Die Geister, die sie riefen, sie werden sie nicht los. Genau ein Jahr nach dem von Ex-Renault-Team-Chef Flavio Briatore inszenierten und befohlenen Unfall von Nelson Piquet Junior ist dessen Nachfolger Romain Grosjean unter dem Flutlicht von Singapur gestern fast an derselben Stelle in die Mauer geknallt. Den Unfall im ersten freien Training zum Großen Preis am Sonntag quittierten die Zuschauer an der Strecke und die Journalisten im Pressezentrum mit höhnischem Gelächter. Die Zaungäste rannten nach unten, um die kuriose Szene zu fotografieren. Bilder, die schon bald von historischem Wert sein könnten, denn die mit sportjuristischen Winkelzügen vom Präsidenten des Internationalen Automobilverbandes FIA dirigierte Pannenhilfe (Bewährungsstrafe) für den schwer vom rechten Wege abgekommenen französischen Rennstall stößt offensichtlich ins Leere.
Dieser Crash/Einschlag soll von Piquet jr. beabsichtigt gewesen sein. Man(n) gönnt sich ja sonst nichts
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Chronisch skandalös
Schon vor dem ausschließlich fahrerischem Missgeschick zuzuschreibenden Unfall von Grosjean hatte der spanische Versicherungskonzern Mutua Madrilena Renault die Freundschaft aufgekündigt. Der Sponsor will nicht mehr im Zusammenhang mit dem größten Skandal der Formel-1-Historie genannt werden. Wenig später drehte auch der Hauptsponsor, die niederländische Bank ING, den Geldhahn zu. Der angeschlagene Autobauer und sein in einen moralischen Totalschaden verwickelter Rennstall stehen praktisch nackt da. Der schon ohne Briatores Spitzbubenstück über einen Ausstieg aus der Königsklasse nachdenkende Konzern wird wohl kaum noch zu halten sein. Zumal Doppel-Weltmeister Fernando Alonso Ende des Jahres mit ganz großer Sicherheit die Marke wechseln wird. Der Spanier, so pfeifen es die Spatzen seit Wochen von den Dächern, steigt dann in einen Ferrari um.
Der Rückzug der beiden Geldgeber ist jedenfalls, vom ebenso gerechten wie zwingend harten Urteil, lebenslänglicher Ausschluss von der Formel 1 für Drahtzieher Briatore, der erste konsequente Schluss aus der Affäre. Für die fast chronisch ins Skandalöse abdriftende Vollgasbranche sollte der Ausstieg langjähriger Partner auch Signal sein, sich selbst kritisch zu bespiegeln. Die am Mittwoch schon von Fahrern und Verantwortlichen begonnene Offensive des bedingungslosen Nach-Vorne-Schauens und Schweigens über die Crash-Gate-Affäre ist jedenfalls der falsche Weg, um aus dem Morast wieder herauszukommen. Ausmisten geht anders. Mit großer Empörung haben (fast) alle mit den Fingern auf Briatore gezeigt, den mancher bis zu den unappetitlichen Enthüllungen kurz zuvor noch gerne als tollen Kumpel vorgezeigt hatte.
Hellhörig hätten Teamchefs, Rennkommissare und die ach so mündigen Piloten ja schon vor einem Jahr werden können, als über den seltsamen Unfall und die dahintersteckende perfide Strategie schon gemunkelt wurde. Die ganze Wahrheit wollte bis zum Auspacken des später von Renault entlassenen Piquet offenbar niemand wissen. Keiner hat sich auch um den sportethisch höchst fragwürdigen Gehorsam der Fahrer empört. Fast alle Piloten haben bei der Frage, ob sie sich vorstellen können, auf Anweisung einen Unfall zu bauen, geantwortet, dazu lieber nichts zu sagen.
Noch immer zählt, auch rücksichtslos erzielter, Erfolg mehr als die Moral. Mit Briatores Worten "Schieß ihn ab" (gemeint war 1994 Damon Hill), begann ja auch die viel bewunderte Rekordkarriere von Michael Schumacher. Der Kerpener hat später in Monaco ja auch vorgemacht, wie ein Unfall dreist inszeniert werden kann. Dennoch gilt er den meisten Fahrern und Teamchefs ja vorbehaltlos als großes Vorbild.
Keine Zivilcourage
Fragwürdig auch der Umgang der Formel 1, die sich ja für einen Diamanten in der Welt des Sports hält, mit dem Hitler-Verharmloser Bernie Ecclestone und seiem Nazifreund Mosley, der aus seinen politischen, wie sexuellen Neigungen, keinen Hehl macht (in der arabischen Welt gilt MM als persona non grata, nicht aber Flavio Briatore). Allenthalben Schweigen, wo doch momentan überall der Ruf nach Zivilcourage erschallt. Weltkonzerne wie Mercedes, der mittlerweile alleinige Rechteinhaber der Formel 1, das Investmentunternehmen CVC, das sich den britischen Senior gar als Bevollmächtigten hält, stören sich nicht am mehr als mangelhaften Demokratieverständnis von Ecclestone. Dpa/Presse-Anfragen sind schlicht beantwortet worden: "Das kommentieren wir nicht."
NB: Nach dem Luca di Montezemolo, Martin Brundle, F1-Zampano Bernie Ecclestone (him self), um nur einige zu nennen, die Bestrafung von FB für zu hoch und unangemessen angeprangert haben, bleibt für mich bei diesem ominösem Crashgate ein sehr schlechter (fader) Beigeschmack. Denn es bleibt weiterhin sehr umstritten, dass bei der Aufklärung der Fakten, 1.) über ein Jahr Zeit verstrichen ist und 2.) der FIA-Präsident in einer Person Ankläger & Richter ist!
Nach den Geschehnissen, die dem Ganzen vorausgingen, muss man von Befangenheit ausgehen, denn nicht umsonst war und ist Flavio Briatore ein Erzfeind von diesem noch amtierenden FIA-Präsidenten.