Sie haben gar nicht den Apparat, nebenher eine Mannschaft auf einen Dreitagestest zu schicken.
Eigentlich müsste sich die FIA selbst bestrafen. Sie hat in dieser Geschichte eine armselige Figur abgegeben. Gutes Krisenmanagement sieht anders aus. Hier wäre endlich mal eine starke Hand gefragt gewesen. Das Reifenproblem ist seit Wochen bekannt. FIA-Präsident Jean Todt weiß ganz genau, dass die Teams und Pirelli allein nie zu einer Lösung finden würden. Also hätte der Verband über die Köpfe der Teams hinweg mit Pirelli einen Weg suchen müssen, wie das Problem aus der Welt zu schaffen ist.
Nur abzuwarten und zu hoffen, dass sich alles in Harmonie von selbst auflöst, bringt in diesem zerstrittenen Zirkus gar nichts. Das gleiche gilt für die anderen Krisenherde in diesem Sport. Ohne Concorde Agreement hätte Todt die einmalige Gelegenheit, in dem Laden einmal so richtig aufzuräumen und den Saustall auszumisten. Red Bull und Ferrari haben deshalb völlig zu Recht Protest eingereicht. Es ist der einzige Weg, die FIA zum Handeln zu zwingen.
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